Erstfeld - Zug - Erstfeld

Als ich das Haus verlasse, kommt mir kalte Luft entgegen. Es ist kühl, ja sogar recht kalt, aber das gehört schliesslich zum Winter. Die Uhr zeigt 15.15 Uhr. Auf dem Weg zur Arbeit begegnen mir nicht viele Leute. Im Depot angekommen werfe ich noch einen letzten Blick auf die Einteilung. Ach ja, obwohl im Kalender etwas anderes steht, hat die SBB heute Samstag. So muss ich nicht eine Tour nach Basel und zurück fahren, sondern habe Regionalzüge, und das erst noch den ganzen Tag. Natürlich habe ich das schon vorher gewusst, aber es ist ungewohnt. Das Reservezimmer ist leer, kein Kollege sitzt hier, der auf seine Arbeit wartet.

Noch kurz meine LEA (Lokomotivpersonal Electronic Assistant)  mit den neusten Fahrplandaten versorgen. Den tragbaren Computer habe ich bereits mit der Schnittstelle verbunden und die Daten werden auf den Computer übertragen, als ich mich mit meinen Arbeitstagen in der nächsten Zeit befasse. Jetzt kommen ein paar Freitage auf mich zu, da meine Touren nicht existieren und an einem Feiertag so wie so zu viele Lokführer Dienst hätten. So werden bei vielen zusätzlich Freitage eingeplant, so auch bei mir.

Nach den Fahrplandaten versorge ich meinen Computer noch mit den neusten Tourendaten, die jetzt auch auf dem elektronischen Weg beschafft werden können. Nachdem die Daten gespeichert wurden, starte ich das Programm und gebe die Nummer meiner Tour ein - 31.6. Schon sehe ich die Züge schön der Reihe nach aufgelistet.

 

Erstfeld – Arth-Goldau – Erstfeld

Auf dem Zuglagenbildschirm sehe ich, dass der Zug, den ich übernehmen muss in Flüelen abgefahren ist. Ich habe somit noch genug Zeit um zum Bahnhof zu gelangen. Viele Züge sind darauf auch nicht zu sehen. Auf dem Perron warte ich auf den ankommenden Zug. Bei der Einfahrt grüsse ich meinen Kollegen mit einem Handzeichen, der mir mit einem weiteren Handzeichen zu verstehen gibt, dass am Zug alles normal funktioniert. Ich gebe ihm zu verstehen, dass ich das Zeichen gesehen und erkannt habe.

Ich übernehme den Zug nicht an derselben Stelle, wie mein Kollege in verlässt. Das hat sich so eingebürgert und funktioniert bestens, er erledigt die Arbeit am Ende des neuen Zuges und ich an der Spitze. Mit den Bremsventilen kontrolliere ich die richtige Funktionsweise der Bremsen. Sie scheinen zu funktionieren. Die LEA mit der Fahrordnung bereitgestellt und einen Blick auf die Uhr geworfen, zeigt mir, dass ich in ein paar Minuten abfahren muss.

Unaufhörlich rückt die Zeit voran. Der Bahnhoflautsprecher gibt die bevorstehende Abfahrt des Regionalzuges nach Arth-Goldau bekannt. Das Signal vor mir wechselt auf grün. Anhand der Anzeige im Führerstand erkenne ich, dass noch eine Türe geöffnet ist. Doch gerade als ich den Gedanken hatte, erlischt die Lampe der Überwachung. Aha, die Türen sind geschlossen, die Abfahrzeit ist auch erreicht, es kann losgehen. Ich verriegle die Türen und setze den Zug in Bewegung. Kurz nach der Abfahrt mache ich eine Bremsung um mich davon zu überzeugen, dass sie auch korrekt arbeiten.

