Erstfeld - Luzern - Erstfeld

Die ersten Tage in diesem April waren von viel Sonne und aussergewöhnlich warmen Temperaturen geprägt. Nachdem sich der Winter im März von seiner hartnäckigen, kalten und trotzdem noch schneereichen Seite gezeigt hat, freuen diese warmen Tage umso mehr. Es sei denn, man verdiene sein Geld als Landwirt, der gerne etwas mehr Wasser im Boden hätte um eine reiche Ernte zu haben.

Es ist gerade kurz vor 10 Uhr morgens, als ich meine Wohnung verlasse. Nein, ich gehe nicht zur Arbeit, aber wir Lokführer müssen italienisch lernen, damit wird das weiterhin dürfen, was wir schon seit mehreren Jahren problemlos erledigen. Aber plötzlich muss der technisch begabte Mechaniker, der einst verlangt war, Sprachen lernen, damit er überhaupt noch für seine Arbeit taugt.

Wir in Erstfeld haben es da noch gut, denn wir haben nur eine Sprache zu lernen, die Kollegen in Luzern und Zürich müssen sogar zwei Fremdsprachen lernen. Zum Glück können die Leute um Chur herum deutsch, sonst stünde noch rätoromanisch an. Die Anforderungen an einen Lokführer sind schon hoch. Nur, wenn es dann um den Lohn geht, will der Arbeitgeber lieber nichts bezahlen. Man fühlt sich dann plötzlich als Hilfsarbeiter mit Spezialausbildung.

Gut, die Kurse werden durch den Arbeitgeber angeboten und müssen von uns nur besucht werden, aber am Schluss steht dann eine Prüfung an, die mehrmals wiederholt werden kann. Letztlich aber muss die Prüfung irgendwann bestanden werden. Sonst ist dann ab 2008 fertig mit den Fahrten über den Gotthard ins Tessin. Nicht jeder wäre darüber unglücklich, wenn er damit nur den Kurs umgehen könnte.

Der Weg in den Kurs ist etwas kürzer, denn er findet nicht im Depot statt. Die 90 Minuten werden auch ein Ende haben. Wir befinden uns mitten in den Vorbereitungen für die anstehende Prüfung. Viel lernt man da nicht mehr, man lernt aber seine Schwächen kennen und kann diese ausbessern. Es ist der letzte Kurs vor Ostern, dann können wir wieder 2 Wochen ruhen, oder eben, wie es den meisten gut täte das Lehrbuch studiare, äh studieren.

Kurz vor Mittag ist die Lektion zu Ende und wir wünschen uns jetzt in guter Manier „boun Appetito“ statt guten Appetit. Gut, das ist ja einfach, nur glaubt keiner, dass an der Prüfung nur das gefragt werden wird. Auf dem Weg nach Hause begleitet mich ein Kollege, der den gleichen Weg hat. Er macht sich ernsthafte Sorgen, dass er den Test nicht bestehen könnte. Er hat zudem um seine Zukunft Angst, denn er habe Haus und Familie und könne nicht so schnell den Arbeitsort wechseln.

Nach dem Mittagessen gehe ich ein wenig schlafen, um 9 aus dem Bett für den Kurs und dann ohne Schlaf in eine Spättour, das ging vor Jahren noch, aber ich werde auch nicht jünger und so benötige ich diesen Mittagsschlaf, sonst wird es trotz kurzer Tour ein mühsamer Abend werden.

Kurz nach 3 Uhr Mittags klingelt dann der Wecker. Es war gut, dass ich ihn gerichtet habe, sonst hätte ich den Arbeitsbeginn wohl verschlafen und das mitten am Tag. Die Welt der Lokführer ist schon etwas sonderbar, da wird der Tag zur Nacht und umgekehrt. Immer extremer werden die Leistungen, denn je mehr Reisezüge am Tag verkehren, desto mehr müssen die Güterzüge in die Nacht ausweichen.

Die Zeitungsinfo, vom Morgen besagt es wieder, denn einige Politiker fordern, dass auf der Zufahrt zum Gotthard im Regionalverkehr der Takt von Heute einer halben Stunde auf eine viertel Stunde verdichtet werden muss. Für uns im Cargo heisst das unweigerlich Nachtdienst. Wie wenn die Belastung nicht so schon gross genug ist. Vor Jahren wurde beim Personal viel diskutiert, als die Lokführer in Erstfeld einen Nachtdienstanteil von 50% erhalten haben.

Heute würden wir uns über solche Angaben freuen, denn bei rund 75% unserer Arbeit beginnen wir mit der Arbeit vor 6 Uhr morgens, oder aber sie endet nach Mitternacht. Das schlägt sich im Privatleben nieder, denn nachts ist man wach und am Tag schläft man. Die Tour, die ich Heute mache, gehört zu den 25%, die vor Mitternacht enden. Aber auch diese Tour wird in Zukunft noch zusätzlich verlängert, so dass es auch eine Nachttour wird.

Hinzu kommt, dass viel Nachtarbeit am Freitag und Samstag ansteht. Am Sonntag fehlt diese dann aber, so dass wir sogar vor einem freien Tag noch Nachtdienst arbeiten müssen. Nein, Freude daran habe ich auch nicht, denn wer würde am Freitag nicht noch gerne ein Feierabendbier trinken? Auf jeden Fall nicht die Lokführer, denn wenn diese Feierabend haben, sind die Lokale schon geschlossen.

 

Weg zur Arbeit

Obwohl die Sonne scheint, und es schon schön warm ist, möchte ich nicht auf die Jacke verzichten, denn sobald die Sonne weg ist, wird es um diese Jahreszeit noch kühl. Man erkältet sich so schnell. Eine Krankheit kann ich mir mit meinem momentanen Kalender nicht leisten.

Ich verlasse gerade meine Wohnung um nun doch noch zur Arbeit zu gehen, als mein Mobiltelefon klingelt. Es ist ein Freund, der eine Info benötigt. Leider kann ich ihm so nicht helfen, ich muss das schon sehen. Aha, es eilt, das ist in der heutigen Zeit ja kein Wunder. Wenn es mir geht? Ein Blick in die Agenda lässt nichts Gutes erahnen. Doch am Donnerstag vor Arbeitsbeginn könnte es klappen.

Schon hat sich wieder etwas Erholung in Wunschdenken aufgelöst. Ja, auch Freundschaften müssen gepflegt werden, was bei einem Lokführer nicht immer leicht ist. Aber hier ist das Verständnis da, denn er ist, wie könnte es auch anders sein, ebenfalls Lokführer.

Ich habe gerade die neue Bank erreicht, die nicht so ins Dorfbild passen will, als mein Telefon erneut klingelt. Wer ist es denn jetzt schon wieder. Aha, das Depot! Ja, was ist denn? Wie, warum ich nicht zu Hause sei, was geht das den Einteiler an, nichts und zudem hätte er sich denken können, dass ich auf dem Weg zur Arbeit bin. Er suche Lokführer, die zusätzlich arbeiten wollen.

