Erstfeld - Chiasso - Erstfeld

Es ist Mitternacht und der Wecker klingelt. Noch etwas verschlafen reibe ich mir die Augen, stehe auf, gehe in die Küche und schalte die Kaffeemaschine ein. Um diese Zeit brauche ich einen Kaffee um wach zu werden. Im Bad wasche ich mir noch den letzten Schlaf aus den Augen und gehe zum Fenster. Was für Wetter haben wir heute? Der Mond scheint und die Landschaft ist verschneit. Ach ja, gestern Abend hat es ja noch geschneit. Der Kaffee ist fertig. Während dem Kaffee werden die Nachrichten vom Vorabend noch im Schnelldurchlauf angeschaut. Wenn man schlafen will, muss man solche Sendungen aufs Video aufnehmen. Doch die Uhr bleibt nicht stehen, Arbeitsschuhe und Jacke anziehen und auf die Arbeit gehen, heisst jetzt das Motto.

Als ich zur Tür hinaus trete, merke ich wie kalt die Nacht ist. Auf den Strassen ist der Schnee noch nicht geräumt, aber das betrifft mich zum Glück nicht, ich kann ja zu Fuss zur Arbeit gehen. Die letzten Gedanken vom Vorabend begleiten mich auf dem Weg zur Arbeit. Ab und zu begegnen mir Leute, die vom Ausgang nach Hause kommen. Gestern haben mein Freund und ich wieder gut für die periodische Prüfung gelernt. Doch der Weg ist kurz und schon treffe ich einen Kollegen, der Feierabend hat und nach Hause geht. Ich wünsche ihm gute Nacht und er mir einen schönen Dienst. So ist es halt auf meinem Beruf, die einen gehen, die anderen kommen. Nächste Woche bin ich an seiner Stelle.

Im Depot angekommen schaue ich zuerst bei meinem Kleiderschrank vorbei, ob noch wichtige Unterlagen gekommen sind. Ausser ein paar Fahrplanänderungen gibt es heute nichts Wichtiges. Ich nehme meine Mappe, und stelle mir die Fahrpläne für die anschliessende Fahrt zusammen. Einen Blick auf den Monitor des Zuglagen-Computers verrät mir, dass mein Zug pünktlich verkehrt. Noch schnell mal nach den Langsamfahrstellen schauen, ein ausgedrucktes Verzeichnis davon mitnehmen und dann geht's los. Ich gehe in die Remise, wo die Lokomotiven abgestellt sind, denn heute muss ich die Lok für meinen Zug aus dem Depot nehmen. Der Schaltwärter gibt mir nach einer kurzen Begrüssung die Nummern der Lokomotiven, die ich übernehmen muss. Ich gehe zu der Maschine. Um diese Zeit spricht man nicht immer viel.

 

Erstfeld - Bellinzona

Ich habe meine Maschinen gefunden, es ist eine Re 10, wie wir im Fachjargon eine Re 4/4 II oder III in Vielfachsteuerung mit einer Re 6/6 nennen. Die Lokomotiven haben heute noch nichts gearbeitet, also muss ich bei beiden Maschinen die Sicherheitseinrichtungen prüfen, und schauen ob alles richtig funktioniert. Die Kontrolle der Lok hat keine Schäden gezeigt, also kann ich die Handbremsen lösen und die Lok einschalten.

Nach dem ich die Bremsen der Lok kontrolliert habe, fahre ich aus der Remise hinaus, um auf die Fahrerlaubnis des Stellwerks zu warten, kaum daran gedacht, gehen die Rangiersignale bereits auf Fahrt. Ich bewege meine Maschinen durch den verschneiten Bahnhof an meinen Zug. Ein Rangierarbeiter kuppelt mir die Loks mit dem Zug. Kurz kontrolliere ich, ob er auch wirklich richtig gekuppelt hat. Ich weiss zwar, dass er nicht gerade begeistert ist, wenn ich seine Arbeit kontrolliere, ich bin dazu verpflichtet und es ist ja für meine Sicherheit. Nicht auszudenken, wenn ich den Gotthard hinunter nicht bremsen kann, nur weil die Luftbremse nicht gekuppelt ist. Letztlich übergibt er mir noch die Frachtpapiere. Auf der dazu gelegten Belastungsanzeige steht Zugreihe A 85 % mit einer Höchstgeschwindigkeit von 100 km/h geschrieben. Das Gewicht beträgt 1587 Tonnen. Eine Schiebelokomotive ist notwendig!

