Erstfeld – Airolo – Erstfeld

Auf der Suche nach neuen Touren für diese Seite, durchstöbere ich immer wieder meine vergangenen Einsätze nach passenden Leistungen. Findet sich etwas, was die Leser spannend finden könnten oder nicht? Dabei kommt die eine oder andere Tour immer wieder ins Blickfeld und wird dann meistens wieder verworfen. Neue Elemente fehlen, zu normal waren der Tag und dann noch immer die gleichen Lokomotiven. Der Alltag ist nicht für einen Toureneinblick geeignet, oder doch?

Dabei fällt aber immer wieder die eine oder andere Leistung aus dem Rahmen und dann könnte sich etwas für die Webseite ergeben. Denken Sie doch an die Fahrt über den Jahreswechsel, oder der Heiligabend mit leeren Zügen und einem schlichten Essen. Solche Touren sind spannend, das wollen die Leute lesen und nicht 30 Mal nach Chiasso fahren, auch wenn das so ist. So entstehen dann Touren, die immer wieder etwas spezieller sind, als die vorherigen und so den Lesern auch etwas Freude bereiten.

Auch ich als Lokführer finde viermal Chiasso in einer Woche nicht besonders spannend, doch es gehört zum Beruf und zum Standort. Trotzdem kam ich auf diese Tour hier. Eine Fahrt von Erstfeld nach Airolo und zurück. Nicht besonders spannend, Alltag am Gotthard und doch könnte es etwas geben, was auch Sie als Leser spannend finden. So entstünde wieder eine Tour mit ganz speziellen Elementen. Die Idee war somit da und deshalb versuche ich es mit dieser Tour.

Die Fahrt, die hier durchgeführt wird, werden ein paar Leser vielleicht kennen und anderweitig davon gehört haben. Es ist eine Leistung, die so gefahren wurde und deren Tag ich nicht verschieben kann. Ein direkter Einblick in einen Einsatz, der aber auch Gefahren birgt. So ist es nicht leicht, diese Einblicke zu zeigen und gewisse Abläufe zu verraten. Aussagen können natürlich auch falsch verstanden werden, was ja nicht sein sollte.

Jetzt, wo ich darüber schreibe, ist etwas Zeit vergangen, verzeihen Sie deshalb, wenn ein oder zwei Punkte nicht ganz genau so sind, wie Sie es in Erinnerung haben. Dazu gehört auch das Wetter, doch beginnen wir mit dem Tag und der begann recht früh am Morgen, in einer Gemeinde, die ich schon seit 20 Jahren bewohne. Erstfeld!

 

Der Weg zur Arbeit

Mit dem Wecker neben dem Ohr endet die Nacht recht laut. Die Träume der letzten Nacht sind verflossen und der Ernst des Lebens hat mich wieder. Ein Blick auf die Uhr verrät, es ist 6:00 Uhr. Für mich schon recht früh, aber auch das gehört zu meinem Beruf, wo Normales nicht ganz normal ist. Auf jeden Fall empfinde ich diese Zeit als früh, auch wenn es normal ist. Auch der zur Sicherheit gestellte zweite Wecker meldet sich nun. Auch etwas, was der Beruf mit sich bringt.

Bevor ich mich vorbereite und aus dem Haus gehe, besuche ich das Bad. Eine Dusche wird die letzte Müdigkeit aus den Gliedern vertreiben und die Lebensgeister wecken. Erfrischend ist sie schon und die nachfolgenden Handlungen im Bad sind auch nicht neu und schon gar nicht speziell. Wer keinen Bart will, muss sich rasieren. Auf jeden Fall, bringe ich mich auf Vordermann, wie man so schön sagt. Frisch rasiert und gekämmt ziehe ich die Kleider an. Noch sind es nicht die Kleider für die Arbeit, denn die ziehe ich erst später an. Ich begebe mich zur Kaffeemaschine und erweckte auch die zum Leben.

Ohne Kaffee geht nichts, den brauch ich am Morgen ebenso, wie am Abend. Oft versuche ich den Konsum etwas zu reduzieren und dann kommen die Wochen mit Frühdienst und die guten Vorsätze werden wieder in den Wind geworfen. Den inneren Schweinehund kann man nicht so leicht überwinden. Nur, heute muss ich das wohl noch ein paar Mal tun. Leicht wird es heute nicht werden, aber ich habe Erfahrung, die ich nutzen kann.

Die Zeitung kann ich im Briefkasten holen und mich so beim Kaffee über die neusten Schlagzeilen und Nachrichten hermachen. Immer wieder liest man von der Eisenbahn von Vorfällen, die zwar aus meinen Augen harmlos sind, aber, weil es die Eisenbahn in der Schweiz ist zu Schlagzeilen reicht. So lange man sich nicht selber in der Presse findet, ist die Welt in Ordnung und das Leben geht in geordneten Bahnen weiter.

Nicht immer gelang mir das und jeden Tag hoffe ich, dass ich es ohne Meldung in Presse und Radio schaffe. 90 Minuten Totalsperre am Gotthard müssen nicht sein. Ich weiss, wovon ich spreche. Damals fehlt die Erfahrung und Vieles wurde mit Wissen gemacht, trotzdem kam der entstandene Unterbruch der Strecke im Radio. Wäre auch eine Tour, wenn sie nicht 20 Jahre alt und somit alles andere als aktuell wäre.

Die Zeit bleibt nicht stehen und ich muss mich auf den Tag vorbereiten. Daher ziehe ich die Arbeitskleider an und verlasse meine Wohnung. Ein wunderbarer Tag im Herbst begrüsst mich vor der Haustüre.

Die Schatten sind jetzt im September schon etwas länger geworden, trotzdem erwarte ich heute einen schönen warmen Tag im Spätsommer.

Die Leistung, die heute fahre kenne ich zwar noch nicht bis ins Detail, aber ich habe genug Erfahrung, um solche Situationen zu meistern.

Meine Schritte durchs Dorf, das jetzt, kurz nach 7 Uhr, schon sehr belebt wirkt, sind gewohnt und den Weg kenne ich. Schliesslich gehe ich den Weg auch schon viele Jahre.

Oft werde ich gegrüsst. Das ist hier so üblich, denn wenn man sich auf der Strasse begegnet, grüsst man sich. Anfänglich musste ich mich auch daran gewöhnen, aber jetzt geht es automatisch.

Aber wie gesagt, es ist normal, also auch nichts, was Sie besonders spannend finden würden. Ein Lokführer auf dem Weg zur Arbeit in einem Eisenbahnerdorf, mehr nicht.

Mein Weg endet heute nicht im Depot. Ich habe mich zu einem Kaffee im dem Depot nahen Café verabredet. Dort treffe ich ein paar Freunde, die heute auch einen besonderen Tag erleben wollen. Wir haben uns verabredet um gemeinsam den Tag zu beginnen. Freunde, die sich in einem Team zusammengeschlossen haben und so gemeinsam für schöne Momente sorgen wollen. Eben ein Team, das sich unterstützt und das sich ergänzt, wo es nur geht.

Aller Ärger, der im Vorfeld dieses Tages mit der Einteilung und falsch verstandenem Stolz einhergingen, ist nun vergessen. Ja, es war vor Wochen, wo ich eine Zusage für eine Fahrt, wegen einem privaten Anlass kurzfristig widerrufen musste. Das kam natürlich bei der Einteilung nicht sehr gut an, musste diese doch neu planen. Gut, jetzt im Nachhinein, hätte ich auch gerne auf den familiären Anlass verzichtet, aber man kann seine Entscheidungen im Nachhinein nicht mehr revidieren.

Das wäre eine Tour für diese Seite gewesen. Eine Sonderfahrt mit speziellen Lokomotiven auf einer Strecke, die es hier noch nicht gegeben hat und die so auch den Lesern gefallen hätte. Nur, es ist vergangen und kann nicht rückgängig gemacht werden. Auf solche Touren müssen Sie deshalb noch etwas warten. Kann aber gut sein, dass es mal spezielle Leistungen gibt. Hängt von den Einträgen in meiner Agenda ab.