Wenn er denn die Leute brauche. Man hat ja Anstand und schaut sich die Sache zumindest mal an. Aha, genau an diesem Tag ist meine Agenda leer. Noch leer, denn ich stimme seinem bitten zu, denn schliesslich will ich ja meine Arbeitszeit leisten und Ende Jahr nicht Red und Antwort stehen, weil ich ein paar Minuten zu wenig gearbeitet habe. Mir ist das bisher noch nicht passiert, aber ein Freund in einem anderen Depot durfte wegen 2 Minuten zum Chef.

Aber ich muss dann noch nachrechnen, denn durch den zusätzlichen Nachtdienst, könnte ich mit dem Arbeitszeitgesetz in Konflikt kommen, denn dieses erlaubt mir innerhalb von 28 Kalendertagen nur 14 Mal zwischen Mitternacht und 4 Uhr morgens zu arbeiten. Wie knapp das manchmal ist, weiss ich, seit ich in einem speziellen Häufchen Leute bin, die sich mit der Gestaltung der Kalender beschäftigen. Die grössten Sorgen, liegen genau bei dem kurz 14/28 genannten Rechtsteil, da mag es ab und zu kaum 5 Minuten Verspätung vertragen und schon ist eine ganze Woche Nachtdienst nicht mehr machbar.

 

Die Arbeit beginnt

Ich bin etwas eher im Depot, denn schliesslich muss ich meine LEA noch mit den neusten Daten füttern, denn neuerdings macht das Bundesamt für Verkehr ab und zu Lokführerkontrollen. Ich habe zwar Heute eine Reisezugleistung, da ist eine Kontrolle unwahrscheinlich, aber man weiss ja nie.

Wer weiss, vielleicht müssen sich die Leute im Intercity in Zukunft folgende Durchsage anhören: „Sehr geehrte Fahrgäste, da unser Zug in eine Polizeikontrolle geraten ist, verzögert sich unsere Weiterfahrt um 40 Minuten. Wir danken für Ihr Verständnis.“ Verständnis hat dann wohl der Geschäftsmann, der auf seinen Flieger will. Zumindest so viel Verständnis, dass er sich in Zukunft den Zug ersparen wird und das Auto nimmt. Aber eben, bis jetzt musste das ja nur SBB Cargo seinen Kunden mitteilen, die Fernfahrer auf der Autobahn freuen sich sicher über mehr Arbeit.

Da ich nicht der Einzige bin, der neue Daten will, stehe ich im Stau und muss warten, bis ein Steckplatz frei wird. Ich komme doch noch zu meinem Update und erkenne auf dem Bildschirm, dass der Zug, den ich führen muss gerade durch den Bahnhof Gurtnellen fährt. Es bleibt noch genug Zeit um im Einteilungsprogramm zu schauen, ob es keine Änderungen gegeben hat.

Auf dem Bahnsteig hat es schon wieder die ersten Fotografen. Kommt die Sonne zum Vorschein, sind sie da und stehen mit Stativ und Kamera bewaffnet auf dem Bahnsteig. Gut, so lange sie nicht gerade in den Gleisen stehen, habe ich nichts dagegen. Nur, viele haben sich irgendwo eine Warnweste besorgt und meinen nun, einen Freipass zu haben und erlauben sich wirklich einiges.

Als sich der Interregio nähert, wird die Filmkamera angeworfen und ich frage mich, was denn an der schmutzigen Re 420 denn so speziell sein soll. Vielleicht ist es ja der Schmutz? Ich weiss nicht, ich habe jetzt auch keine Zeit um Nachforschungen zu betreiben. Der Halt des IR ist nur sehr kurz und der Lokführerwechsel muss daher schnell und ohne Verzögerung über die Bühne gehen.

Mein Kollege, der den Zug gebracht hat, meint nur, dass er mit der Lok nicht nur Freude hatte, denn sie habe im Tessin plötzlich Probleme mit der Zugkraft gehabt. Ich solle das mal beobachten. Schon leuchtet die Abfahrerlaubnis und ich muss den Zug in Bewegung setzen. Kaum habe ich mit dem Aufschalten der Zugkraft begonnen, stelle ich fest, dass mein Telefon schon wieder klingelt. Heute hat es das Mobiltelefon aber streng.

Jetzt habe ich keine Zeit und das Telefon muss warten. Er kann es ja dann später noch mal versuchen. Bei der Zugkraft der Lokomotive stelle ich nichts fest, sie scheint normal zu arbeiten und beschleunigt den Zug auf die erlaubten 140 km/h. So kommt man mit dem Zug schnell voran. Zu meiner rechten Seite ist die Baustelle der NEAT, wo ja jetzt gebaut werden kann. Die ganzen Querelen zur Bauvergabe haben nicht alle geärgert, denn durch die Verzögerung überlebt das Depot Erstfeld vielleicht noch ein Jahr länger, was jene freut, die nicht nach Arth-Goldau wechseln wollen.

Die Sonne steht schon tief, so dass der Kanton Uri schon im Schatten ist. Die Signalbilder sind so gut zu erkennen, da aber alles schon von weit her grün ist, müsste ich auch nicht Schattenspiele betreiben, wenn sie noch scheinen würde. Der Bahnhof Altdorf mit seinen neuen gläsernen Lärmschutzwänden ist schon gewöhnungsbedürftig. Zeitweise fahren wir durch einen richtigen Kanal. Da ich selber mittlerweile hinter einer solchen Wand wohne, weiss ich, dass der Lärm zwar leiser, dafür länger hörbar ist. Einige bezeichnen es jedoch auch als Musik.

Zeit, mich der neusten Schutzwallarchitektur zu widmen habe ich ja nicht, denn in Flüelen muss angehalten werden, und das nach Möglichkeit an der richtigen Stelle, sonst sieht man die Leute im Rückspiegel wieder den Kopf schütteln, wie wenn sie es besser könnten. Aber einige stehen stur an einer Stelle und wenn dann die Türe nicht exakt da ist, wo sie stehen, wird lauthals über den Versager auf der Lok geschimpft.

Schön sanft kommt der Zug zum stehen, wie ich denke an der richtigen Stelle und rechtzeitig. Aber die Stockbewegung eines älteren Mannes lässt mich vermuten, dass ich nach seiner Meinung, noch ein oder zwei Meter weiter hätte fahren dürfen. Mit dem Zugchef habe ich jetzt schon erbarmen, denn der muss sich jetzt gleich anhören, was die SBB auch für eine blöde Firma sei und die Arbeiter taugen ja sowieso nichts.

