Jedem Zug seine Bremse

Der Titel klingt für Sie vielleicht etwas verwirrend, aber die Bremsen können tatsächlich an einen Zug und an dessen Bedürfnisse angepasst werden. Dabei werden grundsätzlich zwei Sorten von Zügen unterschieden. Gemeinsam dabei ist, dass die Bremsen weiterhin über die Hauptleitung gesteuert werden. Die Entwicklung dieser Bremsen erfolgte in zwei Schritten. Genau diese Schritte wollen wir nun auch machen.

Bei den Bremsen und deren Aufbau gibt es nur Reise- und Güterzüge. Weitere Unterteilungen gibt es nicht. Diese beiden Zugsarten stellten an die Bremsen sehr unterschiedliche Kriterien. Daher wurden zwei Varianten für die automatische Bremse geschaffen und diese dann immer weiter entwickelt. Speziell dabei ist aber, dass sie weiterhin kombiniert werden können. Alles klingt verwirrender, als es wirklich ist.

Beginnen werde ich jetzt mit der etwas älteren Bremse für Reisezüge. Anschliessend kommen dann die Güterzüge mit der, für sie geschaffenen Bremse. Danach kombinieren wir diese Bremsen noch miteinander und sehen uns schliesslich eine elektronische Lösung an, die eigentlich beide jetzt vorgestellten Bremsen ablösen könnte. Doch am besten beginnen wir nun mit den Bremsen für Personenzüge und lassen uns treiben.

Die Personenzugsbremse: Die Personenzugsbremse ist die normale automatische Bremse, wie sie seinerzeit von Westinghouse entwickelt wurde. Bei nahezu jedem Fahrzeug, das in Europa verkehrt, ist diese Bremse vorhanden. Jeder Wagen für Reisezüge hat mindestens diese Bremse. Aber auch die Güterzüge benutzen heute diese Bremse, denn sie kann problemlos auch bei Güterwagen eingestellt werden.

Wenn ich hier von normaler automatischer Bremse spreche, liegt der Grund darin, dass in der Schweiz sämtliche Bedingungen der Strecke und der Geschwindigkeit auf die Personenzugsbremse ausgelegt sind. So gilt für die Schweiz eigentlich eine Grundgeschwindigkeit für die Personenzugsbremse von 100 km/h. Diese gilt als Massstab zur Bestimmung der minimalen Bremswege. Mit anderen Stellungen kann schneller oder langsamer gefahren werden.

Abgekürzt wird die Personenzugsbremse mit einem P. Man spricht deshalb oft auch von der P-Bremse. Der Grund für die Fixierung auf Personenzüge kommt aus der Zeit der Anfänge, denn diese Bremse wurde zur Führung von Reisezügen entwickelt. Dort bewährte sie sich so gut, dass man diese Bremse immer weiter entwickelte und so die heute vorhandene Vielfalt entstand. Doch schauen wir etwas genauer auf die P-Bremse.

Die P-Bremse hat bestimmte Zeitvorgaben. Diese Zeitvorgaben geben an, wie viel Zeit verstreicht, bis die Bremszylinder bei einer Bremsung reagieren. Bei der P-Bremse erfolgt dies nach einer Zeit von 3 bis 5 Sekunden. Somit wird die verlangte Bremswirkung erst nach 5 Sekunden wirksam. Diese Zeiten verhindern, dass die Bremszylinder bei kleinen Schwankungen in der Hauptleitung sofort ansprechen und berücksichtigen die Länge der Züge.

Gelöst wird die P-Bremse innerhalb von 10 bis 20 Sekunden. Wenn es auch nicht so aussieht, man spricht hier von einer schnellen Bremse. Sie müssen bedenken, dass bei der Eisenbahn alles etwas träger ist und sich so auch längere Zeiten bei den Bremsen bemerkbar machen. Die längere Lösezeit verhindert Zerrungen im Zug und verhindert so Probleme mit den Kräften an den Puffern. Doch diese Bremse konnte man noch verbessern.

Die Rapidbremse, die überall nur R-Bremse genannt wird, ist eine Zusatzbremse für die Personenzugsbremse. Sie kommt nur bei Fahrzeugen mit Klotzbremse und Bremssohlen aus Grauguss zur Anwendung. Die R-Bremse wird bei Reisezugwagen bei 80 km/h eingeschaltet und schaltet sich bei 60 km/h wieder aus. Bei Lokomotiven liegen diese Werte bei 60 und 50 km/h. Aktiv ist die R-Bremse jedoch nur zusammen mit der P-Bremse.

