Erstfeld - Rotkreuz - Basel

Der Mittag ist schon lange durch, als ich erwache. Ein Blick auf den Wecker verrät mir, dass es schon bald 13.30 Uhr ist. Ja, gestern ist es spät geworden, man könnte schon fast sagen früh. Nachdem ich zweimal Göschenen mit einer Schiebelokomotive erreicht hatte, musste ich mit einem Zug noch nach Arth-Goldau. So sinnvoll scheint der neue Standort Arth-Goldau nicht zu sein, wenn ich auf diese Leistung zurück blicke. Nachdem der Zug in Bellinzona von Re 484 auf Re 10 umgespannt wurde, hält er in Erstfeld wo der Lokführer gewechselt wird, damit dieser mit samt der Lok in Arth-Goldau erneut gewechselt werden kann.

Den obligaten täglichen Gang zum Briefkasten unternehme ich, nachdem ich mich ein wenig gewaschen habe und einige leichte Kleider angezogen habe. Rechnungen, ein Brief, ein kleines Paket und die Zeitung sind die Ausbeute vom Ausflug vor die Türe. Heiss ist es draussen wie in meiner Wohnung. Die Sonne brennt erbarmungslos vom Himmel. Ein Vorteil des Nachtdienstes, denn man kommt ins Bett wenn es endlich abgekühlt hat. Es sei denn, der Föhn spiele mit, dann wird es nie kühler.

Trotz der Hitze muss ich etwas Warmes essen, heute Nachmittag muss ich nach Basel. Da ich das aber nicht in einem Stück mache, wird es lange dauern, bis die Pause ansteht. Vor allem Flüssigkeit wird reichlich getankt, die ist extrem wichtig. Nach dem Essen bleibt noch ein wenig Zeit um mich dem Hobby zu widmen. Na ja, Hobby ist übertrieben, denn es stehen Arbeiten für den Verein an, schliesslich soll am Tag der offenen Tür ende August alles gut organisiert sein.

Da die Zeit nicht stehen bleibt, ruft die Dusche zur Erfrischung. Zum Glück ist hier in Erstfeld auch im Sommer das Wasser kalt, so erfrischt es einen recht gut. Die Arbeitskleider der vergangenen beiden Nächte kann ich nicht mehr anziehen, dafür sind sie zu stark von Schweiss durchtränkt. Die Lokomotiven kühlen in der Nacht kaum ab. Die neuen Kleider werden aber auch bald so aussehen, denn es macht mir schon warm, als ich sie anziehe. Zum Schluss sind noch die schweren Arbeitsschuhe an der Reihe. Die Stahlkappen der Schuhe sollen uns vor Verletzungen schützen. Klar, die Zehen schmerzen nicht, wenn die Kiste von Automat, das Geld schluckt aber nichts auswirft.

Ich verlasse die Wohnung kurz vor 16 Uhr um zur Arbeit zu gehen, die Sonne brennt unerbittlich auf mich. Ein Blick in die Gipfel der Berge verrät mir, dass es heute wohl keine Gewitter geben wird, dafür haben sich noch keine Wolken gebildet. Abkühlung wird in dieser Nacht nicht zu erwarten sein. Zumal in Basel keine Thermiken am Abend einsetzen, die eine kühle Brise verschaffen. Dank dem Wind meint man, dass es etwas kühler wird. Jetzt ist aber glühend heisses Wetter angesagt. Der Asphalt der Strasse sorgt dafür, dass auch vom Boden Wärme aufsteigt. Endlich habe ich das Depot erreicht.

 

Erstfeld – Rotkreuz

Im Depot angekommen, mache ich das Update an meiner LEA, ziehe die obligatorische Warnweste über und spreche noch mit ein paar Kollegen über jenes und dieses. Die neuen Daten sind geliefert worden. Ach eine Meldung gibt es auch wieder. Was steht da, ach so, ein Kollege im Personenverkehr hat Pech gehabt und konnte vor dem roten Signal nicht mehr anhalten. Warum nur muss das jedem Lokführer mitgeteilt werden, schliesslich passieren solche Vorfälle nicht absichtlich.

