Erstfeld - Singen - Erstfeld

Der schrille Ton des Weckers hallt durch mein Schlafzimmer. Seiner Aufgabe gemäss entreisst er mich meinen schönen Träumen. Irgendwann schlag ich dieses Ding mal an die Wand, aber schon meldet sich der zweite aus Sicherheit gerichtete Wecker zu Wort. Zu zweit besiegen sie dann meinen Willen, doch noch im Bett bleiben zu wollen. Ein Blick auf die Uhr verrät mir, dass sie korrekt gearbeitet haben, es ist genau 1.30 Uhr. Irgendwie unmenschlich, aber das gehört zum Beruf.

Irgendwann gestern Abend, oder besser am späteren Nachmittag habe ich mich entschlossen das Bett aufzusuchen und mich hinzulegen, auf die Uhr habe ich nicht gesehen. Letztlich muss dann die Müdigkeit gesiegt haben, denn mir fehlen ein paar Stunden. Noch mit dem Schlaf in den Augen geht es ins Bad, dann in die Küche und zuletzt an den PC. Mails sind gestern keine an mich gesandt worden. Der Kaffee, die Droge der Lokführer, schmeckt gut und langsam beginne ich meine Sinne zu ordnen.

Ach ja, gestern hat mich ein Heizer begleitet. Jetzt fahren sie, und sind entsprechend nervös. Auch ich mag mich noch gut an mein erstes Mal erinnern. Mit dem Pendelzug, den eine Re 4/4 I schob ging es damals den Gotthard hoch. Das war kein schweres Unterfangen. Wer jedoch hochfährt, muss auch wieder mal runter, und das war mit diesem Zug doch schon schwieriger. Danach wurden wir auf die Lokführer und die Kundschaft los gelassen, so wie jetzt die Neuen. Ich habe schnell bemerkt, dass er schon viel vom Handwerk versteht und den Zug sicher befördert. Klar, dass er den Fahrkomfort, den ich mit meiner Erfahrung bieten kann, noch nicht gänzlich beherrscht. Es ist noch kein Lokführer als solcher geboren worden und jeder musste es zuerst erlernen, auch wenn man bei den Aussagen einiger älterer Kollegen das Gegenteil vermuten könnte.

Heute muss ich nach Singen am Hohentwiel, und sofern der Zug pünktlich ist, kann ich mich auch wieder wie der Heizer gestern fühlen. Da ein Abschnitt meines Weges umgebaut wird, muss ich eine andere Route wählen. Die bin ich bisher noch nie gefahren. Zwar habe ich die notwendige Streckenkenntnis absolviert und kenne die schwierigen Orte. Einige Tipps haben mir auch die Kollegen gegeben, die mit den Zügen planmässig dort fahren.

Jetzt habe ich jedoch eine rollende Landstrasse am Haken. Ich muss den Weg in der Nacht suchen und sollte dabei noch so gut fahren, dass die Fahrer der verladenen Lastwagen im eingereihten Begleitwagen ihren wohlverdienten Schlaf geniessen können. Klar, ich bringe einiges schon mit, ich kenne die Lok gut und kann sie fast im Schlaf bedienen. Zudem weiss ich, wie die Züge reagieren und welche Zugkräfte in bestimmten Neigungen nötig sind. Nervös werde ich deswegen bestimmt nicht werden, aber etwas ungewohnt ist es schon.

Beim Thema Schlaf merke ich, dass meine Müdigkeit langsam verschwindet und die Uhrzeit unaufhörlich voranschreitet. Die schwere Jacke, die mich vor der in dieser Jahreszeit kalten Luft schützen soll, habe ich angezogen. Auch die Kontrolle, ob ich nichts vergessen habe ist gemacht. Es ist Zeit die Wohnung und das Haus zu verlassen. Als ich die Haustüre hinter mir schliesse, stelle ich fest, dass die Sterne funkeln und die Nacht kalt ist. Sterne am Himmel sind nicht immer ein gutes Zeichen, denn andernorts kann das Nebel bedeuten und Nebel ist das Letzte was ich auf der neuen Strecke möchte.

Der Weg ins Depot ist um diese Zeit sehr ruhig, kaum jemand befindet sich auf der Strasse und wenn, dann sind es Kollegen, die nach Hause fahren oder wie ich zu Fuss gehen. Die Polizei macht auch ihre Kontrollfahrten und schaut, dass uns braven Bürgern nichts passiert. Nun, als so brav scheinen sie mich nicht zu halten, denn ich werde genau gemustert. Ich weiss, es ist die Zeit wo die dunklen Gestalten ihr Unwesen treiben. Da ich nichts zu befürchten habe, kann ich meinen Weg ungeirrt fortsetzen und auch der Polizist im Auto scheint bei mir nichts Böses zu ahnen. Auch sie haben keine leichte Arbeit um diese Tageszeit, die Leute, die sie nicht sehen wollen sind wach und jene, die froh sind, dass sie ihre Arbeit machen schlafen beruhigt, weil sie wissen, dass die Polizei aufpasst.

Sofern ich noch ein wenig Schlaf hatte, haben die kalte Luft und die Bewegung dafür gesorgt, dass er endgültig verschwunden ist. Auf dem Weg bleibt Zeit sich einige Gedanken zu machen. Gedanken, die man nicht immer will, aber die einfach kommen. Ist der Zug pünktlich, denn wenn nicht, geht es den normalen Weg nach Singen.

Mit einer Rola kann viel passieren, überhitzte Bremsen oder brennende Lastwagen gab es schon. Nicht vergessen darf man, dass auch die beste Lok einen Defekt haben kann und so der Zug verspätet wird. Jedoch der häufigste Grund für die Verspätung liegt weiter im Süden, denn der Zug kommt selten pünktlich aus Italien. Gibt es beim Verlad Verzögerungen, oder ist die Strecke überlastet: Ich weiss es nicht?

Mit dem letzten Gedanken habe ich das Depot erreicht, vor der Remise sind einige Lokomotiven abgestellt und warten auf Arbeit. Da ich meine Mappe im Kleiderschrank deponiert habe, begebe ich mich zuerst in die Garderobe. Ein paar Weisungen sind gestern noch verteilt worden. Ein Blatt fällt mir sofort auf, was steht da? Verhalten bei Warnung zeigenden Signalen! Aha, die in vielen Kreisen umstrittene Weisung wurde geändert. Jetzt gilt wieder mal etwas Neues. So, die Geschwindigkeit muss je nach den örtlichen Verhältnissen… was heisst das nun wieder? Ich lese das Schreiben wohl besser in einer ruhigen Minute. Heute greife ich noch nach einer zusätzlichen Tasche, die mir die Fahrpläne für das deutsche Netz liefert.

Ein Blick auf den Zuglagenmonitor und ich bin überrascht, es scheint tatsächlich ein Wunder, denn mein Zug ist pünktlich. Gut, ein paar Minuten Abweichung, aber das kümmert im Güterverkehr keinen mehr, dafür haben andere Züge mehrere Stunden Verspätung. Ein paar Worte mit den im Reservezimmer anwesenden Kollegen wechsle ich noch. Um die Zeit bleiben die gewaltigen und oft intensiven Diskussionen der Lokführer aus und man beschränkt sich auf das Nötigste.

uten Morgen und Tschüss, mehr will man eigentlich nicht sprechen. Der Schlaf hält die Kollegen vom Nachtdienst an, doch endlich nach Hause zu gehen. Nicht jeder meiner Kollegen im Frühdienst hat so gut geschlafen wie ich. An einem anderen Tag wird das wieder anders aussehen, und die Entscheidung ob man im Frühdienst ausgeschlafen ist oder nicht, hat auch mit etwas Glück zu tun.

Ich mache einen kleinen Umweg um zu meinem Zug zu kommen, denn der Getränkevorrat in meiner Mappe, ist nicht sehr gewaltig, die leere Flasche gibt nichts mehr her. Auf dem Weg bemerke ich, dass der ärztliche Dienst der SBB mit seinem Wagen, den wir Seuchenwagen nennen, einen Stopp in Erstfeld einlegt.

Ich bin dieses Jahr nicht mit der Untersuchung dran, aber ich erinnere mich noch gut ans letzte Mal. Fast nackt in einem kalten Wagen, wen wundert es, dass man da krank wird. Kommt noch hinzu, dass einem die Angst im Nacken sitzt, denn wenn hier etwas nicht stimmt, braucht es lange, bis man wieder eine Lok bedienen darf, zum Teil sogar sehr lange.

Als ich die Türe zur Remise öffne, sind die Gedanken an den Seuchenwagen schon wieder vergessen. Es ist doch besser, wenn es die Kollegen und nicht einen selbst mit der Untersuchung trifft. Die Türe schliesst mit einem unüberhörbaren Geräusch automatisch. Hier stört sich niemand daran. Ach ja, die Getränke wollte ich noch ergänzen, ich ändere meinen Kurs und gehe zielsicher zur Vertretung der Firma Selecta. Der Verpflegungs-Automat sorgt gegen ein paar Münzen dafür, dass ich wieder Flüssigkeit bei mir habe, so wandelt man hartes Geld in Flüssigkeit um.

Das Gespräch mit dem Schaltwärter war nur kurz, denn ausser, läuft meine Lok durch, ja, danke und tschüss, wurde nicht mehr gesprochen. Während er vermutlich bald die Minuten zählen wird, bis seine Ablösung kommt, fährt mein Zug weiter und mein Kollege wartet auf seine Ablösung, und die bin nun mal ich.

