Die Neigetechnik

 

Elektrolokomotive

Diesellokomotive

Die Eisenbahnen begnügten sich viele Jahre damit, dass die Geschwindigkeiten in den Kurven durch deren Radien und die zugelassenen Fliehkräfte beschränkt werden. Je schneller die Züge aber wurden, desto mehr beschränkten enge Kurven eine flüssige Fahrt. Daher begann man damit, die Kurven zu strecken und so die Strecke schneller befahren zu können. Doch das war ein teurer Vorgang, der zudem Land benötigte.

Eine andere Lösung gab es viele Jahre nicht, doch man sah immer wieder, dass man mit geeigneten Massnahmen schneller um die Kurven fahren konnte. Die Lokomotiven wurden verbessert und so neue Kurvengeschwindigkeiten geschaffen. Das waren aber nur beschränkte Massnahmen, die auch nicht den gewünschten Erfolg brachten. Schliesslich ging man aber neue Wege und erreichte so noch kürzere Fahrzeiten.

Auf der Strasse erkannte man, dass ein Motorrad viel schneller um eine Kurve fahren kann, als ein Automobil. Eigentlich galten für beide Fahrzeuge die gleichen Kräfte. Das Motorrad konnte diese jedoch durch eine Neigung zur Innenseite der Kurve ausgleichen. Die Fliehkräfte konnten so kompensiert werden. Das Motorrad kam schneller um die Kurve. Deutlich erkennen kann man das bei Rennen mit Motorrädern, wo diese Kurvenneigung gut zu sehen ist.

Eine gute Lösung, die man doch bei der Eisenbahn auch so umsetzen könnte. Der Zug legt sich, wie ein Motorradfahrer in die Kurve und kommt so schneller um die Ecke. Der Fahrgast merkt davon nichts und meint, dass es eine normale Kurve war. Damit hätte man die Ausbauten der Strecken reduzieren können. Besonders in Italien war man in diesem Bereich schon früh fortgeschritten. Denn dort gab es einzelne Kurven, die nicht begradigt werden konnten.

Da man nun nicht das ganze Fahrzeug, wie ein Motorrad in die Kurve legen konnte, musste man zu einer Lösung kommen, die den Effekt des Motorrades mit dem festen Stand auf den vorhandenen Anlagen verbindet. Geboren war die Idee der Neigetechnik. Neigt sich der Zug, kommt er schneller um die Ecke. Doch die Technik dazu musste zuerst geschaffen werden, denn so einfach, wie beim Motorrad war das nicht.

Die Kastenneigung: Bei der Neigetechnik wird der Kasten gegen die Innenseite der Kurve geneigt. Er legt sich also wie ein Motorradfahrer in die Kurve. Dadurch wirken auf die im Wagen sitzenden Leute und Materialien geringere Fliehkräfte. Der Komfort wird dadurch gesteigert. Damit man den Komfort beibehalten kann, fährt man schneller um die Kurve. Jedoch war gerade die Kastenneigung ein grosses Problem, das gelöst werden musste.

Wie gross nun diese Neigung sein kann, hängt davon ab, wie sich das Fahrzeug aufbaut. Der Kasten, der sich in die Kurve legt, verletzt das Profil, daher muss man den Kasten oben einengen. Da bedeutet aber, dass man im Zug weniger Platz zur Verfügung hat. Das führte dazu, dass man einen Punkt zwischen dem technisch möglichen und dem Platzangebot finden musste. Daher besitzen Wagen beim Einsatz der Neigetechnik einen speziell geschalteten Kasten.

Züge mit Neigetechnik haben eine Kastenneigung, die um rund 8° von der normalen vertikalen Achse abweicht. Diese Neigung erscheint wenig, wenn man jedoch bedenkt, dass damit wesentlich schneller um die Kurven gefahren werden kann, ist der Erfolg gross. Man kann jedoch sagen, dass ein geringerer Winkel automatisch zu einem Verlust der zugelassen Geschwindigkeit führt. Diese Kastenneigung ist daher ein wichtiger Wert.

Daher entscheidet die zugelassene Kastenneigung direkt, wie gross der Gewinn bei der Fahrzeit ist. Da man den Fahrzeugen jedoch auch einigermassen bequeme Sitzplätze geben will, beschränkte man sich auf Werte, die im Bereich bis 8,6° arbeiten. Der Fliehkraftüberschuss wird daher mehr oder weniger kompensiert. Doch es stellt sich nun die Frage, wie diese Kastenneigung überhaupt erreicht wird, denn freiwillig macht er das nicht.

Der Wagenkasten ist ein klares Bauteil, das allen physikalischen Grundsätzen folgt. Das Auto, das um die Kurve fährt, hebt sich auf der Innenseite hoch. Das Gehäuse folgt dabei ganz einfach der Fliehkraft. Auch Sie im Wagen machen das, denn Sie werden gegen aussen gedrückt. Diese Fliehkraft wirkt auch auf Wagen, die mit Neigetechnik ausgerüstet sind. Daher muss der Kasten zwangsweise in die Kurve gelegt werden.

