1902: Die Staatsbahnen übernehmen

Im Jahr 1902 änderte sich bei den Eisenbahnen in der Schweiz viel. Mit der Gründung der Schweizerischen Bundesbahnen SBB verschwanden die ersten grossen Privatbahnen der Schweiz. Von dieser damals durchgeführten Verstaatlichung blieb vorerst nur die Gotthardbahn verschont. Diese sollte aber im Jahre 1909 auch zur neuen Staatsbahn geschlagen werden. Damit war nun aber eine mächtige Bahn im Land vorhanden.

Zur Zeit, als die Schweizerischen Bundesbahnen SBB durch immer mehr Bahnen, die verstaatlicht wurden, wuchsen, begannen im Raum Seebach erste Versuche mit einer neuartigen Technik. Die komisch aussehenden Maschinen wurden nicht mehr mit Dampf und Kohle, sondern mit Elektrizität versorgt. Diese waren noch in einem Versuch gebunden, aber sie zeigten, dass das System von 1887 nicht ausreichend bemessen war.

Als sich noch herausstellte, dass bei den von den Privatbahnen übernommenen Maschinen ein grosses Chaos ergab, musste die junge Staatsbahn dafür sorgen, dass schnell eine ausreichende Bereinigung vorgenommen werden konnte. Das erhoffte man sich, wenn ein neues System für die Bezeichnungen eingeführt werden könnte. Aus diesem Grund begannen die Schweizerischen Bundesbahnen SBB sehr früh mit einer Überarbeitung.

Die Hauptlast der Arbeit trugen immer noch die Dampflokomotiven, daher war klar, dass auch ein neues System auf diese abgestimmt werden musste. Jedoch sollten auch die Exoten neu eingebunden werden. Das waren die ersten elektrischen Lokomotiven. Auch wenn niemand an einen Durchbruch dieser Vehikel glauben wollte, man stand ihnen eine Nebenrolle zu und daher sollten sie eingebunden werden.

Weitere Exoten, die damals bereits mit Dampf betrieben verkehrten, waren die Fahrzeuge, die neben dem Kessel auch noch Platz für Reisende bereit stellen konnten. Man fand sie in erster Linie bei einzelnen Strassenbahnen, aber auch bei der neuen Pilatusbahn, die nur so auf der steilen Strecke fahren konnte. Das ergab gerade einmal 24 Fahrzeuge, was aber immer noch mehr war, als die elektrischen Ungetüme.

Eine Lösung für diese Fahrzeuge hatte man noch nicht, denn noch wusste man nicht einmal, wie sie bezeichnet werden sollten. Da oft von angetriebenen Wagen gesprochen wurde, entschied man sich für Triebwagen.

Noch gab es die elektrischen Modelle nicht und bei denen sollte der Begriff nicht mehr angewendet werden. Was sich die Schweizerischen Bundesbahnen SBB dafür ausgedacht haben, werden wir später ansehen.

Neu sollte bei der Bezeichnung auch berücksichtigt werden, dass die meisten Maschinen mit Laufachsen versehen wurden. Das war ein Wunsch, der schon 1887 geäussert wurde.

Doch noch war nicht klar, wie das genau vorgenommen werden sollte, denn es gab im alten System noch die Hinweise zum verbauten Tender. Hier war sich die Staatsbahn schnell sicher, denn die Unterscheidung sollte nicht mehr so dargestellt wer-den.

Die neue Bezeichnung der Lokomotiven sollte Auskunft über deren Aufbau geben und zudem einige Informationen zur Geschwindigkeit liefern. Zudem sollten die Achsfolgen damit auch besser benannt werden. Auch wenn alle Punkte neu waren, einen gänzlichen Wechsel, wie es damals in anderen Ländern vollzogen wurde, gab es hingegen nicht. Noch konnte die Macht der Gotthardbahn alle Wünsche etwas mildern.