 

Erstfeld - Zürich Oerlikon

Es reicht mir gerade noch auf den Bahnsteig, bevor der Zug in Gleis 2 einfährt. An der Spitze des Zuges befindet sich eine Re 420, eigentlich eher eine Re 4/4 II aber wir haben uns angewöhnt, die neuen Bezeichnungen zu verwenden. Klar, so richtig durchgesetzt haben sie sich noch nicht und alte Bezeichnungen, wenn auch nicht immer offizielle, bleiben hartnäckig. Im fahlen Licht der nächtlichen Beleuchtung kann ich erkennen, dass sich hinten eine Re 620 befindet und dort stimmt es, denn die weisse Schrift des neuen Anstrichs kann auch in der Nacht gut erkannt werden.

Wie es sich gehört ist der Re 620 der Begleitwagen angekuppelt, doch dann erkenne ich eine Änderung. Genau, ich habe mich nicht geirrt, denn statt dem ersten Niederflurwagen folgt ein normal aussehender Wagen, der mit schweren Betonsteinen beladen ist. Es fällt mir jetzt wieder ein, im Tessin liegt ja viel Schnee, und dann ist bei den Zügen der rollenden Landstrasse ein spezieller Schneeräumwagen notwendig, der den Schnee etwas tiefer wegräumt, als dass dies die Lokomotiven tun.

Mehr Zeit bleibt nicht um den Zug zu betrachten, denn mein Kollege hat die Griffstangen vom Schmutz befreit und macht sich bereit um auszusteigen. Ein paar Worte wechseln wir noch, die sich aber ausschliesslich um den Zug und die Eigenschaften der Bremsen drehen. Ganz zum Schluss dann noch die obligate Verabschiedung. Er läuft noch schnell vor meiner Lok durch und macht sich auf den Weg in Richtung Depot. Wegen mir hätte er nicht so schnell gehen müssen, denn mein Signal ist rot, aber vermutlich will er schnell ins Bett kommen.

Ich nehme den Hörer für das Funkgerät in die Hand, stelle den Kanal von Erstfeld ein und sende das Rufsignal. Bis der Fahrdienstleiter Antwort gibt, kann ich meine LEA im Halter aufstellen. Da der Akku bald am Ende ist mit seiner Kapazität, ist es angebracht, dass ich ihn wieder mal auflade. Ich stecke den entsprechenden Stecker ein und blicke nach vorne. Statt einer Antwort am Funk, hat der Fahrdienstleiter das Signal auf Fahrt gestellt und mir die notwendige Abfahrerlaubnis erteilt. Anscheinend hat er die Ablösung beobachtet und angenommen, dass ich mich am Funk angemeldet habe.

Da nun alles erfüllt ist, beginne ich die Zugkraft langsam zu erhöhen. Ebenso langsam beginnt der Zug zu rollen. Noch schnell einen Blick auf die Belastung, aha, mit fast 900 Tonnen ist der Zug gut beladen. Das war es auch schon, Licht aus und im Führerstand herrscht Dunkelheit. Da der Bahnhof Erstfeld eine Rechtskurve hat, kann ich mit Hilfe des Rückspiegels, der bei der Lok in der Türe montiert ist, schauen, ob alles im Zug so ist, wie es soll. Im Begleitwagen brennt kaum ein Licht und die Wagen mit den LKW folgen willig. Manchmal blitzt es auf, und man könnte fast meinen, dass am Zug etwas nicht in Ordnung ist, es sind aber nur die Scheinwerfer der LKW, die das Licht der Beleuchtung des Bahnhofes reflektieren.

Die Neigung der Strecke hilft mir beim Beschleunigen, der Zug hat knapp 10 Minuten Verspätung, nichts im Vergleich zu anderen, aber letztlich will man ja pünktlich verkehren. Da ich nicht schneller fahren darf um die Zeit aufzuholen, muss ich andere Möglichkeiten in Betracht ziehen und schnelles Beschleunigen gehört dazu.

Mit der Höchstgeschwindigkeit des Zuges von 100 km/h fahre ich gegen Altdorf. Es ist schon beachtlich, was diese Lager leisten müssen, denn bei 100 km/h drehen die kleinen Räder gleich schnell, wie wenn der TGV oder der ICE mit 300 km/h durch die Landschaft rasen. Ich habe aber Güterwagen und keine Fahrzeuge, die für den schnellen Verkehr auf speziellen Hochgeschwindigkeitsstrecken gebaut wurden. In einer Fachzeitschrift habe ich sogar gelesen, dass diese Wagen aufgrund des Aufbaus bis zu 120 km/h schnell fahren könnten, nur sei dann die Belastung der Bremsen ein Problem.

Genau diese Bremsen betätige ich, um die Brücke über den Schächenbach mit den erlaubten 80 km/h zu befahren. Ich überprüfe damit gleichzeitig, wie die Bremsen funktionieren. Mein Kollege machte schon einige Angaben, aber jeder Mensch sieht das ein wenig anders. Ich muss mich selber von der Wirkung überzeugen. Hier ist eine gute Gelegenheit.

So friedlich wie der Bach heute unter meinem Zug durchfliesst, war das nicht immer der Fall. Schon oft hat er die Ebene überflutet und vielen Leuten die Häuser mit Wasser gefüllt und damit gewaltige Schäden angerichtet. Heute besteht aber keine Gefahr, das Wasser fliesst nur spärlich und am Himmel funkeln die Sterne.

Nachdem auch der letzte Wagen die Brücke verlassen hat, beschleunige ich wieder und erreiche bald die erlaubte Geschwindigkeit. Der Weg von Altdorf nach Flüelen ist nicht lang und so bremse ich den Zug für die nächsten Kurven erneut ab. Diesmal mache ich das aber auf normale Art mit der elektrischen Bremse. Wirtschaftlich ist das alles nicht, aber ich bin zu spät und schliesslich haben Züge rechtzeitig zu verkehren. Sie wollen ja am Morgen frisches Obst im Laden haben und nicht das von gestern. Gut, nach meinen LKW haben sie vermutlich weniger Lust, aber auch die haben Termine, die eingehalten werden müssen.

Doch schon das nächste Signal macht meiner Aufholjagd ein Ende, denn die beiden orangen Lichter nebeneinander gefallen mir nicht. Mit Hilfe der Luftbremse verzögere ich den Zug auf die nach einer umstrittenen Weisung erlaubte Geschwindigkeit. Aber Halt, war da nicht ein Blatt Papier im Schrank. Keine Zeit für Gedanken dieser Art, denn das Signal bleibt rot und ich muss halten.

Es dauert nicht lange, bis ein Gegenzug kommt, ach ja, hier wird ja gebaut und daher steht nur ein Gleis zur Verfügung. Hätte ich gewusst, dass ich hier zum stehen komme, hätte ich wohl nicht so stark beschleunigt, meine gesamten Bemühungen sind nun vergebens gewesen. Jetzt habe ich Zeit, und mache zuerst die notwendige Buchhaltung in meiner Agenda und die Eintragungen in den Unterlagen der Lok. Ein weiterer Zug kommt, immer noch bleibt das Signal auf rot.

Jetzt kann ich ja das Blatt Papier lesen, das mir vorher eingefallen ist. Nach genauem Studium der Anweisungen stelle ich fest, dass diese neue Art schon vor ein paar Tagen eingeführt wurde, aber dem Lokomotivpersonal teilt man es erst Tage später mit. Nun, geistig so fit wie ich erhofft habe, bin ich anscheinend doch nicht, denn was da steht wirft nur mehr Fragen auf.

Ich frage mich, wo da der Sinn ist, wenn ich mit 60 km/h auf ein Signal zu fahre und dann beim erkennen des darunter montierten Vorsignals mit einer Bremsung beginnen muss, damit ich die Annäherungsgeschwindigkeit erreiche. Dazu muss ich das noch angemessen tun. Klingt auf dem Papier gut, aber ich befürchte, dass hier jeder Lokführer wieder etwas anderes daraus liest. Na ja, der dritte Zug fährt an mir vorbei, mein Signal geht auf Fahrt und ich kann wieder beschleunigen, jetzt mit fast 20 Minuten Verspätung.

Das Blatt lese ich dann nochmals, bei Tageslicht. Die Fahrt geht jetzt weiter und das ist wichtig, denn jetzt muss ich den Zug sicher weiter bringen. Wie ich das bewerkstellige ist mir überlassen, nur eben sicher muss es sein. Aber in nächster Zeit erwarte ich keine roten Signale mehr, denn zum einen bin ich der erste Zug in meiner Fahrrichtung der den Einspurabschnitt befährt und zum anderen sind die Züge, die vor mir waren schon Kilometerweit entfernt. Freie Fahrt ist jetzt nur noch eine Formsache.

Und so erreiche ich dann auch bald den Bahnhof Arth-Goldau. Ein kurzer Blick in den Fahrplan verrät mir, dass ich ein paar Minuten aufgeholt habe. Die Lokomotiven die hier stehen zeigen auf, dass der neue Standort, wie viele hoffen, nicht nur ein böser Traum ist, sondern Realität geworden ist. Aber was soll ich da ausrichten, ich habe jetzt andere Sorgen, denn das nach dem Bahnhof beginnende Gefälle bedingt, dass ich mit der Bremse der Lok arbeite und nicht mehr ziehe.