Die Meldung wird schneller gelöscht, als es gebraucht hat, bis sie auf dem Gerät war. Das interessiert jetzt wirklich keinen. Am Anschlag lese ich noch, dass es eine Änderung mit der Gleisanlage in einem Bahnhof gegeben hat. Ja, das kommt per allgemeinen Anschlag, der Signalfall wird jedem persönlich übermittelt. Alle paar Tage ein neuer Zettel mit Hinweisen, die wir kennen und jeden Tag anwenden. Viele lesen das nicht mal mehr, sondern werfen es weg. So eine Papierflut bewirkt letztlich nur, dass wichtige Dinge untergehen und so den Empfänger nicht finden.

Was soll’s, ich muss gehen, die Uhr zeigt bald 16.10 Uhr. Ich will bei der Vertretung der Firma Selecta noch ein oder zwei Flaschen Mineralwasser kaufen. Pech ist nur, dass ich nicht der Einzige bin, der diese Idee hatte, denn im Automat findet sich kein Tropfen reines Mineralwasser mehr. Limonade ist die einzige Auswahl, na ja, das muss zur Not auch reichen, obwohl ich lieber klares Wasser bei mir hätte. Süsses ist kein guter Durstlöscher, und um den Hals aussen anzufeuchten ist es auch völlig ungeeignet.

Beim Schaltwärter frage ich mich nach meiner Lok. Obwohl mir ein Kollege den Zug bereit macht, erkundige ich mich, denn oft hat Zug 63240 ab Erstfeld keine Wagen zu befördern und die Lok befindet sich dann im Depot. Die Suche im Gleisfeld würde in diesem Fall sinnlos. So ist es auch Heute, der Schaltwärter teilt mir mit, dass ich als Lokzug nach Altdorf fahren werde.

Die Ae 6/6 steht bereits vor dem Depot und wartet auf mich. Der Kollege, der mir die Lok vorbereitet hat, steht hier beim Schaltwärter und erklärt, was er alles gemacht hat. Vor allem habe er an der Lok die Fenster im Maschinenraum geöffnet, damit sie besser durchlüftet wird. Diese Massnahme hält die Lok erstaunlich kühl. Eine kühle Lok bringt auch dem Lokführer angenehmere Bedingungen im Führerstand.

Der Führerstand ist nach dem neusten Stand hergerichtet worden, das erkenne ich schnell an den geänderten Scheibenwischer und der neuen Farbe im Bereich des Führerstandes. Luftgefederter Sitz, Scheibenwischer mit Waschanlage, das sind die wichtigsten Merkmale des Umbaus. Langsam holen wir in Sachen Komfort zur Strasse auf, wenn das auch nicht alle gerne sehen.

Beim Gang der Lok entlang sehe ich die Fläche, wo früher das blau/weisse Wappen der Stadt Luzern montiert war. Nein, so gut bin ich nicht, dass ich von jeder Lok das Wappen kenne, ich arbeite ja immer mit den Nummern. Die Schrift kann man noch erkennen und zudem habe ich genau diese Lok im Modell, kleiner, dafür aber mit Wappen.

So ist es leicht Eindruck zu schinden. Zwar ist bei meinem Modell das Wappen nur aufgedruckt aber es ist da. Warum kann man es bei den SBB-Lokomotiven nicht auch so machen? Anstelle des wertvollen Wappen nur eine Klebefolie, die klaut niemand. Doch ich höre die Fans, wie sie Lautstark protestieren, dass die Wappen nur geklebt sind. Na dann, bleibt die Lok halt ohne Wappen. Ich hätte auch gerne die Original-Wappen an der Lok, aber weil ein paar hirnlose Verbrecher diese klauen, mussten sie entfernt werden.

Die Gedanken über diese angeblichen Eisenbahn-Fans müssen weichen, denn ich habe meinen Führerstand erreicht und steige in die Lok ein. Die Mappe stelle ich auf den Boden neben dem neuen Stuhl. Nach dem öffnen der Mappe entnehme ich die LEA und stelle sie in den dafür bestimmten Halter. Auf dem Stuhl ist es überraschend angenehm zum sitzen. Ich bin überrascht, wie bequem. Ja, es klingt nicht nur so, es ist das erste Mal, dass ich in einer Ae 6/6 auf einem dieser Stühle sitze. Armlehnen, Kopfstütze und Luftfederung. Standard bei der Konkurrenz auf der Strasse, neu für Lokomotiven und Lokführer.