Alltag bei der Bahn ist das sicher nicht, kommt aber immer öfter vor, denn jeder ist Experte und man kann ja so oder so alles besser als der, der es gelernt hat. Die Türen sind zu und die Fahrt geht weiter in Richtung Brunnen. Die Strecke am Urnersee entlang ist mit vielen Tunnels versehen, diese sind jedoch zu kurz, dass sie mit Tunnelfunk ausgerüstet werden. Sie folgen sich aber so nahe, dass die Züge während 10 Minuten nicht über Funk zu erreichen sind, es sei denn man hat Glück und der Zug sei gerade im Freien. Wobei, es ist nur noch eine Frage der Zeit, bis auch hier die Funkversorgung im Tunnel eingerichtet wird. Dann können die Lieben zu Hause auch im Tunnel darüber verständigt werden, wie dunkel es ja auch sei.

Brunnen ist erreicht, gerade als ich stehe, klingelt das Telefon, jetzt habe ich Zeit, es ist der Lokleiter für die Reisezüge. Er meint, dass ich die Lok in Luzern auswechseln müsse, die neue Nummer sei die 11’301. Ist gut, danke. Die Gespräche müssen kurz gehalten werden, denn die Arbeit geht ja weiter. Ach ja, hier stehe ich richtig, denn mein Zug hat 40 Achsen und ich stehe genau vor der Tafel mit der Aufschrift A 40.

Schwyz ist so nah, dass ich die maximal erlaubte Geschwindigkeit gar nicht mehr erreiche, aber das macht nichts, denn die Fahrzeit ist gut berechnet und so muss nicht mit dem Messer zwischen den Zähnen gefahren werden. Hier muss ich speziell aufpassen, denn wenn das Abfahrsignal aufleuchtet, darf ich nicht gleich losfahren, sonst bleibt der Zugchef in Schwyz zurück. Es leuchtet, jetzt noch 7 Sekunden warten, dann geht es los. Die Fahrt geht weiter. Ob die Türen der Wagen geschlossen sind, kann ich nicht erkennen.

Endlich, die Lokomotive befindet sich im Gegenbogen und ich kann die Türen der Wagen sehen. Nein, ich sehe keine, denn die geschlossenen Türen sind von der Lok aus nicht so gut zu erkennen, wie die offenen. Aber ich suche ja auch nicht geschlossene Türen, sondern offene und die finde ich nicht. Jetzt gegen Arth-Goldau beginnt die Sonne doch langsam zu nerven, denn scheint diese einem mitten ins Gesicht, ist es nicht mehr möglich ein Signal schlau zu erkennen. Dann muss mit der Sonnenstore gearbeitet werden.

In Arth-Goldau habe ich wunderbare Längenangaben, die mir das Auffinden des normalen Halteortes erleichtern. 225 Meter Zug plus 15 Meter Lok, ergibt 245 Meter. Wie, Sie kommen auf einen anderen Wert. Ich eigentlich auch, aber die Lok wird einfach mit 20 Meter gerechnet. Die Toleranz beim Halteort mit den entsprechenden Tafeln beträgt +/- ½ Wagenlänge. Das ist so, auch wenn es Leute gibt, die es nicht glauben wollen.

Die Erfahrung macht es, ich bleibe genau in der Mitte zwischen den Tafeln stehen. Vor Jahren kam in einer ähnlichen Situation ein Zugführer, der mir zu erklären versuchte, wie ich in Arth-Goldau zu halten hätte. Nicht dort, wo es anhand der Tafeln vorgesehen sei, sondern etwa 50 - 100 Meter später, so müssen die Leute der ersten Klasse nicht so weit laufen. Klar, mache ich das nächste Mal. Da helfen alle Argumente wenig, wenn er Recht hat, dann hat er Recht.

So es geht wieder weiter, jetzt ist alles klar, ich muss vor dem Prellbock in Luzern zum stehen kommen, sonst kann ich es dann morgen in der Zeitung lesen, wie spät doch der Zugführer gebremst hat. Ist ja schön, der Zugführer ist schuld, und nicht der Lokführer, der gefahren ist. Gute Presse, finde ich. Nach Rotkreuz kann ich wieder auf 140 km/h beschleunigen. Die Gleise hier haben einen schlechten Zustand, so dass die Lokomotive sehr unruhig fährt. Verschleiss? Ich weiss nicht, früher waren hier nur 125 km/h zugelassen und plötzlich durfte 140 km/h gefahren werden, ob das nicht zu einem erhöhten Verschleiss führt, weiss ich wirklich nicht.

So, ich nähere mich den Toren Luzerns, die Bremsen der Wagen muss ich noch prüfen, denn wie gesagt, ich muss vor dem Prellbock zum stehen kommen, dann will ich mich davon überzeugen, dass die Bremsen auch einwandfrei funktionieren. Das tun sie, und ich kann wieder ein wenig beschleunigen. Durch die Bremsprobe habe ich Geschwindigkeit verloren, die ich nun ergänzen muss, aber das wird in Kauf genommen, die Sicherheit geht vor.

Schön, die Einfahrt in Luzern ist offen, ich kann einfahren. Den Zug bremse ich auf 30 km/h ab, das ist die erlaubte Geschwindigkeit entlang dem Bahnsteig. Von aussen sieht das recht langsam aus, wenn man aber auf der Lok sitzt und vor sich nur einen recht stabil gebauten Prellbock sieht, kommt es einem schon recht schnell vor. Die Bremsung klappt. Ob ich Nerven gebraucht habe? Nein, denn normalerweise bauen wir genügend Reserven ein, so dass die Bremsen der Lok gelöst werden können. Die 80 Tonnen ziehen dann ein wenig am Zug, so dass ich näher an den Prellbock komme. Die Lok habe ich jederzeit mit der Rangierbremse im Griff, so dass ich wunderbar 5 Meter vor dem Prellbock zum stehen komme.

Ich drücke die Lok gegen den Zug und schalte sie aus. Ich öffne das Fenster um zu hören, wenn der Kuppler zum vorziehen ruft. Was ich aber beim herausblicken erkenne macht wenig Freude. Den Stock kenne ich doch? Und die Bewegung ist mir aus Flüelen auch bekannt. Ja, wohl einer der Zeitgenossen, denen es nicht passt, was die Jungen heute so machen.

Kaum als er bei meiner Lok eintrifft, geht es los. Ich will mir diese Hasstiraden gegen die Bahn nicht länger anhören, zudem hat der Kuppler zum vorziehen gerufen. Ich schliesse das Fenster und schalte die Lok wieder ein. Vermutlich habe ich jetzt bei diesem Menschen keine gute Werbung für die Bahn gemacht, aber nachdem, was ich bisher gehört habe, spielt das auch keine Rolle mehr.

 

Luzern und die Touristen aus Asien

Lange hätte ich auch nicht für die Firma kämpfen können, denn die Arbeit geht weiter. Ich glaube auch, dass das vergebene Mühe gewesen wäre. Ich muss die Seite wechseln, denn nach vorne geht es keinen Meter mehr vorwärts, es sei denn ich bin wirklich um eine Sensation bemüht. Ich ziehe den anderen Führerstand und die andere Fahrrichtung vor, das ist doch beruhigender.