Die Fahrt dem Zugersee entlang dauert nicht lange, und schon kommt Immensee ins Blickfeld. An den grünen Signalen ändert sich auch hier nichts und so kann ich ungehindert nach Rotkreuz fahren. Viel Verkehr auf der parallel zur Bahnlinie verlaufenden Autobahn gibt es nicht, nur ein einsames Auto kommt mir entgegen. Der Fahrer scheint zu schlafen, denn die Scheinwerfer blenden mich so stark, dass die Augen schmerzen. Warum denken die Autofahrer nur nie an uns auf den Loks. Es hat gebessert, seit wir zurück blenden können, aber unangenehm ist es immer noch.

Bei der Durchfahrt in Rotkreuz steht am dortigen Anzeiger für die Abfahrt der Züge, Achtung vor Zugsdurchfahrt. Eine gute Einrichtung, nur die wenigsten lesen es und jetzt ist so oder so keiner auf dem Perron, was möchte er auch morgens kurz nach 3 Uhr. Auch jetzt ändert nicht viel an den Signalen, die Warnung der Zugsicherung hat hier zwar bei der Einfahrt angesprochen, aber das war normal und kein Grund zur Panik. Jetzt wird sich dann zeigen wie gross die Gefahr für Nebel ist. Die Sterne sind mittlerweile verschwunden und die Sicht bleibt auch hier, wo es sonst immer neblig ist, gut.

Die Fahrt durch diese ländliche Gegend, mit den Dörfern die ruhig schlafen und Fernfahrer im Rücken die auch träumen, könnten einen schon dazu verleiten, auch die Augen zu schliessen, aber andererseits erfüllt es mich auch mit einem gewissen Stolz, mit meiner Nachtarbeit dafür zu sorgen, dass die Fahrer sicher weiterkommen. Die Leute, die jetzt noch ruhen, lesen morgen vielleicht eine Zeitung, die auf Papier gedruckt wurde, welches ich in der Nacht transportiert habe.

So vergehen wieder einige Minuten in Dunkelheit und mir fällt auf, dass schon länger kein Zug mehr entgegen gekommen ist, wo war der letzte Gegenzug, frage ich mich. Ich kann mich nicht mehr daran erinnern, zu schnell vergisst man unwichtige Dinge wieder. Kaum hatte ich den Gedanken gehabt, kommen mir auch schon drei weisse Lichter entgegen. Es ist eine Re 460 mit dem Nachtzug von Deutschland nach Italien. Auch in diesem Zug herrscht Ruhe und die Leute schlafen. Wie mir ein Kollege erzählt hat, sollen diese beiden Züge ab dem nächsten Jahr über den Lötschberg verkehren. Der Gotthard verliert einen der letzten Nachtzüge.

Ein Blick in den Fahrplan verrät mir, dass ich vor 10 Minuten hier in Muri hätte durchfahren sollen, aber immerhin nur noch 10 Minuten und wenn nichts dazwischen kommt, könnte ich vielleicht in Zürich Altstetten pünktlich verkehren. Nun ja, pünktlich nach den Regeln für Reisezüge, also innerhalb von 5 Minuten.

Die grüne Welle hält an und die sonst immer ein wenig spät öffnenden Signale im Raum Hendschiken sind schon lange vor meiner Vorbeifahrt grün, so kann ich zufahren und hin und wieder den Wagen meines Zuges die Aufmerksamkeit schenken, die sie brauchen. Haben wirklich alle Bremsen das letzte Mal sauber gelöst, oder ist ein Lager defekt. Ich kann es aus der Ferne nicht erkennen. In Muri war eine Zugkontrollanlage montiert und die hat nichts bemerkt.

Der Schneeräumwagen macht hier auch keine Probleme, das ist aber auf der Gotthardrampe anders, denn wenn die Bleche, die als Pflüge dienen mit der Arbeit beginnen und eine Menge Schnee aus dem Gleis befördern, dann kann es schon gefährlich werden, wenn jemand am Gleis steht. Der gepresste Schnee fliegt weit. Aber hier im Aargau liegt nicht mal mehr Schnee, so dass ich auch nicht mit dem grössten Problem dieser Züge zu kämpfen habe.

Hätte es Schnee, müsste ich mich achten, ob dieser aufgewirbelt wird. Ist das der Fall, muss ich von Zeit zu Zeit die Bremsen der Wagen betätigen, da sie sonst vereisen könnten und so keine genügende Bremsleistung mehr bestehen würde. Der Zug käme weit nach dem roten Signal zum Stillstand und was dann kommen könnte, möchte ich nicht erfahren.

Bei Othmarsingen zweige ich ab, der Weg führt nun direkt in Richtung Zürich. Von den 140 km/h, die hier die Reisezüge haben, kann ich mit meinem Zug nur träumen. Im Heitersbergtunnel wurden neue Signale montiert und so darf ich mit meinem Zug nur mit 80 km/h fahren. Zeit holt man so natürlich keine ein.

Dieser kurze Abstand der Signale erlaubt es den Reisezügen sich dichter zu folgen. Diese Signalfolge ist aber für uns mit den Güterzügen ein Problem. Mit unseren Bremsen mögen wir mit den normalen Geschwindigkeiten die Bremswege nicht mehr einhalten. Damit wir trotzdem fahren können, müssen die Geschwindigkeiten runter. So kommt es wie es kommen musste, denn als ich den Kanton Aargau bei Killwangen-Spreitenbach verlasse, habe ich immer noch diese 10 Minuten.

Im Rangierbahnhof Limmattal, kurz RBL genannt, herrscht emsiges treiben und die Lokomotiven fahren hin und her. Manchmal werden sie von Wagen verfolgt, die mit Werbung von Grossverteilern versehen sind. Lebensmittel und andere Güter für den täglichen Gebrauch sind oft in diesen Wagen verladen. Ich mit meinem internationalen Zug fahre aber nicht durch den Rangierbahnhof und benutze die Stammlinie nach Dietikon.

Hier auf der Zufahrt nach Zürich folgen sich die Signale schnell und auch die Halteorte sind nahe beieinander. In der Schokoladenfabrik, die kurz vor Schlieren neben der Bahnlinie steht, wird schon gearbeitet. Bei den anderen Betrieben dieser Gegend ist noch nichts zu sehen. Auch Zürich ruht morgens kurz nach 4 Uhr. Keine S-Bahn und schon gar kein Fernverkehrszug begegnet mir. Warum sollten sie, denn wenn keine Leute reisen wollen, warum soll dann der Zug fahren.

In Zürich-Altstetten blicke ich wieder mal in den Fahrplan. Ganz geschafft habe ich es nicht, aber mit 6 Minuten ist das auch kein Problem mit einem Güterzug. So lange die Signale grün sind, ändert sich nichts zum Negativen. Die Brücke, die mich nun aufnimmt, gehört zu den längsten in der Schweiz, sie überspannt nicht nur die Limmat, sondern auch die Gleisfelder des Vorbahnhofes. In der nahen Unterhaltsanlage stehen die schnellen und internationalen Züge brav abgestellt. Zwei ICE-Züge kann ich ausmachen, die hier in Zürich Nachtruhe haben. Irgendwo sollte noch ein französischer TGV stehen. In den Lagern, der unter der Brücke befindlichen Betriebe arbeitet man schon. Die Versorgung einer Grossstadt beginnt schon Stunden bevor die Leute aufstehen. Die Lastwagen mit Gemüse und die Wagen mit Schokolade, Mehl oder auch Zucker werden rangiert.

Die gegen das Ende der Brücke angesiedelten Büroräume haben auch schon Licht, es wird auch dort schon gearbeitet. Nicht so wie man denkt, sondern es wird geputzt und Unterlagen bereit gelegt. Emsige Frühaufsteher, die den Manager und den Buchhaltern den Arbeitstag erleichtern. Mit diesem Gedanken ist die Brücke auch schon fertig und ein Tunnel verschlingt mich mit samt dem Zug. Die Frauen der Putzgruppen haben den Zug nicht beachtet und auch nicht bemerkt, dass sie einen kurzen Moment beobachtet wurden.

In solchen beleuchteten Fenstern können wir in der Nacht viel sehen. So kann erkannt werden, was die Leute im Fernseher geboten bekommen. Aber auch andere Szenen, die nicht ganz jugendfrei sind habe ich schon bemerkt. Es überrascht immer wieder, wie ungeniert die Leute in der Nacht bei beleuchteten Fenstern durch ihre Wohnung gehen und sich nicht an die geltende Kleiderordnung halten.

 

Zürich Oerlikon - Schaffhausen - Singen

Das Einfahrsignal von Zürich Oerlikon ist grün. Ein kurzer Blick in die LEA, ich bin ja schon vorzeitig. Noch etwas muss ich an der LEA umstellen, denn der Filter, den ich bis jetzt hatte um Blocksignale nicht zu zeigen muss raus, jetzt beginnt der neue Weg und da brauche ich diese Signale zur Orientierung. Auf anderen Strecken, wo ich genau weiss wo ich bin, brauche ich sie normalerweise nicht.

Die Einfahrt erfolgt quer über alle Gleise, denn ich muss auf die andere Seite des Bahnhofes. Es ist ungewohnt den Bahnhof für einmal auf der anderen Seite zu befahren. Ab jetzt ist volle Konzentration angesagt und Gedanken, wie ich sie vorher immer wieder hatte, haben keinen Platz mehr. Wie zu jenen Zeiten, als ich den Beruf erlernte, sage ich mir innerlich jedes Signal mit der Bezeichnung. Am Gotthard kann ich mir das ersparen und da beschränkt man sich auf Begriffe wie Offen oder Zu.  Jetzt aber muss ich mich orientieren. War da nicht noch eine Fahrleitungsschutzstrecke?