Der Kollege von der Schiebelokomotive meldet sich über Funk bei mir, und fordert mich auf, den Zug zu bremsen. Kaum habe ich die Bremsen angezogen, höre ich am Funk von ihm "Bremse lösen". Noch das Gewicht und die Länge des Zuges dem Kollegen auf der Schiebelok mitgeteilt, die "Buchhaltung" gemacht, und schon meldet sich der Kollege wieder mit "Bremse gut". Irgendwie kommt mir die Stimme bekannt vor, aber ich kann den Namen heute noch nicht zuordnen. Ich bestätige das, und sage ihm, dass von mir aus die Fahrt beginnen kann. Er quittiert mir dies, und meint, wenn das Signal offen sei, könne ich aus seiner Sicht abfahren, denn er sei am Zugschluss bereit.

Das Signal wird grün, die Abfahrerlaubnis leuchtet, und ich setze meinen Zug in Bewegung. Langsam erhöhe ich die Zugkraft der Lokomotiven, denn zu schnell darf ich nicht aufschalten, sonst reisst die Kupplung. Mit über 16'000 PS ist eine Zugtrennung schnell bewerkstelligt. Langsam wird der Zug schneller. Ich befinde mich mit meiner Lok bereits in der vollen Steigung, und sehe im Rückspiegel wie mir der Rest des Zuges folgt.

In der Steigung gewinnt der Zug nur sehr langsam an Geschwindigkeit. Das ist nicht sonderlich überraschend, denn mit 510 Metern ist der Zug lang und dazu noch schwer. Meine Maschinen ziehen mit der vollen Leistung, hinten drückt die Schiebelokomotive ihre 300t, den Rest muss ich mit meinen Loks ziehen, und das sind doch noch fast 1300 Tonnen.

Viel Reserve bleibt da kaum, denn die Kupplungen vertragen nicht viel mehr. Vor Amsteg wird es wieder flach, dieses Teilstück nutze ich um den Zug auf die erlaubten 75 km/h zu beschleunigen.

Mittlerweile haben wir die Geschwindigkeit erreicht, die Zugkräfte sind einreguliert, und die Fahrt führt über die Intschireussbrücke. Unten auf der Autobahn sind die Schneeräumfahrzeuge unterwegs.

Ich beobachte mit Hilfe der Rückspiegel der zugführenden Re 6/6 ob am Zug auch alles in Ordnung ist. Weil der Zug zu lang ist, kann ich den hinteren Teil des Zuges und die Schiebelokomotive nicht mehr sehen, als ich in den Gegenbogen fahre. Jetzt da der Zug schön ruhig mit gleich bleibender Geschwindigkeit verkehrt, merkt man das erste Mal, dass es ja noch früh am Morgen ist, und die Müdigkeit versucht überhand zu nehmen. Die tiefverschneite Strecke im Mondschein sieht zwar romantisch aus, muss aber immer beobachtet werden. In dieser Zeit kann immer irgendwo etwas Schnee vom Hang ins Geleise rutschen.

Bei der Durchfahrt von Gurtnellen grüsse ich den dortigen Fahrdienstleiter, in dem ich kurz das Führerstandslicht einschaltete. Ich denke in diesem Moment daran, dass er es alleine in der Provinz auch nicht leicht hat. Doch die Fahrt geht weiter in Richtung Süden und ich muss mich wieder um andere Sachen kümmern. Nach jeder Station muss die Zugkraft wieder neu eingestellt werden, da diese durch die ebenen Stationen reduziert werden muss. Ein Gegenzug taucht im Kehrtunnel auf, ich beobachte den Zug meines nordwärts fahrenden Kollegen, ob alles in Ordnung ist. Natürlich ist das nicht der erste Zug, der mir heute begegnet, aber bisher hatte ich immer etwas an meinem Zug zu beachten, doch jetzt ist alles wieder einreguliert, und ich habe dafür die Zeit.

Bei der Durchfahrt durch den Bahnhof Wassen habe ich im Blickfeld die bekannte Kirche. Jedes Mal fällt mir dann wieder ein, wie ich bei einem Quiz nicht erkannt habe, dass der Kirche ein falsches Dach aufgesetzt wurde. Ich habe halt während der Fahrt nicht die Zeit mich intensiv um die Kirche zu kümmern. Nur noch ein paar Minuten bis nach Göschenen, dort muss ich anhalten, da die Schiebelokomotive abgehängt wird.