Die Klotzbremse hat den Nachteil, dass bei hohen Geschwindigkeiten die Bremskraft nachlässt. Deshalb können bei hohen Geschwindigkeiten höhere Kräfte auf die Bremssohlen wirken, ohne dass die Räder blockieren. So wird auch bei hohen Geschwindigkeiten wieder die normale Bremswirkung erreicht. Diese Bremskraftverstärkung erlaubt es, mit den Zügen schneller zu fahren, da so höhere Bremskräfte erzielt werden.

Die Schweizerische Südostbahn SOB verwendet statt einer R-Bremse die O-Bremse. Dabei ist die Funktion genau gleich, es gelten jedoch andere Werte für die Umschaltung. Die O-Bremse wird bei 40 km/h eingeschaltet und schaltet sich bei 30 km/h wieder aus. Mit der O-Bremse wird den steilen Streckenabschnitten und der langsameren Geschwindigkeit Rechnung getragen. Der Grund ist simpel, denn man will die hohen Bremskräfte auch hier nutzen können.

Klotzbremsen mit Kunststoffbremssohlen benötigen, wie die Scheiben- und Trommelbremse theoretisch keine Geschwindigkeitsabhängige R- oder O-Bremse mehr. Bei diesen Bremsen bleibt die Wirksamkeit bei hohen Geschwindigkeiten gleich, daher muss man nicht mit einer erhöhten Bremskraft arbeiten. An den Fahrzeugen mit diesen Bremsen sind dennoch geänderte Werte angeschrieben. Diese werden später bei den Berechnungen benötigt.

Die Güterzugsbremse: Mit den Erfolgen bei den Reisezügen, wollte man die automatische Bremse auch bei den Güterzügen nutzen können. Da Güterzüge jedoch länger und schwerer waren, als die Reisezüge, musste man für Güterzüge eine angepasste Version der automatischen Bremse einführen. Der Unterschied setzte man dabei bei den Bremsventilen in den Wagen um, denn bei Güterwagen baute man eine geänderte Lösung ein.

Sie werden es vermutlich schon ahnen, die Güterzugsbremse wird mit G-Bremse abgekürzt. Diese Abkürzungen P und G gelten hier jedoch nur für den deutschsprachigen Raum. Die G-Bremse ist im Vergleich zur Personenzugsbremse mit geänderten Ansprechzeiten ausgerüstet worden. Daher sollten wir nun auch hier auf diese Zeiten blicken und deren Grund erfahren. Wichtig ist jedoch, dass an der Hauptleitung keinerlei Veränderungen vorgenommen wurden.

Die Zeit, bis der Lokführer hier die volle Bremswirkung erwarten kann, beträgt  je nach der Länge des Zuges 18 bis 35 Sekunden. Damit liegt dieser Wert deutlich über jenen der P-Bremse. Durch diese lange Ansprechzeit verhindert man auch bei langen Zügen gefährliche Zerrungen im Zug. Da Güterzüge in der Regel langsamer unterwegs waren, sah man darin kein Problem, so dass die Güterzugsbremse gut funktionierte.

Vollständig gelöst ist die G-Bremse jedoch erst nach 45 bis 60 Sekunden. Gerade diese längeren Zeiten sind der Grund für die speziellen Bedingungen der G-Bremse. Die Kräfte für G- und P-Bremse sind meistens identisch. Bei älteren Fahrzeugen kann es jedoch Unterschiede bei der Ansprechzeit geben. Daher verzichtet man bei Reisezugwagen generell auf die G-Bremse, denn die bleibt den Güterzügen vorbehalten.

Die Güterzugsbremse war für Güterzüge vorgesehen und wurde früher bei den Güterzügen grundsätzlich angewendet. Die G-Bremse kommt heute nur noch in bestimmten Fällen zum Einsatz. Güterzüge benutzen heute meistens die P-Bremse. Züge, die mit der G-Bremse geführt werden, müssen mit speziellen Bedingungen berechnet werden. Dazu kommen wir aber, wenn wir mit den Bremsen rechnen. Nur damit müssen wir die wirksame Bremse wählen können.

Der Bremsumschalter: Wenn ein eingesetztes Fahrzeug keine unterschiedlichen Bremsen hat, geht man davon aus, dass dieses mit der P-Bremse ausgerüstet ist. Werden nun die erwähnten Zusatzbremsen, wie die R-Bremse oder die G-Bremse eingebaut, werden die Fahrzeuge mit einem Bremsumschalter versehen. Mit diesem Schalter kann man die wirksame Bremse am Fahrzeug einstellen.

Beim Bremsumschalter wird die Bremsart eingestellt. Eine Bremsart kann in den Vorschriften vorgeschrieben werden. Dabei ist die Bremsart mit dem Begriff Bremssystem ähnlich, da hier die Art der Wirkung angegeben wird. Das Wort Bremsart ist besonders bei Eisenbahnen in Deutschland geläufig, während in der Schweiz eher andere Begriffe dafür verwendet werden. Auf jeden Fall wird die Bremsart mit dem Bremsumschalter eingestellt.