Sie kommt auf mich zu und der Zug schiebt hier im Gefälle kräftig. Eigentlich eine unsinnige Schutzstrecke, denn die Fahrleitungen beider Seiten sind über Bülach – Schaffhausen miteinander verbunden. Klar, bei unterschiedlichen Längen kann es bei Wechselstrom zu Problemen kommen. Warum geht dass an anderer Stelle, wurde dort die Fahrleitung genau gemessen? Eigentlich habe ich keine Zeit um solche Gedanken weiter zu verfolgen. Das Einfahrsignal von Wallisellen erscheint, auch die Ausfahrt ist offen und ich kann zufahren.

Ich habe nicht die volle Geschwindigkeit, das erspar ich mir. Ich habe genug anderes zu tun, als jede Sekunde auf den Geschwindigkeitsanzeiger zu starren. So geht die Fahrt weiter und schon erscheint Dietlikon. Nein ich habe mich nicht verschrieben und auch nicht geirrt, der Zug fährt zuerst durch Dietikon und danach durch Dietlikon. Klein aber fein sind die Unterschiede in der Schweiz zeitweise.

Da jetzt die Strecke gerade verläuft, sehe ich die Signale schon von weit her. Zuerst kommt ein Block, dann der Spurwechsel Hürlistein. Wie würde jetzt das ein deutscher Kollege sagen. Ach ja, Überleitstelle. Der in den Unterlagen vermerkte Spurwechsel ist aber in Tat und Wahrheit eine ausgewachsene Verzweigung. Hier treffen die Fernverkehrszüge, die den Flughafen von Zürich bedienen wieder auf meinen Fahrweg. Um diese Zeit fehlen sie aber. Die Kurve vor Effretikon kümmert mich in keiner Weise, denn die für diese Kurve erlaubte Geschwindigkeit darf mein Zug nicht mal fahren.

Gedanklich bin ich noch bei der Kurve, als das Einfahrsignal auftaucht. Das Ausfahrvorsignal kündigt mir die Fahrt mit 40 km/h an. Ich schalte die elektrische Bremse voll auf, und lasse die Wagen auch gleich bremsen, noch fehlt mir die nötige Sicherheit um genau zu wissen wie weit die Distanzen sind. Nach der Kurve sehe ich dann zwei Dinge, der Weg hätte keine so kräftige Bremsung bedingt und das Signal zeigt freie Fahrt. Ein kurzer Blick auf die Anzeige des ZUB 121 verrät mir, dass ich auf 40 km/h überwacht werde und so noch nicht beschleunigen darf.

Wieder fällt die Strecke ab, ich merke es jedoch erst, als die Anzeige der Geschwindigkeit ansteigt. Der unbeleuchtete Neigungszeiger ist mir in der Nacht entgangen. Da ich aber nicht am Limit fahre, habe ich genug Zeit um eine angemessene Reaktion zu zeigen. Es gelingt mir, den Zug vor erreichen der erlaubten Geschwindigkeit abzufangen. Es ist überraschend, wie steil die Bahnlinien im angeblichen Flachland sein können.

So geht die Fahrt durch die Nacht weiter in Richtung der nächsten Stadt. Winterthur steht vor der Türe. Grundsätzlich der komplizierteste Bahnhof dieser Umleitung, aber letztlich auch nur ein Bahnhof mit seinen Besonderheiten und Fallen. Schwierig ist nur zu wissen wo sie sind und wann sie kommen. Die Ausfahrt kann ich nur mit 40 km/h befahren, mehr lassen die Weichen einfach nicht zu. Andererseits, wenn ich das fahre, werden die Fernfahrer, die wie ich mich mit einem Blick in den Rückspiegel überzeugt habe, immer noch schlafen, kräftig durchgeschüttelt.

Die doch recht enge Ausfahrt könnte diesem Treiben ein jähes Ende bereiten. Ich verzögere deshalb mit meinem Zug auf 30 km/h. Auch wenn es ein Güterzug ist und ich die Strecke nicht gut kenne, darf man ein wenig Komfort bieten. Auch wenn es nicht alle glauben wollen, Fernfahrer sind auch Leute und die wollen angenehm reisen, wie das der Bankdirektor in der ersten Wagenklasse auch macht.

Hier in Winterthur ist schon mehr Leben zu sehen, als das in Zürich der Fall war. Nein, die Stadt erwacht nicht früher, sondern ich habe ja eine gewisse Zeit benötigt und in dieser Zeit passiert bei der Bahn viel. Auch in Zürich sieht es jetzt so aus. Einige Züge für den morgendlichen Pendlerverkehr werden bereit gestellt, langsam erwacht die Stadt und die Schweiz aus ihrem Schlummer und wenn die Leute in den Bahnhof strömen, stehen wie immer die gewohnten Züge an ihrem Platz bereit, sind geheizt und sauber geputzt.

Winterthur verlasse ich mit meinem Zug mitten durch ein Quartier, die vielen Bahnübergänge folgen sich so nahe, dass sich der Zug oft gleichzeitig auf mehreren Übergängen befindet. Ich fahre jetzt auf einem einspurigen Abschnitt. Ein Blick auf die Anzeigen und ich erblicke etwas, was mir nicht gefällt, die Spannung der Fahrleitung ist tief! Genau genommen nur noch 12'000 Volt, statt den 15'000 Volt. Jetzt muss ich beim beschleunigen aufpassen, beziehe ich einen zu grossen Strom, fällt die Spannung der Fahrleitung noch tiefer und meine Lok schaltet aus Sicherheit plötzlich aus. Ein Ruck ginge durch den Zug und die Fahrer würden durchgeschüttelt. Keine Werbung für meinen Fahrstil.

Es dauert so lange, bis der Zug eine ansprechende Geschwindigkeit erreicht. Der Grund dafür könnte bei den Arbeiten liegen, die auf der anderen Strecke ausgeführt werden. Es könnte sein, dass deswegen eine Versorgungsleitung ausgeschaltet werden musste und schon kann es Probleme geben. Aus diesem Grund haben wir die Anzeige ja in der Lok, denn bei ausgeschalteter Maschine zeigt es nichts an.

Hettlingen besitzt nur eine Haltestelle, der bisherige Bahnhof wurde zu einem Spurwechsel umgebaut und der anschliessende Abschnitt ist doppelspurig. Die Doppelspur befahre ich nicht wie in der Regel links, sondern auf dem rechten Gleis. Ein kurzer Blick in den Fahrplan verrät mir, dass ich immer noch knapp drei Minuten zu früh verkehre. Die Gegend hier wird auch Zürcher Weinland genannt, viel davon sehe ich nicht, denn es ist noch dunkle Nacht. Die einzigen hellen Flecken sind verstreute Autos und die Signale, die ich noch suchen muss.

In Andelfingen muss ich ein wenig bremsen, denn ich darf nur mit 75 km/h ausfahren. Kurz habe ich Zeit doch noch einige Gedanken zu haben. Die Leute hier kämen sich wohl wie in einem anderen Film vor, wenn sie noch im Halbschlaf aus dem Fenster blicken würden und vor ihnen statt einem Zug, Lastwagen durchfahren. Ein lächeln zaubert dieser Gedanken in mein Gesicht. Aber die Fahrt geht weiter und ich habe mein Ziel noch lange nicht erreicht.

Es ist schon einige Zeit vergangen, seit ich das letzte Mal meinen Fahrplan konsultiert habe, denn wenn es keine Besonderheiten gibt, warum soll ich da immer kontrollieren. Ach ja, kontrollieren sollte ich den Zug auch mal wieder. Die Kurve hier scheint gut geeignet zu sein. So ist es auch, ich kann erkennen, dass es überall dunkel ist, selbst der Begleitwagen erweckt in keinster Weise den Eindruck, dass er besetzt ist.

Ich erreiche Dachsen, lustige Namen haben gewisse Gemeinden in der Schweiz schon und regen manchen Tüftler zu Spielereien an. Statt über Eglisau, fahre ich jetzt über einen anderen tierischen Ort. Jedoch ist Dachsen eine spezielle Station. Nein, sie ist nicht auffällig und schon gar nicht kompliziert zu befahren. Es ist der letzte Bahnhof vor Neuhausen am Rheinfall. Ab dort bin ich dann wieder auf dem Weg, den ich immer benutze und ich kenne die Strecke wieder gut.

Eine schöne Stelle kommt davor jedoch noch, denn statt dass ich über die eindrückliche Brücke in Eglisau und um den Rheinfall herum gefahren bin, überquere ich den Rhein genau oberhalb des Rheinfalls. Die Stromschnellen unter der Brücke lassen die Kraft des Wassers erahnen. Viel mehr kann ich nicht erkennen noch zu dunkel ist die Nacht. Währe schön hier mal mit der Rola am Tag durch zu fahren.

In Schaffhausen zeigen alle Signale das gleiche Bild und ich kann mit meinem Zug ohne Halt in den Deutschen Bereich wechseln. Immer noch bereitet mir die tiefe Spannung der Fahrleitung Sorgen, denn mehr als 13'000 Volt zeigt mein Messinstrument nicht an und auch ein leichtes klopfen ändert daran nichts. Dummerweise geht es auch jetzt wieder bergauf und ich sollte beschleunigen. Mit jeder Stufe, die ich zuschalte, sinkt die Spannung ein wenig.