Die Lok kann wieder eingeschaltet werden. Nachdem ich den Steuerschalter in die Position 1 gestellt habe, schaltet der Hauptschalter ferngesteuert ein. Ach, wie hiess das Bauteil schon wieder, ach ja, interruptore prinzipale. Egal, es funktioniert und das ist das Einzige, das zählt. Die mir noch verbleibende Zeit nutze ich für einige Kontrollen ausserhalb der Lokomotive.

Ich öffne die Türe und schon geht das Blitzlichtgewitter los. Wo ist etwas wichtiges, ich sehe nichts, was ich noch nicht weiss, das Wichtige bin ich. Eine Gruppe Touristen aus dem fernen Osten hat sich in den Bahnhof Luzern verirrt. An all dem elektronischen Material, das mitgeschleppt wird, vermute ich mal Japan. Trotz Sprachgrenzen verstehe ich, dass ich posieren soll, damit sie die Bilder schiessen können. So werde ich zum Fotomodell für ein paar Minuten. Vor nicht mal fünf Minuten hätte mich einer lieber windelweich geprügelt.

Wenige Meter entfernt, lacht sich der Zugführer, der die Story beobachtet, schier Tod. Für ihn ist die Sache zu komisch, für mich eher ungewohnt. Es dauert einige Minuten, bis sich das Blitzlichtgewitter gelegt hat und die Japaner, ich bezeichne sie nun mal so, von dannen ziehen. Es könnten aber Chinesen sein, dazu müsste ich aber die Leute besser kennen. Die Sprache kann ich nun mal nicht.

Mit breitem Grinsen kommt der Zugführer zu mir und fragt nach einem Autogramm. Ja ja, wer den Erfolg hat, braucht den Spott nicht zu fürchten. Viel Zeit haben wir nicht mehr, denn er muss auf den Zug und mit dem weiter nach Basel fahren. Ich hingegen verstaue meine Lok im Depot und suche dann dort die 11’301. Oder war es nun eine andere Nummer? Zum Glück habe ich sie notiert.

Der Zug vor mir beginnt sich zu bewegen. Wie könnte es anders sein, immer kommen ein paar, die Verbindungen mit weniger als der vorgeschlagenen Zeit probieren, dann sind halt sportliche Einlagen gefragt. Doch der Zug ist zu schnell und wieder werden die Hände verworfen. Die Züge in der Schweiz fahren nun mal pünktlich. Das nächste Mal sollten sie ein wenig besser planen, dann klappt es noch. Eine junge Frau winkt mit dem Taschentuch. Etwas seltenes, denn die Natels und die Klimaanlage haben die Abschiedszenen am Bahnhof eintöniger gemacht. Das herzzerreissende winken mit dem Taschentuch ist ein Relikt aus vergangenen Tagen.

Langsam entschwindet der Zug um die Ecke, er nimmt seine Fahrt nach Norden in die weite Welt unter die Räder und bald wird er nicht mehr zu sehen sein, das Taschentuch hat seinen Dienst getan und kann dazu genutzt werden, die bitteren Abschiedstränen abzuwischen. Mein Ziel ist nur das Zwergsignal am Ende des Gleises. Mit der Lok will ich ja nicht Luzern verlassen. Es dauert eine gewisse Zeit, bis der andere Fahrweg eingestellt wurde und ich ins Depot fahren kann.

 

Das Depot, das man nicht mehr erkennt

Vor den Toren der Remise halte ich an. In den Jahren hat sich hier einiges verändert. Die andere Lok, die ich nun bedienen muss, steht gleich im Gleis nebenan. Gross wäre die Gefahr auch nicht gewesen, denn es steht keine andere Lok im Depot. Die Remise, die frührer den Lokomotiven diente, ist jetzt ein Unterhaltsbereich für die modernen Triebzüge aus dem Hause Stadler geworden, da haben alte Lokomotiven keinen Platz mehr.

Die obligatorischen Kontrollen gehen auch zügig voran, denn auch hier hat sich die Arbeit durch die Erfahrung vereinfacht. Nach all den Jahren weiss man, wo man genauer hinsehen muss, und wo nur ein flüchtiger Blick reicht. Sanderrohre sind etwas, was genauer betrachtet werden muss, denn auch diese wurden auf der Fahrt schon verloren. Mit den Sicherheitsschuhen mal einen kräftigen Tritt dagegen. Es bewegt sich nicht, gut, denn wenn es sich bewegt, hätte die Lok das Depot kaum mehr verlassen, den lose Sanderrohre erreichen den Endbahnhof oft nicht mehr. Wenn es dann im dümmsten Moment wegfliegt ist das nicht gut.

Ein wenig Zeit habe ich noch, denn es dauert etwas länger, bis der Zug aus Basel eingetroffen ist und die Lok dann für die Fahrt über den Gotthard benötigt. Ich könnte mich noch auf eine Expedition im Depot Luzern begeben. Nur, ich lasse das sein, zuviel hat sich seit meiner Ausbildung verändert. Damals sind wir oft in diesen Gebäuden gewesen und haben Lokomotiven kennen gelernt, die nicht mehr hier stehen, oder sogar schon in Vergessenheit geraten sind. Die Ae 4/7, die Re 4/4 I und die für Erstfeld nicht mehr vorgesehene Ae 3/6 I gehören zu den vergessenen Lokomotiven.

Nur der Schaltwärter sitzt immer noch an der gleichen Stelle und macht seine Arbeit. Dachte ich, denn das kleine Büro scheint verlassen zu sein. Da ist niemand mehr, nur das Büro besteht noch. Aber an all den Papieren, die ich sehe, ist er vermutlich nur schnell weg. Vielleicht musste er ja zur Toilette. Gut, muss ich nicht, denn ich wüsste nicht, wo die hier im neuen Depot ist, wo sie vor 15 Jahren war weiss ich, aber jetzt keine Ahnung.

Ich begebe mich wieder zur Lokomotive. Eine gewisse Zeit später kommt ein GTW-Triebwagen vom Bahnhof her gefahren und strebt dem Gleis neben mir entgegen. Diese Triebwagen, die für das Seetal angeschafft wurden, besitzen einen schmaleren Kasten. Da die Seethalbahn seit ihrer Modernisierung auf gewissen Streckenabschnitten als Trambahn fährt, bezeichnen wir die Triebzüge als Kundenmetzgertram. Trotz aller Umbauten, auch unter so einem Zug lag schon ein Auto.

Vor den Toren hält er, genau in dem Moment, wo ich dachte, wie geht das denn hier mit den Toren, kann ich beobachten, dass der Kollege eine Taste drückt, und sich die Tore wie von Geisterhand öffnen. Kurze Zeit später bewegt sich der Triebzug wieder vorwärts und verschwindet in den Hallen. Kaum ist er weg, schliessen die Tore auch wieder.

