Vergleich der Neigezüge

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Nein, mit dem RABDe 500 fuhr ich als Lokführer bisher nicht in der Schweiz herum. Mein ehemaliger Standort, das Depot Erstfeld wurde nie sonderlich oft mit Reisezügen bedacht und die grossen Züge, wie der legendäre RAe TEE II, oder wie der ETR 470 machten einen grossen Bogen um das Depot, das eigentlich niemand wollte. Wobei, es schon fast ein Wunder war, denn den ETR 470 wollte auch niemand, warum dann nicht Erstfeld?

Es war nicht überraschend, als die ICN endlich am Depot vorbeifuhren, war es kein Thema. Die Lokführer von Erstfeld mussten die Überholung abwarten. Sie waren der Division Cargo zugeteilt wor-den.

Ein Lokführer aus dem Güterverkehr hat-te im Führerstand eines Reisezuges eigentlich nichts verloren. Schon gar nicht in jenem des neuen Neigezuges.

Daher fehlt hier die persönliche Erfahr-ung, was nicht heissen soll, dass diese fehlen.

Mit dem Wechsel des Standortes kamen neue Strecken auf mich zu und dazu ge-hörten auch Abschnitte, die mit den Nei-gezügen befahren wurden. Dazu gehörte auch die Strecke zwischen Biel/Bienne und Oensingen.

Bei der Planung der Begleitfahrten zur Kundigkeit, war auch ein ICN enthalten. Im Führerstand über die bogenschnellen Abschnitte nach Osten. Eine Fahrt, die der normalen Signale diente und nicht den speziellen.

Besonders wenn der Neigezug sich mit 105 km/h auf einen Abschnitt los bewegt, der normalerweise nur 80 erlaubte, wirkt das für den ungewohnten Lokführer schon etwas befremdlich. Doch die Kurve kam, der Zug legte sich zu Seite, stellte sich wieder auf und das war es schon. Keine erhebenden Gefühle, einfach wie auf dem Motorrad, erkläre mir der Kollege. Schön, ich fahre nicht Motorrad, weil ich die Pension erleben will.

Beruflich gingen jedoch die Dienstpläne für das Lokomotivpersonal nie auf. Das führte dazu, dass man immer wieder auf Dienstfahrten geschickt wurde. Dann kam es vor, dass auch ein ICN darunter war. Ergänzt mit den privaten Fahrten, kann ich die Neigezüge unterscheiden und so auch ein Bericht, eines Reisenden aus dem Zug abgeben. Mehr werde ich nicht beisteuern können. Selbst der Fraktion «Kotztüte» gehöre ich nicht an.

Lassen Sie sich überraschen, was ein Lokführer in einem Neigezug bemerkt, den er gar nicht bedient. Da war sicherlich auch etwas Persönliches im Spiel und ich konnte wirklich Leute beobachten, die mit der Neigetechnik auf Kriegsfuss waren.

Leute, die gelitten hatten. Daher weiss ich, dass es auch so gehen kann. Die Neigezüge, egal von wel-chem Hersteller, hatten Freunde und Feinde bekom-men und so richtig objektiv war niemand.

Jedoch hatte ich auch Fahrten mit den grössten Widersachern des ICN unternommen. So kann ich auch über deren Vor- und Nachteile einige Fest-stellungen machen. Daher sollen auch Beziehungen zu ICE-T und ETR 470 angestellt werden.

Neigezüge, die für einen höchst unterschiedlichen Einsatz geplant und gebaut wurden. Genau dann wird ein Vergleich schwer und macht die Ge-schichte nicht einfach. Besonders dann, wenn auch der ETR 610 ins Spiel kommt.

Nehmen wir zuerst den Komfort der Neigezüge. Der ICN hatte eine hervorragende Ausnutzung des verfügbaren Platzes. In diesem Punkt konnte schlicht niemand mithalten.

Damit lag er hier sicherlich hinter dem ICE-T, der für gehobenes Reisen über lange Strecken mit Zuschlag geplant war. Dort gab es freie Ecken, ein paar Spielereien mit Scheiben, die plötzlich eingenebelt wurden. Punkte, die ein ICN nicht benötigte.