Dieses Problem wird sich in einigen Minuten erledigt haben, denn dann beziehe ich den Strom nicht mehr von den SBB Kraftwerken, sondern ich fahre mit deutschem Strom bis Singen am Hohentwiel. Aufwändig ist es hier nicht und die Strecke habe ich ja auch schon oft befahren. So gelange ich schnell nach Singen. Die Signale erlauben es mir, ohne Halt in den Bahnhof zu fahren. Ein Blick nach hinten zeigt, dass es im Begleitwagen immer noch ruhig ist, die Fahrer schlafen noch.

Der Halt ist sehr fein ausgefallen, kein kräftiger Ruck, den jemand hätte übel nehmen können. Kein pendeln der Lok, weil diese nicht genug gebremst hat, einfach ein schöner Halt mit einem Güterzug. Die Lok bewege ich gegen den Zug und schalte die Lok aus. Erst jetzt wird die Zugsammelschiene getrennt. Die Frachtpapiere übergebe ich dem Arbeiter, der den Zug abgehängt hat. Plötzlich fällt mir ein, ich hatte ja seit Flüelen nie anhalten müssen, die Fahrt verlief sehr gut.

Das Stellwerk SO, die Abkürzung für Singen Ost, meldet sich am Funk. Der Arbeiter erkundigt sich, was meine Lok für eine Aufgabe habe. Ich teile ihm mit, dass sie wie gewöhnlich auf Gleis 17 abgestellt wird und später für die Rola um 9 Uhr benötigt wird. Das normale Programm. Er erklärt mir, dass das Gleis 17 belegt sei. Ich danke ihm für diese Angabe und schon öffnet sich das Signal. Ich finde es schön, dass sich der Arbeiter mit dieser Info bemüht, seine Schweizer Kollegen machen dies nicht, und so sind wir uns gewohnt, immer mit einem Hindernis zu rechnen.

Am Funk werde ich aufgefordert zu halten. Das Stellwerk teilt mir mit, dass der Fahrweg nach Gleis 17 steht und bestätigt nochmals, dass das Gleis belegt sei, ich solle bis zur deutschen Lok fahren. Ich schalte meine Lok aus, nehme eine meiner beiden Taschen mit auf die Re 620, die zudem schon für ETCS hergerichtet wurde.

Beim einschalten sind hier mehr Handgriffe nötig als normal. Ein Kollege hat sie mal gezählt, es sollen 51 sein, überprüfen will ich das aber nicht, sondern ich mache einfach was ich muss. Das Funkgerät kann ich hier auf den deutschen Funk umschalten. So habe ich wieder eine Funkverbindung zum Stellwerk SO. Im Gegensatz zur Re 420, die jetzt am Schluss ist, kann ich mit diesem Funk das Stellwerk SO ohne Hilfe einer deutschen Lok erreichen.

Das remisieren der Lok ist dann noch reine Routine und auch die Kontrolle bringt keine Schäden an den Tag oder besser gesagt an die Nacht, denn von Tag kann noch nicht gesprochen werden. Mit der Lok ist alles in Ordnung, nur auf der Re 420 ist der Registrierstreifen am Ende angelangt.

Einige Kilometer hätten noch Platz, aber ich bezweifle, dass er für den ganzen Weg nach Chiasso ausreichen würde. So muss ich noch eine neue Rolle einlegen. Bei der Re 620 habe ich dieses Problem nicht mehr, denn die Daten werden dort elektronisch erfasst. Das ist aber auch erst mit der Herrichtung für ETCS erfolgt. Die Uhr zeigt gerade 6.00 Uhr an, als ich fertig bin. Ich habe jetzt über zwei Stunden Pause.

 

Pause

Nur was mache ich morgen Früh um 6 Uhr in einer Stadt wie Singen. Die Läden haben wie andernorts noch geschlossen und zwei Stunden Frühstück sind doch etwas lange. Jetzt bemerke ich aber, dass ich eine Krise habe, die Müdigkeit schlägt jetzt zu, wo nichts zu tun ist und ich zur Ruhe komme.

Ein wenig Schlaf würde im Hinblick auf die lange Heimfahrt sicher hilfreich sein. Nur, wo gehe ich jetzt schlafen, Räumlichkeiten gibt es zwar hier in Singen, jedoch gehören sie dem Personal der Deutschen Bahn, für uns von den SBB gibt es hier leider nichts. Ein Hotelzimmer mieten für ein paar Stunden macht man normalerweise nicht um zu schlafen. Eine Alternative gibt es noch, meine Lok.

SBB Loks sind wie die meisten Loks zum Arbeiten bestimmt und nicht als Schlafzimmer für Lokführer gedacht. Da haben es die Fernfahrer mit ihren LKW’s schon besser, sie haben ein Bett, Kaffeemaschine und andere Annehmlichkeiten wie Fernseher und Radio. Davon können wir nur träumen, aber in den anderen Bereichen sind wir noch besser gestellt. Wenn es aber nach der Meinung des Arbeitgebers geht, sollte sich das ändern. Mehr Arbeiten und zudem noch weniger Verdienen, bereiten einem Sorgen. Für den Arbeitgeber sicherlich eine gute Lösung, jedoch für das Personal eine kleine Katastrophe, denn mit reinen Sparmassnahmen kann die Einbusse nicht aufgefangen werden. Fixe Kosten lassen sich nicht einfach wegdenken. Bald könnten wir gleich gestellt sein wie die Fernfahrer, welche oft als Sklaven auf der Strasse bezeichnet werden.

Doch lassen wir diese Gedanken, dafür dass hier ein wenig Gegensteuer gegeben wird, zahle ich monatlich brav meinen Beitrag an die Gewerkschaft, in solchen Zeiten werden Gewerkschaften immer wichtiger auch in der Schweiz, wo bisher niemand von schweren Arbeitskämpfen gehört hat. Aber was passiert hier in der Schweiz, wenn die Eisenbahngewerkschaften den Streik ausrufen würden, nur weil sie wollen, dass nicht noch mehr an den Sozialleistungen gekürzt wird?

Nach 15 Jahren habe ich viel gelernt. Das eine ist, dass vieles zu heiss gekocht wird und letztlich nur noch lauwarm aufgetischt wird. Aber auch was anderes habe ich gelernt, denn ich weiss wie man liegen muss, damit man auf einer Lok gut schlafen kann. Bequem ist es zwar nicht immer, aber es reicht. Getestet habe ich das öfters in der Nacht, wenn ich Dienstfahrt auf einem Güterzug hatte. Jetzt nutze ich dies aus. Den Wecker richte ich auf meinem Mobiltelefon und lege mich zur Ruhe, der Verkehr neben meiner Lok stört mich nicht lange.

Das Natel klingelt und ich erwache wieder. Nein, es hat nicht geklingelt, es ist der Wecker, der mich wach rüttelt. Mittlerweile hat der Tag die Nacht verdrängt. Die Zeit, die mir noch bleibt, reicht nicht mehr aus, um in der Stadt etwas zu essen, ich habe zu lange geschlafen. Mein Vorrat an Getränken muss aushelfen und ein kleines Gebäck, das ich Heute Morgen ebenfalls dem Automaten entlockt habe muss ausreichen.

 

Singen - Schaffhausen

Auf ausgiebige Kontrollen kann ich jetzt verzichten, denn im Stillstand kann nicht viel kaputt gehen und so bleibt es nur beim lösen der Handbremsen und dem einschalten der Lok. Gerade als ich die Stirnlampen meiner Lok beleuchte, meldet sich das Stellwerk am Funk. Mensch, hat der immer auf meine Lok geschaut, dass er so schnell reagiert oder hat er es nur per Zufall gesehen. Ich gebe Antwort, und der Arbeiter teilt mir mit, dass ich gleich in die Hupacanlage fahren kann. Dort solle ich den Stromabnehmer senken, die Diesellok nehme mich dann mit.

Ich fahre mit meiner Lok los und erreiche das Ende der Fahrleitung. Ich halte und senke die Stromabnehmer. Die Lok schalte ich jedoch nicht weiter aus, denn sonst ginge es nicht und die Sicherheitssteuerung würde ansprechen, da sie ein längeres rollen der Lok verhindert. Hinter mir wird die Diesellok gekuppelt und der Rangierer, oder ist es der Lokführer kommt auf meine Seite. Eigentlich ist er ja beides, denn er steuert die Lok ab einem Kästchen, das er vor sich auf dem Bauch trägt. Funkfernsteuerung nennt sich das und kommt in der Schweiz auch immer mehr zur Anwendung.

Nachdem ich kontrolliert habe, ob die Stromabnehmer dem Befehl zum senken gefolgt sind, gebe ich das OK, es kann losgehen. Die deutsche Diesellok schiebt die 200 Tonnen schweren SBB Loks vor sich her über das Fahrleitungsende hinaus. So hilflos kann eine der besten elektrischen Lokomotiven sein. Wenn es keine Fahrleitung gibt, geht nichts. Schön kann ich sehen, wie der Begleitwagen näher kommt und sich die Puffer berühren. Es wird Zeit, ich schalte den Rest auch noch aus und begebe mich auf die andere Seite der Lok. Aufpassen muss ich noch, weil gerade der grosse Kran der Anlage bei meiner Lok vorbei fährt und es eng wird.