Jetzt sitzen wir am Kaffee, erzählen uns Geschichten und freuen uns über den schönen Tag, die bevorstehenden Arbeiten und auf eine Abwechslung, die es im beruflichen Alltag leider nicht oft gibt. So steigt die Vorfreude auf den Tag und die Bedenken, die den gestrigen Abend und den Beginn der Nacht begleitet hatten, sind vergessen. Sorgen und auch Ängste begleiteten mich. Wobei nicht alle beruflich bedingt waren. Aber man hat ein Leben und das ist nicht immer einfach.

Ich bin ein Berufsmann mit Erfahrung und dann werde ich auch diesen Tag mit Anstand über die Bühne bringen. Eisenbahn ist Eisenbahn, daran wird sich nun auch nichts mehr ändern. Zumindest die Strecke kenne ich sehr gut. Wer im Depot Erstfeld stationiert ist, kennt den Gotthard, das ist so und gehört zum Standort. Die spezielle Strecke wird dann zum Normalfall. Die Ehrfurcht bleibt, aber man lebt ganz gut mit der Strecke.

 

Gute Vorbereitung erleichtert das Leben

Gemeinsam verlassen wir das Café und begeben uns zum nahen Depot, wo wir mit der Arbeit beginnen werden. Dort sind noch meine Mappe und ein paar Informationen abzuholen. Die liegen in meinem Kasten in der Garderobe. Das Update der LEA kann ich mir sparen, die Daten sind von gestern und noch müssen wir kein tägliches Update machen. Daher muss ich mich nicht lange im Dienstgebäude aufhalten und kann zur Remise gehen.

So begebe ich mich zur Lokomotive, die in der Remise steht und dort auf mich wartet. Ja, die Tage, wo wir uns vor jedem Dienst bei der Leitstelle gemeldet haben, sind vorbei. Diese ist seit einiger Zeit auch nicht mehr vor Ort, so dass immer mehr selbständig erledigt wird. Heute ist ein Tag, wo das wieder so ist. Gut, eigentlich muss ich ja erst in einiger Zeit beginnen. Doch nun sind wir ein kleines Grüppchen, das sich auf den Weg in die Remise macht.

Ich weiss alles, wo die Fahrt hingeht, welche Lokomotive ich habe und dass ich nicht alles alleine machen muss. Nur, eigentlich habe ich keine Ahnung, was mich erwartet und schon gar nicht, bin ich mir sicher, ob das wirklich eine gute Idee von mir war heute aus dem Bett zu steigen.

Nur, zurück kann ich nicht und in der Gruppe kann man sich nicht so einfach abseilen, da muss man mit bis zum Gipfel. Lampenfieber, kann auch einen Lokführer befallen.

In der Remise stehen die Lokomotiven, die auf die Arbeit warten. Da sind Re 6/6, Re 4/4 und sogar eine Re 482. Die lasse ich heute alle stehen und beachte sie deshalb nicht gross. Diesmal benutze ich eine andere Lokomotive.

Auch „meine“  Lokomotive, die Ae 6/6 Nummer 11411, bleibt heute im Depot stehen. An diesem schönen Tag kann man diese Lokomotive den Leuten nicht zumuten. So begebe ich mich zu meiner zugeteilten Lokomotive, die in der Remise etwas in den hinteren Plätzen abgestellt ist.

Die Mappe ist schnell im passenden Führerstand verstaut und man kann sich an die Arbeit machen. Ein Blick auf das hervorgeholte Zirkular lässt erkennen, dass der Zug erst in etwas mehr als zwei Stunden losfährt. Genug Zeit und die Lokomotive startklar zu machen. Hier gibt es keinen Computer, der erst hochgefahren werden muss. Handarbeit steht an und die benötigt mitunter etwas mehr Zeit. Moderne Lokomotiven sind da schon sehr einfach geworden.

Nur, soeben wurde bekannt, dass die Vorbereitungen von Besuchern begleitet werden. Unter den kritischen Blicken von Leuten zu arbeiten ist nicht sehr einfach. Es sind jene Leute, die heute nach Airolo und zurück reisen. Zuerst jene, die einen anderen Zug benutzen und dann scheinbar auch meine Fahrgäste. Viele Augen, die „fachkundig“ dem Lokführer auf die Finger sehen. Viel Freude will bei dem Gedanken nicht aufkommen.

Die Kontrolle der Lokomotive steht an. Dazu gehört ein Rundgang um die Lokomotive. Dieser Rundgang wird heute etwas mehr Zeit in Anspruch nehmen und in zwei Stritten erfolgen. Zuerst werden die Handlungen vorgenommen, die letztlich dazu führen, dass die Lokomotive eingeschaltet werden kann. Weil ich keine planmässige Lokomotive benutze, beginne ich bei den Batterien, gehe über die Luftabsperrhahnen und dann kommt der entscheidende Moment.

Mit dem betätigen der Steuerschalters zum Stromabnehmer sollte sich dieser heben, der Vorrat an Druckluft reicht dazu aus. Ein Blick aus der Einstiegstüre lässt erkennen, dass er das auch macht, wenn auch nur sehr langsam. Da, er hat den Fahrdraht berührt, jetzt kann der Hauptschalter eingeschaltet werden. Ein beherzter Griff an den Steuerschalter und die Lokomotive ist eingeschaltet. Der Kompressor nimmt seine Arbeit auf und ergänzt den Luftvorrat.

Auch wenn der Griff beim Steuerschalter für den Hauptschalter mit Automat beschriftet wurde, ist die Inbetriebnahme eigentlich gleich, wie bei den neuen aktiveren Lokomotiven. In meiner Agenda notiere ich die Loknummer der Lokomotive. Das mache ich immer und so kann ich später nachschlagen, welche Lokomotive ich an welchem Tag bediente. Schliesslich weiss man noch nicht, ob daraus nicht eine Tour für die Webseite wird. Daher notiere ich nun in meinem schlauen Buch die Ziffern 14‘253. Ich habe somit soeben eine über 90 Jahre alte Lokomotive eingeschaltet.

Nun beginnen die bei der Ce 6/8 II notwendigen Kontrollarbeiten. Dazu gehört auch der Gang mit dem Öl um die Lokomotive. Da wir gestern die Vorräte des Öls aufgefüllt haben, kann ich nun nur noch die Kontrollen machen und allenfalls ergänzen, wo es sein muss. Damit steht heute auch nicht mehr der Gang unter der Lokomotive dazu. Der war gestern gemacht worden und ist recht schmutzig, nichts mit den schönen Überkleidern.

Um die ganze Lokomotive alleine grundlegend zu schmieren, reichen die zwei Stunden gerade so knapp aus. Da ich das nicht mehr muss, habe ich Zeit und kann es gemütlicher nehmen. Gut, gestern ging es etwas länger, aber der Smalltalk verzögerte halt die Arbeit etwas. Spielte keine Rolle, ich hatte Reserve und war auf Abruf. Nur Arbeit gab es für mich nicht, so konnte ich die Lokomotive vorbereiten.

Nach einer kurzen Besprechung kommen wir zum Entschluss, dass wir den Besuchern zeigen, wie man die Lokomotive schmiert. Am Geräusch erkenne ich, dass auch die Ae 8/14 soeben eingeschaltet wurde. Scheinbar ist man auch dort mit den Vorarbeiten gut vorangekommen und konnte nun die Lokomotive einschalten. Ein Vorteil, wenn man es nicht alleine machen muss. Dieses Privileg habe ich heute leider nicht. Die Ae 6/6, die auch eingeschaltet wurde, läuft schon lange und der Kollege hilft, wo er kann, denn dort sind keine umfangreichen Vorarbeiten nötig.

Ein Blick auf die Uhr, die heute nicht am Handgelenk ist, lässt erkennen, dass ich offiziell in 30 Minuten anfangen sollte. So habe ich die Vorarbeiten, dank der Aktion von gestern schon bald abgeschlossen und kann am Automat noch ein Getränk kaufen. Die Kontrollen oben sind gemacht und bei den Triebstangen und den Laufachsen habe ich auch schon die Hälfte geschafft. Eine Seite lasse ich sein, ich kontrolliere, aber schmiere nicht nach, dort soll die Show stattfinden. Die Gäste der Ausfahrt mit dem BDe 4/4 sind soeben eingetroffen.