Im Bezug zum ETR 470, war der Komfort am Sitzplatz nicht unbedingt besser, jedoch durften sich die Leute im ICN nach einen «Geschäft» auf dem WC sich auch weiterhin an frischer Luft erfreuen. Daher denke ich, dass sich hier der ICN im Mittelfeld einordnen konnte. Selbst der neue ETR 610 war nur unwesentlich vom RABDe 500 entfernt. Dort wurde jedoch mehr auf lange internationale Reisen mit viel Gepäck geachtet.

Dazu trugen fehlende Steckdosen und die Besonderheiten der anderen Züge bei. So konnten die Reisenden im ICE-T, dem Lokführer durch eine Glasscheibe über die Schultern blicken und im ETR 470 an jedem Wagen an einer Steckdose Strom beziehen. Highlights in diesen Zügen, die der ICN nicht bieten konnte. Nur, beim ICN öffnete sich nach Jahren auch die Türe zum Führerstand und eine exklusive Reise im Führerstand war möglich geworden.

Wobei hier natürlich Vorbehalte angebracht sind, denn jede Person nimmt andere Punkte bei der Beurteilung des Fahrkomforts wahr. Das macht die Angelegenheit hier schwer und sorgte auch bei den Entwicklern der Züge für Kopfschmerzen.

Niemand weiss beim Bau, ob der angebotene Komfort von den Leuten akzeptiert wird. Daher kann in diesem Punkt sicherlich nur vermutet und erwartet werden. Eine ge-sicherte Lösung wird es jedoch beim Komfort nie geben.

Bei den Störungen, die im Betrieb auftreten, nahm der ICN sicher einen Spitzenplatz ein. Die Neigezüge der Schwei-zerischen Bundesbahnen SBB funktionierten und das ohne grössere Probleme.

Der RABDe 500 war nur selten in den Schlagzeilen, was klar dafürsprach, dass die Probleme gering waren und der Zug problemlos funktionierte.

Die Qualität beim Bau des Zuges hatte wohl gepasst, ob-wohl die Arbeiter am Schluss wussten, dass sie danach ihre Arbeit verlieren würden.

Hier konnte der ICN im Vergleich sicher etwas besser ab-schliessen, als der ICE-T, der zwar funktionierte, aber letztlich wegen Problemen mit den Achsen längere Zeit aus dem Betrieb genommen wurde. Ein Fehler, der nicht direkt mit dem Zug zu tun hatte, der aber dem Zug, der plötzlich verschwand, geschadet hatte. Etwas, was dem ICN durchaus auch hätte passieren können, daher sehe ich die beiden Züge hier etwa auf der gleichen Ebene.

Vor allem wegen dem schlecht aufgezogenen Notverkehr kam das Problem der ICE-T an die Öffentlichkeit, da konnte er nur Schaden erleiden, denn wenn sich die Presse auf einen Zug eingeschossen hatte, war das so. Notverkehre gab es auch beim ICN schon, nur war dort das Problem nicht beim Zug zu finden, sondern vielmehr bei der Tatsache, dass es beim Bau Verzögerungen gab, die zum Teil nicht hätten passieren dürfen.

Abgeschlagen wären der ETR 470 und etwas davor der ETR 610, welche trotz vieler Jahre Erfahrung nie so richtig funk-tionierten und die wegen technischen Problemen, letztlich den Kampf gegen den ICN verloren hatten.

Sicherlich war der ETR 610 etwas besser, aber wer kann sich schon mit einem Zug messen, der kaum Störungen hatte und so einwandfrei funktionierte? Niemand und die Italiener pass-ten nicht so optimal zur Schweiz.

Die Presse nahm die Neigezüge aus Italien nie so richtig aus den Schlagzeilen. Die Störungen waren oft etwas aufgeblasen worden, waren aber auch vorhanden und immer wieder spektakulär, was der Boulevardpresse natürlich gefiel.

Der ETR 470 war dafür ein guter Kandidat. Aussagen von Fahrgästen wie «Gottseidank sind wir wieder aus dem Tunnel gekommen.» sprechen nicht besonders für das Vertrauen in ein Fahrzeug.