Daher wurde eine Bezeichnung aus Buchstaben und Zahlen eingeführt. Auch wenn Sie effektiv von den Schweizerischen Bundesbahnen SBB eingeführt wurde, sollte diese Bezeichnungen in der ganzen Schweiz angewendet werden. Die kleineren Bahngesellschaften hatten damals schlicht nichts mehr zu bestellen und auch die Gotthardbahn stand kurz vor der Verstaatlichung und stellte auf das System der Staatsbahnen um.

 

Lokomotiven mit Schlepptender
A Höchstgeschwindigkeit über 75 km/h A 2/4 oder A 3/5
B Höchstgeschwindigkeit 70 - 75 km/h B 3/4
C Höchstgeschwindigkeit 60 - 65 km/h C 5/6 oder C 4/5
D Höchstgeschwindigkeit 45 - 55 km/h D 1/3 oder D 3/3

 

Wenn Sie sich mit dem Schema von 1887 befasst haben, dann haben Sie sicherlich schon bemerkt, dass bei den Buchstaben nicht geändert wurde. Die angegebenen Geschwindigkeiten blieben gleich. Da damals nur die Schnellzüge mit bis zu 100 km/h verkehrten, reichte diese Aufteilung. Zudem war die Zuordnung der Lokomotiven entfallen. Mit anderen Worten, es konnte nun auch andere Maschinen geben, die der Klasse A zugeordnet wurden.

Neu war eigentlich nur, dass man bei diesen vier Buchstaben nur noch die Lokomotiven mit Tender führen wollte. Auf die Unterscheidung der Bauart für den Tender wurde verzichtet.

Die Maschinen mit einem Stütztender wurden neu den Tender-lokomotiven gleich gestellt. Der Grund war, dass diese Modelle demnächst verschwinden sollten und dass deren Tender auch nicht so leicht ausgetauscht werden konnte.

Die nun doch recht kurz ausgefallene Bezeichnung für Loko-motiven mit einem Schlepptender wurde nicht mehr mit einer weiteren Ergänzung versehen. Aus der A3t wurde schlicht noch ein Modell der Reihe A.

Damit haben wir eigentlich einen Rückschritt, doch dieser wurde mit der neuen Bezeichnung für die Achsfolge wieder ausgeglichen, denn dieser sollte umfangreicher werden und aus einem einfachen Bruch bestehen.

Dabei wurden im Zähler, also bei der Zahl oberhalb vom Strich, die Triebachsen angegeben. Der Nenner benannte die totale Anzahl von Achsen. So ergaben sich Brüche, wie 3/5. Jedoch war eine Bezeichnung 5/3 nicht möglich. Der Zähler musste immer kleiner oder gleich dem Nenner sein. Die Achsen der Schlepptender wurden jedoch nicht aufgeführt. Das war bisher auch nicht der Fall gewesen, so dass sich hier nichts änderte.

Aufgegeben wurde die spezielle Bezeichnung für Lokomotiven der Lokalbahnen. diese waren nun den normalen Strecken gleich gestellt. Dadurch wurde deren Buchstabe E frei. Mit diesem sollten nun aber die Tenderlokomotiven bezeichnet werden. Deren Höchstgeschwindigkeit wurde mit einem zweiten Buchstaben angegeben. In der Folge sah das bei den Tenderlokomotiven so aus, wie in der Tabelle gezeigt.

Tenderlokomotiven
Ea Höchstgeschwindigkeit über 75 km/h Ea 3/6
Eb Höchstgeschwindigkeit 70 - 75 km/h Eb 3/5
Ec Höchstgeschwindigkeit 60 - 65 km/h Ec 3/5
Ed Höchstgeschwindigkeit 45 - 55 km/h Ed 4/5
E Für Nebenlinien und Rangierdienst E 3/3 oder E 4/4

 

Tenderlokomotiven wurden neu generell mit dem Buchstaben E bezeichnet. Trug eine Lokomotive in der Bezeichnung ein grosses E, war es ein Modell, das die Vorräte selber mitführte. Da solche Maschinen auch im Rangierdienst eingesetzt wurden, kamen diese neu in den Pool für die Tenderlokomotiven. Konnten die Maschinen jedoch schneller als 40 km/h fahren, gab es neu den zweiten klein geschriebenen Buchstaben.