Die Fahrt nach Arth-Goldau verlief bisher ganz ruhig, ich verlasse soeben den ehemaligen Bahnhof Steinen, der jetzt nur noch eine Haltestelle ist. Bei der Einfahrt in Arth-Goldau verabschiede ich mich von den Reisenden. Nach dem Halt, während die Leute aussteigen schalte ich den Zug aus, und beleuchte anstelle des bisherigen Spitzensignals, das Schlusslicht. Dem Zug entlang wechsle ich auf die andere Seite. Ich schalte den Zug wieder ein und bereite alles für die Fahrt nach Erstfeld vor.

Die Arbeiten im Führerstand sind beendet, ich habe jetzt noch Zeit, um durch den Zug zu gehen. Viel Arbeit gibt es heute nicht, es liegen nur wenige Zeitungen auf den Sitzen, die ich wegräumen muss. Auch ein paar Reisende waren so „gütig“, und haben ihren Abfall einfach liegen lassen, so dass ich diesen auch noch wegräumen muss.

Die ersten Reisenden besteigen schon wieder meinen Zug. Die Zeit auf der Bahnhofuhr sagt mir, dass ich jetzt wieder an meinen Arbeitsplatz muss. Die Fahrt nach Erstfeld beginnt mit einer Minute Verspätung, da ich noch einen Anschlusszug abwarten musste. Die Stationen folgen sich und ich befinde mich bereits wieder in Altdorf. Die letzte Etappe beginnt. In Erstfeld gebe ich mit einem Handzeichen meinem Kollegen zu verstehen, dass am Zug alles in Ordnung ist. Dazu verwende ich die selben Zeichen, wie zuvor mein Kollege.

Ich beende meine Arbeiten auf dem Führerstand und beleuchte jetzt auf dieser Seite des Zuges das Schlusslicht. Gerade als ich meinen Computer in meiner Mappe versorge, wird der Triebwagen eingeschaltet. Aha, der Kollege hat den Zug übernommen. Ich begebe mich in die Pause.

 

Erstfeld – Zug – Flüelen – Zug – Erstfeld

Der zweite Teil der Tour beginnt genauso, wie der Erste, den Kollegen sehe ich nur kurz, als er bei mir vorbeifährt. Mit diesem Zug fahre ich nur nach Arth-Goldau. Auch diese Fahrt ist sehr ruhig und stellt kein Problem dar. In Arth-Goldau geschieht die Übergabe wie bisher nur mit Handzeichen. Jetzt habe ich noch eine kleine Pause, dann geht es mit dem Intercity nach Zug.

Die Fahrt mit dem Intercity ist äusserst angenehm, da ich keinerlei arbeiten verrichten muss. Ich habe Dienstfahrt, das heisst, ich sitze im Zug bei den Reisenden. Ich habe Zeit um ein paar Gedanken schweifen zu lassen. Da sitzt eine Dame, die ihren Kopf am Mantel angelehnt hat, die Beine hat sie auf den Sitz gegenüber gelegt. Vorbildlich hat sie eine Zeitung unter ihre Schuhe gelegt. Sie scheint friedlich zu schlafen. In einem anderen Abteil sitzt ein Herr an einem Laptop und scheint etwas zu schreiben. Auf dem Tischchen vor ihm steht ein Becher Kaffee.

In einem weiteren Abteil sitzt eine Familie, die Mutter versucht mit Spielen ihren Sprössling davon abzuhalten sich im Wagen frei zu bewegen. Der Vater liest eine Zeitung. An der Sprache erkenne ich, dass es keine Deutschschweizer sind.

Italienisch deutet auf jemandem aus dem Tessin oder aus Italien. Dieser Umstand überrascht mich nicht besonders, da der Zug ja aus Italien kommt. Die Stimmung ist ruhig, da es der Mutter ganz gut gelingt, den Sohn zu unterhalten.

Der Kondukteur beendet meine Gedanken für einen kurzen Moment, da er meinen Ausweis sehen will. Mit einem kurzen geschulten Blick, erkennt er die wichtigen Daten auf dem Ausweis, bedankt sich und geht weiter. Ich blicke aus dem Fenster in die Nacht hinaus. Die Station Walchwil wird gerade passiert.