Das Neigesystem: Kommen wir nun zu den eigentlichen Neigesystemen. Doch bevor Sie nun die Systeme der Firma „Kurvenschletzer“ erwarten, muss ich Sie enttäuschen, wir bleiben viel allgemeiner, denn es gibt zwei grundlegend unterschiedliche Neigesysteme. Diese grundlegenden Systeme gibt es nun zu erkennen. Zudem soll deren Funktionsweise aufgezeigt werden. Spezielle Firmennamen sind daher noch nicht gefragt.

Beginnen werden wir den Weg durch die Neigesysteme mit einem System, das keine aktiven Funktionen hat. Man spricht bei solchen Systemen von einem passiven Neigesystem. Wobei man mit dem passiven System eigentlich kaum eine Neigung erreicht, aber trotzdem die Kurven schneller befahren kann. Die passiven Systeme nutzen die Physik um schneller um Kurven fahren zu können. Wir müssen daher den Wagenkasten in der Kurve genauer ansehen.

Die Kurven der Eisenbahnen sind überhöht. Das heisst, das äussere Gleis ist etwas höher. Dadurch kann man schneller um die Kurven fahren. Der Wagenkasten folgt nun der Fliehkraft und wird auf den Federn aufgestellt. Einfach gesagt, der Kasten steht immer noch senkrecht, aber in einem Winkel zu einem Drehgestell. Die Fliehkraft gleicht daher die Überhöhung aus. Das passive Neigesystem greift genau bei diesem Punkt an.

Durch Kompensatoren wird die Fliehkraft kompensiert und der Kasten wird  wieder senkrecht über das Drehgestell gestellt. Damit wirken nun auf die Leute im Wagen Kräfte, die sie gegen die Innenseite der Kurve ziehen. Fährt der Zug nun schneller durch die Kurve, werden die Leute der Fliehkraft ausgesetzt und die Kräfte gleichen sich wieder aus. Der Reisende bemerkt gar nicht, dass er sich nicht senkrecht zur Erde befindet.

Bei den aktiven Neigesystemen arbeitet man nach dem gleichen Prinzip. Nur werden jetzt die Wagen zusätzlich in die Kurve geneigt. Man greift also aktiv ein und legt so den Wagenkasten noch mehr in die Kurve, als das passiv möglich wäre. Deshalb spricht man hier von einem aktiven System. Aktive Systeme erlauben noch höhere Geschwindigkeiten in den Kurven und diese Systeme wollen wir nun mit den Neigeantrieben genauer ansehen.

Der Neigeantrieb: Der Neigeantrieb eines ausgerüsteten Zuges, sorgt dafür, dass der Wagenkasten aktiv gegen die innere Seite einer Kurve gedrückt wird. Die Fallkräfte, die auf die Leute wirken, werden noch grösser. Sie würden nun umfallen. Daher benötigt man grössere Fliehkräfte um diese Fallkraft zu kompensieren. Der Zug muss oder darf noch schneller um die Kurven fahren. Damit gewinnt man zusätzlich Fahrzeit.

Für den Antrieb der Neigetechnik eines Wagenkastens werden zwei grundlegend unterschiedliche Systeme verwendet. Dabei spielt es keine Rolle, welche Lösung man für den passiven Teil gewählt hat, denn dieser gibt es auch bei aktiver Neigetechnik. Nur die zusätzliche Neigung wird aktiv ausgeführt. In diesem Bereich spricht man von einem Stellantrieb und dieser unterscheidet sich bei den aktiven Systemen.

Der Stellantrieb kann mechanisch oder hydraulisch aufgebaut sein. Er muss einfach in kurzer Zeit den Kasten nach der Innenseite der Kurve neigen. Beim hydraulischen System werden Zylinder ausgestossen oder eingezogen. Bei mechanischen Systemen werden Kasten mit Hilfe von Motoren in die Kurve gelegt. Beide Systeme haben Vor- und Nachteile, die wir hier nicht näher ansehen wollen, denn beide Stellantriebe funktionieren gut.

Egal, welchen Stellantrieb man verwendet, gibt es bei den Zügen mit Neigetechnik Probleme. Besonders die Leute im Zug, die eigentlich nach physikalischen Grundsätzen nichts von der Neigetechnik merken sollten, reagieren auf die Neigetechnik. Dafür verantwortlich ist das Innenohr, das merkt, dass man eigentlich nicht in der richtigen Position ist. Den Leuten wird dann übel und sie bekommen Schwindelgefühle.

Das Phänomen ist landläufig unter dem Begriff Seekrankheit bekannt. Jedoch kann diese Krankheit auch im Flugzeug, oder eben auch in Zügen mit Neigetechnik auftreten. Sollten Sie unter dieser Krankheit leiden, sollten Sie darauf achten, dass Sie Ihren Fahrplan so einrichten, dass Sie keine Neigezüge benutzen. Neigezüge, also Züge mit Neigetechnik, werden meistens speziell gekennzeichnet. Warum sollen Sie leiden, wenn es anders geht.

 

Zurück Navigation durch das Thema  
  Home Depots im Wandel der Zeit Die Gotthardbahn
News Fachbegriffe Die Lötschbergbahn
Übersicht der Signale Links Geschichte der Alpenbahnen
Die Lokomotivführer Lokführergeschichte Kontakt

Copyright 2015 by Bruno Lämmli Erstfeld: Alle Rechte vorbehalten