Die Inbetriebsetzung

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Die Entwicklung der neuen Lokomotive für die Schweizerischen Bundesbahnen SBB war eine lange Geschichte. Die Bestellung war schon fast vergessen, als am 30. Mai 1952 der erste Kasten der neuen Maschine die Hallen der Schweizerischen Lokomotiv- und Maschinenfabrik SLM in Winterthur verliess. Die drei Jahre Entwicklung waren nun so weit gediehen, dass man die ersten Früchte erkennen konnte.

Doch noch war es ein leerer Kasten, der zwar auf seinen eigenen Beinen stand, aber noch nicht mehr. Noch am gleichen Tag wurde dieser erste Kasten mit den Drehge-stellen von Winterthur zu Firma Brown Boveri und Co BBC nach Münchenstein überführt.

Solche Reisen von neuen Lokomotiven waren oft zu sehen, hiessen die Ziel doch Münchenstein, Oerlikon oder Genève. So gesehen eigentlich eine alltägliche Angelegenheit.

Gezogen wurde der Güterzug von einer Maschine der Baureihe Be 6/8 II. Diese hatte bereits ihre grosse Karriere am Gotthard beendet und verdiente im Mittelland ihr Gnadenbrot. Niemand ahnte damals, dass das Krokodil, das mittlerweile zur bekanntesten Lokomotive der Schweiz geworden war, das erste Exemplar einer Lokomotive schleppte, das ihr diesen Rang durchaus streitig machen konnte. Dies auch, weil es erst ein komischer Wagen war.

Die äusserlich bereits fertige Lokomotive fiel im Güterzug nicht gross auf. Man konnte die Form der Lokomotive gut erkennen. Der Kasten war von der Farbe und der Ausstattung her so gestaltet worden, wie es mit den Schweizerischen Bundesbahnen SBB abgemacht worden war. So war das vorgesehene Wappen der Schweizerischen Eidgenossenschaft an der Front zu sehen. Dank dem Flachwagen erkannte man es sogar noch sehr gut.

Im Werk Münchenstein sollte der Elektriker aus dem Kasten eine Lokomotive. Man hatte in den vergangenen Jahren gerechnet und Gewicht eingespart, aber die Leistung war sehr hoch und da musste man die entsprechenden Bauteile einbauen. Zudem war nun beschlossen worden, dass die Maschine mit etwas mehr Schmuck versehen werden sollte. Wer diese Idee hatte und warum er darauf gekommen ist, ist heute nicht mehr bekannt.

Am 04. September 1952 begann in Münchenstein das Zeitalter der Baureihe Ae 6/6. Die nun mit den be-kannten Chromstreifen versehene Lokomotive wurde aus einer Remise gezogen und in den Bahnhof von Münchenstein gestellt.

Dort sollte die Stunde der Wahrheit kommen. Die neue Maschine wurde eingeschaltet und so wurde aus dem bisherigen Kasten eine Lokomotive, die sich sogleich auf grosse Fahrt begeben sollte.

Die neue Maschine fiel wohl manchem am Bahnhof wartenden Reisenden auf. Konnte doch die Lokomo-tive, die verschoben wurde, äusserst genau betracht-et werden, da sie mit einem Lokomotivzug alleine unterwegs war.

Zudem fiel sie mit dem Schmuck und sauber glänzend natürlich jedem auf.  Auch wenn das Wetter nicht so richtig mitspielen wollte. Versteckte sich die Sonne doch hinter dicken Regenwolken.

Zum grossen Star wurde die Maschine im Bahnhof Basel SBB. Die neuste Lokomotive der Schweizerischen Bundesbahnen SBB wurde bewundert. Dank dem glänzenden Chrom, sah man sie von weit her und gegenüber von den alten Maschinen war sie in ihrem jugendlichen Glanz natürlich eine Augenweide. Wer Zeit hatte, bewunderte die neue Maschine, die sich bereit machte um nach Zürich zu fahren, denn dort gab es eine Waage.