Auf der Re 620 schalte ich alles ein, so weit ich kann. Aus lauter Gewohnheit hätte ich beinahe die Stromabnehmer gehoben, die auch wenn sie sich noch so weit streckten, keine Fahrleitung gefunden hätten. Ein Blick nach hinten zeigt mir, dass die Fahrer zu Fuss nicht so schnell sind, wie auf der Strasse. Zeit, die meiner Lok eigentlich nicht zum Vorteil gereicht. Jetzt ist alles, was auch bei ausgeschalteter Lok funktioniert, an der Batterie und nicht am Ladegerät. Eine Zeit lang geht das ohne Probleme, aber mit zunehmender Dauer wird die Batterie leerer und leerer, was letztlich zu Störungen führen kann.

Aus Sicherheit blicke ich auf die entsprechende Anzeige. Die Spannung der Batterie beträgt 35 Volt. Obwohl es eigentlich 36 Volt sein sollten, gibt es kein Grund zu Panik. Daneben sehe ich, dass im Moment von der Batterie 20 Ampère bezogen werden. Einen Grossteil dieses Stromes benötigen Zugsicherung, ZUB 121 und Sicherheitssteuerung, nur ein kleiner Teil ist für die Beleuchtung. Fällt das Ladegerät auf der Fahrt aus, kann man hoffen, dass wenn man alle Sicherungssysteme ausschaltet, der Weg zu einem geeigneten Bahnhof doch noch geschafft wird. Weit geht es sicher nicht mehr, aber die Strecke kann noch geräumt werden, einfach ohne Sicherung des Zuges.

Die Diesellok vor mir beginnt hörbar zu arbeiten und langsam höre ich, wie sich die Räder unter meiner Lok zu drehen beginnen. Mit dem schweren Zug benötigt die Lok etwas mehr Zeit um die Geschwindigkeit zu erreichen. Es geht aber voran und mit einem Blick nach vorne erkenne ich das, was mir und vor allem meiner Lok so gefehlt hat, eine Fahrleitung. Als auch die zweite Lok sicher unter dem Fahrdraht ist, hebe ich die Stromabnehmer wieder und beim Halt schalte ich die Lok ein. Ah, Strom, würde sich die Lok wohl denken, hätte sie ein Gehirn wie wir.

Die Diesellok wird abgehängt und ich beginne die Bremsen zu lösen. Es dauert nicht lange, bis das Schutzsignal vor mir auf Fahrt geht, ein zweites etwas weiter hinten stehendes Signal ist ebenfalls auf Fahrt gegangen. Ich beschleunige meinen Zug. Immer blicke ich nach vorne und sehe, was ich eigentlich nicht sehen wollte, die Signale wechseln auf Halt. Das ist nicht gut, denn es bedeutet Gefahr, mit einer Schnellbremse bringe ich den Zug gerade noch vor dem ersten Signal zum stehen.

Was passiert ist, weis ich nicht, ich weis zwar, dass hier die Signale nach einer bestimmten Zeit automatisch wieder auf Halt wechseln, aber diese Zeit ist sicher noch nicht vergangen. Das Stellwerk meldet sich, aha jetzt kommt die Erklärung, was passiert ist. Nein, statt einer Erklärung teilt mir das Stellwerk mit, dass er die Signale noch einmal öffnen werde. Ich könne auch weiter fahren, wenn die Signale vor meiner Vorbeifahrt erneut auf Halt wechseln.

Ich erkläre ihm, dass er noch einen Moment zuwarten müsse, denn die Bremsen am Zug seien noch nicht lose. Letztlich gehen die Signale auf Fahrt und ich beginne erneut mit der Fahrt in den Bahnhof. Jetzt bleiben sie offen und ich komme in den Bahnhof. Hier erfolgt noch die obligatorische Bremsprobe. Sie ist Pflicht, eigentlich weis ich ja, dass sie funktioniert, aber die Bremsen könnten ja nicht richtig gelöst haben, deshalb machen wir diese Bremsprobe.

Es ist schön, nachdem ich gebremst habe, teilt mir der Arbeiter am Schluss mit, dass ich in Mittelstellung gehen soll. Mittelstellung kennen wir bei diesen Loks nicht, nur die ganz neuen Re 482, die den deutschen Loks gleich sind, haben diese Stellung. Stattdessen verbringe ich mein Ventil in Abschlussstellung und melde dies am Funk. Am Manometer erkenne ich, wie die Hauptleitung Luft verliert, aha, sie ist bis zum letzten Wagen verbunden.

Ganz zum Schluss bekomme ich die Bestätigung, dass die Bremsen in Ordnung seien und die Frage, ob ich Fahrbereit bin, wird gestellt. Ja, ich habe verstanden, die Bremsen sind in Ordnung und ich bin mit dem Zug fahrbereit. Statt der Belastungsanzeige, die ich hier auch schon erhalten habe, schaue ich mir den Bremszettel der DB noch einmal genauer an. Die wichtigsten Punkte habe ich bei der Übergabe schon kontrolliert.

Nebenan fährt die Regionalbahn nach Schaffhausen ab. Hier ist es kein Regionalzug, aber eben, ich bin ja im Ausland und hier wird eine andere Sprache gesprochen und aus Zügen werden Bahnen. Wenig später öffnet sich auch mein Signal und ich kann die Fahrt beginnen. Beeilen muss ich mich nicht, denn ich bin schneller als der Zug vor mir, der unterwegs anhält.

Vor dem Einfahrsignal von Singen aus Richtung Schaffhausen steht eine Diesellok mit einem kurzen Zug, und wer jetzt gedacht hat, es sei eine deutsche Lok, hat sich wie ich geirrt, denn es ist eine Am 843 von SBB Cargo. Die Fahrt nach Schaffhausen hat keine grossen Probleme gebracht, gespannt war ich nur auf eines.

Genau, was macht die Fahrleitungsspannung in der Schweiz. Nach der Schutzstrecke, die jeden Augenblick kommt sehe ich es dann. Mit dem einschalten des Hauptschalters wird mir die Spannung angezeigt, aha, sie ist wieder im normalen Bereich.

Mit dem Erkennen des SBB Signals wird es zur Gewissheit, ich nähere mich zunehmend der Schweiz. Zuerst war es politisch, als ich die Grenze überquert habe. Dann kam das Natel, das wieder auf das Heimatnetz gewechselt hat.

Vor kurzem hat auch der Strom von Deutschland auf die Schweiz gewechselt. Ich fahre noch nach Deutschem Fahrplan und die Zuständigkeit bei Störungen liegt ebenfalls in Deutschland. Mit dem Befahren der ersten Weiche von Schaffhausen, bin ich im Bahnhof und jetzt sind die schweizerischen Behörden zuständig. Nur der Fahrplan ist deutsch, den Funk, der bisher nur mit Singen funktioniert hat, wechsle ich auf das Schweizerische Netz und beim Halt auch den Fahrplan.

Eine halbe Stunde bleibt der Zug nun stehen. Es gibt keinen Grund dafür, es muss kein Grenzaufenthalt eingelegt werden, denn die Zollformalitäten wurden schon in Singen erledigt. Vielmehr liegt das Problem an der Strecke vor mir, ich habe einfach auf der einspurigen Strecke keinen Platz mit meinem Zug. Eine Doppelspur würde auch uns nützen, aber die Gelder für grosse Bahnbauten sind in der Schweiz knapp. Ich nutze die Zeit um einige Kontrollen zu machen und den Führerstand aufzuräumen.

Ein Arbeiter kommt noch mit Unterlagen. Er wundert sich über die Formation des Zuges und erkundigt sich, warum denn der Schneeräumwagen nicht hinter der Lok eingereiht ist, wie das früher der Fall war. Ich erkläre ihm, dass es eine Änderung in diesem Punkt gegeben hat. Jetzt muss der Begleitwagen hinter der Lok sein, damit die Telefonverbindung zwischen Wagen und Lok funktioniert, zudem sei nach den Bränden in den Strassentunnels berücksichtigt worden, dass im Notfall die Lok und der Begleitwagen weiter fahren und der Rest des Zuges, der in Brand geraten ist, zurück bleibt. Das ginge ja nicht, wenn der Brand im dazwischen  eingereihten Schneeräumwagen entstanden ist.

 

Schaffhausen - Erstfeld

Pünktlich auf die Minute öffnet sich das Signal vor mir, ich kann die Fahrt weiter in die Schweiz aufnehmen. Da ich vorne noch die orangen Lichter der Ausfahrvorsignale sehe, beschleunige ich nur kurz und auch nur mit wenig Zugkraft. Auch dieses Signal ist soeben auf Fahrt gegangen und ich kann zufahren. Das Gefälle hilft mir beim beschleunigen des Zuges. Durch das Gleis 5 fahre ich, und daneben ist ein Zug der DB, bei dem auch das Signal auf Fahrt gegangen ist. Beide Züge verlassen den Bahnhof Schaffhausen nebeneinander. Während der eine in Richtung Basel fährt und somit dem Rhein folgt, strebt der andere Zug dem Süden entgegen.