Ich entnehme meiner Mappe noch rasch ein Schreiben, das mich über Neuerungen unterrichtet, die für mich nicht so wichtig sind, da ich den betreffenden Bahnhof nicht kenne. Ich denke gerade, dass es schon wieder ein Papier ist, das entsorgt werden kann, als die elektronische Stimme im Lautsprecher die Ankunft in Zug auf deutsch und italienisch ankündigt.

Ich nehme meine Mappe zur Hand, ziehe die Jacke wieder an und begebe mich zum Ausgang. Eine Kurze Zeit muss ich noch warten, bis der Zug angehalten hat. Eine Unsitte, die ich nicht verstehe, versucht ein Reisender vor mir. Er versucht die Türe noch vor dem Halt zu öffnen, die sich aber erfolgreich gegen jeden Versuch wehrt. Mit Fluchen gibt er schliesslich seinem Unmut Ausdruck. Nach dem Halt funktioniert es dann. Im Gegensatz zu den anderen Reisenden, schlage ich nicht den Weg zum Ausgang ein, sondern begebe mich in Richtung Spitze des Zuges. Da ich gemütlich gehe, erreiche ich die Lokomotive nicht, bevor der Zug abfährt. Spielt auch keine Rolle, da ich ja eine andere Komposition übernehmen muss, die im Gleisfeld abgestellt ist.

Ich finde meinen Zug schnell, da ich den notwendigen Standort meiner Tour entnehmen kann. Jetzt muss ich eine Bremsprobe durchführen, die für uns Lokführer ungewohnt ist. Es genügt nicht, nur anhand der Ventile und des Manometers die Bremsen zu kontrollieren. Da der Zug schon ein paar Stunden hier steht, muss ich an jeder Achse die Funktion der Bremsen überprüfen. Die kalten Temperaturen und der liegende Schnee machen die Arbeit nicht besonders angenehm.

Da ich mehrmals dem 150 Meter langen Zug entlang gehen muss, vergeht viel Zeit, bis ich die Bremsprobe durchgeführt habe. Dieser Umstand ist berücksichtigt, so dass ich doch noch rechtzeitig Fahrbereit bin. Die Fahrbereitschaft melde ich dem Bahnhof Zug. Der Arbeiter am Stelltisch, weiss vermutlich nicht, dass er der erste Eisenbahner ist, mit dem ich in meiner Tour spreche. Viele werden auch nicht mehr folgen. Ich kann mit dem Zug ins Abfahrtgeleise vorziehen. Die Zeit bis zur Abfahrt nutze ich noch für die notwendigen Notizen in meiner Agenda und im dafür vorgesehenen Leistungscouvert. In diesem Couvert trägt sich jeder Lokführer ein, der mit dieser Komposition einen Zug führt. Für Heute bin ich der Letzte, der sich einträgt. Da die Couverts nicht jeden Tag ausgewechselt werden, muss ich zuerst nach dem normalen Wochentag schauen. Es ist Mittwoch, also muss ich das Couvert heute abgeben.

Mittlerweile ist die Abfahrzeit herangerückt. Ich lösche das Licht im Führerraum, so dass sich meine Augen an die Dunkelheit gewöhnen können. Die Fahrt beginnt pünktlich und ich erreiche ohne Probleme den Endbahnhof Flüelen. Hier endet der Zug und wechselt seine Richtung. Auch jetzt muss ich in der kurzen Zeit die Sitze vom Unrat befreien. Eine Arbeit die immer intensiver wird, da es sich die Reisenden anscheinend einen Sport daraus machen, die Sachen im Zug zu verteilen.

Als das Signal auf Fahrt geht, beginne ich die Fahrt mit dem Zug, da die Abfahrzeit auch erreicht ist. Reisende sind keine im Zug. Wie schon den ganzen Tag, funktioniert alles gut, so dass ich Zug rechtzeitig erreiche. Das letzte Mal wechsle ich auf die andere Seite des Zuges. Leider hat der Zug aus Zürich ein paar Minuten Verspätung, so dass ich nicht rechtzeitig abfahren kann. Die Reisenden vom verspäteten Zug steigen ein und das Signal wechselt auf Fahrt. Einige kommen im Laufschritt, wieder andere im normalen Schritt. Erst als sich auch der letzte Reisende dazu entschliessen konnte einzusteigen, kann ich die Türen verriegeln und die Fahrt beginnen.

