Persönliche Erfahrungen mit der Re 484

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Als die Lokomotiven Re 484 abgeliefert wurden, fiel uns zuerst die geänderte Form auf. Mehr bekamen wir Lokführer von Erstfeld auch nicht zu sehen, denn die Maschinen waren im Tessin und somit hätten wir die Pause opfern müssen. Zudem hielt sich das Gerücht, dass die Lokomotive mit den Re 482 identisch sei. Schliesslich wurden die Kollegen vom Depot Bellinzona entsprechend informiert und ausgebildet.

Nach der nicht bei allen Kollegen als positiv er-achteten Schulung auf der Re 484 per Blatt Papier, waren auch die Lokführer von Erstfeld darauf geschult.

Vier Blätter mit Änderungen, die dank der Kopie zudem nicht immer optimal leserlich waren. Dabei gab es durchaus Änderungen an der Lokomotive, die gefährlich sein konnten.

Der Wechsel des Führerstandes konnte bei einer falschen Handlung in der Katastrophe enden. Wer es nach der Reihe Re 482 mchte, konnte später er-kennen, wie die landschaft an der Lokomotive vor-beigetragen wurde.

Ich kam auf dieser Lokomotive ein erstes Mal im Schiebedienst zum Einsatz. Die Fahrt nach Göschenen und zurück verlief ohne nennenswerte Störung.

Unterschiede bei der Bedienung zur Re 482 gab es, aber die wichtigsten Funktionen waren gleich. Bei Problemen hatte ich zudem die abgegebenen Blätter bei mir. Nur beim Wechsel des Führerstandes konsultierte ich zur Sicherheit die Anleitung auf Seite drei, denn der Gotthard ist steil und der „Göppel“ rollt schnell.

Natürlich war ich alles andere als begeistert, wenn ich auf einer Lokomotive sitze und nur auf einem Blatt Papier etwas von Änderungen beim Führerraumwechsel lese. Besonders der Hinweis, dass die Methode der Baureihe Re 482 dazu führe, dass die Bremse der Re 484 gelöst sei. Die Lokomotive könnte so unkontrolliert losrollen. Alles durchspielen und das erst noch in Göschenen, wo es bekanntlich mit 26 ‰ bergab geht. Ob das auf meiner Stirn Angstschweiss war, weiss ich nicht.

Das war gefährlich, denn bei der Arbeit sollte das schon sitzen. Auch hier kann der Lokführer nicht unbedingt auf freudige Gesichter stossen, wenn er zuerst ein paar zerknüllte Blätter aus seiner Tasche sucht und schaut, was er dann zu tun hat. Zumindest machten wir das im Verborgenen und nicht vor der Kundschaft. Nur eben, man wollte sich die Kosten für eine Schulung sparen. Letztlich verhinderte wohl mehr die Angst der Lokführer, als deren Wissen, dass es kein Unglück gab.

Dürftig blieben die Einsätze auf den Lokomotiven Re 484 auch in Zukunft, so dass die Blätter, welche mittlerweile unleserlich waren, nicht mehr helfen konnten.

Die einzigen Möglichkeiten boten schliesslich nur die wenigen Leistungen über den Gotthard. Da war nichts zu beachten, denn die Bedienung auf der Fahrt war gleich, wie bei der Re 482.

Selbst die offiziellen Reklamationen der Gewerkschaf-ten blieben ohne Folgen. Man fuhr mit dem Bock, den man nicht kannte.

Trotzdem auch im Tessin kam es zu vereinzelten Einsätzen auf den Lokomotiven. Diese beschränkten sich aber auf Fahrten zwischen Bellinzona und Chiasso und waren nur mit der Lokomotive zu fahren.

Züge waren in dieser Zeit keine angehängt. Schliess-lich konnte ja auch der Lokführer aus Erstfeld die Lokomotive in den Unterhalt überführen, der nun mal in Bellinzona und nicht in Chiasso stattfinden sollte.

Erstmals kam es dabei zu einem kleinen Problem beim Einsatz dieser Lokomotiven, denn der Lokführer aus Erstfeld sollte die Re 484 unter dem mit einer Fahrleitung für Gleichstrom versehenen Bahnhofsteil abholen und danach in ein umschaltbares Gleis fahren. Dort sollte dann der Systemwechsel erfolgen und die Fahrt unter Wechselstrom weiter gehen. Zumindest war das die Idee der Leute in Chiasso und nicht unbedingt des Lokführers. Auf den vier Blättern stand nichts von Fahrten unter Gleichstrom.

Da das Lokomotivpersonal aus Erstfeld doch die Lokomotive im FS-Modus nicht bedienen durfte und der Systemwechsel dieser Maschine auf den vier Blättern nicht beschrieben wurde, musste der Kollege aus dem Tessin den Wechsel vornehmen. Mit dem schweizer System war es dann kein Problem und die Fahrt nach Bellinzona verlief ohne nennenswerte Probleme. Es zeigte sich aber, dass es nicht sinnvoll ist, für solche Aufgaben die weit entfernten Lokführer zu nehmen.

Oft hatte ich im Jahr nur an einem Tag die Gelegenheit, eine Re 484 zu bedienen. Wenn dann die Lokomotive noch italienisch spricht beginnen die Probleme, denn wo war jetzt schon wieder der Knopf für die Sprachumschaltung.

Da die Zeit drängte, fuhr ich halt mit der italienisch sprechenden Lokomotive. „Havaria“ tönt weiblich ins Ohr gesäuselt viel angenehmer als eine männliche Stimme „Störung“. Dummerweise war der Text eben auch italienisch.