Natürlich belagern die Besucher sofort die Lokomotive, die sie spannend finden und das ist nun mal die Ce 6/8 II. Man kann eine Lokomotive nicht schmieren, wenn einem die Besucher auf den Füssen stehen, das wusste ich im Vorfeld schon, daher auch der Einsatz am Vortag. Die Fragen müssen beantwortet werden und Einblicke gewährt werden. Klar darf man auch einen Blick in den Führerstand werfen. Bitte nichts berühren, denn die Lokomotive ist eingeschaltet und betriebsbereit.

Eine leichte Aufregung beschleicht das Team und die Meldung macht die Runde: „Er hat soeben Altdorf verlassen!“ Ein Blick auf meine Uhr sagt, ich habe soeben mit der Arbeit begonnen. Sogar der Zug ist pünktlich und so kann nun das geplante Programm stattfinden. Die Zeit ist gekommen um mich für die Schmierung des letzten Teils vorzubereiten. Doch zuerst noch der Einsatz beim Sonderzug, denn der sollte ins Depot kommen und da sind wir nicht für die Ankunft von Reisezügen gerüstet.

Nachdem der Zug gehalten hat, steigen die Leute über die eiligst gerichteten Hilfstritte aus. „Herzlich willkommen in Erstfeld!“ Die Leute strömen in die Remise und ich muss mich durch die Reihen kämpfen um wieder zur Lokomotive und somit zu meinem Arbeitsplatz zu gelangen. Die letzten Stangenlager werden nun sehr gewissenhaft geschmiert. Natürlich wird überall die Kanne angesetzt. Öl fliesst nicht immer, denn meistens sind die Behälter noch optimal gefüllt.

Immer wieder muss ich die Schmierung erklären und den Leuten den Blick in die Lager erlauben. Viel sehen sie dort zwar nicht, aber alles, was etwas älter ist, wird natürlich immer wieder neugierig bewundert. Eine normale Schmierung wäre so unmöglich, aber die Lokomotive ist ja bereit. Die VIP’s haben nun den koordinierten Weg zur Ce 6/8 II auch geschafft. Erneut mach sich Bewunderung für die Lokomotive breit. Es ist eine beeindruckende Lokomotive, da gibt es keine Zweifel.

So, nun muss ich die Leute aber bitten. Die Lokomotive gehört nun mir und ich möchte aus dem Depot fahren. „Darf ich Sie bitten, den Führerstand zu verlassen.“ Am liebsten würde man die Leute jetzt natürlich aus der Lokomotive schmeissen. Die enttäuschten Gesichter von denen, die nicht mehr rein konnten, schmerzen, aber wir haben einen Fahrplan und den möchten wir einhalten. Hinten geht die Türe und so beginnt die Aktion von vorne.

 

Ausfahrt aus der Remise

Mit der Ce 6/8 II verlassen wir das Depot über die Schiebebühne. Nicht weil es nicht anders ginge, aber man will den Gästen auch etwas zeigen. Natürlich erfolgt das unter den wachsamen Augen der Besucher. Für mich ist das kein leichtes Unterfangen. Viel gefahren bin ich mit der Lokomotive noch nicht und die Regulierbremse reagiert ganz anders, als die gewohnte Rangierbremse. Kommt hinzu, dass die Lokomotive alles andere als übersichtlich ist. So zwischen Besuchern, die sich wie kleine Kinder aufführen, aus dem Depot zu fahren ist ohne Hilfe unmöglich.

Für mich zählt nun auch nur die Person, die die Schiebebühne bedient. Dort erhalte ich den Auftrag aus der Remise zu fahren. Die Regulierbremse, welche die Lokomotive bisher sicherte, wird gelöst und eine Stufe zugeschaltet. Die Lokomotive bewegt sich langsam. Die Bremsen sind lose. Ich kann nun nur darauf vertrauen, dass die Aufpasser ihre Arbeit auch wirklich gut machen. Sehen kann ich nahezu nichts, denn das Tor ist eng und ein Unfall sollte ja auch nicht passieren.

Langsam komme ich aus der Remise. An den klickenden Kameras erkenne ich, dass wohl der grosse Auftritt für die Lokomotive gekommen ist. Da die Schiebebühne nicht sehr lang ist, muss ich aufpassen. Die Bremse ist parat, denn vor mir stellt sich trotzig das Remisentor auf der anderen Seite auf. Die Leute die dort noch durchhuschen, erhöhen den Stress im Führerstand gerade um den Faktor 100. Geklappt, die Lokomotive steht dort, wo sie soll. Glück gehabt!

Hauptschalter aus, Bügel tief! Dann der Blick aus dem Fenster. Er senkt sich gemütlich. Die Meldung „Bügel tief“ kann ich nun mündlich übermitteln.

Das ist nun das Stichwort für den Bediener der Schiebebühne. Die Verriegelungen werden gelöst und ich fahre mit der Lokomotive nun quer durch die Gegend. Schon oft habe ich das gemacht, aber inmitten einer Schar von orange gekleideten Leuten noch nicht.

Lange dauert die Fahrt auf der Schiebebühne nicht und ich erhalte den Auftrag, die Lokomotive einzuschalten. Dazu muss ich nun aber den Führerstand wechseln, denn das durfte ich vorher nicht machen. Die Vorschriften in diesem Bereich sind klar und unmissverständlich geschrieben.

Gerade diese Lokomotive liefert der Grund für diese Vorschrift, dann machte man den Wechsel hier sicherlich nicht und wartet, bis man den Stromabnehmer wieder heben darf.

Der Wechsel in den anderen Führerstand ist schnell, denn die Lokomotive hat ja nur einen kurzen Maschinenraum. Die Bremsen werden geprüft und die Lokomotive wieder eingeschaltet. Ich kann die Schiebebühne verlassen und bis zum Zwergsignal fahren, wo ich dann auf die Zustimmung des Fahrdienstleiters warten muss. Moderne Signale gelten natürlich auch für historische Lokomotiven. So ist nichts mehr so zu machen, wie es früher war. Ob es gut ist oder nicht, soll hier nicht diskutiert werden.

Die Schar der orangen Leute hat sich verzogen. Die anstehende Abfahrt des Zuges bringt die Leute dazu, wieder in die Wagen zu steigen. Mit dem Fahrt zeigenden Zwerg, geht es für mich los. Die Fahrt in den Bereich der B-Gruppe, die hier Badisch genannt wird. Endet vor der Ae 6/6 Nummer 11‘402. Ich kann anfahren und dann werden die Lokomotiven verbunden. Ich kann den Führerstand wieder wechseln und erkenne dabei, wie sich die Ae 8/14 Nummer 11‘801 nähert. Das Krokodil ist nun im Sandwich zwischen den beiden Lokomotiven. Die geplante Bespannung ist daher erstellt.

Nachdem wir die Bremsen der Lokomotiven geprüft haben, geht es durch den Bahnhof hoch zum Ablaufberg. Dort warten wir dann, bis auch der Zug aufgestellt ist. Da dieser noch im Depot steht, ist es schon mehr ein Schaulaufen, als ein normales Manöver. Viel zu tun habe ich nicht, die Ae 8/14 zieht mich mit. Dazu hat sie ja genug Power. Ein paar Pfiffe mit der Lokpfeife. Ja, die Ce 6/8 II hat einen unverkennbaren Sound, der die Lokomotive einzigartig macht und es einem kalt den Rücken herunter laufen lässt.

Vor dem Ablaufberg, der schon lange nicht mehr existiert, aber immer noch so genannt wird, halten wir an. Die Ae 6/6 übernimmt nun den nächsten Part. Meine Aufgabe beschränkt sich auf das Umlegen der Wendeschalter. Ich kann mich auch rückwärts ziehen lassen. Doch zuerst muss noch der Zug bereit sein. Der wird soeben im Gleis vier aufgestellt und die Lokomotive, die bisher am Zug war abgekuppelt. Etwas modern wirkt die rote Ae 6/6 schon. Gut, mit der von mir bedienten Lokomotive wirkt viel modern. Was nicht modern wirkt, raucht und ist heute nicht anwesend.