Kurz vor Arth-Goldau sehe ich per Zufall, wie die Uhr auf Mitternacht wechselt. Ein neuer Tag hat begonnen. Zeit um mehr Gedanken darüber zu verlieren habe ich jedoch nicht, da sich mein Zug dem Bahnhof nähert. In Arth-Goldau warten die Reisenden bereits auf meinen Zug, und obwohl ich zu spät bin, scheinen die Leute auf dem Perron vergnügt zu sein. Niemand schaut demonstrativ auf die Uhr.

Da sich der Zug in einer Kurve befindet, kann ich das einsteigen nicht beobachten, und obwohl das Signal auf Fahrt steht, muss ich warten, bis sich die Türen geschlossen haben. Um das Schliessen zu beschleunigen, drücke ich nach einer gewissen Wartezeit die Taste für die Verriegelung der Türen. Mit diesem Tastendruck wird die Überwachung des Trittbretts an den Wagen überbrückt, und die Türen schliessen sich. Um zu verhindern, dass Reisende eingeklemmt werden ist ein so genannter Einklemmschutz vorhanden, der den Schliessvorgang unterbricht. Gefährlich ist das für die Reisenden nicht, sie erschrecken aber, wenn sich die Türe schliesst, so dass sie den Eingangsbereich verlassen und sich die Türe schliessen kann. So bald die Türe geschlossen ist, kann sie nicht mehr geöffnet werden.

Die rote Lampe, die mir eine offene Türe anzeigt, erlischt. Für mich ist das das Zeichen, dass ich abfahren kann. Kurz vor Erstfeld meldet sich der Bahnhof Erstfeld bei mir, und erklärt mir, dass leider kein Rangierarbeiter zur Verfügung steht, und ich den Zug alleine wegstellen muss. Dies ist aussergewöhnlich, aber was will ich machen, es geht auch so. Kurz vor dem Halt verabschiede ich mich von den Reisenden und gebe die Türen frei.

Nach dem Halt wechsle ich den Führerstand und beginne damit den Zug an den vorgesehenen Standplatz zu stellen. Da die Temperaturen sehr tief sind, bleibt der Zug eingeschaltet. Ich räume noch mein Material zusammen und schreibe die Kilometerzahl auf dem Tachograph in die vorgesehene Zeile auf dem Couvert. Als letztes schreibe ich noch das Datum des letzten Tages auf. Es ist der 31. Dezember.

Zum Schluss verstaue ich meine Mappe in meinem Kasten und gehe durch die leeren Strassen nach Hause. Wegen der speziellen Nacht sind noch sehr viele Fenster beleuchtet. Aus manchem Zimmer höre ich Gelächter und Musik. Die Leute feiern das neue Jahr. Als ich meine Wohnung betrete ist es gerade 1.15 Uhr. Ich erledige noch ein paar Arbeiten und lege mich nach dem doch recht anstrengenden Tag ins Bett.

 

Etwas für die Leser dieser Seite

Es ist nicht üblich, dass ich bei einer Tour direkt einige Gedanken an Sie richte. Mit dieser Tour will ich Ihnen jedoch in Erinnerung rufen, dass in der Nacht, in der vermutlich die meisten von Ihnen am Feiern sind, Leute an der Arbeit sind. Und, sofern Sie diese Tour aufmerksam durchgelesen haben, viele Leute trifft man nicht persönlich. Ach ja, noch etwas ist hier anders. Im Gegensatz zu den bisherigen Touren handelt es sich hier um eine Leistung, die wirklich so gefahren wird. Zwar nicht durch mich, aber einer meiner Kollegen hat diese Tour.

 

           
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