Mit der noch nicht mit Wappen versehenen Lokomotive mit der Nummer 11 401 fuhr man anschliessend über den Bözberg nach Zürich, wo die Lokomotive im Depot F erstmals gewogen wurde. Die letzten Meter wurde sie mangels Fahrleitung von einer Dampflokomotive geschoben. Ein Bild, das 1952 in der Schweiz dank den Traktoren durchaus schon selten geworden ist, aber der kleine Tiger hielt sich tapfer und verschob die Neue auf die Waage.

Mit 124 Tonnen war die neue Maschine zu schwer ge-raten. Die grosse Ernüchterung für gewisse Leute, die Lokomotive war tatsächlich zwei Tonnen zu schwer! Ob nun wirklich alle überrascht waren, ist nicht überliefert worden.

Die neue Lokomotive war also kein Leichtgewicht. Das wusste man, denn es musste eine grosse Leistung installiert werden, jedoch hatte man gehofft, dass es vielleicht doch noch reichen könnte.

In der Folge begannen mit der Lokomotive jedoch die Probefahrten. Man hatte lange genug auf die Maschine gewartet und nun wollte man wissen, wie gut die Technik war.

Auf die sechs Achsen verteilt, war die Überschreitung lediglich rund 330 Kilogramm. Somit nicht so viel, dass man damit nicht hätte durch die Schweiz fahren kön-nen. Doch es wollte mit den guten Nachrichten zu dieser Lokomotive einfach nicht klappen.

Die Laufeigenschaften der neuen Lokomotive waren nicht sehr gut. In den Kurven klemmten die langen Drehgestelle spürbar. Wegen dem grossen Achsstand im Drehgestell stiegen die Führungskräfte so stark an, dass an einen normalen Betrieb der Maschine kaum zu denken war. An eine Zulassung zur Zugreihe R war mit dieser Lokomotive schlicht nicht zu denken. Im Gegenteil, man konnte sich fragen, ob eine Zulassung zur Zugreihe A erfolgen könnte.

Die älteren Leute erinnerten sich an die rabiate Maschine der Baureihe Ae 3/5, die im Jura Kurven gerade gebogen hatte. Bei der neuen Lokomotive wagte man sich nicht in den Jura, weil man befürchten musste, dass die Schienen den Kräften nicht widerstehen könnten. Schnell war für die neue Lokomotive der passende, wenn auch nicht schmeichelhafte Übernamen gefunden. Der „Schienenmörder“ war geboren.

Am 31. Januar 1953 kam dann noch eine weitere Lokomotive dieser Baureihe hinzu. Der zweite Prototyp entsprach der ersten Maschine und war daher gleich schwer geraten und besser fuhr auch er nicht durch das Land.

Die beiden Lokomotiven wurden immer wieder den Leuten präsentiert und machten mit ihrem Chromschmuck schon ein schönes Bild. Vor allem waren die Lokomotiven schnell zu erkennen, denn der glänzende Streifen fiel auf.

Die beiden Prototypen „glänzten“ aber auch mit einem unruhigen Lauf, der vor allem bei schlechtem oder ungenügendem Gleiszustand auffiel. Die grossen Führungskräfte verhinderten die Zulassung zur Zugreihe R definitiv.

Man durfte mit der Lokomotive knapp 100 km/h fahren und bei gewissen Weichen musste auf 40 km/h reduziert werden. So war an eine ver-nünftige Fahrt mit der neuen Lokomotive schlicht nicht zu denken.

Andererseits zeigten die ersten Probefahrten aber auch auf, dass die Lokomotive die weiteren Forderungen des Pflichtenheftes problemlos er-füllte.

Der erste Eindruck war wohl nicht allzu schlecht ausgefallen. Im elektrischen Bereich und bei der Zugkraft, war die Maschine hervorragend. Daher konnte man sich auch daran wagen, die beiden Maschinen in einen Probeeinsatz zu lassen. Die Einschränkungen konnte jedoch nicht aufgehoben werden.