Nach Neuhausen am Rheinfall ist es nicht weit und jetzt geht es ja nicht in Richtung Dachsen, sondern ich lege den normalen Weg nach Eglisau ein. Ein Vorsignal für eine Langsamfahrstelle taucht vor mir auf und ich muss weiter reduzieren. Ein Zeichen dafür, dass hier gearbeitet wird. Genau genommen werden die Tunnel saniert und aus diesem Grund dürfen diese nur mit 50 km/h befahren werden. Es sind zwei Langsamfahrstellen, denn ein weiteres Vorsignal erscheint genau in dem Moment, wo ich hätte beschleunigen dürfen. Das lasse ich besser sein.

Die drei deutschen Bahnhöfe entlang dieser Strecke sind wie immer menschenleer nur einige Fussgänger sieht man auf den Strassen. Ungehindert kann ich diesen Abschnitt befahren und komme so schnell nach Eglisau. Jetzt erst überquere ich den Rhein. Ich kenne den Weg wieder gut und kann mir wieder einige Gedanken machen. Der neue Funk, den ich auf der Re 620 habe, kann zwar mit jedem Zug auf dieser Strecke kommunizieren, hat jedoch keinerlei Verbindung zu den Bahnhöfen.

Das ist sicherlich bei der modernen Eisenbahn nicht gut, jedoch sind alle Vorgaben und Einrichtungen noch vorhanden, mit denen ich Hilfe suchen kann. Da gibt es zum Beispiel bei jedem Signal ein Telefon, mit dem ich nur eine Person erreichen kann und zwar die, die dieses Signal bedient. Auch moderne Mittel haben Einzug gehalten und ich besitze die entsprechenden Nummern auf meinem Mobiltelefon. Letztlich, wenn alles nicht geht, wende ich die rabiate Methode an und beleuchte die Stirnlampen rot. Jeder Zug der entgegen kommt, hält dann an. Wenn ich Glück habe, ist es einer, der mit der BLZ funken kann.

Ich passiere Bülach und da fällt es mir wieder ein, als hier vor Jahren gebaut wurde, kam es zu Rutschungen im Bahndamm, und die Strecke musste gesperrt werden. Einige Kollegen wurden damals schon umgeleitet und befuhren die Strecke ohne Kenntnisse, was erlaubt ist. Oder ihnen wurde ein streckenkundiger Begleiter gestellt. Ich war in dieser Zeit auf einer anderen Gruppe eingeteilt und kam daher zu selten nach Singen, dass ich hätte diese Umleitung fahren müssen, daher war es jetzt Neuland.

Hier in Bülach arbeiten ebenfalls Lokführer von SBB Cargo, ihre Arbeit hängt schwer vom Kiesverkehr, der hier in der Nähe seine Hochburg hat, ab. Die Lokomotiven die hier stehen, lassen es schnell erkennen, was für Züge anstehen, denn ausser Ae 6/6 und vereinzelten Re 620 steht hier nicht mehr viel herum. Das sind die Lokomotiven, die vor den schweren Kieszügen arbeiten.

Ein Blick auf die Uhr zeigt mir, dass ich ein paar Minuten vor der Zeit bin und die Signale erlauben das, was der Lokführer liebt, freie Fahrt. Nur weiss ich jetzt schon, dass das in absehbarer Zeit ändern wird, denn auch jetzt muss ich durch Zürich-Oerlikon fahren. Nur eben, jetzt ist der Reisezugsverkehr in vollem Gange und eine S-Bahn nach der anderen fährt nach Zürich. Ausgerechnet jetzt muss sich noch eine Rola durch dieses Nadelöhr kämpfen.

Wie erwartet ist das Signal vor Zürich-Oerlikon zu und ich komme zum stehen. Anderes habe ich ja auch nicht erwartet. Ein Kollege meinte, er frage immer nach, wenn das Signal bei seiner Annäherung schon grün sei, ob es sich um eine Signalstörung handelt. Nun, solche Ansinnen habe ich schon länger nicht gehabt, denn ich erinnere mich nicht, dass ich hier mit der Rola hätte durchfahren können.

Es dauert ein paar Minuten, aber dann scheint es eine Lücke für meinen Zug zu geben, das Signalbild ändert und ich beginne den Zug zu beschleunigen. Vorbei an den Bahnsteigen, die jetzt wesentlich besser bevölkert sind, als das vor 6 Stunden war. Jetzt sind die Leute wach und die Hausfrauen der Stadt Zürich machen ihre Besorgungen, ebenso wie viele andere auch. Mit keinem Gedanken denken sie an jene, die Heute Morgen früh die Waren bereitgestellt haben. Männer und Frauen, die jetzt vielleicht Feierabend haben. Mein Tag dauert noch ein paar Minuten, denn noch ist der Weg lange.

In den Büro, die Heute Morgen früh gereinigt wurden, sind jetzt Büroangestellte an der Arbeit, aber auch sie bemerken den Zug nicht, nur ich kann diesen Vergleich anstellen. Auch die ICE und der TGV haben sich auf die lange Fahrt zu ihrem Ziel gemacht und andere Züge stehen in der Unterhaltsanlage. Es sind jene Züge, die Heute Morgen früh in Winterthur aber auch an anderen Orten bereitgestellt wurden um dem Ansturm der Pendler gewachsen zu sein. Jetzt werden sie unterhalten, damit sie am Abend wieder bereit stehen.

Selbst in Zürich-Altstetten kann ich durchfahren und so habe ich plötzlich einen Vorsprung von einer Viertelstunde. Es wäre schön, wenn ich den Vorsprung beibehalten könnte, aber das ist sehr schwer, denn jetzt beanspruchen nicht nur vereinzelte Güterzüge die zwei Geleise des Heitersbergtunnels. Mein Weg ist noch lange und zuvor muss ich mit meinem Zug noch die Hauptgleise räumen, weil es einfach kein Platz mehr gibt.

Dazu befahre ich mit meinem Zug einfach den Rangierbahnhof Limmattal. Bei der Einfahrt in den Rangierbahnhof muss ich den Funkkanal wechseln, damit ich vom Stellwerk erreicht werden kann. Der Punkt wo dies zu erfolgen hat, ist mit einer Tafel gekennzeichnet. Und weil es bei der Eisenbahn nicht einfach eine Tafel gibt, handelt es sich um ein handfestes Signal. Die engen Kurven erlauben nur kleinere Geschwindigkeiten.

Das Gleis, das ich benutze, dient normalerweise den Zügen aus Zürich um in die Ankunftsgeleise zu kommen. Meine Fahrt hier durch, ist nur eine kleine Abwechslung. Interessante Haltestellen tauchen auf und die Namen erinnern mich an früher. In vergangenen Zeiten wurden hier die ältesten der alten Triebwagen eingesetzt um dem Personal eine Verbindung zwischen Dietikon und dem RBL zu ermöglichen. Dieser Zug, wurde Personaltransport genannt und hielt an mehreren Orten im Rangierbahnhof. Diese Halteorte, wurden zu richtigen Haltestellen mit den Namen RBL Ost, RBL West und RBL Tivoli.

Heute sind das nur noch Überbleibsel und die Erinnerung an die Züge ist nostalgisch. Jetzt verkehrt hier ein Personalbus, der anscheinend billiger ist. Es ist bloss zu hoffen, dass keiner auf die glorreiche Idee kommt, nein, das lass ich lieber, sonst kommt er noch auf die Idee. Letztlich ist es auch bald vorbei, das letzte Signal des RBL zeigt aber wieder Warnung und ich komme vor der Einfahrt von Killwangen-Spreitenbach zum stehen.

Jetzt heisst es warten, bis ich an der Reihe bin, denn jetzt folgen sich die Fernverkehrszüge nach Westen im drei Minuten Abstand. Kaum ist ein Zug durch, geht das Signal wieder auf Fahrt und der nächste Zug kommt. Letztlich kommt es wie immer und die S-Bahn nach Aarau fährt auch noch vor mir. Zu schnell muss ich jetzt auch wieder nicht fahren, denn sonst komme ich dem Zug zu nahe und muss bremsen. Mit 80 km/h werde ich durch den Tunnel fahren, das sollte passen, nur das Signal vor mir ist immer noch rot. Nein, es war rot, die Reise geht weiter. Die 80 km/h erreiche ich letztlich und ich fahre durch den sehr lärmigen Tunnel. Hier, wo die Geleise ohne Schotter verlegt worden sind, gibt es nichts, was den Schall dämmen würde. Wer hier ein Fenster öffnet riskiert einen Gehörschaden.

Als es wieder heiter wird, bin ich auch wieder am Funk erreichbar. Das Einfahrvorsignal von Mägenwil ist Grün und jetzt kann ich wieder zufahren, denn am nächsten Bahnhof biege ich ab, hätte der Fahrplan mir jedoch nicht eine Falle gestellt. Othmarsingen ist zu einem Knoten im Regionalverkehr geworden und wenn die S-Bahn weg ist, beginnt kurz darauf der Regionalzug nach Muri die Fahrt. Etwas überrascht stelle ich die freie Fahrt fest, na ja, so frei ist sie nicht, denn wegen der Weichen muss ich auf 90 km/h bremsen.

Als ich durch den Bahnhof fahre, sehe ich wie sich der Regionalzug bewegt und seine Fahrt startet. Jetzt beginnt ein Wettrennen, Güterzug gegen Reisezug, wer wird gewinnen? Das entscheiden die Signale und der Schiedsrichter sitzt im Stellwerk. Einer muss in Hendschiken warten. Plötzlich meldet sich die Fernsteuerung am Funk mit meiner Zugnummer. So, jetzt kommt der Hinweis, dass ich langsam machen soll, denn der Regionalzug fahre zuerst, wie es eigentlich geplant ist. Nein, im Gegenteil, kurz und klar ist die Aufforderung. Vollgas bis Muri, ich bleibe vor dem Regionalzug. Ich quittiere und versuche nun, die Geschwindigkeit so genau wie möglich zu halten. Hier, wo ich mich auskenne, ist das einfach.