Dann geht es los, ein Pfiff der Ae 6/6 deutet an, dass wir fahren dürfen. Die Quittierung erfolgt auf die gleiche Weise. Dann geht es los und entlang des Bahnsteigs der voll von Leuten ist, geht es vor den Zug. Es wird höchste Zeit, wenn ich mich richtig kleide und den orangen Kittel an den Haken hänge. Jetzt beginnt der Teil, den die Leute schätzen. Die Lokführer bei den Lokomotiven in den alten Kleidern. Da kann man Fragen stellen. Gut, wenn man sie auch beantworten kann.

Nach dem Halt verlasse ich den Führerstand und kontrolliere schnell die Lager. Nein, machen müsste ich das nicht, denn auf der kurzen Fahrt dürfen sie nicht warm werden. Aber etwas Show muss doch sein. Die Fahrgäste sind beruhigt, wenn sie sehen, dass sich der Lokführer vor der Fahrt um die Lager kümmert. Sorgen hatten wir damit am Gotthard eigentlich noch nie, aber besser ist es, wenn man einmal zu viel kontrolliert, als zu wenig.

Die Leute belagern natürlich die Lokomotiven. Um eigentlich korrekt zu sein, die Ce 6/8 II, die eigentlich mit ihrer braunen Farbe nicht so recht in die grünen Vehikel passen will. Vermutlich fällt die Lokomotive den Leuten deswegen auf. Die Sonne steht nun hoch über Erstfeld und der Altweibersommer zeigt sich von der schönsten Seite. Die Fragen kann ich beantworten, ob diese Antworten die Leute befriedigen, weiss ich nicht, aber ich gebe mein Bestes.

Oh, eine Person der Gruppe VIP hat sich auch zur Lokomotive durchgeschlagen. Bisher habe ich die Fragen nach der Fahrt im Führerstand kategorisch verneint. Beim Chef der Stiftung SBB Historic kann ich das natürlich nicht machen. Viel wird er nicht mitbekommen, die Arbeit wird nun von den Ae übernommen. Die haben genug Power um die wenigen Wagen zu ziehen. Damit endet die Zeit im Bahnhof. Der Zugführer, der heute auch wieder in der alten Uniform arbeitet, bittet die Leute einzusteigen.

 

Erstfeld – Göschenen – Airolo

Ein Pfiff von der Ae 8/14, einer von mir und einer von der Ae 6/6 und los geht die Fahrt. Da ich auf meiner Lokomotive keinen Funk habe, geht es nur so. Ist auch historisch belegt und war früher so üblich. Der Zug beginnt sich langsam zu bewegen und gewinnt immer mehr an Fahrt, die Weichen lassen keine zu hohen Geschwindigkeiten zu. Routiniert, fährt der Kollege aus dem Bahnhof. Ich kontrolliere ob auch alles in Ordnung ist. Dazu gehören meine Lokomotive, die anderen beiden Maschinen und die Wagen.

Bei mir ja, aber Moment, die Ae 8/14, die gibt Rauchzeichen! Das ist nicht gut! Historisch nicht korrekt, aber nun von wertvoller Bedeutung, nehme ich das Handy in die Finger und rufe vorne an. „He, muss Deine Lok Rauchzeichen geben?“ „Ja, schau mal nach hinten.“ „Alles klar, mal sehen, was weiter passiert.“ Nebenbei werden natürlich noch ein paar Worte mit dem Chef gewechselt und ein zwei Schluck Wasser aus der Flasche, die ich im Führerstand deponiert hatte, getrunken.

Das Problem bei der Ae 8/14 scheint sich nicht weiter zu verschärfen. Trotzdem Rauch gehört zur Dampflokomotive und nicht zur elektrischen Lokomotive. Den Geruch kenne ich, es riecht nach warmem Öl, das kann eigentlich nicht gut sein. Aber die Fahrt geht weiter, auf der Strecke würden wir auch nicht sehr gut stehen. Noch haben wir ja keine Tunnel zu passieren, daher können wir vorerst weiterfahren. Ein Blick auf den Rauch wird aber immer wieder riskiert.

Lange können wir unsere Fahrt nicht ungehindert fortsetzen. Amsteg ist wohl das Ziel unserer Fahrt. So ist es, in Amsteg müssen wir anhalten. Nicht wegen der Lokomotive, sondern wegen der Tatsache, dass das Signal vor uns rot zeigt. Der Verkehr lässt uns scheinbar nicht mehr weiter kommen. Ein Halt, der natürlich willkommen ist, wenn man mit einer Lokomotive Probleme bekundet.

Der Kollege von der Ae 8/14 kommt zu mir und überreicht mir ein Funkgerät. Auch das ist natürlich nicht korrekt, aber nun geht es um die Sicherheit der Lokomotive, der Leute und des Zuges. Ich erfahre, dass der Rauch vom Öl stammt, das auf die Fahrmotorshunts getropft ist.

Ich sollte die Situation weiter im Auge behalten und sofort funken, denn ausser Rauch auch Flammen zu sehen seien. Bisher würde das Öl einfach aufgrund der Wärme verdampfen und so den Rauch bilden.

Warten müssten wir zudem wegen dem einspurigen Abschnitt vor uns. Es kommt zuerst ein Gegenzug, dann kann die Fahrt weiter gehen. Beim Gedanken, an das rote Signal, den Gegenzug und an den Chef, fällt mir ein Gedicht aus meiner Kindheit ein.

Ach ja, das ist lange her und genau weiss ich es nicht mehr. Auf jeden Fall wird vorn auf der Strecke gebaut und es kommt ein Gegenzug. Das verstehen wohl auch unsere Fahrgäste. Falls nicht, dann hilft vielleicht das Gedicht.

 

Ein Mensch, der eben noch ganz wirsch

Hört plötzlich starkes Bremsgeknirsch

Und merkt, dass es nicht weitergeht:

Der Zug auf freier Strecke steht –

Das heisst, die Strecke ist nicht frei:

Der Mensch nur wähnt, dass sie es sei

Und schimpft, statt dass er qual-verstumme,

Laut auf die Eisenbahn, die dumme.

Doch sänftigt ihn sein Nachbar klug:

„Vermutlich kommt ein Gegenzug!“

 

So ist es auch: es blitzt und klirrt –

Der Gegenzug vorüberschwirrt.

Wohlan – das kann der Mensch versteh’n –

Doch jetzt müsst’s endlich weitergeh’n!

Der Nachbar, lächelt: „ Nein, noch nicht!“

Und deutet auf das rote Licht.

Der Mensch schreit, ganz von Zorn verzerrt:

„Ja, ist die Einfahrt noch versperrt?!“

Der Nachbar, aus der Polsterecke,

sagt mild: „Man baut, vorn, auf der Strecke!“

 

Der Mensch, verächtlich, knurrt ihn an:

„Sie sind wohl selber bei der Bahn?“

Der Nachbar drauf ganz schlicht bekennt:

„Jawohl, ich bin der Präsident!“

Der Mensch – man sieht, es ist ein „echter“!

Bricht aus in schallendes Gelächter

 

<<unverhoffte Begegnung Eugen Roth>>

 

Der Gegenzug kommt. Es ist der Interregio. Was wohl die Leute sehen, die wie verrückt aus dem Fenster starren und wie wild winken? Keine Ahnung, der Pfiff der Ae 8/14 verrät mir, es geht los. Die Quittung erfolgt und der Zug setzt sich in Bewegung. Ja, die Anzahl der Fotografen entlang der Strecke, wird sich wohl immer weiter steigern. Mein Passagier ist darüber scheinbar überrascht. Nun, das ist Gotthard, normal gibt es hier nicht.

Es beginnt der zweite Abschnitt der Steigung und die Weichen dürfen mit 60 km/h befahren werden. Meine Lokomotive darf nur leicht schneller fahren und um sie etwas zu schonen, fahren wir 55. Wenn man bedenkt, dass einst mit der Lokomotive bis zu 75 km/h gefahren wurde, schon eine deutliche Schonung. Die Ae 8/14 gibt ihre bekannten Rauchzeichen und hinten ist alles ruhig und glückliche Gesichter werden aus dem Fenster gestreckt und sind zu sehen.