Geriet ein Zug in Brand, war es der «Schrottolino» und die Presse hatte wieder ein gefundenes Fressen. Das schadete dem Ruf des Zuges sicherlich und mangelhafte Wartung trug dazu bei, dass die Technik nicht gehalten hatte, was man sich erhoffte. Nur, immer war die Technik nicht Schuld an der Verspätung. Jedoch interessierte das nach den Kinderkrankheiten, die nie richtig verschwanden, niemanden mehr, man hatte den Sündenbock gefunden.

Bei der Technik half dem ICN sicherlich die grundsätzlich angewendete Redundanz. Ein Ausfall eines Teils führte nicht zum Ausfall des Zuges. Wenn man diese Redundanz selbst bei sicher funktionierenden Teilen, wie einem Kompressor, oder einem Hauptschalter umsetzen konnte, kann man sicher viele Punkte bei der Zuverlässigkeit sammeln. Die Monteure in den Werkstätten könnten jedoch ein anderes Lied singen, nur diese Stimmen finden in der Presse wenig gehör.

Doch gehen wir in den praktischen Einsatz, zeigten sich überall bei den Neigezügen Schwachstellen. Leuten mit empfindlichem Magen wurde es in den Zügen schlecht. Dabei spielte es keine Rolle, ob es der ICN, oder einer seiner Mitstreiter war.

Damit waren sie bei den betroffenen Leuten, alles andere als beliebt und sie fanden die Züge zum «Kotzen». Solche Leute finden natürlich an solchen Zügen kein gutes Haar, das versteht sich von selber.

Hier war der ICN halt auch ein wenig besser, als seine Mitstreiter, wenn das für die Betroffenen auch nur ein kleiner Trost ist. Es war die Neigetechnik, die Probleme machte.

Diese war bei den ETR 470 und ETR 610 hydraulisch und dabei spontan und ruckartig. Hinzu kamen Effekte, die man sich bei hydraulischen Dämpfern zunutze machte. Wer dann in Richtung Übergang blickte, sah wie der Zug schaukelte und so ein bisschen an einen Kutter erinner-te.

Jedoch soll es Personen gegeben haben, denen im ICN nicht schlecht wurde, weil die Kastenneigung nicht ruckartig, sondern linear erfolgte. Zudem sorgten die Glastüren mit ihrem Muster dafür, dass der Reisende die sich unterschiedlich neigenden Kasten nicht erkennen konnte.

Wem es schlecht wurde, der suchte sich einen ruhigen Punkt und diesen fand er, im Gegensatz zu den anderen Modellen beim ICN auch, was dem Magen gefiel.

Ob jedoch eine Abneigung, gegen die ausländischen Züge mitspielte, will ich nicht kommentieren. Nur eben, es gibt Leute, denen im Flugzeug speiübel wird und die sicherlich auch an einem Flieger keine grosse Freude haben.

Da würde selbst der Strassenverkehr nicht gut aussehen. Nur, die Neigezüge waren halt nur ein Teil der Eisenbahn und dann wird man etwas böser, weil ja die restlichen Züge das Problem nicht verursachen.

Die technische Ausstattung des ICN, konnte mit den anderen Neigezügen nur bedingt mithalten. Der ICE-T hatte eine ähnliche Ausrüstung, konnte damit aber in zwei Ländern mit dem gleichen Stromsystem eingesetzt werden. Beim ETR 470 waren zwei komplette Systeme vorhanden, die auch genutzt wurden. So gesehen, war hier der ETR 470 etwas vorne weg. Mit drei Systemen finden wir den ETR 610 jedoch an der Spitze wieder.

Die Form des Fahrzeuges, sollte auch betrachtet werden. Hier lag der ICE-T mit seiner spitzen Form und dem eleganten weissen Kleid nach DB-Norm sicherlich etwas vor dem eher stumpf wirkenden ICN. Die Form der ETR 470 war schon bei der Ablieferung nicht unbedingt zeitgemäss und wirkte eher kantig, so dass der Zug hier die Geister sicher spaltete. Wirklich frech kam letztlich der ETR 610 mit der spitzen Nase daher.