Es macht Spass mit einem solchen Arbeitsplatz. Da ich weiss, dass ich die Lok bis nach Basel eine Zeit lang bedienen darf, richte ich mich auf eine längere Fahrt ein. Erst in etwa fünf Stunden werde ich die Lok endgültig verlassen und wieder mit der obligaten Re 10 nach Hause fahren. Alles was ich benötige, lege ich deshalb zurecht, damit ich während der Fahrt nichts suchen muss. Vor allem das Getränk kommt bereits an seinen Standplatz. Die Zugnummer habe ich im Dienstgebäude schon in die LEA eingetippt, so dass ich schon bereit bin.

Am Funk melde ich die Bereitschaft dem Bahnhof Erstfeld. Es dauert nicht lange, bis die Zwergsignale vor mir auf Fahrt wechseln. Nein, fahren darf ich noch nicht, denn ich starte bereits ab hier als Zug. Da ich das Signal nicht sehen kann, muss ich verständigt werden. Ah, jetzt kommt der Funkspruch: „63240 rangiermässig vorziehen zum Ausfahrsignal, Signal offen und 63240 in Erstfeld abfahren.“ Schön hat er das Märchen erzählt und erst noch alles richtig. Ich bestätige und beginne das Handrad der Lok zu drehen. Die langen Drehgestelle der Ae 6/6 entlocken dem Gleis interessante Töne. Die Fahrt wird immer schneller. Bis zum Signal bin ich noch durch die Rangierfahrt auf 40 km/h beschränkt.

Ich erreiche das Hauptsignal, an dem gleichzeitig das Vorsignal des nächsten Blocksignals montiert ist. Alles zeigt grün, somit kann ich beschleunigen. Ein paar Stufen schalte ich zu, und die Ae 6/6 beginnt schneller zu werden, die letzte Weiche von Erstfeld habe ich schon lange hinter mir, als ich bei einer Geschwindigkeit von 110 km/h den Strom der Fahrmotoren auf Null reduziere. Die Lok rollt jetzt nur mit Hilfe der Schwerkraft in Richtung Altdorf. Eilig habe ich es nicht.

Auf der rechten Seite sind die Arbeiten für die NEAT in vollem Gange, die graben wirklich den halben Kanton um. Mich kümmert das aber wenig, denn die Fahrt nach Altdorf ist kurz und die Brücke über den Schächenbach darf ich mit der Ae 6/6 nur mit 80 km/h befahren. Ich werde es aber langsamer machen müssen, denn das Einfahrsignal von Altdorf signalisiert mir Fahrbegriff 2, was 40 km/h bedeutet. Ich muss schliesslich ab hier Wagen mitnehmen.

Schier endlos dauert die Fahrt vom Einfahrsignal bis vor das Gebäude des Bahnhofes Altdorf. Der Rangierarbeiter steht bereits neben meinem Gleis und wartet auf mich. Ich halte bei ihm an. Er erklärt mir kurz das anstehende Manöver. Mit der Lok zurück an die Wagen, dann eine Bremsprobe und zum Schluss wieder nach vorne bis zum Punkt, wo ich jetzt stehe. So wie ich es erwartet habe.

Rangiert wird wieder mal mit den alt ehrwürdigen Handzeichen. Das wird auch immer seltener, eigentlich bedauerlich, aber eben, der Funk ist halt sicherer. Ich kann nicht aussen nach hinten blicken und gleichzeitig die Instrumente vor mir beobachten. Das Manöver ist schnell erledigt und die Bremsprobe ist auch schon gemacht. Die Fahrt zurück ins Gleis für die Abfahrt kann beginnen. Eigentlich bin ich mit dem Zug fahrbereit, aber eben, noch fehlt ein kleines Stück Papier, das alles ausmacht.

Die Erklärungen des Arbeiters erfreuen mich nicht gerade. Für zwei Wagen fehlen noch die Daten. Ich müsse warten, bis die Angaben aus Fribourg kommen. Das kann dauern, denke ich und gehe zum nahe gelegenen Kiosk. Ein Eis kann sicherlich bei der Hitze nicht schaden. Mit dem Eis in der Hand gehe ich ins Büro des Arbeiters. Ein paar Witze werden noch gemacht. Meine Abfahrzeit rückt näher, aber die Daten fehlen immer noch, das kann ja heiter werden. Ich frage mich, ob da jemand schläft oder sonst was los ist.