Der erste Tunnel verschlingt uns und so wird es in der Lokomotive dunkel. Zwar nicht ganz so dunkel, wie das bei den modernen Lokomotiven der Fall ist. Auch habe ich keine Computer, die LEA ist in der Mappe, jetzt wird mit Papier gefahren. Das gehört sich so und die Unterlagen haben wir ja noch in der Hand. So geht es historisch korrekt hoch und nach dem Verlassen des Tunnels überqueren wir die erste grosse Brücke der Gotthardstrecke.

Das Gleis liegt bei der Cherstelenbachbrücke auf Stahlträgern und so ist es die höchste Verbundbrücke der Schweiz. Infos, die man nach 20 Jahren Gotthard hat und mit denen man Eindruck schinden kann. Die alten Druckleitungen des Kraftwerks tauchen auf. Wasser gibt es in den Leitungen keines mehr, nun wird die Energie für uns im Untergrund erzeugt. So verschwinden wir im Bristentunnel und steigen weiter an.

Es würde wohl schon angeberisch klingen, wenn ich erwähnen würde, dass wir mit der Intschireussbrücke die höchste Brücke der SBB passieren. Mehr Eindruck machen die Fotografen, die hier stehen und auf den Auslöser drücken. Mich beeindruckt das nicht gross, ich sollte wieder einmal nach der Ae 8/14 sehen. Der Rauch ist da, hat sich jedoch nicht weiter verschärft. Scheint gut zu kommen und die ablenkende Weiche beim Spurwechsel schüttelt uns etwas durch.

Die Fahrt geht nun weiter und in Gurtnellen kontrolliere ich den Fahrplan. Wir sind sogar leicht zu früh unterwegs. Das ist gut, denn in Göschenen wollen wir einen Halt einlegen, der im Fahrplan nicht vorgesehen ist. Aber mit unseren Gleitlagern fahren wir nicht ohne eine Kontrolle in den Gotthardtunnel ein. Man kann verrückt sein, aber so verrückt sollte man nun doch nicht sein. So wird das gemacht, was der Fahrplan nicht vorgesehen hat.

Der erste Kehrtunnel kommt. So ist es eine Zeit lang dunkel. Für mich kommt das gerade recht, denn nun kann ich einmal die Ae 8/14 vor mir etwas genauer ansehen. Der Rauch ist wirklich nur Rauch, ich kann im Bereich der Widerstände keine Lichterscheinung erkennen. Es scheint, als könnte die Fahrt doch noch glücklich enden. Doch zuerst müssen wir noch hochfahren und da warten noch ein paar Leckerbissen auf uns.

So ist es, die Kirche auf dem Hügel, die schon viele inspiriert hat, taucht auf. Die untere Meienreussbrücke ist passiert und ich erkläre nun dem Chef, dass jetzt eine Schwadron Fotografen auf uns warten wird.

Wie Paparazzi, die einem Star nachhechten, wird hier mit Ellbogen um den besten Platz gekämpft. Nachdem der Auslöser gedrückt ist, wird losgespurtet. Sonderfahrten sind Fitnessübungen für Fotografen.

In Wassen sehen wir sie dann wieder. Der letzte Aufstieg steht an und noch immer raucht es bei der Ae 8/14 leicht. Von den Lagern der Ce 6/8 II sind keine verdächtigen Pfeifge-räusche zu hören und scheinbar hat die ZKE-Messanlage auch nichts zu bemängeln gehabt, wir werden nicht angehalten und können bis Göschenen fahren.

Dort ist dann unser Halt geplant. Die Sicherheit geht vor, bei der Ae 8/14 kann man nach dem Rechten sehen und die Lager der Ce 6/8 II kontrolliert werden.

Mit dem Leggisteinkehrtunnel haben wir wieder die ursprüngliche Fahrrichtung eingenommen und nun streben wir direkt Göschenen zu. Hier sitzen die Fotografen auf den Felsen. Wie die dort hin kamen? Keine Ahnung, aber vermutlich hätte es auf der anderen Seite vom Felsen eine Leiter. Ich gehe nicht davon aus, dass es ein Felsen ist, auch wenn hier bekannte Komiker etwas anderes erkennen wollten.

Über die Rohrbachbrücke erreichen wir den Naxbergtunnel und damit bald Göschenen. Langsam kann ich mich auf die anstehende Kontrolle vorbereiten. Der orange Kittel tritt wieder in Aktion. Die Bewegung im Gleisfeld darf nur so erfolgen. Mein Gast meint, dass er nun wieder im Zug Platz nehmen wird. Wir verabschieden uns bei der Einfahrt. Er weiss, dass ich nun arbeiten muss. Daher verabschiedet man sich etwas früher.

Wir haben Göschenen erreicht. Vor dem Aufnahmegebäude steht der BDe 4/4 der seine Fahrt hier unterbrochen hat und die Leute erwarten uns auf dem Bahnsteig. Kaum steht der Zug, beginne ich mit der Kontrolle der Lager. Öl gebe ich keines hinzu, das muss bis Airolo reichen. Die erste Seite ist kühl, nicht mehr kalt, aber so, wie man es nach einer Bergfahrt erwarten darf. Die zweite auch und der Kollege, der half, ist auch der Meinung. Ce 6/8 II in Ordnung!

Etwas Smalltalk muss noch sein und so erfährt man, dass man sich hinten um die Ce 6/8 II gesorgt hatte. Ich kann beruhigen, der Lokomotive geht es gut, die Ae 8/14 hat etwas Rauchzeichen gegeben, es hat sich aber gebessert, scheinbar ist nun alles Öl verdampft. Auch die Leute vom BDe 4/4 haben ihren Spass an unserem Zug. So soll es auch sein, die Lokomotiven sind die Stars. Nur lange geht es nicht, denn wir können die Fahrt fortsetzen.

Nur noch wenige Meter trennen uns von dem Tunnel, der wohl so bekannt ist, dass er den Leuten nicht vorgestellt werden muss. Die Fahrt durch den Tunnel gehört für mich schon lange zum Alltag. Heute ist die Lokomotive etwas besonders, aber sonst habe ich den Tunnel schon oft passiert. Eine dunkle Röhre, die heute etwas länger zu sein scheint, denn mit 55 km/h kommt man nicht schnell vorwärts. Die Fahrt dauert schon etwas länger.

Die Tunnelmitte ist nach 7.5 Kilometer erreicht. Soeben passierten wir die Sprachgrenze zwischen Deutsch und Italienisch. Wobei wir in Airolo mit Deutsch durchaus auch gute Karten haben könnten. Die Fahrt dauert nicht mehr lange, dann kommen wir an und können die Fahrgäste zum Mittagessen entlassen. Ich denke obwohl dem Zug ein Speisewagen eingereiht ist, wird er eher als Bistrowagen bewirtschaftet werden. Ein grosses Menü wird wohl nicht gekocht werden.

Die beleuchtete Tafel 13 huscht an mir vorbei. Wir sind bald in Airolo und die Tessiner Sonne wird uns empfangen. Auch wenn ich auf Dienstfahrten schon anderes erfahren habe, wir sind noch nicht in Italien. So ist es und wir fahren in Airolo pünktlich ein. Das Ziel ist erreicht und mit der letzten Bremsung hält der Zug am Bahnsteig. Die Leute steigen aus. Der Zug hat seinen Endbahnhof erreicht. Die Gäste können zum Mittagessen eilen.

Das werden wir wohl auch gleich machen, aber zuerst kommen die Leute und belagern die Lokomotiven. Plötzlich ist nicht mehr die Ce 6/8 II der Star, sondern deren Lokführer. Was ist passiert? Jemand hatte wohl erkannt, dass der Lokführer Epoche gerecht gekleidet ist und das musste fotografiert werden. So kann ich natürlich nicht an der Besprechung teilnehmen und weiss wieder mal nicht, was nun weiter passieren wird.

 

Pause mit Hindernissen

Auch wir gehen essen! Die Pause muss sein, denn die schreibt das Gesetz vor. Die Handbremsen werden angezogen, Lokomotiven verschlossen und dann geht es in eine nahe gelegene Gaststätte. Lange dauert der Weg nicht und so finden wir einen Sitzplatz. Es ist bei Sonderfahrten immer so, dass nach Ankunft des Zuges alle in die Gaststätten spurten und letztlich die, die gearbeitet haben, froh sein können, wenn sie noch einen Platz in unmittelbarer Nähe finden.