Wirkt irgendwie befremdend, denn als das Zwergsignal vor mir auf Fahrt geht, stelle ich resigniert fest, im Depot Luzern habe ich ausser einem anderen Lokführer keine einzige Person mehr gesehen. Beängstigend ist, dass man bei Problemen kaum auf Hilfe hoffen kann. Man kann nicht mehr schnell in der Werkstatt einen Schlosser holen, der die Lok noch kurz vor der Abfahrt repariert. Kann der Lokführer die Lok nicht flott kriegen, bleibt sie stehen und der Zug verkehrt nicht.

Schön, wie hohe Löhne so ein Schlosser hat, denn um seine Stelle einzusparen, wurde in Kauf genommen, dass man durch den Ausfall Kunden verliert. Noch nehmen sie es mit Geduld hin, aber wenn es dann einmal nicht mehr klappen will, dann wird der ältere Herr von vorhin mit dem Stock nicht mehr alleine sein. Die, die dann unter die Räder mit abschätzigen Kommentaren kommen, sind die, die nun wirklich nichts verbrochen haben. Aber eben, man bringt ja immer den Boten um, und nicht der, der die Mitteilung verfasst hat.

Ich halte mit der Lokomotive an, weil vor mir zwei rote Lichter auftauchen. Nein es handelt sich nicht um ein Signal, das einen anderen Zug schützt, sondern die Schlusslichter des Zuges, die noch nicht gelöscht wurden. Der Kuppler kommt und gibt mir das Zeichen, dass ich an den Zug anfahren kann. Ich schalte die Lok aus und rufe ihm zu, dass die Stromabnehmer gesenkt sind.

Sein Ablauf ist immer der gleiche, zuerst die Luftschläuche, die Kupplung und dann die Heizung. Danach besteigt er die Lokomotive und kuppelt zum Schluss noch das UIC-Kabel. Wenn er das Kabel gekuppelt hat, bestätigt er mir, dass ich die Lok einschalten könne. Nur, es erscheint niemand, langsam mache ich mir doch Sorgen. Ich öffne die Türe. Das Gefluche, kenne ich doch, was ist denn los? Die Heizleitung könne er nicht kuppeln. Wie? Ja, der Stecker geht nicht rein. Aber hallo, das habe ich noch nie erlebt. Er nimmt den Funk und ruft dem Visiteur. Oh, in Luzern hat es noch Visiteure, das ist gut.

Es dauert, bis er den Weg geschafft hat. Auch er versucht vergeblich den Stecker in die Dose zu schieben. Mittlerweile hat der Zugchef den Weg hierher gefunden und fragt besorgt mit italienischem Akzent, ob etwas nicht in Ordnung sei. Da ich ja nichts zu tun habe, erkläre ich ihm, dass der Stecker nicht passt. Er schüttelt nur den Kopf und nimmt sein Telefon zur Hand. Wenig später erklingt die Lautsprecherdurchsage, „wegen einer technischen Störung verzögert die Abfahrt des Zuges um einige Minuten.“

Der Kollege aus dem Tessin ist auch schon gekommen. Ich übergebe ihm die Lokomotive und verlasse sie mit samt meinem Gepäck. Das musste ich mitschleppen, weil ich Fotomodell wurde und keine Zeit hatte, das Gepäck zu deponieren. Eine Zeit lang beobachte ich die Szene unten an der Lokomotive. Seit Jahren mache ich das schon, bisher passte der Stecker immer in die Steckdose, das kann einfach nicht sein. Weder Stecker noch Dose scheinen beschädigt zu sein, das muss klappen.

Der Visiteur greift zum Schraubendreher und beginnt in der Steckdose zu stochern. Plötzlich fällt ein Schotterstein heraus. Oh Wunder, jetzt kann die Heizung gekuppelt werden, der Zug startet aber mit 5 Minuten Verspätung. Nur, wie der Stein in eine Steckdose kommt, die mit einem Deckel verschlossen ist, will ich nicht weiter kommentieren.

 

Pause in Luzern

Meine Arbeit ist getan, ich habe nun Pause. Zuerst muss ich mich noch von meinem Gepäck entledigen, denn in der Pause habe ich das nicht bei mir. Da ich nicht der Einzige bin, der das so macht, gibt es überall im Bahnhof Stellen mit speziellen Kasten, wo wir unsere Mappen und Rucksäcke deponieren können. Früher waren einfach Vierkantschlösser vorhanden, aber seit unsere Mappen auch Computer enthalten, sind Sicherheitsschlösser angebracht worden.

Die Warnweste ziehe ich auch aus und lege sie in die Mappe. Aus dem geliebten und gehassten Eisenbahner ist wieder eine ganz normale Zivilperson geworden. Vielleicht hat es ja auch Vorteile, wenn man inkognito in die Pause kann. Man weiss ja nie, wem man begegnet. Nur ein paar Schritte und ich kann in der Menschenmenge untertauchen.

Mein Weg führt in den Untergrund, den Bahnhof Luzern verlässt man am besten so, denn dann muss man nicht die Strassen überqueren, sofern man den richtigen Ausgang erwischt. Für Unkundige ist die Bezeichnung alles andere als einfach. Für mich, der schon öfters in Luzern war, ist es jedoch kein Problem, ich muss mich nicht an den Schriften orientieren, ich kenne den Weg auch so.

Der Elektronikdiscounter hat seine Türen noch geöffnet, ich schaue mal schnell rein, ich bin noch auf der Suche nach neuer Software, die ich meinem PC verpassen möchte. Die Auswahl ist nicht sehr gross, und ich kann die Suche schnell aufgeben. Im Laden ist noch ein Verkäufer, der für einen Kabelnetzbetreiber Werbung macht. Irgendwie habe ich diesbezüglich heute kein Glück, denn er spricht mich an.

Ja, ich kenne seine Firma. Ja, ich habe vom digitalen Angebot gehört. Nein, ich habe es noch nicht. Jetzt geht es mit dem Verkaufsgespräch los. Es ist fast unmöglich, seinen Argumenten entgegen zu halten, denn diese Leute wurden ja dazu geschult. Langsam habe ich wirklich genug, denn die Kosten, die sind ja gewaltig. Das Programm wird jedoch dadurch nicht besser. Aber eben, ich habe noch einen Trumpf im Ärmel, den ich noch nicht ausgespielt habe.

Nein, ich will den Verkäufer nicht ärgern, jedoch müsste ich mehr als nur Ja und Nein sagen können, damit ich ihm erklären kann, warum das digitale Angebot für mich nicht in Frage kommt. Langsam kommt er wohl ans Ende seines Vortrages. Schön, mehrere Sender auch neue, das wäre ja toll, aber das Programm könne ich nicht bestimmen. Nein, für das seien die Fernsehgesellschaften zuständig.