 

Die Änderung

Bei all dem Geläster über den überforderten Mitarbeiter in Fribourg höre ich plötzlich, wie draussen ein Hauptschalter ausgeschaltet wird. Mit den Jahren ist dieses Geräusch einem Lokführer sehr bekannt. Nach einem Schritt vor die Türe stelle ich fest, dass soeben ein RABe 523 den Bahnhof in Richtung Flüelen verlassen hat. Aber wie es scheint, fährt der normal weiter. Zur Sicherheit mache ich mich auf den Weg zur Ae 6/6.

Tatsächlich, die Lok ist ausgeschaltet! Die alte Dame wird wohl nicht ein Gebrechen haben? Ein fragender Blick zur Rangierlok löst das Rätsel ein wenig auf. Der Lokführer teilt mir mit, dass seine Lok auch ausgeschaltet hat. Aha, ein Kurzschluss auf der Fahrleitung. Das kann viele Ursachen haben. Angefangen vom Greifvogel, der Selbstmord beging, über einen defekten Isolator bis zu einer gestörten Lok ist alles möglich.

Eine Handbewegung und meine Ae 6/6 ist wieder eingeschaltet. Der Kompressor nimmt seinen Dienst wieder auf. Die Ventilatoren laufen auch an. Alles wieder gut, wären nur meine Zugdaten endlich fertig. Ich will mich gerade auf den Weg zum Büro machen, als ich den Intercity bemerke, der sich von Flüelen her nähert. Den lasse ich durchfahren, das ist sicherer, als ein Sprint über die Geleise. Der Zug nähert sich mit mehr als 125 km/h recht schnell, da muss man wissen was man macht, ich warte lieber.

Doch was ist da los, der Intercity ist nicht gerade schnell unterwegs. Ja, es scheint fast so, als wolle er anhalten. Tatsächlich, der Zug kommt zum stehen. Die Re 460 steht genau vor meinen Füssen. Die Türe zum Führerstand öffnet sich. Es macht fast den Anschein, der Kollege wolle nach dem Weg fragen. Logisch, der Lokführer aus Arth-Goldau kennt den Weg natürlich genau so gut wie ich. Auf meine Frage, was denn los sei, erklärte er, dass ihm die Lok in Flüelen ausgeschaltet wurde. Er könne jetzt machen, was er wolle, der Lok sei kein Leben mehr einzuhauchen.

Zeitlich passt das zu meiner Störung, das muss so gegen 10 nach Fünf gewesen sein. Aha, der Sündenbock ist gefunden. Blöde Lok, was fällt der ein. Mittlerweile haben sich zwei Kollegen aus dem Tessin von den Wagen zur Lok begeben. Auch sie fragen, wie der Fahrdienstleiter von Altdorf, was denn los sei. Die gleiche Geschichte bekommen auch sie zu hören. Ich bestätige gegenüber dem Fahrdienstleiter einen Stromausfall.

Nach kurzer Zeit kommt er zurück und erklärt, dass Arth-Goldau einen Kurzschluss im Raum Erstfeld - Flüelen – Axenstrecke bestätigt habe. Ein Güterzug der BLS stehe aber im Tunnel und könne nicht erreicht werden. Die Vermutung sei, dass dieser die Fahrleitung beschädigt habe. Aha, der Spruch „Sehr geehrte Fahrgäste, wegen einer Fahrleitungsstörung, bla bla“ ist angesagt. Die Kollegen aus dem Tessin machen sich daran, dem Lokführer auf der Re 460 zu helfen.

Viel ausrichten kann ich da nicht mehr. Zu viele Köche verderben bekanntlich den Brei. Ich kümmere mich daher wieder um meine Zugdaten. Nein, Fribourg hat noch nichts von sich hören lassen. Das dauert wieder mal lange, aber der kleine Nahgüterzug in Altdorf ist nun mal nicht so wichtig, wie die internationalen Transitgüterzüge, daher muss ich warten.

 

Eine Lok für zwei Züge

Nach einer Suche von knapp 10 Minuten stellen die Drei auf der Lok fest, da ist nichts mehr zu machen. Meine Ae 6/6 müsse herhalten. Moment, so einfach ist das auch wieder nicht. Ich darf meine Lok nicht einfach so an den Personenverkehr übergeben, dazu muss ich zuerst die Lokleitung in Basel fragen. Das übersteigt die Kompetenz eines kleinen Cargo Lokführers.

Ein Griff zum Natel und die gespeicherte Nummer wird gewählt. Der Lokleitung in Basel teile ich mit, was da im entfernten Altdorf für ein Streit um die einzige funktionierende Lok entbrannt sei. Er teilt mir mit, dass er alles abklären werde und er mich verständigen wird. Wieder zur Lok gewannt, erkläre ich, dass die Abklärungen laufen.