Wäre schön, wenn da etwas mehr an die Leute gedacht würde, die arbeiten. Es kostet doch nicht viel, wenn man für das Personal die Plätze reserviert. So haben die letzten die kommen auch noch einen Platz, denn es sind ja auch die, die als erstes wieder gehen müssen. Nur, wo bleibt der Kellner, der sich nicht um die Neuankömmlinge zu kümmern scheint. Endlich, die Bestellung wird notiert. Wenn das so weiter geht, wird es dann noch hektisch werden.

Wir besprechen die Fahrt, wie sie bisher war, wo die Probleme waren und wie sich diese lösen lassen. Auch wird noch besprochen, wie das weitere Programm aussehen wird. Die Zeit dazu haben wir und nun haben wir auch unsere Ruhe, denn die Fahrgäste schmatzen genüsslich ihr Mittagessen. Würden wir auch gerne, wenn es denn gekommen wäre. Langsam beginnt die Warterei zu nerven. Noch reicht die Zeit, aber es wird vermutet, dass das Schnitzel, das bestellt wurde, vor 30 Minuten noch gelebt hat.

Die Uhr bleibt nicht stehen, die Zeiger bewegen sich unaufhaltsam weiter. Ob sich der Koch in der Küche auch bewegt? Oder ist der Kellner eingeschlafen? Warten mit knurrendem Magen ist nicht schön. Zudem, wir sollten pünktlich sein, wenn die Fahrgäste zu spät kommen, ist es nicht so schlimm, der Zug kann fahren. Aber ohne Lokführer ist das anders, dann bleibt der Zug stehen, die Leute warten und der Ärger ist vorprogrammiert.

Endlich, die Essen kommen. Den Mut, noch ein Getränk zu bestellen habe ich nicht, das könnte serviert werden, wenn wir losfahren. Zudem es muss zügig gegessen werden, denn der grösste Teil der Pause ist durch. Meine Spaghetti sind gut, ich hatte zwar schon bessere, aber nicht hier. Nun, es füllt den Magen, das ist ja der Zweck und das Geknurre endet im Magen, die Fahrt nach Hause wird dann etwas weniger angespannt verlaufen.

Während der Magen verdaut, versuchen wir unser Geld loszuwerden. Das eilt auch nicht und so verstreicht die Zeit. Die natürlich für uns immer knapper wird. Ein Kellner wäre ein Kellner und wenn er dann erscheint, sind wir wohl Luft für ihn. Eine Notlösung ist, dass zumindest die Lokführer gehen und einer der Begleiter zahlt. Doch, es kommt doch noch jemand und erkundigt sich nach den Wünschen. „Die Rechnung bitte!“

Die kommt schliesslich. Nur sind alle Essen auf einer Rechnung. Wenn wir nun einzeln zahlen wollten, würden wir wohl morgen noch hier sitzen. Jeder wirft seinen Anteil auf den Pott und einer wartet, dann können wir wieder zur Arbeit schreiten. Zum Glück ist der Weg nicht weit, denn wir sind sehr eng im Zeitplan und müssen ja noch die Lokomotiven umstellen, schmieren und kontrollieren, das geht nicht von alleine.

So gehen wir mit der Erkenntnis, dass in den richtigen Gaststätten 1.5 Stunden Pause nicht dazu ausreichen vernünftig zu essen. Da haben wir wohl wegen den freien Plätzen einen Fehlgriff gemacht. Die Fahrgäste haben so die guten Plätze dem Personal weggeschnappt. Nur, wie heisst es im Sprichwort? Wer zuletzt kommt, bestraft das Leben. So fühlen wir uns nun auch. Zumindest bei den Lokomotiven sind wir die Ersten.

 

Vorbereiten für die Rückfahrt

Während sich die Fahrgäste noch an einem Nachtisch erfreuen können, gehen für mich und meine Kollegen die Vorbereitungen für die Rückfahrt los. Einfach gesagt, die Lokomotiven müssen auf die andere Seite des Zuges. Eine kurze Besprechung klärt dann, wie wir das Manöver durchführen. So weiss jeder, was er zu tun hat und die Angelegenheit vereinfacht sich. So sind wir schneller fertig und können uns dann um die Lokomotiven kümmern.

Zuerst fahren wir gemeinsam gegen das starke Gefälle und halten dort an. Die Ae 6/6 wird abgehängt und fährt alleine um den Zug. Ich mit der Ce 6/8 II folge ihr zusammen mit der Ae 8/14. Letztlich stehen die Lokomotiven wieder vor dem Zug. Einzige zusätzliche Änderung, die Ae 8/14 hat an der Spitze der Ce 6/8 II Platz gemacht. So werde ich die Verantwortung für den Zug auf der Rückfahrt übernehmen dürfen oder müssen. Man kann es sehen wie man will, jetzt bin ich dran, denn das Personal bleibt auf den Lokomotiven.

Bevor es aber so weit ist, stehen noch andere Aufgaben an. Dazu gehören die Kontrolle der Lager und das Nachfüllen der Öle. Zwar wird die Zeit dafür bis zur nächsten Verschiebung nicht ausreichen. Nur, was man jetzt erledigen kann, muss man später nicht mehr in aller Eile nachholen. Man richtet sich auch bei den Lokführern so bequem wie möglich ein. Das ist eine Eigenart der Menschen, daran ändern wir auch nichts.

Mit der Ölkanne bewaffnet begebe ich mich auf die Vorbaten. Dort sind die Vorräte, die ergänzt werden müssen. Deckel auf, blick hinein, und ja, etwas muss noch nachgefüllt werden. Nummer zwei ist in Ordnung und hat kaum Öl verbraucht. Kein beruhigendes Zeichen, denn wenn kein Öl verbraucht wird, wie wird dann geschmiert? Bisher blieben die Lager kalt, so dass es doch funktionieren muss. Ich schliesse den Deckel wieder und begebe mich zum nächsten.

Gerade als ich einen Vorbau umrundet habe, meldet sich der Zugführer. Er sei mit dem Zug bereit und ich könne mich nun für das nächste Manöver einrichten. Stimmt, die Scheineinfahrt steht auf dem Programm. So kommen wenigsten auch die Leute, die mit dem Zug reisen zu spannenden Bildern. Alles klar! Dann wird die Schmierung unterbrochen, ich weiss ja, welchen Bereich ich bereits geschmiert habe. Der nördliche Vorbau!

Das nun anstehende Manöver erfolgt mit Funk. Ich erhalte den Befehl um rückwärts aus dem Bahnhof zu fahren. Die Kollegen melden sich, dass sie bereit seien und so geht es rückwärts. Zuerst muss ich noch etwas schieben, aber dann geht es von alleine. Das Gefälle sorgt schon dafür, dass wir nicht zum Stillstand kommen. Letztlich kann ich anhalten. Der Zug steht nun im Gefälle des Gotthards und wartet darauf, dass das Zwergsignal auf Fahrt wechselt.

Das ist soweit und ich melde das den Kollegen. Die beiden Ae übernehmen nun die schwere Berganfahrt. Mit meiner Lokomotive helfe ich nur wenig. Die Ventilation lasse ich aber auf voller Leistung laufen. Es soll ja auch etwas für die Ohren sein. So geht es in den Bahnhof, genau so, als ob wir nach einer langen Bergfahrt einfahren würden. Ein paar Pfiffe mit der Lokpfeife runden natürlich die Sache ab. Nebeneffekt ist, dass die Leute etwas von der Bahnsteigkante zurücktreten.

Ich leite die Bremsung ein, um den Zug anzuhalten. Schliesslich sind wir ja nur zur Show eingefahren und haben keine Durchfahrt. Da das Krokodil über ein Führerbremsventil Westinghouse W4 verfügt, muss ich etwas konzentrierter auf die Manometer achten. Die notwendige Erfahrung mit dem Ventil fehlt, denn im alltäglichen Einsatz haben wir modernere Ventile und so ist eine etwas grössere Konzentration notwendig.