Wenn man objektiv war, gab es bei den beiden Prototypen eigentlich nur ein Problem. Das waren die Drehgestelle, denn mit einem festen Radstand von 4 300 mm war man schon verflucht hoch. Als Vergleich soll hier die Baureihe Be 6/8 II herangezogen werden. Der Oldtimer hatte 4 700 mm erhalten und die mittlere Achse konnte sich seitlich verschieben. Das war bei der neuen Maschine nicht möglich.

Im Herbst 1953 kam dann die Idee auf, diese Lokomotiven mit den Wappen der Kantone zu versehen. Man wählte dabei die Maschine mit der Nummer 11 401 für den Versuch aus. Mit dem Schmuck aus Chrom schienen die Maschinen der Baureihe Ae 6/6 dafür geeignet zu sein.

Diese Wappen hätten die an den Fronten montierten Wappen der Schweiz ergänzt. Nur schon diese hatten für eine Be-kanntheit der Lokomotiven geführt, der nicht übertroffen wer-den konnte.

Die Nummer der Lokomotive wurde neu unterhalb der Zier-leiste angebracht und an der Stelle der Fahrzeugnummer montierte man an der Lokomotive das Wappen des Kantons Tessin.

Die Idee gefiel den Leuten und so wurde noch der Name "TICINO" angeschrieben. Für die zweite Lokomotive mit der Nummer 11 402 wählte man das Wappen des Kantons Uri. Fertig waren die ersten beiden Kantonslokomotiven, und die Begeisterung des Volkes kannte keine Grenzen.

Bei den verantwortlichen Stellen hatte man eine Lokomotive geschaffen, die sich in die Herzen der Leute gefahren hatte. Jedoch hielt sich die Begeisterung über die neue Lokomotive in Grenzen. Die beiden Maschinen waren meilenweit von der auf 125 km/h festgelegten Höchstgeschwindigkeit entfernt. Jedoch musste die Inbetriebsetzung fortgesetzt werden. Sie Funktionierte und sollte daher vor die ersten Züge gesetzt werden.

Das war ein üblicher Vorgang. Nach Abschluss der Probefahrten zur Bestimmung der Daten und zur Klärung der Fahreigenschaften, ging man mit den Lokomotiven vor die fahrplanmässigen Züge. Für eine Lokomotive, die am Gotthard eingesetzt werden sollte hiess das oft, dass sie dazu vermehrt auf dieser Strecke eingesetzt werden würde. Die neue Maschine konnte zeigen, was in ihr steckte und wie gut sie wirklich war.

Die beiden Prototypen wurden nach den eingehenden Versuchen in einem inten-siven Umlauf ab dem Depot Erstfeld ein-gesetzt.

Die Bedienung war ausschliesslich dem Lokomotivpersonal vom Depot Erstfeld vorbehalten. Man wollte sich so auf-wändige Schulungen für die beiden Loko-motiven ersparen.

Die Serie dieser Baureihe war zu diesem Zeitpunkt alles andere als gesichert. Niemand ahnte jedoch, welchen Mythos um diese Lokomotiven entstehen sollte.

Die Freude beim Personal wähnte nur kurz. Es stellte sich heraus, dass die zwei Maschinen zum Teil recht schwerwieg-ende Mängel aufwiesen.

Die betriebliche Höchstgeschwindigkeit wurde vorerst auf 100 km/h festgelegt. Mit der intensiven Erprobung in der Praxis stellten sich aber an den beiden neuen Lokomotiven weitere schwere Mängel ein.

Die beiden grössten Probleme betrafen das Laufwerk und den Antrieb.

Auf der Fahrt rüttelte und schüttelten beiden Lokomotiven. Aus dem Bereich der Triebachsen waren schleifende und knirschende Geräusche zu hören. Wenn immer es ging, strich man mit einem Pinsel ein spezielles Öl auf die Spurkränze. Trotzdem so richtig schön sahen die nicht aus. Im Gegenteil wer sich die Spurkränze ansah, bekam Sorgenfalten. Die massive Abnützung der Spurkränze führte immer wieder dazu, dass diese beschädigt wurden.