Der Kollege vom Intercity meint plötzlich, dass die Störung vermutlich von den 20'000 Volt kommen könnte, die er an der Anzeige bemerkt hätte. Wie bitte, 20'000 Volt, was ist denn da los, auch bei einem Kurzschluss steigt die Spannung kaum über die normalerweise vorhandenen 15'000 Volt. Es ist so unvorstellbar, dass gerätselt wird, ob die Anzeige auch wirklich korrekt funktioniert hat.

Endlich, meine Zugdaten sind gekommen, ich bin fahrbereit. Wieder ein Griff zum Natel und die Nummer der Lokleitung gewählt. Ich erkläre ihm, dass ich fahrbereit sei und eigentlich meine Fahrt fortsetzen könnte. Die Antwort klingt schon fast wie ein Befehl, „dann fahr los“. Bevor ich aber auflege, teilt er mir mit, dass in Erstfeld eine Lok mit Lokführer bereit stehe und nur noch auf die Anforderung warte. Ich erkläre, dass ich kurz nachfragen werde.

Drei Mann auf der Lok, scheinen sich nicht sicher zu sein, ob das mit den Reparaturbemühungen in absehbarer Zeit was wird. Sie scheinen unentschlossen, die Lösung bald zu finden, jeder hat eine Idee die probiert wird. Ach, wie war das mit den Köchen schon wieder. Lange will ich mich nicht damit aufhalten lassen, denn schliesslich könnte ich fahren. Kurz entschlossen teile ich der Lokleitung mit, dass die Hilfslokomotive in Erstfeld starten soll. Ebenso bestimmt teile ich den drei Köchen, äh Lokführer auf der Re 460 mit, dass die Hilfslok unterwegs sei. Für einmal eine einheitliche Antwort.

Dem Fahrdienstleiter teile ich ebenfalls mit, dass ich startbereit bin und meine Fahrt fortsetzen kann. Ein Telefonanruf von ihm, lässt mich erfahren, dass wegen der vermuteten Fahrleitungsstörung zwischen Flüelen und Sisikon, nicht mit einem baldigen fortkommen gerechnet werden kann. Jetzt mache ich mir auch langsam Sorgen, denn die Zeit reicht nicht aus, um Basel im Rahmen der gesetzlichen Vorgaben noch zu erreichen. Erneut ist ein Griff zum Handy nötig. Diesmal rufe ich die Leitstelle in Erstfeld an. Vielleicht kann er ja mit einem Kollegen von Basel tauschen, der auch nicht mehr nach Erstfeld fahren könnte. Seine Antwort klingt gestresst, er meint, dass ich halt irgendwo eine Pause einlegen soll.

Ich gehe auf die Lok, gebe die Zugdaten ein und ändere die Vorgaben meiner LEA ebenfalls gemäss den neuen Daten. Ein Blick auf die Uhr lässt mich erkennen, dass es genau 17.30 Uhr ist. Ach so ist das, die Reisezüge haben wieder mal Vortritt. So ist es, der Interregio und der Intercity in Richtung Norden rauschen durch den Bahnhof Altdorf. Jetzt könnte es losgehen, aber mein Signal bleibt rot.

Mittlerweile ist auch die Hilfslokomotive eingetroffen. Sie hat neben mir angehalten und der Lokführer wechselt den Führerstand, um sich vor den stehenden Intercity zu stellen. In wenigen Minuten werden beide Züge die Fahrt wieder fortsetzen können.

 

Erneut Stromausfall

Wer es bisher noch nicht gemerkt hat, es ist jetzt gerade 22. Juni 2005 17:50 Uhr, denn mein Hauptschalter wird erneut ausgeschaltet. Diesmal kann ich die Lok nicht mehr einschalten, der Strom ist weg! Mit dem letzten Schwung kommt die Hilfslokomotive gerade noch vor die defekte Re 460. Es reicht, dass sie gekuppelt werden kann. Ein besorgter Fahrgast meint nur, dass die Fahrt jetzt losgehen könnte. Wie denn, wir haben keinen Strom.

Erneut muss der Fahrdienstleiter von Altdorf wieder herhalten. Er weiss aber auch nicht, was los sei, er habe den Ausfall gar nicht bemerkt. Er frage aber nach, was passiert sei. Der Zugführer teilt mit, dass er gerade von der BLZ verständigt worden ist, dass die Bahn im ganzen Kanton Tessin keinen Strom hat.