Beim Einfahrvorsignal der Station Göschenen muss ich die Zugsicherung betätigen, denn die Einfahrt ist nur mit reduzierter Geschwindigkeit möglich. Danach teile ich die Reduktion der Geschwindigkeit der Schiebelokomotive mit dem Funk mit. Der Kollege bestätigt und verabschiedet sich von mir mit den Worten "Tschau, Reis guet". Ich bedanke mich und wünsche ihm gute Rückkehr nach Erstfeld. Von nun an höre ich nichts mehr von ihm. Die Einfahrt in Göschenen ist nicht sehr schnell, da ich das grosse Gewicht nicht auf der Geschwindigkeit halten kann, zusätzlich nütze ich natürlich die Steigung noch aus, um den Zug zu verlangsamen. Das einzige Problem ist die Bremsung auf das rote Signal, da ich noch nicht weiss, wie sich der Zug dabei verhält. Doch es stimmt alles, und der Zug steht an der richtigen Stelle still.

Nachdem das Signal wieder grün zeigt, setze ich meinen Zug in Bewegung. Langsam bewegt er sich, und ich kann weiter beschleunigen. Diesmal scheint es noch mühsamer zu gehen, denn nun hilft keine Schiebelokomotive mehr. Die Loks befinden sich bereits im Gotthardtunnel. Ich habe schon ein grosses Stück des Tunnels zurückgelegt, als ich endlich die Endgeschwindigkeit erreiche. Der Tunnel ist gerade, so kann ich die Signale schon von weit her erkennen und so schon früh darauf reagieren. Kurz vor Airolo muss ich die Bremsen testen um sicher zu sein, dass sie auch funktionieren, wenn ich ins Gefälle fahre. Alle Bremsen funktionieren bestens. Bei der Ausfahrt aus dem Tunnel hat sich das Wetter geändert, denn für einmal schneit es hier im Tessin. Die Wetterunterschiede sind zum Teil sehr gross. Es kann passieren, dass ich mit der warmen Winterjacke zur Arbeit erscheine, und in der Pause würde dann ein T-Shirt beinahe ausreichen.

Die Einfahrt in das Gefälle, geschieht bereits mit maximaler elektrischer Bremskraft. Für die nächsten 40 Minuten arbeiten nun meine Loks als Kraftwerk. Da der Zug sehr schwer ist, gewinnt er dennoch rasch an Geschwindigkeit. Das habe ich auch erwartet, also muss ich noch mit den Luftbremsen nachhelfen. Die Vorschriften sind so ausgelegt, dass ich nach rund 60 Sekunden die Luftbremse wieder lösen muss. Dann muss ich die Geschwindigkeit soweit reduziert haben, dass ich während 90 Sekunden nicht mehr bremsen muss. Wir bezeichnen diese Fahrweise als Sägezahnmethode.

Mehr oder weniger schnell geht es mit meinem Zug bergab. Die Stationen Airolo, Rodi-Fiesso und Faido sind bereits passiert, als ich mich der Einfahrt von Lavorgo nähere. Dort wird mir wieder eine kleinere Geschwindigkeit signalisiert. Ab jetzt ist wieder volle Konzentration gefragt, denn den Gotthard hinunter haben wir nie viel Reserven im Bremsweg. Da es schneit muss ich zusätzlich noch aufpassen, dass die Räder nicht blockieren. Die Ausfahrt von Lavorgo ist geschlossen. Ich halte mit dem Zug vor dem roten Signal.

Kurz nach dem Halt wird am Funk meine Zugnummer auf Italienisch aufgerufen. Ich bestätige auf Deutsch. Dies in erster Linie, damit das Stationspersonal weiss, dass es mit einem Deutschschweizer spricht und es etwas langsamer italienisch spricht. An der Antwort des Gesprächspartners, stelle ich jedoch fest, dass er durch diesen Umstand nicht unglücklich ist, denn in wunderbarem Berndeutsch teilt er mir mit, dass ich durch einen schnelleren Zug überholt werde.