Der Zugführer meldet sich am Funk und meint, wir könnten nun die Bremsprobe machen. Daher bremse ich den Zug wieder an und löse ihn, als ich den Befehl dazu erhalten habe. So ist auch mit der Ce 6/8 II eine Bremsprobe einfach zu erledigen. Ich kann die Lokomotive für die Zugfahrt vorbereiten. Manövertaste raus und … äh, das war es ja schon! Wir haben uns so an das ZUB 121 gewöhnt, dass uns etwas fehlt, wenn wir es nicht haben. Erlebt habe ich jene Zeiten noch, aber das ist lange her.

Der Kollege von der Ae 6/6 erscheint. Er habe nichts zu tun und helfe mir beim Schmieren der Lokomotive. Schliesslich hätten wir etwas Zeitnot und Hilfe könne ja bekanntlich nicht schaden. So mache ich die Vorbauten und er die Triebstangen und Laufachsen. Der Zug ist bereit, die Lokomotiven sind geschmiert. Wir wären fahrbereit. Das melde ich auch dem Zugführer. Der meint nur, dass wir wohl zuerst die Leute einsteigen lassen.

Klar, nur machen die im Moment noch keine Gestalten, sich von der Rampe zu lösen. Die Auslöser der Kamera sind das einzige, das sich irgendwie löst. Bewegung in die Leute kommt zuerst auch nicht, als einer schreit „Einsteigen bitte“. Ja, bis wir nun wirklich alle im Zug haben, wird es dauern. Eine Schar Kinder ist in etwa gleich schwer zu handhaben, wie Einbahnfans, die auf Sonderfahrt sind.

Mein Begleiter kommt auf die Lokomotive. Gemeinsam werden wir die Rückfahrt nach Erstfeld unter die Räder nehmen. Er hat das Handy, das auch den GSM-R-Funk empfangen kann. Damit sind wir auch für die Bahnhöfe erreichbar. Die Lokomotive ist gerüstet und der Zug füllt sich langsam, es kann nur noch wenige Minuten dauern, bis wir losfahren. Diesmal erwartet uns eine Fahrt ohne Halt. Zumindest steht das im Fahrplan so und das wollen wir diesmal auch so machen.

Der Gotthardtunnel kommt ja gerade nach Airolo. Die Kontrolle der Lager würde jetzt ergeben, dass sie kalt sind. Probleme kann man so vor dem langen Tunnel nicht erkennen und danach folgen keine so langen Tunnel mehr, dass man sich nicht aus diesem retten könnte. Die Distanz reicht ohne Schmierhalt aus, so dass wir nicht anhalten müssen und durchfahren können. Nächster Halt: „Erstfeld!“

 

Airolo – Erstfeld

Der Bahnsteig hat sich geleert. Scheinbar gelang es dem Zugpersonal doch noch, die Leute dazu zu bewegen, den Zug zu besteigen. Zu den normalen Reisezügen gibt es hier keine grossen Unterschiede. Die Leute steigen ein und immer wieder gibt es eine oder zwei Personen, die im letzten Augenblick auf den Zug hechten. Ich könnte so nicht leben, das wäre mir zu hektisch. Aber wer diesen Adrenalinkick jeden Morgen braucht, verdient meine Anerkennung.

Ein Blick nach vorne verrät mir, dass das Signal soeben auf Fahrt gewechselt hat. Ich kann den Steuerschalter zum Wendeschalter auf vorwärts stellen. Jeden Augenblick wird es losgehen. Hinten ertönt ein Pfiff vom Zugpersonal und die Abfahrerlaubnis leuchtet auf. Wir können abfahren! Ein Pfiff von mir wird von den beiden anderen Lokomotiven quittiert und die Fahrt nach Hause kann beginnen. Daher schalte ich die ersten Fahrstufen zu.

Hinten wird auch die letzte Türe geschlossen. Der Zugführer hat sich auch in den Zug begeben. Bisher stand er in einer Türe und beobachtete den Zug. Ob auch wirklich niemand mehr in allerletzter Sekunde aus dem Busch gehüpft kommt und zusteigt. Doch nun haben wir genug Geschwindigkeit aufgenommen, dass ein Versuch auf den Zug zu springen nicht gut enden würde. Im Gegensatz zu den neuen Lokomotiven fehlt hier der Spiegel, so dass das offene Fenster helfen musste. Ich kann es nun schliessen im Gotthardtunnel würde es nur stören.

Die Reise hat begonnen und schon bald werden wir vom Gotthard verschluckt. Die Führerstandbeleuchtung mit Messingdom wirft einen schwachen Schein auf die Instrumente, die auf dem Pult montiert wurden. Stufe um Stufe wird zugeschaltet und der Zug gewinnt immer mehr an Fahrt. 55 km/h ist hier das Ziel. Nur mein Geschwindigkeitsmesser bewegt sich zwischen 55 und 60 hin und her, es ist somit nur eine grobe Schätzung möglich.

Die beiden Ae arbeiten so gut, dass ich mit der alten Lokomotive nicht viel machen muss. Zeitweise kann ich die Lokomotive einfach rollen lassen. So schonen wir, wenn es geht, die Motoren der alten Lokomotive. Die neueren Modelle sind mit dem leichten Zug nicht gross ausgelastet und können daher die über 90 Jahre alte Lokomotive stossen. Warum sollte dann die alte Lokomotive schwer arbeiten? Die Fahrt durch den Tunnel verläuft so friedlich. Immer wieder kommt ein Gegenzug, bei dem sich der Lokführer etwas wundert.

Irgendwo sollte uns doch wieder der BDe 4/4 mit seiner zweiten Gruppe begegnen. Noch haben wir aber die Tunnelmitte nicht erreicht und können daher nicht weit sehen, der Zug, der uns begegnet ist es auf jeden Fall nicht. Die Lampen verraten sehr schnell, es muss ein ICN sein. Ob der gewusst hat, was gefahren kommt, denn im beleuchteten Führerstand überschlägt sich einer beinahe beim Grüssen. Ein Lokführer, der wohl auch an den historischen Maschinen seine Freude hat.

Geschafft, wir sind am höchsten Punkt der Fahrt erreicht. Der Bergpreis geht diesmal an die Ce 6/8 II Nummer 14‘253. Die weiteren Plätze werden mit kurzem Abstand von der Ae 8/14 Nummer 11‘801 und der Ae 6/6 Nummer 11‘402 belegt. Jetzt sind wir an dem Punkt angelangt, wo auch die Mobiltelefone wieder funktionieren. Damit kann mein Beimann nachfragen, wo denn der BDe 4/4 ist und so die Begegnung absprechen.

Was sein Gesprächspartner meint, weiss ich nicht, aber anscheinend wollen sie in Göschenen auf uns warten. Wir sollten bei der Ausfahrt aus dem Tunnel Pfiffe geben, damit sie fotografieren können. Mit Hilfe des Funkgerätes werden auch die beiden anderen Lokomotiven dahingehend instruiert. Die Fahrt in Richtung Göschenen wird bald ein Ende haben. Es wird Zeit, sich um die obligatorischen Prüfungen zu kümmern.

Die gelten auch hier und so betätige ich die Bremsen des Zuges. Die Verzögerung tritt ein und wir werden langsamer. Ich kann wieder lösen. Augenblick fällt die Ae 8/14 aus, da sie nur ein einlösiges Ventil hat. Der kurze Zug vermag die Lokomotiven nicht zu halten. Jetzt muss ich noch die elektrische Bremse prüfen. Dazu die Fahrstufen abschalten, den Griff zum Wendeschalter ganz nach vorne schieben und erneut aufschalten. Die elektrische Bremse ist aktiviert und funktioniert. Der Talfahrt steht nichts im Weg.

Scheint alles zu funktionieren. Auch bei den anderen beiden Lokomotiven ist das so und wir können die Talfahrt am Gotthard antreten. Aus dem kleinen weissen Fleck bei Tunnelmitte ist ein grosser Fleck geworden, die Lokomotiven passen beinahe durch. Am Einfahrsignal erkenne ich, dass die Ausfahrt noch geschlossen ist. Mein Beimann informiert die Kollegen und ich leite eine Bremsung ein. Schnell fahren müssen wir jetzt nicht mehr.