Endlich, ich kann Luft holen und mit dem Sprechen beginnen. Ist denn das Angebot überall erhältlich, ich hätte den Verdacht, das es bei mir zu Hause nicht funktionieren werde und ich dann überflüssig viel Geld ausgegeben hätte. Er versteht mein Argument und öffnet an seinem PC die entsprechende Seite mit der Abfrage. Nach kurzem Warten fragt er mich nach der Postleitzahl meiner Wohngemeinde. Kein Problem: 6472.

Anscheinend hat der Computer die Antwort gegeben, denn der Verkäufer beginnt plötzlich unsicher zu werden und stottert irgendetwas von, das hätte ich nicht gedacht. Aha, ich weiss, was nun kommt. Es dauert ein wenig, bis er sich gefasst hat und mich entsetzt ansieht. Ach wie schön klingen doch die Worte. „Der Dienst steht bei Ihnen leider nicht zur Verfügung.“ Dann können Sie sich das Angebot sparen, meint der Verkäufer.

Ich bedanke mich für die Beratung, man ist ja nett. Ich gehe von dannen. Mit keinem Wort habe ich ihm gesagt, dass ich das ja schon lange weiss, und so das digitale Fernsehen für mich nicht in Frage kommt. Irgendwie muss ich mir aber schon einen Schlachtplan zu Recht legen, denn ewig wird das ja nicht funktionieren.

Ich verlasse den Laden, so wie ich ihn betreten habe, mit leeren Händen, denn die gesuchte Software gab es nicht, ich werde sie dann wohl im Netz suchen. Etwas Hunger beschleicht mich. Ich entscheide mich diesmal für amerikanisches Essen. Denn schliesslich ist die Amerikanische Botschaft, äh, die Firma mit dem gelben M ganz in der Nähe des Bahnhofes.

Gut, das Essen ist nicht unbedingt gesund, aber zwischendurch darf es ja auch mal etwas Fastfood sein. Und ein Essen in diesem Laden ist durchaus immer eine Sünde wert. In der Schlage stehen, bin ich mir ja schon gewohnt, aber auch hier komme ich an die Reihe. Die Auswahl ist ja nicht gross, und so hat man schnell bestellt. Einen Vorteil hat dieser Laden schon jetzt, denn im Gegensatz zu den von unserem Unternehmen immer mehr angebotenen Automaten, wird man hier mit einem charmanten Lächeln bedient.

Einen Platz habe ich auch schnell gefunden. Und ich kann mich dem eigentlichen Thema widmen. Sozialkunde steht nun an. Hier kann man alles beobachten. Die Jungen, die in gewohnt lockerer Art das Essen zu sich nehmen. Der Macho, der seiner Freundin erklärt, dass sie gefälligst nur den Salat essen soll und sich nicht an seinen Pommes zu bedienen hat. Aber auch unerfahrene Besucher gibt es. Familien findet man auch und ab und zu kommt dann noch einer in den Laden, der zur Gruppe gehört, die man in der reichen Schweiz nicht vermuten würde. Genau, jene, die zuerst betteln müssen, damit sie sich das Essen überhaupt leisten können. Bei solchen Beobachtungen verfliegt die Zeit schnell und ich muss die Studien beenden, denn die Arbeit ruft.

 

Es geht nach Hause

Nun, bevor ich mich auf den Weg machen kann, habe ich noch andere Aufgaben. Die Mappe muss ja noch abgeholt werden. Dann wird aus dem Zivilist wieder der Eisenbahner, der dann sofort für alle Zwecke genutzt wird. Kaum bin ich vom Taschenschrank weggelaufen, werde ich schon angesprochen. Ja, ein wenig kenne ich mich aus. Wie, sie möchten nach Meggen? Ja, ich weiss wo das liegt, ein kurzer Blick auf den Abfahranzeiger lässt mich die gesuchte Info schnell finden.

„Mit der S 3 auf Gleis 2 in 5 Minuten, er müsse sich beeilen, denn es sei ein längerer Weg.“ Er bedankt sich kurz und spurtet los, denn anscheinend hat er vergeblich nach dem Gleis 2 gesucht, denn jetzt wo ich ihm den Weg gezeigt habe, rennt er zielstrebig los. Der grösste Sportplatz ist wohl der Bahnhof. Denn hier rennen selbst Leute, die von solchen Tätigkeiten wenig halten.

Der Interregio aus dem Tessin fährt gerade ein. Die Lok muss ich übernehmen. Es ist ein Kollege aus Erstfeld, der mit diesem Zug aus Bellinzona gekommen ist. Ein paar Worte können wir wechseln. Wie sei denn das Wetter im Tessin. Ach ja, auch schön und ein wenig wärmer als bei uns. Die Sonnenstube macht ihrem Namen wieder alle Ehre. Lange dauert der Smalltalk nicht, denn jeder von uns hat seine eigenen Aufgaben. Ich kümmere mich um die Lok und er geht vielleicht zur Sozialkunde in den Laden mit dem grossen M oder besucht eine andere Gaststätte.

Der Kuppler ruft, ich schalte die Lok ein und fahre einen Meter weiter. Viel mehr kann ich nicht, denn der Lokführer hat es bis einen Meter vor den Prellbock geschafft, das geht, aber dann braucht es doch etwas Nerven. Es hat ja geklappt und so ist alles gut. Ich erlebte auch schon, wie das klingt, wenn einer versucht in Luzern durchzufahren.

Auf der anderen Seite schalte ich in gewohnter Manier die Lokomotive ein. Etwas Zeit habe ich auch jetzt, nur, diesmal will ich die Mappe nicht deponieren und könnte Red und Antwort stehen. Ich kann zudem noch lange genug auf der Lokomotive sitzen, ein paar Augenblicke später stehe ich neben der Lokomotive und kann mir in aller Ruhe die Leute auf dem Bahnhof ansehen. Auch hier kann man alles erkennen, was das vielseitige Leben offenbart. Während er mit Kapuze und warmer Jacke herum läuft, wäre die Frau in seiner Begleitung ein öffentliches Ärgernis, wenn sie noch weniger tragen würde. Er eingepackt wie im tiefsten Winter und sie halb nackt. Ein wunderbar ungleiches Paar.

Auch jetzt dauert es nicht lange, und der Wagen vor mir setzt sich in Bewegung. Ich warte noch einen Moment und folge dann mit der Lokomotive bis zum Ende des Geleises. Jetzt öffnet sich mein Zwergsignal sehr schnell und ich kann ins Gleis 31 fahren. Dort angekommen wechsle ich den Führerstand und muss mit der Lokomotive noch ins Gleis 91. Dort bleibt die Lok dann stehen, bis es wieder über den gleichen Weg zurück an den Zug geht. Das Gleis 31 wird während dieser Zeit nicht benutzt.