Nach der Durchfahrt des Zuges, es war ein Postzug mit den aktuellen Zeitungen, sehe ich, wie sich vor mir die Weichen bewegen. Kurz darauf geht auch mein Signal auf Fahrt und ich kann meinen Zug wieder langsam beschleunigen. Zum beeilen gibt es keinen Grund, denn der Zug vor mir hat die übernächste Blockstelle noch nicht passiert. Ich bremse meinen Zug bereits wieder mit der elektrischen Bremse um möglichst wirtschaftlich zu fahren. Bei der ersten Unterquerung der Autobahnbrücke in der Biaschina, blicke ich nach unten, und sehe wie sich der Postzug auf der untersten Ebene befindet. Für mich bedeutet dies, dass ich meine Fahrt mit der normalen Geschwindigkeit fortsetzen kann.

Kurz vor dem Bahnhof Bodio löse ich die Bremsen des Zuges ein letztes Mal. Ab nun vermag ich den Zug mit der elektrischen Bremse auf der erlaubten Geschwindigkeit zu halten. Bei der Annäherung auf die Station Biasca muss ich meinen Zug wieder etwas verlangsamen, da die Einfahrt in den Bahnhof nur mit einer kleineren Geschwindigkeit befahren werden darf.

Dazu nütze ich das Gelände aus. Nach der Ausfahrt beschleunige ich meinen Zug wieder auf die erlaubten 100 km/h. Die Räder der Lok beginnen bei so hohen Zugkräften und nassen Schienen durchzudrehen. Mit etwas Sand versuche ich die Situation zu verbessern.

Vor der nächsten Station befindet sich noch eine Fahrleitungsschutzstrecke, die ich mit ausgeschalteter Lok befahren muss. Die Fahrt führt nun an den Bahnhöfen von Osogna-Cresciano und Claro vorbei, bei der Ausfahrt aus der Station Castione-Arbedo muss ich meine Geschwindigkeit wieder verlangsamen, aber das macht nichts, da ich in Bellinzona anhalten muss.

Die Einfahrt von Bellinzona hat sehr viele Signale, die alle beachtet werden müssen. Langsam bremse ich meinen Zug ab, um dann am Perron wie mit einem Reisezug anzuhalten, nur dass jetzt keine Leute einsteigen, sondern nur die Lokführer wechseln. Ich reinige die Griffstangen für den Einstieg, damit mein Kollege vom Depot Bellinzona keine schmutzigen Hände bekommt. Es ist immer wieder überraschend, wie gut man an den Griffstangen die Luftverschmutzung bemerkt. Daraufhin räume ich meine Fahrplanunterlagen zusammen, nehme meine Mappe und verabschiede mich vom Tessiner Kollegen mit einem "Ciao, tutto in ordine" und gehe zum Morgenessen.

ug hat soeben Bellinzona erreicht und die SBB Re 6/6, die dem TXL-Zug über den Gotthard geholfen hat, wird abgehängt.

Bellinzona - Chiasso

Es ist mittlerweile 3.40 Uhr. Ich hatte ein paar Minuten Verspätung, da ich den Zug mit diesem grossen Gewicht nur langsam beschleunigen konnte. Die Schiebelokomotive und die Überholung in Lavorgo waren auch nicht gerade von Vorteil. Jetzt habe ich statt einer Pause von 70 Minuten nur noch eine solche von 50 Minuten. Nach der Pause muss ich mich noch bei der Leitstelle Bellinzona melden, dies haben wir vor der Pause abgesprochen. Der Mitarbeiter teilt mir mit, dass es bei meiner Dienstfahrt bleibe. Die Dienstfahrt wurde notwendig, da mein Zug, den ich von Bellinzona nach Chiasso führen sollte, heute ausnahmsweise nach Luino fährt. Jetzt fahre ich als Passagier mit einem anderen Güterzug nach Chiasso.

Von der Dienstfahrt kriege ich nicht viel mit, da die Müdigkeit bei einem dunklen Führerstand erbarmungslos zuschlägt, wenn man nichts zu arbeiten hat. Nach der Ankunft in Chiasso, begleite ich den Kollegen mit seiner Lok ins Depot, denn dort muss ich meine Maschinen abholen. Die Uhr zeigt mittlerweile genau 6 Uhr. Der Schaltwärter in Chiasso teilt mir mit, dass ich gleich die Maschinen meines Kollegen übernehmen kann. Für die Heimfahrt habe ich zwei Re 460.