Als Muster sehen wir uns die Baureihe Ea 3/6 der Bern – Neuenburg -Bahn BN an. Es handelte sich dabei um eine einfache Tenderlo-komotive, die aber über eine Höchstgeschwindigkeit von mehr als 75 km/h verfügte.

Von den insgesamt sechs Achsen waren deren drei angetrieben wor-den. Wir haben daher mehr Erfahrung, als mit der alten Bezeichnung von 1887, die hier von einer Lokomotive der Reihe A3 ausgegangen wäre.

Damit hatte man klar definiert, dass es sich um eine Tenderlokomotive handelt und die Abgabe der Geschwindigkeit war ebenfalls vorhanden. Doch damit kommen wir zu den Modellen mit Stütztender. Diese wurden neu als Tenderlokomotiven geführt und dabei die Achsen des Tenders in die Angabe der Achsfolge aufgenommen. Aus der B2E entstand so die neue Baureihe Ec 2/5, womit wir erkennen, dass es doch leichte Unterschiede bei der Geschwindigkeit gab.

Es gilt noch zu erwähnen, das das bisher vorgestellte System für die Bezeichnung auch ausserhalb der Schweiz angewendet wurde. Besonders in Bayern wendete man das Muster mit anderen Buchstaben an. Bekannt in diesem Zusammenhand waren sicherlich die Schlepptenderlokomotiven der Reihe S 3/6, die als Schnellzugslokomotive bei der königlich bayrischen Staatsbahn Gesellschaft in dieser Zeit in Betrieb genommen wurde.

Das bisher vorgestellte System galt genau genommen nur für die Lokomotiven, die auf Normalspur verkehrten. Das war schon beim System von 1887 so gewesen und stellte daher keine Änderung dar. Durch die neue Ordnung der Dampfmaschinen wurde jedoch das bisher noch verwendete F frei gestellt. Diese sollten nun die neuen Exoten auf den Geleisen in der Schweiz bekommen. Es waren die elektrischen Modelle.

Elektrolokomotiven
F Elektrische Lokomotiven erhielten ein Gross geschriebenes F so wie bei den Tenderlo-komotiven und kleine Buchstaben für die Geschwindigkeit. Fb 5/7 oder Fc 2x 3/4

 

Die exotischen elektrischen Lokomotiven bezeichnete man damals noch nach dem Muster der Tenderlokomotiven. An der Stelle des dort verwendeten E, trat nun einfach das F. Das war ja frei geworden, weil auf die spezielle Bezeichnung für Rangierlokomotiven verzichtet wurde. Doch mit den Exoten kam es zu einem Punkt, der auch die Exoten bei den Dampflokomotiven betreffen sollte, denn die Achsfolge wurde nicht immer gleich angezeigt.

Bei der Angabe für die Achs-folge wurden die Modelle mit getrennten Triebwerken neu geordnet. Nach dem neuen Schema sollten diese auch ge-trennt angezeigt werden.

Aus der schon erwähnten D6 der Gotthardbahn sollte so die neue Ed 2x 3/3 werden.

Die im Versuchsbetrieb auf der Strecke zwischen Seebach und Wettingen eingesetzten Modelle MFO 1 und MFO 2 konnten nun aber auch als Reihe Fc 2 x 2/2 geführt werden.

Hatte die Lokomotive jedoch einen asymmetrische Aufbau erhalten, wurden die einzelnen Laufwerke von vorne nach hinten geführt. Sofern im vorlaufenden Teil noch eine Laufachse vorhanden war, ergab das die Achsfolge 2/3 + 2/2. Eine nun doch recht lange Bezeichnung, wenn noch die beiden Buchstaben einer der neuen elektrischen Maschinen dazu kamen. Sie sehen, man hatte bei der Angabe der Achsen wirklich viele Möglichkeiten.