Erneut habe ich Zeit, um mich dem Fahrzeug, das ich bediene zu widmen, mit Besen und Eimer bewaffnet gehe ich den Scheiben an den Kragen. Nur die SBB putzen Scheiben mit Eimer und Wasser, hat mal vor Jahren ein mittlerweile pensionierter Kollege gemeint. Der Spruch fällt mir jedes Mal wieder ein, wenn ich mich daran mache, die Scheiben zu reinigen.

Damit die festgepressen Mücken etwas besser abgehen, lasse ist zuerst ein paar Milliliter von der Scheibenwaschanlage auf die Scheiben spritzen. Jetzt kann ich mit dem Besen die Scheiben reinigen, das klappt dank dem Mittel sehr gut. Die Scheiben sind sauber und ich sehe auf dem Heimweg ohne lästige Mückenleichen an die Signale.

Die Zeit vergeht schnell, wenn man am Scheiben schruppen ist. Denn kaum habe ich den Eimer wieder an seinem Platz deponiert, geht das Zwergsignal vor mir auf Fahrt. Ich kann mit der Lok wieder ins Gleis 31 fahren und erneut die Seite wechseln. Die kurze Wartezeit nutze ich um den einfahrenden Zügen zuzusehen. Einer nach dem anderen kommt nun an. Einige scheinen die Fahrt zu beenden, andere werden jedoch nur wenden, genau wie der Zug, der soeben an mir vorbei fährt. Ich beginne die Wagen zu zählen. Total sind es elf Stück und somit die normale Anzahl.

Ich kann mit meiner Lok an den Zug fahren, wie das schon öfters gemacht wurde und auch jetzt verläuft alles geplant, der Kuppler wartet bereits. Er verbindet die Luftschläuche, die Kupplung hängt er ein und zieht sie fest, dann steckt er das Kabel der Zugsammelschiene ein. Jetzt besteigt er die Lok und ruft mir zu, wenn dann lösen erscheine, könne ich Lok und Heizung einschalten. Ich wechsle die Seite der Lokomotive. Und erkenne, das Signal um die Bremsen zu lösen. Das ist hier in Luzern das Zeichen, dass am neuen Zugschluss die Arbeiten abgeschlossen sind.

Ich schalte ein und beginne mit einem Schalter damit, den Wagen Energie zu liefern. Geheizt wird kaum, denn das entsprechende Anzeigegerät zeigt kaum einen Ausschlag. Es klopft an der Türe, es ist der Zugchef, der mir die Belastung bringt. Alles normal meint er, er bräuchte dann nur noch die Nummer meines Natels. Die gebe ich ihm. Er meint, dass er mich gleich anrufen werde und einmal klingen lässt, dann hätte ich seine Nummer.

Ein Blick auf die Belastung lässt mich auch lächeln. Ja ja, alles normal, den Lokführer ein wenig veräppeln, das habe ich gerne. Denn der Endbahnhof ist nicht Erstfeld, sondern Erstfeld Lindenried. Was würde er wohl machen, wenn ich bei der gleichnamigen Bushaltestelle anhalten würde. Die Leute mitten im Feld aussteigen lassen? Ich glaube kaum. Lassen wir das auch sein, ich weiss ja, wie weit ich zu fahren habe.

Die Bremsprobe ist auch gemacht und die Abfahrzeit rückt immer näher. Die letzte Reise durch die mittlerweile hereingebrochene Nacht beginnt. Die Bahnhöfe erscheinen nun in einem eigenen Licht, das Lampen über den Fahrleitungen erzeugen, es wird durch die Drähte der Fahrleitung gebrochen. Eben ein eigenes rötliches Licht, dass die Nacht erhellt. Nur das Depot sticht mit der kalt wirkenden Röhrenbeleuchtung hervor. Dort wird nun auch Fieberhaft gearbeitet, denn morgen früh müssen die Züge wieder bereit sein für den nächsten Tag.

Mit einem Schlag hat man Luzern verlassen und fährt durch eine dunkle Gasse, die nur durch die Signale und die Lampen der Lokomotiven erhellt wird. Ich prüfe jetzt noch, ob die Bremsen der Wagen auch wirklich arbeiten. Seit dem Unfall in Oerlikon, wird viel mehr auf die Kontrolle wert gelegt. Die Station Gütsch erscheint und bringt wieder etwas Licht ins Dunkel. Auch die Reuss ist im Nachtlicht tiefschwarz, das erkenne ich, als ich sie überquere.

Dem Rotsee entlang gewinne ich immer mehr an Fahrt. Nach 80 km/h ist nun 90 zugelassen und dann geht es schon hoch bis 125 km/h. In der Station Ebikon kann ich dann auf 140 km/h beschleunigen. Die Strecke kenne ich gut, so muss ich nicht dauernd nachsehen, wie schnell ich in einem entsprechenden Abschnitt fahren darf. Ein kurzer Blick nach Änderungen genügt.

Der Zug ist recht schwer und gewinnt daher nur schleppend an Fahrt, aber letztlich donnere ich mit 140 km/h durch die Nacht, die nur gelegentlich durch die neuen Haltestellen erhellt wird. Da hier die Strecke gerade ist, erkennt man die Signale schon von weit her, so auch jene, die noch Orange sind, aber sie wechseln immer bevor ich so nahe bin, dass ich bremsen muss, auf grün. So erreicht man Rotkreuz sehr schnell und jetzt wird die Fahrt für die nächste Zeit gemütlicher. Fertig ist es mit der Raserei, der gemütlichere Teil beginnt.

Nach Immensee blicke ich kurz auf den Zugersee, der ruhig in der Nacht liegt. Nur ein einsames Kursschiff ist darauf noch unterwegs und ist hell beleuchtet. Aber ich wollte ja nicht den Schiffsverkehr kontrollieren, sondern viel mehr nachsehen, ob der Anschlusszug aus Zug pünktlich verkehrt. Das tut er, ich sehe, dass er gerade die Station Walchwil verlassen hat. Nun hängt es eigentlich nur noch von der SOB ab. Ist deren Regionalzug auch pünktlich, kann ich die Fahrt in Arth-Goldau rechtzeitig beginnen.

Ich stehe im Gleis, an der Stelle wo ich wollte und blicke nach hinten. Warum bemerken die Leute erst, dass die Wagen geschlossen sind, wenn sie an den Türen rütteln. Es ist doch Nacht und in der Nacht sind unbeleuchtete Wagen wohl kaum für Reisende frei gegeben. Wie so oft ist die SOB überfällig. Das ist bei einer einspurigen Strecke nicht überraschend. So verzögert sich meine Abfahrt um einige Minuten. Diese Verspätung hole ich bis Erstfeld nicht mehr ein, dazu hat ausgerechnet dieser Zug eine zu knappe Fahrzeit.