 

Chiasso - Erstfeld

Der Kollege übergibt mir mit den Worten "Alles in Ordnung" die beiden Lokomotiven. Kurz nach dem ich mich fahrbereit gemeldet habe, gehen die Rangiersignale wieder auf Fahrt. Ich stelle an der Lok die Geschwindigkeit auf 30 km/h ein, denn die Re 460 verfügt über eine Geschwindigkeitssteuerung. Das heisst, ich kann die maximale Geschwindigkeit an einem Regler einstellen und eine beliebige Zugkraft vorgeben. Die Lok fährt dann mit der eingestellten Geschwindigkeit, sofern die Zugkraft dafür reicht. Da mein Zug ab der Gleisgruppe C verkehrt, kann ich mit meinen Loks direkt vor den Zug fahren. Da ich den Kuppler noch nicht sehen kann, wechsle ich den Führerstand. Gerade in dem Moment, als ich meine Fahrpläne in den Fahrplanhalter spannen will, erscheint der Kuppler und möchte meine Loks anhängen. Vorsichtig bewege ich die Lokomotiven gegen den Zug, so dass der Mitarbeiter die Kupplung einhängen kann.

Nachdem die Lok mit dem Zug verbunden worden ist, verbringe ich das Bremsventil in die Füllstellung um die Bremsen zu füllen. Nach ein paar Minuten meldet sich am Funk der Visiteur vom Zugschluss. Da hier in Chiasso italienisch gesprochen wird, führe ich das Funkgespräch auf Italienisch. Auf die entsprechende Aufforderung ziehe ich die Bremsen an und löse sie wieder. Am Schluss der Bremsprobe ertönen im Lautsprecher die Worte "freno in ordine". Ich bestätige und ziehe den Zug mit den Loks gemäss den Anweisung zum Ausfahrsignal vor. Vor dem Signal warte ich auf die Zugspapiere. Die Wartezeit verkürze ich mit den Aufgaben, für die ich bisher noch keine Zeit gefunden habe. So kontrolliere ich wieder, ob der Zug richtig mit der Lok gekuppelt ist. Die Eintragung im Leistungscouvert erledige ich auch noch.

Als ich die Papiere erhalte, überfliege ich kurz, ob sie stimmen und melde dann dem Überbringer die Fahrbereitschaft. Er verabschiedet sich von mir, wünscht mir gute Fahrt und geht zu einem Telefon im Gleisfeld. Dort ruft er das Stellwerk an und meldet meine Fahrbereitschaft. In derselben Zeit übertrage ich die Zugdaten in den Rechner der Zugsicherung. Die Eingaben lauten Zug- und Bremsreihe A105%, Höchstgeschwindigkeit 120 km/h. Die Länge des Zuges beträgt 460 Meter. Abschliessend bestätige ich noch die Richtigkeit meiner Eingaben. Die Re 460 verfügen über eine Längenmessung, mit der ich die Länge des Zuges messen kann. Dieses Hilfsmittel ist besonders beim Befahren von ablenkenden Weichen oder Langsamfahrstellen hilfreich. Um dies zu nutzen, muss ich aber zuerst dem Lokrechner noch mitteilen wie lange der Zug ist. Aber nach einem kurzen Blick nach vorne sehe ich, dass mein Signal grün zeigt und ich abfahren darf.

Ich lösche das Licht im Führerstand. Langsam setze ich den Zug in Bewegung. Auf der Uhr sehe ich, dass es gerade 7.00 Uhr ist. Da ich den Fahrplan aufgespannt habe, sehe ich auch, dass ich mit meinem Zug 10 Minuten verspätet bin und hinter dem Schnellzug verkehre.

Resigniert stelle ich fest, dass ich bis Lugano nicht mit der maximalen Geschwindigkeit fahren muss, da ich sonst immer wieder auf den Schnellzug Distanz habe, da der ja bis Lamone an allen Stationen anhält.  Während der Fahrt muss ich noch die Daten für die Längenmessung eintippen. Draussen sehe ich, wie die Dämmerung langsam einsetzt.

Die Geschwindigkeitssteuerung übernimmt die Regulierung der Geschwindigkeit. Aus diesem Grund kann ich mich mehr um das Geschehen vor der Lok konzentrieren. Ab und zu erhalte ich, trotz der gemütlichen Fahrweise, Distanz auf den Schnellzug. Ich bremse den Zug ab, so dass ich vor dem Halt zeigenden Hauptsignal anhalten kann.