Vom System, das 1887 eingeführt wurde, behielt man, dass Lokomotiven mit der gleichen Bezeichnung mit den Nummern unterschieden werden sollten. Das musste die Schweizerischen Bundesbahnen SBB bei der Baureihe A 3/5 vornehmen, da es dort Muster der Jura – Simplon – Bahn JS (700), der Gotthardbahn (900) und eigene Modelle (600) gab. Auch bei anderen Baureihen war das so, womit es erstmals in der Schweiz zu vierstelligen Nummern kam.

Soweit die Normalspur, wir können zu den weiteren Exoten und den Modellen für Schmalspur wechseln. Deren Anzahl der Strecken war damals stetig gestiegen und mit der Verstaatlichung der JS, kam mit der Brünigbahn sogar eine dazu, die ganz besonders exotisch war, denn es handelte sich um eine Strecke mit Adhäsion und Zahnrad. Eine Kombination, die bereits 1887 berücksichtigt wurde und die man nicht veränderte.

Schmalspur- und Tramway und Zahnradlokomotiven
G Bei Schmalspurlokomotiven wurde auf den  Zusatz mit dem klein geschriebenen Buch-staben verzichtet. G 3/4
H Alle Zahnradlokomotiven erhielten nur das H H 2/2
HG Bei schmalspurigen Zahnradlokomotiven mit zusätzlichem Adhäsionsantrieb wurde die Bezeichnung für die Schmalspurlokomotive hinten angestellt. HG 3/3

 

So durchdacht das neue System der Schweizerischen Bundesbahnen SBB war, es hatte eine Kategorie von Fahrzeugen noch nicht berücksichtigt. Es waren die damals noch nicht so oft eingesetzten Triebwagen. Diese sollten neu in einer eigenen Gruppe geführt und dabei näher zu den Wagen verschoben werden. Die Staatsbahnen sahen die angetriebenen Wagen damals eher als spezielle Personenwagen an.

Bei den angetriebenen Wagen wurde die Ausrüstung der ver-bauten Abteile für die Bezeichnung angenommen. Wie bei den Personenwagen verwendete man dazu die gross geschriebenen Buchstaben.

Das war zum Beispiel bei den damals vorhandenen Modellen die Reihen CZ. Dabei stand das C für die dritte Wagenklasse und das Z für das in diesem Fahrzeug vorhandene Postabteil. Eine Rei-henfolge, die auch bei Wagen üblich war.

Diese Angaben wurden zusätzlich mit einem weiteren klein geschriebenen Buchstaben ergänzt. Im System von 1902 war dazu der Buchstaben m vorgesehen worden. Dabei stand dieser Hinweis für das motorisierte Fahrzeug.

Der nachfolgend eingefügte Bruch, wie bei den Lokomotiven gab dann noch die Auskunft über die Achsfolge. Hinweise zur Höchstgeschwindigkeit fehlten bei diesen Fahrzeugen jedoch grundsätzlich.

Eingeführt wurde dieses Bezeichnungssystem im Jahre 1902 und es war für die Schweizerischen Bundesbahnen SBB verbindlich. Es sollte auf Geheiss der Behörden auch von den damals noch verbliebenen Privatbahnen angewendet werden. Wie schon erwähnt, waren davon auch Gesellschaften im Ausland angetan und führten ähnliche Systeme ein. Somit können wir annehmen, dass es sich um eine gute Lösung handelte.

Wie gut das auf Dampflokomotiven ausgelegte System für die Bezeichnung von den Baureihen war, zeigte sich nach rund elf Jahren. Die elektrischen Lokomotiven hatten sich gemausert und sie sollten nun mit der Lötschbergbahn den grossen Durchbruch schaffen. Als sich die Schweizerischen Bundesbahnen SBB im Jahre 1918 auch für dieses Stromsystem und neue elektrische Fahrzeuge entschieden, war das System bereits wieder überholt.

 

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