Schön aufgesagt, aber das Tessin ist unsere kleinste Sorge, denn wir haben hier im Kanton Uri, keinen Strom im wunderschönen Altdorf, das Tessin ist meilenweit entfernt. Der Fahrdienstleiter kommt mit einer Antwort zurück. Eine Antwort, die mehr Fragen hinterlässt, als Klarheit schafft. Die Fahrleitung sei aus Sicherheitsgründen abgeschaltet worden. Fünf Lokführer und ein Zugchef und keiner scheint die Antwort zu verstehen.

Es vergehen ein paar Minuten, bis in Altdorf das Signal in Richtung Flüelen auf Fahrt geht. Wer will denn hier durchfahren, Strom hat niemand. Es dauert nicht lange, bis der Zug kommt, den kein Eisenbahner gerne sieht, es ist die Bm 4/4 von Erstfeld mit samt Hilfswagen am Haken. Das bedeutet nichts Gutes, da ist was ernsthafteres passiert, als eine simple Fahrleitungsstörung.

Ich entschliesse mich, meine Ae 6/6 zu remisieren. Dem Lokführer der Hilfslokomotive rate ich das auch. Wir müssen mit dem Luftvorrat haushälterisch umgehen. Konservieren, was wir noch haben, ergänzen können wir nichts mehr. Ich begebe mich auf die Ae 6/6, verräume mein Material, ziehe eine Handbremse an und schliesse die Lufthahnen. So, das ist erledigt. Wenn es dann wieder weiter geht, dann ist alles schnell wieder aufgestellt und fahrbereit.

Dem Zugführer teile ich mit, dass er doch die Leute aus den heissen Wagen aussteigen lassen soll. Auf dem Bahnhof ist es sicher kühler als in den schon bald eine Stunde nicht gekühlten Wagen.

Die zwei Tessiner meinen nur, dass sie jetzt im nahe gelegenen Restaurant etwas trinken werden, nützen würden sie ja nichts mehr. Allmählich steigen die Leute aus. Wie es scheint, hat der Zugführer meinen Rat als einleuchtend eingestuft. So viele Leute habe ich auf dem Bahnhof Altdorf schon lange nicht mehr gesehen.

Erneut geht das Signal in Richtung Flüelen auf Fahrt, erneut erscheint eine Lok am Horizont, diesmal ist es die Am 843, welche alleine durch den Bahnhof fährt. Beide Dieselloks im Einsatz, der Hilfswagen auch dabei, was zum Henker ist da bloss geschehen. Hoffentlich hat es keine Verletzten gegeben, denke ich für mich.

Es kommt, wie es kommen musste, die Leute, die aus dem Zug gestiegen sind, schauen kurz um, sehen eine Person in Orange und schon stehen sie dort. Was ist los und wann geht es weiter. Keine Ahnung ist die Antwort.

Nur so kurz und bündig die war, so wenig kann man damit anfangen. Die Erklärungen, dass wir wirklich keine Ahnung haben, hinterlassen keinen guten Eindruck. Ich verspreche der Dame, die mich verzweifelt anschaut, dass ich mich aber auf die Suche nach Informationen machen werde.

Weder der Fahrdienstleiter, noch die Leitstelle in Erstfeld scheinen etwas Genaues zu wissen. Hoffnungsvolle Blicke, aber ich habe immer noch keine Ahnung. Jetzt müssen andere Medien her. Funktioniert die Geschäftsinterne Info nicht, dann hilft nur noch das Fernsehen. Genauer genommen der Teletext. Nur, einen Fernseher habe ich nicht zur Hand.

Gut, ich weiss aber wer einen hat. Ich rufe zu Hause an und bitte mal im Teletext nachzusehen was los ist. Allmählich wäre auch ich froh, wenn ich etwas mehr wüsste. Sie beginnt gerade mit dem verlesen der Meldung, die mit den Worten Stromausfall im Tessin, am Gotthard, im Raum Luzern und Zürich beginnt, als sie plötzlich inne hält.