Aber meistens zeigt es Fahrt, wenn ich mich ihm nähere. Bei der Einfahrt in Melide sehe ich den Schnellzug, der vor mir dem See entlang in Richtung Lugano fährt. In Lugano hat der Schnellzug einen etwas längeren Aufenthalt. Diese Erkenntnis, veranlasst mich, die Geschwindigkeit noch mehr zu reduzieren. Aber allen Bemühungen zum Trotz komme ich vor dem Einfahrsignal Lugano zum stehen.

Als das Signal auf grün wechselt, beschleunige ich meinen Zug langsam. Zum beeilen gibt es keinen Grund, denn das am selben Ort stehende Vorsignal zur Ausfahrt zeigt noch Warnung. Im Bahnhof Lugano befindet sich noch ein Bahnübergang. Dieser Übergang ist logischerweise geschlossen, wenn sich ein Zug nähert. Da aber ungeduldige Menschen lieber ihr Leben aufs Spiel setzen als zu warten bis die Barriere offen ist, befahre ich diesen Abschnitt mit äusserster Konzentration. Erschwerend ist noch, dass wir uns um eine Kurve dem Übergang nähern und so die Leute erst im letzten Augenblick sehen. Bei einem Bremsweg von mehreren Hundert Metern aus der vollen Geschwindigkeit haben wir so wie so keine Chance rechtzeitig zu bremsen. Doch heute sind die Personen am Bahnübergang geduldig und warten wie es sich gehört vor den Schranken.

Nach Lamone kann ich endlich mit der zulässigen Streckengeschwindigkeit fahren. In diesem Abschnitt beträgt diese 75 km/h. Wieder lasse ich die Geschwindigkeitssteuerung arbeiten. Langsam beginne ich jedoch zu merken, dass ich früh morgens aufgestanden bin. Eigentlich war es ja beinahe noch gestern. Auf den Re 460 habe ich immer Mühe, wenn ich so eine Krise habe, denn im Gegensatz zu den anderen Maschinen kann man bei dem Loktyp während der Fahrt nicht aufstehen und sich im Führerstand bewegen. Mit einer Flasche Limonade, die ich in Chiasso noch schnell dem Automat entnommen habe, versuche ich die Krise zu bewältigen. Doch die Fahrt nach Erstfeld ist noch lange.

In Rivera-Bironico werden noch Weichen ersetzt. Aus diesem Grund ist dort eine Langsamfahrstelle eingerichtet. Mit Hilfe der Steigung reduziere ich die Geschwindigkeit auf die in diesem Abschnitt erlaubten 60 km/h. Nach dem ich das Endsignal der Langsamfahrstelle mit der ersten Lok befahren habe, betätige ich das Pedal der Sicherheitssteuerung zweimal und aktiviere so die Längenmessung. Als das Signal ertönt, das mir das Passieren der Langsamfahrstelle bestätigt, bin ich mit meinen Loks bereits am Ende des Bahnhofes. Jetzt beginnt die Talfahrt auf der Nordrampe des Monte Ceneri. Auch jetzt arbeiten die Maschinen wieder als Generatoren. Da der Zug mit einem Gewicht von 290 Tonnen recht leicht ist, reicht die Bremskraft der Loks vollkommen um den Zug mit der erlaubten Geschwindigkeit talwärts zu fördern.

Das Einfahrsignal von Giubiasco ist noch geschlossen, deshalb bremse ich den Zug noch zusätzlich mit der Luftbremse um die Geschwindigkeit zu reduzieren. Kurz bevor ich zum stehen komme wechselt das Hauptsignal auf grün. Da ich nicht eine Zugtrennung riskieren will, halte ich dennoch mit dem Zug an. Als sich die Bremsen des Zuges gelöst haben, wechselt auch das Ausfahrsignal auf grün. Dies wird mir mit dem dazu gehörenden Vorsignal mitgeteilt. Schnell fahren muss ich nicht, da ich sonst vor dem Einfahrsignal von Bellinzona nochmals anhalten muss, da der Schnellzug auch in Bellinzona länger steht. Wenn ich mich ab jetzt, immer im Windschatten des Schnellzuges aufhalte, könnte es doch noch zu einem rechtzeitigen Feierabend reichen.

In Castione beschleunige ich meinen Zug das erste Mal auf die erlaubten 120 km/h. Für einen Güterzug ist das in der Schweiz die höchstmögliche Geschwindigkeit. Da die Loks für eine Geschwindigkeit von 230 km/h ausgelegt sind, merkt man auf der Maschine die Geschwindigkeit nicht so gut. Meine schnelle Fahrweise wird in Biasca wieder bestraft, da ich dort den Schnellzug schon wieder eingeholt habe. Das ist nicht überraschend, da der Schnellzug mit 125 km/h nur unwesentlich schneller fährt als ich.