Mit knapp 3 Minuten Verspätung geht die Fahrt weiter in Richtung Kanton Uri. Halte sind vor der Kantonsgrenze noch an den Stationen Schwyz und Brunnen geplant. Das zeichnet sich auch so ab, denn auch das Signal in Brunnen ist grün, die Verspätung ist nun auf 4 Minuten angestiegen, weil eine Gruppe in Schwyz nur eine Türe am Zug fand und so die längste Zeit benötigte, bis sie eingestiegen war. In Brunnen stehen nicht viele Leute, das könnte gut für die Bewältigung der Verspätung sein. Nur habe ich die Rechnung ohne die Gruppe gemacht, denn nun steigt sie wieder aus, und wie könnte es auch anders sein, nur bei einer Türe. Die Folge sind 5 Minuten Verspätung, als ich den Zug wieder beschleunige.

Die Strecke durch den Axen kann jetzt in Richtung Süden befahren werden, das heisst, dass ich auf dem neueren Teil, dem so genannten Berggleis bin. Das Gleis kann ich schneller befahren. Das ist gut, dann kann ich mit etwas unkomfortabler Fahrt ein wenig Verspätung aufholen. Denkste, denn in Sisikon wechsle ich auf das andere Gleis, das Seegleis. An den Signalen sehe ich das nicht, denn die Weichen können mit maximaler Geschwindigkeit befahren werden. Statt mit 125 km/h geradeaus, fahre ich nun mit 80 – 90 km/h um diverse Kurven.

Es kommt, wie es kommen musste, beim Halt in Flüelen sind es nun 7 Minuten, die der Umweg gekostet hat, jedoch wenn ich in die Baustelle gefahren währe, hätte es wohl eine viel grössere Verspätung gegeben. Noch zwei Halte stehen an, denn dieser Zug hält auch in Altdorf. Ein Zug mit 300 Meter im Bahnhof Altdorf? Das hat niemals am Bahnsteig platz. Gut, die Lokomotive an der Spitze und die unmittelbar dahinter eingereihten Wagen kann ich über das Perronende hinaus ziehen. So könnte es doch noch passen.

Na ja, gepasst hat es nicht, denn der Zugführer, der aus dem ersten geöffneten Wagen aussteigt, muss in den Schotter treten, ich habe zu spät angehalten, aber es ist nicht so einfach 100 Meter Zug abzuschätzen, zumal es nicht um Meter ging, sondern schon fast um Millimeter. Gut, so viel scheint es nicht zu sein, denn nach nur einem Schritt steht er auf dem Bahnsteig. Zugführer fluchen in solchen Situationen auch nicht so schnell wie normale Reisende. Da hier die notwendigen Signale fehlen, erteilt mir der Zugführer die Abfahrerlaubnis mit dem Telefon.

So, jetzt geht es nach Hause, die Lok kann nun zeigen, was in ihr steckt, denn 140 km/h dürfen hier gefahren werden. Mit der Zeit steigt die Nadel des Geschwindigkeitsmessers gegen 140 km/h. Seit etwa 105 km/h konnte ich nur noch warten, denn dann hatte ich die letzte Stufe geschaltet, die Lok arbeitet mit voller Leistung, mehr geht nicht.

Links an mir huscht gerade der auf der Belastung vermerkte Endpunkt vorbei. Statt hier mitten in der Botanik zu halten, beginne ich mit der Bremsung. Erstfeld steht vor der Türe. Einfahren darf ich mit maximal 95 km/h. Damit ich das auch mache, ist die Einfahrt mittels ZUB 121 überwacht. Jetzt muss ich weiter fahren, als das normalerweise mit so einem Zug der Fall ist. Die Lok muss nach dem Ende des Bahnsteigs zum stehen kommen. Normalerweise hält man hier, wenn man noch zwei Wagen mehr angehängt hat. Nur, ich muss die Weiche auf Einfahrseite freilegen.

Der Halt ist gemacht. Ich habe Erstfeld mit total 6 Minuten Verspätung erreicht. Es kommt kein Ablöser und ich verlasse die Lok auch nicht, denn der Zug endet hier. Ich muss nun noch die Wagen beiseite stellen und mit der Lok ins Depot fahren. Reine Routine, die schnell erledigt ist. Erneut stehe ich am heutigen Tag mit der Lokomotive vor einer Remise. Im Gegensatz zu Luzern ist hier ein Mitarbeiter vorhanden der mir das Tor öffnet, damit ich mit der Lokomotive ins Depot fahren kann. Durch die alten Holzhallen, erscheint die Beleuchtung hier nicht so kalt wie in Luzern.

Im Gegensatz zum modernisierten Depot in Luzern ist Erstfeld noch eines nach dem alten Muster. Mit einem Schaltwärter, der die Fahrleitung schaltet und den Lokomotiven die Tore schliesst und öffnet. Der Manager vom Depot, der den Lokomotivführern die Lokomotiven zuweist. Alles Leute, die ihren Teil zum pünktlichen Verkehr erbringen. Irgendwann wird aber auch hier in Erstfeld diese Stelle gestrichen und alles dem Lokführer überragen. Dann treffen wir vermutlich ausser der Kundschaft, die sich immer mehr über Banalitäten ärgert, keine Person mehr, die uns bei unserer Arbeit unterstützt.

 

Der Feierabend

Gerade als ich das Depot verlasse ruft mich ein Kollege. Er fragt, ob ich auch Feierabend habe. Klar, denn meine Arbeit ist getan. Wir sehen uns nicht das erste Mal an diesem Tag, er war am Morgen auch im Kurs. Wir verabreden uns noch zu einem Feierabendbier im nahen Restaurant. Jetzt ist Schluss und wir dürfen Alkohol trinken. Doch nur in kleinen Dosen, denn morgen müssen wir wieder zur Arbeit, und dann dürfen vom verdienten Feierabendbier keine Reste mehr im Blut sein.

Die Gespräche beim Bier gehen, wie könnte es auch anders sein, um das Thema, das alle irgendwie beschäftigt, die bevorstehende Prüfung. Die Sorgen, was passiert, wenn man doch zu blöd ist und das nicht kapiert? Berufliche Ängste, die einen Mann beschäftigten, der landläufig als unerschrocken und in jeder Situation als absolut sicher betrachtet wird. Unsicherheiten bei einem Lokführer gibt es nicht, das hat man uns bei der Ausbildung eingetrichtert. Jetzt sind die Unsicherheiten und Ängste da und wir wissen nicht recht damit umzugehen. Plötzlich wird aus dem vergötterten Lokführer ein Mensch wie Du und ich, der seine Sorgen mit sich schleppt.

Jetzt, wo ich seit dieser Tour einige Zeit verlebt habe, hat sich einiges geändert, ich habe die Prüfung erfolgreich bestanden, wie der Kollege, der mit mir am Bier über die ganzen Ängste und Sorgen diskutiert hat. Viele haben es geschafft, so dass nur wenige Lokführer durchgefallen sind. Darunter leider auch der Kollege, der am Morgen seine Ängste bekundete…

 

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