Was ist los, warum liest Du nicht weiter? Ganz einfach, es kam eine neue Seite, jetzt ist es viel einfacher zu erklären. Totaler Netzausfall, auf dem gesamten Netz der SBB verkehren keine Züge mehr. Das war eine Info, die Zündstoff enthält, zwar hilft sie nur bedingt weiter, aber was soll’s. Ich unterbreche die Verbindung. Mein anscheinend erschrockener Gesichtausdruck scheint den Leuten, die sich um mich geschart haben, nicht besonders zu gefallen. Angespannt erwarten Sie meinen Bericht.

Nein, genaue Infos habe ich immer noch nicht, aber ich kann Ihnen versichern, dass sie nicht die einzigen sind, die dieses Schicksal erleiden, denn in der ganzen Schweiz sei der Strom für die Züge ausgefallen. Resigniert ziehen die Leute von dannen. Ja, Stromausfall bei der Bahn in irgend einer Bahnenrepublik lässt alle kalt, aber in der Schweiz, dem Land mit einer der besten Bahnen weltweit, ist das schon eine grosse bis sehr grosse Staatskrise. Millionen von Leuten stehen am Bahnhof und kommen nicht nach Hause zu den Lieben.

Die Info macht scheinbar schnell die Runde, denn die Leute suchen das nahe Restaurant und den Kiosk auf, um Getränke zu kaufen. Kinder spielen mit dem Schotter, wildfremde Leute helfen sich, wo sie nur können. Ein Deutschschweizer übersetzt die Bestellung des Italieners. Bekanntschaften werden geschlossen. Viele Mobiltelefone werden gezückt und Termine abgesagt oder verschoben. Niemand macht uns Eisenbahner hier an der Front einen Vorwurf, alle haben sich mit dem Schicksal irgendwie abgefunden.

Na ja, alle auch wieder nicht, denn wer den Schaden hat, braucht nicht auf den Spott zu warten. Ab und zu werde ich wieder gefragt, ob wir denn die Stromrechnung nicht bezahlt hätten, oder ob uns die Münzen ausgegangen wären. Beides kann es nicht sein, was aber passiert sei, weiss ich auch nicht. Wie aus Geisterhand hat das Zugpersonal Mineralwasser besorgt und beginnt es den durstigen Leuten zu verteilen.

Ab und zu riskiere ich einen Blick auf den Bildschirm, wo die Lage der Züge ersichtlich ist. Zumindest dort scheint etwas Ordnung geschaffen worden zu sein. Die beiden Dieselloks haben die in Tunnels stecken gebliebenen Züge in die Bahnhöfe gezogen, wo den Leuten besser geholfen werden kann. Wie auf einer ausgeschalteten Modellbahn sieht es aus, alle Züge sind in den Bahnhöfen abgestellt.

 

Pause

Ziemlich genau um 19.00 Uhr verlassen die Leute mit den bestellten Bussen den Bahnhof Altdorf in Richtung Tessin. Die beiden Kollegen aus dem Tessin und das Zugpersonal begleiten sie. Jetzt sind nur noch drei Lokführer hier, keine Fragen und immer noch kein Strom.

Wir beschliessen, dass wir jetzt Pause machen und im nahen Restaurant etwas essen gehen. Dem Fahrdienstleiter teilen wir mit, dass wir im Restaurant an der Pause sind. Wenn er Neues berichten kann, dann finde er uns dort.

Die Überlegungen dabei sind, wenn es in einer Stunde oder später wieder los geht, dann sind wir voll gestärkt und müssen nicht in ein paar Minuten eine Pause machen, weil das Gesetz diese vorschreibt. Kaum haben wir uns gesetzt und das Essen bestellt, kommt der Wirt und bedankt sich bei uns für die Gäste, die wir ihm besorgt hätten. Wenigstens einer, der darüber froh zu sein scheint.

Die Diskussionen in der Runde sind klar, was könnte passiert sein, viele Theorien werden aufgestellt. Gerade als das Essen serviert wird, klingelt mein Telefon. Es ist die Leitstelle, die mir mitteilt, dass mein Zug nicht mehr verkehren werde und ich mit dem Bus nach Hause fahren solle.

Ich müsse das Depot nicht mehr aufsuchen und könne daher gleich in meiner Nähe aussteigen. Den Kollegen der Hilfslokomotive solle ich gleich mitnehmen. Ich erkläre, dass wir noch an der Pause sind und uns danach auf den Weg machen werden. Dem Kollegen teile ich das ebenfalls mit, danach lassen wir uns das Essen schmecken.