Nur, bei dieser visuellen Beurteilung, wird wohl je-der etwas anders entscheiden, ich persönlich wür-de hier dem ICE-T eher den Vorrang geben. Auch der ETR 610 müsste ich vor dem ICN einreihen.

Nur war da noch jener ICN, den ich wirklich ausge-sprochen gelungen fand, es war der Clown, der wirklich einen etwas besonderen Charme hatte und sich so an die Spitze schob. Nur gegen die rote Stubsnase hatte nun wirklich niemand eine Chance.

Der Betriebseinsatz der Züge war sehr unterschied-lich. Trotzdem hatten alle vier Neigezüge den Hauptbahnhof Zürich im Programm. Ein Bahnhof, der in Europa sicherlich andere Massstäbe setzt.

Der ICE-T, der dort von den Fahrgästen als schnelle S-Bahn missbraucht wurde, war mit dem Aufkom-men der Fahrgäste in der Schweiz sicherlich über-fordert. So komfortabel war der Zug und es waren schlicht zu wenige Plätze vorhanden.

Ab der Schweizer Grenze änderte das, so dass man komfortabel und gemütlich reisen konnte. Der Zug passte daher eher weniger in die Schweiz.

Ein Punkt, der gegen den Vertreter aus Deutschland sprach, denn wer in ein Land mit einem der dichte-sten Aufkommen bei den Fahrgästen fährt, sollte viele Sitzplätze haben. Da haben die Verantwortlichen sicherlich nicht alle Aufgaben sauber gelöst. Ein Negativpunkt für den Zug der DB.

Der ETR 470 wirkte, wie auch der ETR 610 auch gut gefüllt nicht unbedingt überfüllt. Die Plätze waren jedoch selten wirklich gut besetzt, die Störungen der Züge machten das Reisen darin zum Abenteuer. Wer auf eine Erlebnisreise mit Pannen und Evakuierungen wollte, der bestieg den ETR 470 und hoffte auf sein Glück. Nur seltener als sein Ruf behauptete, trat diese Situation auch ein. Vielmehr waren hier die permanenten Verspätungen das Problem.

Ich hatte viele Fahrten mit dem ETR 470 und auch mit dem ETR 610 reiste ich schon. Bei all den Fahrten gab es nie Probleme. Klar war auch ich nicht erfreut, wenn sie zu spät an die Grenze in Chiasso kamen.

15 Minuten war in Italien nichts, bedeutete jedoch, dass mein Anschlusszug in Bellinzona bereits in Gefahr war. Auch ich war dann nicht so gut auf das Fahrzeug zu sprechen. Doch nicht immer war es Schuld und das muss auch ich eingestehen.

Bleibt nur noch der ICN. Der Zug kann als tapferes Arbeits-tier bezeichnet werden. Der Neigezug der Schweizer-ischen Bundesbahnen SBB bewegte dabei immer die Mas-sen. Sei es auf seinen Strecken durch das Mittelland oder am Gotthard.

Gerade diese Eigenschaft, die ihn zum «Menschenfrach-ter» machte, führte zu seinem Erfolg, er konnte im Vergleich, wirklich sehr viele Leute transportieren, denn hier kann gesagt werden, dass der ICN wohl zum Welt-meister geworden war.

Der ICN war letztlich nichts anderes als ein Arbeitstier, dessen Aufgabe es war, möglichst viele Leute schnell durch die Schweiz zu befördern. Wenn man das von dieser Seite aus betrachtet, war der ICN durchaus ein erfolgreicher Zug. Wer Komfort liebte, stieg in den ICE-T und für Abenteurer gab es nur den ETR 470. So bekam jeder Geschmack seinen Zug. Ich persönlich ziehe hier den RABDe 500 vor, denn er passte in die Schweiz.

Es wird dereinst für einen Hersteller schwer werden, einen Ersatz für die hier vorgestellten RABDe 500 zu bauen. Das muss aber einmal gemacht werden, denn die ICN können nicht ewig eingesetzt werden. Auch wenn sie alt sind, ist auf der Strecke zwischen St. Gallen und Genève der Weg über Biel/Bienne nur mit Neigetechnik in der heutigen Zeit zu schaffen. Es sei denn, man entscheidet sich doch noch für den Beton.

 

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