Nach Biasca beschleunige ich den Zug nicht mehr so stark, da ich sonst in der Steigung der Südrampe vor Faido zum stehen komme. Kurz vor Bodio kann ich die NEAT-Baustelle auf der rechten Seite des Zuges sehen. Da die Signale alle auf grün stehen, kann ich einen kurzen Blick auf die Baustelle riskieren. Die zukünftige Tunnelachse ist schon gut zu erkennen. Aber jetzt steht für mich und vor allem für meine Lokomotiven die Südrampe des Gotthards auf dem Programm. Wieder stelle ich die Regelung der Geschwindigkeit auf 75 km/h ein. Anstrengend für mich ist die Südrampe vor allem, da mit der zunehmenden Höhe der verfügbare Sauerstoff leicht abnimmt. Normalerweise merkt man davon selbstverständlich nichts, aber jetzt wo sich die Müdigkeit wieder bemerkbar macht, ist dies zusätzlich noch ein Handicap.

Jetzt sind stärkere Mittel gefragt, um die Krise zu bewältigen, als eine einfache Limonade. Ich stecke mir die vorbereitete Tabakpfeife an und rauche auf den nächsten Kilometern. Für mich ist das ein gutes Hilfsmittel um die Müdigkeit zu besiegen, denn in der Anfangsphase beschäftigt mich das Rauchen. Später beginnt der Tabak seine Wirkung zu zeigen. Meine Fahrweise war richtig, denn in Faido kann ich durchfahren. Der weitere Verlauf der Südrampe kann ich jetzt mit Ruhe angehen, da der nächste Halt des Schnellzuges Airolo ist.

In Airolo ist die Einfahrt nur mit 40 km/h möglich, da ich in ein anderes Geleise fahren muss als normalerweise. Die Ausfahrt ist aber bereits wieder auf Fahrt, als ich mich dem Einfahrsignal nähere. Der Stellwerksmitarbeiter hat mir die Einfahrt schon sehr früh geöffnet, so dass ich nicht in der Steigung anhalten musste. Im Gotthardtunnel kann ich wieder auf eine Geschwindigkeit von 120 km/h beschleunigen. Ab der Tunnelmitte kann ich weit vor mir einen kleinen hellen Punkt erkennen. Das ist bereits das Nordportal. Bis dahin sind es aber immer noch sieben Kilometer. Vor dem Einfahrsignal Göschenen, überprüfe ich wieder die Funktion der Bremsen. Da das Einfahrsignal eine Geschwindigkeit von 60 km/h signalisiert, ermässige ich die Geschwindigkeit weiter. Beim verlassen des Tunnels blendet mich die Sonne, die sich im Schnee spiegelt.

In Göschenen hätte ich eigentlich den Schnellzug vorbei lassen müssen. Da ich jetzt aber schon seit Chiasso hinter ihm herfahre, wäre ich eigentlich ab Göschenen wieder pünktlich, aber dazu muss das Ausfahrsignal auf grün stehen und das ist jetzt nicht der Fall. Es bleibt geschlossen, bis ich anhalte. Am Funk ertönt die Stimme des Fahrdienstleiters von Göschenen, der meine Zugnummer aufruft. Seine Worte erfreuen mich nicht besonders, da er mir mitteilt, dass ich in Göschenen die Überholung durch den Intercity abwarten muss. Den rechtzeitigen Feierabend kann ich jetzt vergessen, da der Intercity erst in zehn Minuten durch Göschenen fährt. Die Lücke zwischen dem Schnellzug und dem Intercity ist eigentlich gross genug, dass ich noch nach Erstfeld hätte fahren können. Mit Mühe kann ich meinen Ärger im Zaum halten, aber jetzt wo ich gerne Feierabend hätte ist das nicht so einfach.