Es scheint, dass die personellen Aufräumarbeiten begonnen haben. Die Lokführer werden nach Hause geholt, so gut es in einer solchen Situation eben geht. So im Gespräch bemerkt einer, dass wir es ja noch gut getroffen hätten. Ja, das haben wir, ein Restaurant in der Nähe ist dabei nicht so entscheidend, wie die Tatsache, dass der Bahnhof Altdorf eben ist und so die Züge schnell gesichert sind. Schlechter ergeht es den Kollegen, die in den Steigungen des Gotthards stehen, die haben wirklich viel Arbeit vor sich.

Plötzlich kommt der Fahrdienstleiter und teilt uns mit, dass er jetzt Feierabend mache, er habe aber die Telefonnummer des Kollegen vom Intercity an Arth-Goldau übermittelt. Die anderen hätte er leider nicht gewusst. Ich teile mit, dass wir informiert worden seien, dass unsere Firma den Verkehr nahezu eingestellt habe, der Güterzug bleibe stehen. Und wir suchen den Weg nach Erstfeld mit dem Bus.

 

Altdorf - Erstfeld

Als die Pause fertig ist, respektive, als wir die Pause als beendet betrachten, gehe ich noch schnell zu meiner Lok, denn schliesslich habe ich noch mein Gepäck dort. Ich muss auch noch überprüfen, ob das Stillhaltebremsgewicht, das ich bisher geschätzt habe, erfüllt ist und ich die Lok unbeaufsichtigt die Nacht hindurch stehen lassen kann. Bei meinem leichten Zug und dank der guten Handbremse der Ae 6/6 reicht eine Handbremse knapp. Zur Sicherheit ziehe ich auch noch die zweite Handbremse fest, damit sicher nichts passieren kann.

Ein Abendspaziergang ist es schon vom Bahnhof zum Telldenkmal, die Busse fahren auf dieser Linie um die Zeit leider nicht mehr. Obwohl mit mittelschwerem Reisegepäck bepackt, schaffen wird den Weg in einer ansehnlichen Zeit. Doch dummerweise ist uns der Bus um ein paar Minuten entwischt. Jetzt heisst es halt warten, bis der Nächste kommt.

Das warten hat ein Ende, der Bus nach Erstfeld ist soeben eingefahren. Ich steige beim Fahrer vorne ein. Dummerweise ist es einer, der mich erkennt. Spöttisch meint er, das könne ihm nicht passieren, denn er habe ja genug Diesel. Mein Kommentar reicht um ihm die Schadenfreude zu nehmen. Ich will mal sehen, wie weit er kommt, wenn es keinen Diesel mehr gibt.

Kurz nachdem wir das besiedelte Gebiet um Altdorf und Schattdorf verlassen haben, sehe ich wie ein Zug auf der Strecke nach Erstfeld fährt. Ein kleiner Funke am Stromabnehmer lässt mich erkennen, dass anscheinend wieder genug Strom da ist um einige Züge zu führen. Langsam kommt wieder Bewegung ins System.

Die Fahrt bis nach Hause dauert nur noch ein paar Minuten. Auch der Heimweg von der Haltestelle nach Hause ist nur ein paar Meter lang. Endlich zu Hause, und das trotz der Störung 2 Stunden vor dem eigentlichen Feierabend. Es bleibt noch genug Zeit sich im Internet die neusten Infos zu holen. Thema Nummer eins ist, wie könnte es auch anders sein, der Stromausfall.

 

Schlussgedanken

Der 22. Juni 2005 wird in der Schweiz niemand so schnell wieder vergessen, denn das, was damals passiert ist, ist der schlimmste Vorfall in der Geschichte der Eisenbahn. In all den Jahren ist auf dem Netz der SBB immer irgendwo ein Zug gefahren. Auch Unwetter, wie sie die Schweiz knapp 2 Monate später erlebt hat, haben das nicht geschafft.

Jeder Eisenbahner, hat dort geholfen wo er konnte und mit den Fähigkeiten, die er hatte. In den meisten Fällen hat das ganz gut geklappt. Die viel zitierte Familie der Eisenbahner hat wieder den Zusammenhalt gefunden, der vielerorts gefehlt hat. Alle haben am gleichen Strick gezogen. Ein weiterer Punkt hat mich besonders in Altdorf gefreut. Fremde Leute haben einander geholfen. Eine schöne Geste war das von allen.

 

Hoffen wir, dass wir einen solchen Tag nie mehr erleben müssen.

 

                       
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