Dabei spielt es keine Rolle, ob es sich beim Fahrzeug um eine Lokomotive oder einen Wagen handelt. Nahezu sämtliche eingesetzten Fahrzeuge besitzen einen solchen Brems-umschalter.

Bei Reisezugwagen kommen meistens die Stellungen P-Bremse, R-Bremse und R-Bremse mit Magnetschie-nenbremse zur Anwendung.

Wobei die letzte Stellung natürlich nur möglich ist, wenn der Wagen auch über eine Magnetschienenbremse verfügt.

Güterwagen haben generell nur die Stellungen für die Güterzugsbremse und die P-Bremse. Daher können die die beiden grundsätzlichen Bremsen eingestellt werden, was auch nötig ist, wie wir anschliessend noch erfahren werden.

Uns bleiben somit nur noch die Lokomotiven, die je nach Bauart alle möglichen Einstellungen besitzen. Hier entscheidet sich daher die Bauart der Lokomotive und nicht der Bremsen.

Da wir nun Wagen haben, bei denen man die Bremse wählen kann, werden wir diese auch verwenden. Dabei gelten in der Schweiz spezielle Vorschriften. So wird grundsätzlich auf die reine Anwendung der P-Bremse verzichtet. Das ist nicht in allen Ländern so und daher nur auf die Schweiz beschränkt. Jedoch haben andere Vorschriften internationalen Charakter, auch wenn nicht überall die gleichen Werte gelten.

Es wird nun aber Zeit, dass wir uns fragen, wenn denn die G-Bremse noch angewendet wird und wenn man die R-Bremse nutzt. Dazu erstelle ich eine kleine Tabelle, so ist es einfacher zu erkennen, welche Bremse wann eingestellt werden muss. Dabei entspricht diese Tabelle nur den Vorschriften der Schweiz und gilt nicht für die SOB. In anderen Ländern gelten in dieser Beziehung andere Vorschriften. Doch nun zur Tabelle:

 

Zug / Gewicht Lokomotive Wagen 1 – 5 Restlicher Zug
Reisezüge R-Bremse R-Bremse R-Bremse
Güterzug - 0600t R-Bremse P-Bremse P-Bremse
Güterzug - 1200t G-Bremse P-Bremse P-Bremse
Güterzug – 1600t G-Bremse G-Bremse P-Bremse
Güterzug > 1600t G-Bremse G-Bremse G-Bremse
Rola G-Bremse G-Bremse G-Bremse

 

Sie sehen, die Güterzugsbremse kommt grundsätzlich nur bei Güterzügen zur Anwendung, die schwerer als 600 Tonnen sind oder die Niederflurwagen besitzen. Ebenso erkennen wir, dass die Lokomotiven die G-Bremse oder die R-Bremse anwenden. Der Grund liegt bei den Lokomotiven, denn diese können teilweise gar nicht auf die reine P-Bremse umgestellt werden. Für Reisezüge gilt schliesslich die R-Bremse.

Reisezugwagen, die in Güterzügen eingereiht werden müssen, können nur in der Stellung P verkehren. Ist aber eine Umstellung auf die G-Bremse vorgeschrieben muss die Bremse dieser Wagen ausgeschaltet werden. Jetzt gibt es aber Züge, die hinter der Lokomotive mehrere Reisezugwagen haben und nachfolgend Güterwagen kommen. Solche Züge gibt es ausschliesslich bei Transporten für das Militär. Dann sind spezielle Stellungen bei den Wagen 1 bis 5 vorzusehen. Die Begleitwagen der Rola besitzen hingegen die G-Bremse.

Die EP-Bremse: Wenn wir nun zur EP-Bremse kommen, kann ich Ihnen eigentlich nur sagen, dass Sie am besten die P-Bremse und die G-Bremse vergessen. Zwar sind diese immer noch aktiv, jedoch gelten deren Zeiten nicht mehr. Mit der elektropneumatisch gesteuerten Bremse, also der EP-Bremse, können wir mit anderen Zeiten rechnen. Dazu arbeiten wir am besten mit einem Beispiel. Dazu nehme ich einen 700 Meter langen Zug.

Die so genannte Durchschlagsgeschwindigkeit ist ein entscheidender Wert bei den Bremsen an Zügen. Sie ist der Grund, warum die Ansprech- und Lösezeiten bei den pneumatischen Bremsen nötig wurden. So konnten gefährliche Zerrungen im Zug vermieden werden. Bei der EP-Bremse gelten diese Werte jedoch nicht mehr, da hier eine andere Geschwindigkeit als Massstab dient.