Mit den abgenützten Spurkränzen bestand allerhöchste Gefahr. Die Lokomotive konnte jederzeit entgleisen und so verunglücken. Das gefährdete jedoch den sicheren Einsatz der Lokomotive. Die beiden Maschinen waren daher beim Personal nicht nur beliebt. Nur, es sollte nicht dabei bleiben, denn die Probleme mit den beiden Prototypen wollten einfach nicht abreissen. Die die Führungskräfte im Gleis hatten auch andere Auswirkungen.

Die neuen Fahrmotoren waren so standhaft, dass sie immer wieder Defekte hatten. Da Ersatzmotoren jedoch fehlten, verkehrten die beiden Lokomotiven oft als Ae 5/6 oder gar als Ae 4/6 durch das Land.

Statt dem ausgebauten Motor wurde dabei Ballast mitge-führt. Ob die so geschwächten Lokomotiven in normalen Diensten verkehrten, ist nicht klar überliefert worden. Auf jeden Fall stand die elektrische Bremse dabei nicht zur Verfügung.

Obwohl man die beiden Prototypen schön gesprochen als Reinfall bezeichnen konnte, kam es nicht zum be-fürchteten Desaster. Die Lokomotiven hielten sich wun-derbarerweise in den Schienen.

Wenn man von den defekten Fahrmotoren und den kata-strophalen Laufeigenschaften absah, war der Schien-enmörder doch nicht so schlecht. Die Industrie musste die Pläne überarbeiten, wenn daraus eine erfolgreiche Serie werden sollte.

Auf Grund der Erfahrungen mit den beiden Prototypen wurde die Konstruktion überarbeitet. Die ab 1955 erschienen Maschinen mit den Nummern  11 403 bis 11 414 arbeiteten zuverlässig und zur allseitigen Zufried-enheit.

Gerade hier zeigt sich gut, wie wichtig eine intensive Erprobung mit Prototypen sein kann. Die Probleme bei den Prototypen führten dazu, dass die Serie nachgebessert werden konnte. Ja sogar das Gewicht konnte bei der Serie eingehalten werden.

Die Fahreigenschaften der Serie wurde verbessert und das Gewicht reduziert. Trotzdem konnten auch die Lokomotiven der Serie nicht so weit verbessert werden, dass eine Zulassung zur Zugreihe R möglich war. Erst die nächste sechsachsige Lokomotive (Re 6/6) für den Gotthard sollte letztlich auch dank der Achsfolge Bo’Bo’Bo’ die Zulassung zur Zugreihe R schaffen. Für die Baureihe Ae 6/6 wurde die technische Geschwindigkeit von 125 km/h zu einem unerfüllten Wunsch.

Wie das bei Lokomotiven der Serie üblich war, wurden diese sofort dem Betrieb übergeben. Die Veränderungen gegenüber den Prototypen wurden nur kurz erprobt und so die Verbesserungen geprüft. Man benötigte die neuen Lokomotiven dringend. Da konnte man es sich nicht leisten, lange die Verbesserungen zu erproben. Zudem merkte man schnell, ob die Laufeigenschaften besser waren, als bei den alten Maschinen.

Eher als Überraschung muss die Tatsache angesehen werden, dass die missratenen Prototypen mit Ablieferung der ersten Serie nicht gleich verändert oder abgebrochen wurden. Die Schweizerischen Bundebahnen SBB zeigten sich gegenüber den beiden Lokomotiven gnädig. Man ergänzte anfänglich nur die Spurkranzschmierung. Die Prototypen blieben jedoch bis zum Einbau der Seitenfederung die besten Schienenmörder aller Zeiten.

Mit der Serie kam auch die Zuteilung zur Hauptwerkstätte. Im Gegensatz zu den Depots sollten dort die schweren Arbeiten und die Hauptrevision durchgeführt werden. Für die Baureihe Ae 6/6 sahen die Staatsbahnen, wie für alle am Gotthard eingesetzten Lokomotiven, das Werk in Bellinzona vor. Damit können wir uns jedoch dem Betriebseinsatz zuwenden.

 

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