Jetzt muss ich ausrechnen, ob ich überhaupt noch nach Erstfeld fahren darf, oder ob ich eine Pause einlegen muss. Das Arbeitszeit-Gesetz schreibt mir eine maximale Arbeitszeit ohne Pause von fünf Stunden vor. In Ausnahmefällen kann diese Zeit auf 5 Stunden 30 Minuten verlängert werden. Nachdem ich die Zeit ausgerechnet habe, rechne ich noch aus, wann ich in Erstfeld sein muss. Um 10.00 Uhr muss ich in Erstfeld sein. Eine grosse Zeitspanne gibt es da nicht mehr. Am Funk verständige ich den Bahnhof Göschenen, dass ich spätestens um 10.00 Uhr in Erstfeld sein muss, oder aber ich müsste hier in Göschenen noch eine Stunde Pause einlegen. Kurze Zeit später ruft mich der Bahnhof erneut auf, und meldet mir, dass ich nach dem Intercity nach Erstfeld fahren kann, und so gegen 9.50 Uhr dort eintreffen sollte.

Nach der Durchfahrt des Intercitys öffnet sich auch mein Signal. Ich beschleunige den Zug wieder und fahre in die Nordrampe ein. Aus Sicherheitsgründen darf ich über die ablenkenden Weichen nicht mit der elektrischen Bremse der Lok bremsen. Darum muss ich die Luftbremsen der Wagen nehmen, um die Geschwindigkeit im erlaubten Rahmen zu halten. Als ich die letzte Weiche von Göschenen mit dem Zugschluss befahren habe, löse ich die Luftbremsen und beginne mit der elektrischen Bremse die Geschwindigkeit zu regulieren. Nach Wassen erkenne ich nun den Grund, warum ich in Göschenen warten musste. Denn hier ist ein Streckengleis wegen Bauarbeiten gesperrt. Da sich in diesem Abschnitt die Intercity-Züge kreuzen, hatte ich mit meinem Güterzug keinen Platz mehr gehabt. Die Fahrt nach Erstfeld verläuft ohne weitere Zwischenfälle. Ja sogar das Einfahrsignal von Erstfeld ist schon auf Fahrt, als ich mich dem Vorsignal nähere. Da das Signal keine Reduktion der Geschwindigkeit signalisiert, weiss ich, dass die Einfahrt ins Geleise zwei steht.

Vor dem Ausfahrsignal von Erstfeld halte ich mit meinem Zug an. Ich reinige wieder die Griffstangen der Lok und räume meine Fahrpläne zusammen. In der Zwischenzeit erscheint auch der abgehende Lokführer. So nennen wir den Kollegen, der den Zug weiter führt. Es ist ein Lokführer aus dem Depot Basel, der mit mir zusammen die Ausbildung gemacht hat. Ich begrüsse ihn, teile ihm noch das wichtigste über den Zug mit und verabschiede mich von ihm. Für einen grösseren Wortwechsel fehlt die Zeit, da das Ausfahrsignal schon wieder auf grün steht. Als ich mich vom Zug entferne sehe ich auf die Uhr, die  9.52 Uhr zeigt. Jetzt muss ich im Depot noch die Verspätung melden, und dann habe ich Feierabend. Der Mitarbeiterin auf der Leitstelle, melde ich die Verspätung, die diese auch gleich im Computer vermerkt. Offiziell habe ich um 9:55 Uhr Feierabend gemacht.

 

Feierabend

Ich räume noch meine Diensttasche auf, und verlasse das Depot. Jetzt habe ich Feierabend und drei Tage Wochenende. Zwar beginnt es am Dienstag und endet am Donnerstag, trotzdem ist es für mich ein Wochenende. Auf dem Heimweg macht sich die Müdigkeit erneut bemerkbar, doch jetzt spielt es keine Rolle mehr, denn ich habe ja die Arbeit hinter mir. Gerade als ich zur Tür herein will, öffnet meine Nachbarin die Türe. Schnippisch meint sie, "bei der Bahn sollte man arbeiten, da hat man schon so früh Feierabend." Leicht genervt gebe ich ihr zur Antwort: "Als ich auf die Arbeit gegangen bin, hatten Sie auch noch Licht!" Jetzt bin ich nicht mehr so guter Laune, da ich Müde bin und erst noch zu spät Feierabend hatte. Jetzt noch Zeitung lesen, und dann gehe ich vermutlich noch etwas schlafen.

 

                       
Home Lokomotivführer Touren Arth-Goldau
Typenbezeichnungen SBB Signale Lukmanierbahn
Die Gotthardbahn Die Lötschbergbahn Links
SBB - Lokomotiven BLS - Lokomotiven Kontakt

Copyright 2007 by Bruno Lämmli Erstfeld: Alle Rechte vorbehalten