Als ich in Wohlen durchfahre, sehe ich, wie sich die Leute die Ohren zu halten. Ja, laut sind die Züge schon, aber bei meinem wird es eine kleine Überraschung geben, denn nach den ersten vier Fahrzeugen wird es ruhig. Eigentlich könnte ich jetzt die Schnellfahrt beenden, denn der Regionalzug, kann mich nicht mehr einholen, mein Vorsprung ist zu gross. Aber die Aufforderung ist klar gewesen und daran halten wir uns. Ich weiss ja nicht, was nach Muri auf mich wartet, denn es könnte ja Bauarbeiten geben und nur ein Gleis ist befahrbar. In einem solchen Fall ist es wichtig, dass wir so fahren, wie das der Fahrdienstleiter wünscht, denn er kann dann gut berechnen, wie es am Besten klappen könnte.

Durch die Wälder erreiche ich Benzenschwil und wenig später dann die Haltestelle Mühlau. Doch, was liegt da vorne im Gleis. Eine aus der Weite unförmig aussehende schwarze Gestalt. Schnell komme ich näher und jetzt kann ich es sehen, es muss ein Hund sein. Von der Grösse des toten Tieres zu schliessen, kann ich mir denken, dass an der betroffenen Lok durchaus Schäden aufgetreten sein könnten.

Ein kleines Drama, das sich hier abgespielt hat. Jemand wird seinen Hund vermissen oder musste sogar zusehen, wie sein Liebling unter den Zug kam. Auf Anweisung von vorgesetzter Stelle halten wir in einem solchen Fall nicht an. Auf meine Anfrage vor vielen Jahren kam die kurzbündige Antwort. Wegen einem Tier wird nicht gehalten. Mehr kam nicht von meinem damaligen Chef.

Klar, das gefällt den Tierhaltern nicht, denn der Hund war sicher in seiner Familie ein anerkanntes Mitglied und es schmerzt die Besitzer. Auch schon Bauern mussten zusehen, wie ihre lieb gewordenen Tiere unter den Rädern der Lok zermalmt wurden. Ein erzürnter Bauer verklagte daraufhin die Bahn. Letztlich ohne Erfolg, denn im Gegenteil, die SBB wusste jetzt, wem die Tiere gehört haben und stellte die Rechnung für Reinigung und Reparatur. Die war teurer als die lieben Tiere gekostet haben.

Das wird auch den Hundehalter ereilen, wenn der Hund geborgen wird. Genau das sollte rasch geschehen, denn auch tote Tiere sollten nicht einfach im Gleis liegen gelassen werden. Zumal ich vermute, dass der tote Hund mit dem Schneeräumwagen in Kontakt gekommen ist. Ich melde die Beobachtung dem Fernsteuerzentrum. Der Fahrdienstleiter dankt und meint, dass der Vorfall bekannt sei und bereits jemand damit beauftragt worden sei. Ist auch nicht angenehm für ihn, wenn jeder Lokführer das meldet, aber eben, Hellsehen, wie das schon Kollegen von ihm behauptet hatten, können wir Lokführer nun mal nicht.

Die Einfahrt von Sins lässt auch wieder nur eine beschränkte Geschwindigkeit zu und schon von weit her sehe ich, dass im Gleis gearbeitet wird. Der erwartete Einspurabschnitt kommt jetzt. Für die Arbeiter sicherlich auch nicht angenehm, wenn die Züge mit so hoher Geschwindigkeit vorbeifahren. Der Sicherheitswärter grüsst mich, er trägt die Verantwortung und passt auf, dass nicht ein Mensch unter dem Zug zu liegen kommt. Es ist ein unbeliebter Job, denn der damit beauftragte Arbeiter, darf nichts anderes machen, er muss dastehen und zusehen, wie seine Kollegen vom Team arbeiten.

Ich bin mein eigenes Team, ich arbeite und muss in dieser Funktion jederzeit für die notwendige Sicherheit sorgen. Aussenstehende würden das vermutlich hoch anrechnen, die Lokführer sehen das als ihren normalen Alltag. In Oberrüti wechsle ich wieder auf das normale Gleis. Ein Blick in den Rückspiegel zeigt deutlich, wie die Federn der LKW die Erschütterungen auszugleichen versuchen und hin und her schwanken.

Weiter geht meine Fahrt in Richtung Gotthard, mein aktueller Vorsprung beträgt ein paar Minuten, die Wartezeit in Arth-Goldau, die mich hinter die S-Bahn nach Erstfeld bringen könnte, ist nicht nötig, jedoch werden die Fernverkehrszüge wieder im Weg stehen. Das im wahrsten Sinne des Wortes, denn alle Durchfahrgleise sind belegt und ich rechne mit dem, was ich jetzt auch zu sehen bekomme, das Vorsignal zum Einfahrsignal von Arth-Goldau zeigt Warnung.

Ich nähere mich langsam dem Hauptsignal und erkenne, dass es mir die Fahrt mit 40 km/h erlaubt. Dies sowohl auf der Einfahrt, als auch auf der Ausfahrt. Das muss hier in Arth-Goldau nichts heissen, denn der Bahnhof verfügt in dieser Richtung über zwei Signalstaffeln. Als ich die letzte Weiche der Einfahrt befahren habe, kann ich es sicher erkennen, das Ausfahrsignal erlaubt mir die Fahrt mit 40 km/h.

Mein Natel beginnt zu vibrieren und klingelt, jetzt habe ich keine Zeit. Nein, es ist kein Anruf, sondern eine SMS, die ich bekommen habe, wer will etwas von mir? Nach dem Bahnhof werde ich dann schnell nachsehen. Jetzt fällt es mir wieder ein, der neue Funk, der auf dem GSM-R Netz aufgebaut wird, kann dann auch SMS empfangen.

Mittelungen können dann direkt schriftlich auf die Lok übermittelt werden. Auch habe ich schon erfahren, dass es mit dem neuen Funk sogar problemlos möglich ist zu Hause anzurufen. Diese Funktion kann sicherlich bei Störungen Hilfreich sein, denn wenn es Probleme gibt, wie vor einigen Wochen, als der Gotthard gesperrt war. Statt um 4.00 Uhr kam ich erst gegen 7 Uhr nach Hause, eine Frau hätte sich vielleicht bereits Sorgen gemacht.

Auch der letzte Wagen hat den Bahnhof verlassen und für einen kurzen Moment lasse ich den Zug einfach rollen, die SMS kann ich schnell lesen. Keine guten Nachrichten, anscheinend gibt es Probleme an einem PC. Darum kümmere ich mich aber erst nach dem Feierabend, viel Zeit bleibt nicht, aber schnell helfen sollte möglich sein. Der Zug wird schneller und erreicht letztlich die erlaubten 75 km/h. Auch die Stationen Schwyz und Brunnen kann ich ungehindert passieren. Die Tunnelstrecke bis Flüelen ist auch schnell geschafft und ich kann endlich meinem Feierabend entgegen blicken. Zeit wird es, denn ich bin früh aus dem Bett und jetzt habe ich auch Hunger bekommen.

Überrascht stelle ich schon von weit her fest, dass selbst die letzten beiden für mich noch wichtigen Signale auf Fahrt stehen. Die Einfahrt in den Bahnhof Erstfeld kann ungehindert erfolgen. Wie ich an den Signalen erkennen kann, werde ich in das Gleis 4 einfahren. Die quietschenden Bremsen verraten es, ich habe die letzte Bremsung meines heutigen Arbeitstages eingeleitet und komme wenige Meter vor dem roten Signal zum stehen.

Ein Blick auf die Uhr, ich bin 20 Minuten vorzeitig angekommen. Ich habe genug Zeit um meine Unterlagen wegzuräumen und mich noch schnell um das Problem zu kümmern. Der Anruf ist nur kurz, denn die Sache hat sich schon von alleine erledigt und so habe ich Heute Nachmittag keine Aufträge mehr.

 

Feierabend Mittags um 1 Uhr

Indem ich meine Mappe in den Kleiderschrank stelle, beende ich diesen Arbeitstag. Morgen muss ich ins Tessin, mal sehen, wie viel Schnee wirklich liegt. Aber vorher wird etwas feste Nahrung konsumiert und letztlich wird sich der frühe Start in den heutigen Tag bemerkbar machen. Die Sehnsucht nach dem Kopfkissen wird Stunden vor der normalen Zeit erfolgen, aber morgen muss ich ja auch nicht zur normalen Zeit aus dem Bett. Aber wehmütig blicke ich auf die nächste Woche, denn dann kommt der Nachtdienst und ich brauche die ganze Woche keinen Wecker zu richten.

 

Schlussbemerkung

Diese Leistungen werden seit dem 10. Dezember 2006 nicht mehr durch das Depot Erstfeld gefahren. Daher handelt es sich hier um eine Tour, die nicht mehr dem aktuellen Betätigungsfeld des Depots Erstfeld entspricht. Sämtliche Leistungen nach Schaffhausen - Singen werden seit diesem Tag durch das Depot Arth-Goldau gefahren. Eine Anpassung dieser Touren findet nicht statt.

 

                       
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