Bei mit Druckluft betriebenen Bremsen beträgt die Durchschlagsgeschwindigkeit ca. 250 – 280 m/s. Somit entspricht diese Geschwindigkeit der Geschwindigkeit des Schalls. Die Leitung wird somit in Schallgeschwindigkeit entleert. Das bedeutet bei unserem 700 Meter langen Zug, dass der Letzte Wagen erst nach einer Zeit von rund 3 Sekunden bemerkt, dass die Hauptleitung abgesenkt wird. Wirksam ist die Bremse bei der P-Bremse erst nach 5 bis 7 Sekunden.

Bei der EP-Bremse werden die Bremsventile der Wagen nicht mehr durch den Abfall des Druckes in der Hauptleitung umgesteuert, sondern elektronisch. So erfolgt die Durchschlagsgeschwindigkeit bei der EP-Bremse nahezu mit Lichtgeschwindigkeit. Bei unserem 700 Meter langen Zug spricht die Bremse des letzten Wagens gleichzeitig an und es kommt zu keinen Verzögerungen. Die Bremsen können daher sofort ansprechen.

Die EP-Bremse arbeitet mit elektrischen Steuersignalen, die über die EP-Leitung übertragen werden. Die EP-Leitung wurde speziell für diese Bremsen entwickelt, wird jedoch mittlerweile auch für andere Aufgaben genutzt. Die elektrischen Signale werden bei der EP-Leitung mit Hilfe eines speziellen Kabels übertragen. Die entsprechenden Steckdosen sind aber nicht bei allen Fahrzeugen vorhanden. Nur mit der EP-Leitung ist auch der Einbau einer EP-Bremse möglich.

Bei der EP-Bremse gibt es zwei unterschiedliche Varianten. Dabei kann nur die indirekt wirkende EP-Bremse bei allen Zügen verwendet werden. Bei der indirekt wirkenden EP-Bremse wird der Druck in der Hauptleitung ebenfalls abgesenkt. So können hier neben Fahrzeugen mit der EP-Bremse auch solche mit der normalen Bremse verwendet werden. Genau jetzt kommt der Grund für meinen 700 Meter langen Zug.

Um die 700 m langen Züge der Rola führen zu können, wurde anfänglich mit Lokomotiven Re 460 gearbeitet. Dabei reihte man eine Lokomotive zwischen den Wagen ein. Verbunden waren die Lokomotiven mit der EP-Leitung, die zur Vielfachsteuerung benötigt wurde. Damit reagierte die rund 300 m weiter hinten verkehrende Lokomotive auf die EP-Bremse der Lokomotive der Spitze. Die Hauptleitung bei diesem Zug wurde dank der indirekten EP-Bremse normal abgesenkt.

Nachbremse: Eigentlich ist die Nachbremse keine neue Bremse. Sie wird durch die Hauptleitung gesteuert. Dabei hat sie jedoch eine von der normalen Bremse geänderte Ansteuerung. Es ist daher ein anderes Ventil verwendet worden. Dieses sorgt dafür, dass die Nachbremse nur wirkt, wenn sich der Druck unter einen Wert von 2.5 bar senkt. Sie wirkt daher nach der anderen Bremse und hat so den Namen erhalten.

Da diese Bremse nicht im gewohnten Rahmen arbeitet, darf die Nachbremse bei Berechnung der Bremse nicht angerechnet werden. Der Grund ist simpel, denn bei den normalen Bremsungen wirkt diese nicht. Sie wirkt jedoch, wenn die Hauptleitung komplett entleert wird. Im Notfall ist daher diese Bremskraft ebenfalls verfügbar. Damit bremst das Fahrzeug auch, wenn es bei einer Zugstrennung vom restlichen Zug getrennt wird.

Angewendet wird die Nachbremse in den Fällen, wo Triebfahrzeuge am Schluss von Zügen überführt werden müssen. Will man nicht, dass diese Fahrzeuge normal bremsen, müsste die Bremse ausgeschaltet werden, was zur nicht erlaubten ungebremsten Schlussgruppe geführt hätte. Die Nachbremse verhindert dieses Problem, so dass damit ausgerüstete Fahrzeuge überall im Zug eingereiht werden können.

Ursprünglich wurde die Nachbremse für kleinere Triebfahrzeuge, wie die Traktoren verwendet. Diese mussten oft am Schluss eingereiht werden, da sie den Kräften in Zügen nicht gewachsen waren. Mittlerweile wird die Nachbremse auch bei grösseren Triebfahrzeugen angewendet und sie erlaubt auch bei diesen die Überführung am Schluss von Zügen. Dummerweise erfolgte lange Zeit keine Anpassung bei den Vorschriften.

 

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