Da sowohl die Leistung im Schiebedienst an den damaligen Zügen 73944 und 73947, als auch die Einsätze vor den TXL-Zügen einseitig sein konnten, sammelten sich oft Re 484 in Erstfeld.

Bei Bedarf wurden die Maschinen zwischen Erstfeld und Göschenen eingesetzt, oder zu zweit nach Bellinzona zurück geleitet.

Je nach Verfassung war es wohl Glück oder Pech für den betroffenen Lokführer. Zumindest hatte ich das „Vergnügen“ einer Fahrt nach Bellinzona nie geniessen dürfen.

Als ich meine Jahre in Arth-Goldau hatte, hatten wir eine Leistung, bei der wir mit zwei Lokomotiven der Baureihe Re 484 über den Gotthard fuhren. Dabei kam es zur Vielfachsteuerung der Lokomotiven und nicht immer wurde dazu die von Luino kommende Traktion verstärkt. Es gab tatsächlich Lokwechsel zwischen den Maschinen der Baureihe Re 484. So richtig verstehen konnte man es eigentlich nicht, aber man machte, was gesagt wurde.

Von den Kollegen aus Bellinzona hörte man viele Gerüchte. So soll es dort Lokführer geben, die sich schlicht weigern mit der Maschine in Vielfachsteuerung zu fahren. Eine störungsfreie Fahrt mit zwei Re 484 sei schlicht unmöglich und man sollte die Finger davon lassen. Einen Lokführer aus Arth-Goldau lassen solche Gerüchte jedoch kalt und so griff man fröhlich zum UIC-Kabel und richtete die Vielfachsteuerung ein. Dann wurde jedoch geflucht.

Wie fahre ich mit einer Doppeltraktion nach Norden, wenn sich die beiden Lokomotiven vom südlichen Führerstand aus finden, aber von der nördlichen Kabine aus partout nicht miteinander sprechen wollen.

Zurück in den Süden, alles in Ordnung, dann wieder in den Norden, Mist. Nach rund 50 Minuten am Rand der Verzweiflung, siehe da, wie von Geisterhand, es funktionierte endlich auch von der nördlichen Seite. Die Vielfachsteuerung war endlich eingerichtet.

Wenn ich es kurz fassen will, dann muss ich erwähnen, dass ich es sechsmal versuchte. Die Fahrt zwischen Bellinzona und Arth-Goldau verlief dabei nie ohne Störung.

Dabei war es keine bestimmte Störung und immer wieder etwas anderes, was den Lokführer nervte. Nur einmal sah ich mich am Ziel, denn das Einfahrsignal von Arth-Goldau hatte ich mit dem Schwarzen Bock von MRCE an der Spitze bereits passiert und es waren nur noch wenige Meter.

Plötzlich waren auf der Einfahrweiche die Bildschirme vor meiner Nase dunkel, dann weiss und die Zwangsbremsung wurde eingeleitet. Als ich dann wieder Anzeigen hatte, laberte die Lokomotive italienisch drauf los, schlimmer als eine alternde Diva. Auch die Texte, die den Bildschirm zunehmend füllten waren italienisch. Mistbock, ich hatte Deutsch gewählt. Mit dem Wechsel der Sprache wurde es jedoch noch verwirrender, denn was zum Geier soll „Netzfehler“ heissen?

Aha, jetzt dämmerte es, die Systemwahl stand auf FS. Wie um alles in der Welt kommt die Lokomotive auf die Idee in Arth-Goldau auf Gleichstrom umzuschalten. Gleichrichter gab es hier nur auf der Arth-Rigi-Bahn und die war weit entfernt zu erkennen. Der Funk war zudem tod und auch sonst gab es zu viele Meldungen auf dem Bildschirm.

Vermutlich sorgte der Totalabsturz dafür, dass die Lokomotive in die Grundstellung wechselte. Das war vermutlich bei der gemieteten Lokomotive italienisch. Mit dem Wechsel des Systems auf SBB änderte die Sprachausgabe von „Netzfehler“ auf „Störung“. Sie können mir glauben, in diesem Moment träumte ich von den guten alten Re 10.

In der Hauptleitung war genügend Luft vorhanden und ich konnte wieder Zugkraft aufbauen. So fuhr ich die letzten Meter mit der ständig „Störung“ jammernden Lokomotive. Das waren wohl die längsten 700 Meter in meiner beruflichen Laufbahn. Immer dieses Gejammer im Ohr. Schön war die Liste mit den Störungen, denn diese wurde immer kürzer, je näher ich dem Ausfahrsignal kam. Mit Müh und Not erreicht er den Hof, der Führer lebt, die Lok ist Tod.

Mit einer einzigen Lokomotive konnte man aber viel Unfug anstellen. So hiess es für mich mit Re 484 Schiebelokomotive nach Lugano Vedeggio. Der Zug war zwar nicht so schwer, aber die Maschine musste in den Süden. Mit dem Modus für Schiebedienst ging es los. Auf der Südseite als Bremslokomotive knallte ich die elektrische Bremse mit 300 kN rein. Von Vorne wurde danach reklamiert, dass er ziehen müsse.

Damit hätte es sich beinahe mit den Erfahrungen auf dieser Lokomotive. Wenn man hofft, dass die Kundigkeit verlöscht, gibt es jedoch immer wieder einen Tag, der dafür sorgt, dass man den Zähler wieder auf null stellen kann. Wenn man dann mit der Re 484 in Erstfeld einfährt und der Lokführer von Basel vorsichtig die Frage stellt, wie man diese Lokomotive bedient, wird es einem schon etwas mulmig. Vermutlich hat er die vier Blatt Papier nicht bekommen oder sie waren in der Mappe vergilbt.

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