Rechts erscheint kurz die Abzweigung zum Tunnel zwei und somit haben wir Göschenen erreicht. Die Ausfahrt aus dem Tunnel steht an und das Pfeifkonzert kann beginnen. Schon hat uns das Tageslicht wieder und auf dem Bahnsteig stehen die Massen, die Bilder schiessen und freudig winken. Ein Ereignis ist eingetreten. Ein Zug geführt von einer Legende. Es ist nicht von mir die Rede, sondern vom Krokodil, nur falls Zweifel aufgetreten sind.

Mittlerweile zeigt das Ausfahrsignal freie Fahrt. Wie vorgesehen, es gibt in Göschenen keinen Halt. Ein Blick auf die Uhr, die heute in der Hosentasche ist, verrät, wir sind pünktlich unterwegs. Die Talfahrt könnte aufgehen, auch der Einspurabschnitt ist mit etwas Mut der Fernsteuerung zu schaffen. Doch nun steht zuerst die Fahrt nach Wassen an. Ich beginne damit, die elektrische Bremse der Lokomotive aufzuschalten.

Eigentlich könnten die Kollegen mit den wesentlich besseren elektrischen Bremsen die Hauptlast übernehmen. So könnten wir die Ce 6/8 II etwas schonen, weil die elektrische Bremse nicht voll aufgesteuert werden muss. Schliesslich die die Statoren und die Rotoren der Lokomotive nicht mehr die neusten, auch wenn sie nicht so alt, wie die Lokomotive, sind. So wird das gemeldet und ich bemerke, wie die Geschwindigkeit gehalten wird. Hier wäre nun die von mir betreute Ae 6/6 Nummer 11'411 gut gewesen, die hätte mit der starken elektrischen Bremse den ganzen Zug halten können.

So geht es durch den Naxberg und über die Rohrbachbrücke hinunter nach Wassen, wo wegen der nun etwas tiefer stehenden Sonne keine Fotografen mehr zu sehen sind. Das Licht passt hier nicht mehr optimal. Wobei ein paar haben sich immer noch installiert und drücken den Auslöser, als wir kommen. Damit hatte es sich dann wohl, die Fotografen können wieder abreisen. Der lange Tag neigt sich dem Ende zu. Doch noch sind wir nicht in Erstfeld und als Lokführer weiss man, dass man erst Feierabend hat, wenn man fertig ist.

Die Fahrt geht ungehindert weiter und im Leggistein drehen wir, so dass wir im Bahnhof von Wassen in der richtigen Richtung durchfahren können. Die Zeit im Fahrplan deckt sich ungefähr mit der an der Bahnhofsuhr. Der Bahnhof hat seine besten Zeiten hinter sich. Aber noch immer wird er stark besucht. Denn hier richten sich viele Fotografen ein um die Züge abzulichten. Dass das heute nicht besser sein würde, war mir klar.

Dann endet auch die Fahrt in Richtung Süden und in der Schleife von Wattingen und dem gleichnamigen Tunnel. Wir drehen wieder nach Norden. Mit jedem Meter verlieren wir etwas Höhe und nun sind wir wieder unter 1000 Meter über Meer. Die Schleife von Wattingen ist eine gute Gelegenheit, den Zug zu kontrollieren. Beim Zug sind die Fenster offen und immer wieder blickt jemand nach vorne und kontrolliert, ob die Lokomotiven noch da sind.

Dann verschwinden wir um die Ecke und tauchen in den Kirchbergtunnel ein. Der Bereich mit den Schleifen ist auch geschafft, die Reise geht nun weiter hinunter an den Ort, wo einst der Pfaffe vor dem Teufel davonrannte. Mit einem kühnen Sprung rettete er sich. Seither heisst die Gegend Pfaffensprung. Heute ging das mit der Rettung nicht so einfach, denn die Staumauer verbinden die beiden Talseiten. Die wilde Reuss ist hier gezähmt und der Teufel könnte leicht folgen.

Wir drehen mit dem Zug nach links ab und verschwinden nach einem kurzen Intermezzo im Paffensprungkehrtunnel. Im Tunnel befindet sich das Vorsignal zum Bahnhof von Gurtnellen. Grün ist die Hoffnung und scheinbar können wir uns dem einspurigen Abschnitt nähern. Die Fahrt geht daher ungehindert weiter in Richtung Erstfeld. Noch haben wir nicht alle bekannten Punkte der Nordrampe geschafft, aber es werden immer weniger und hinten beruhigen sich die Fahrgäste etwas.

Das Handy mit dem GSM-R-Funk meldet sich. Es ist das CER Ticino. Die Leitstelle, die den Gotthard regelt. Was genau gesprochen wird, weiss ich nicht, aber nach dem Gespräch werde ich informiert, dass wir Schnellfahrt nach Amsteg machen sollen. Meine Antwort, was meint der wohl, was wir seit Airolo machen. 55, das ist die Geschwindigkeit die angeordnet wurde. Nur bei Verspätung dürfen wir schneller fahren und so die Lokomotiven am Limit belasten, aber davon sind wir weit entfernt.

Die Geschwindigkeit bleibt daher ungefähr gleich. Wie gesagt, meine Anzeige der Geschwindigkeit bewegt sich zwischen 55 und 60. Ab und zu gibt es auch einen Hüpfer auf 65. Ich fahre daher wohl geschätzte 57, also etwas schneller, als vorgesehen ist. Die Reise kann so aber ungehindert weitergehen und auch das Signal zum Spurwechsel Zgraggen ist grün. Keine Behinderungen bisher und auch die letzte Kontrollblicke haben gezeigt. An den Lokomotiven und am Zug ist alles in Ordnung.

In Amsteg müssen wir mit 60 km/h einfahren. Die Geschwindigkeit bleibt also gleich und so kann unverändert weiter gefahren werden. Im Bahnhof von Amsteg wartet der ICN. Ist schon kein Vergleich zu unserem Zug. Wir arbeiten mit Stufenschalter, Messingdom und Blattfedern. Der ICN hat so Annehmlichkeiten, wie Luftfedern, MMI und die Motoren werden über Umrichter angesteuert. Heute möchte ich aber nicht mit einem ICN unterwegs sein. Zu viel Spass macht diese Fahrt.

Nur wenige Kilometer trennen uns von Erstfeld. Die letzten Gefälle stehen daher an und nun wird das Tal etwas breiter und die Hänge sanfter. Die Leute entlang der Bahnlinie winken, wenn wir kommen, auch wenn sie keinen Fotoapparat bei sich tragen. Man freut sich, wenn der historische Zug kommt und wird freundlich. Normalerweise machen wir ja nur einen ungeheuerlichen Lärm. Die Fahrt geht jetzt auf dem rechten Gleis weiter, was dank dem modernen Gleiswechselbetrieb problemlos möglich ist.

Vor mir erscheint das Einfahrvorsignal von Erstfeld. Wir können in Erstfeld mit 40 km/h einfahren. Jetzt muss abgebremst werden. Dazu habe ich aber noch die Bremsen der Wagen. Da nun so oder so der Halt ansteht, müsste ich ja so oder so zum Westinghouse greifen. Die Verzögerung tritt ein und ich kann wieder lösen. Noch arbeiten die elektrischen Bremsen der Lokomotiven. Die Fahrt mit 40 ist nicht viel langsamer, als jene mit 55 km/h.

Einfahrt in Gleis vier. Fast schon wie mit viel Routine bringe ich den Zug an der richtigen Stelle zum Stehen. Entweder half mir hier das Glück, oder meine jahrelange Erfahrung mit Einfahrten von dieser Seite her. Die Lokomotive kann es kaum gewesen sein, denn schliesslich habe ich soeben meine erste Zugfahrt mit der Ce 6/8 II beendet. Einmal musste das sein und heute war das soweit. Nun aber heisst es nicht absteigen und feiern, denn noch müssen die Pferde in den Stall und hier heisst es noch striegeln.

 

Nacharbeiten am Krokodil

Wegen der leichten Kurve ist es nicht leicht, die Lokomotiven zu trennen. Letztlich ist es aber geschafft. Mein Beimann hat sich daran gemacht, die Ce 6/8 II von den anderen Lokomotiven zu trennen. Ein paar Fahrgäste haben sich zu meinem Führerstand durchgeschlagen. Sie verabschieden sich und danken für die Fahrt. Auch das ist leider zu selten der Fall und etwas Anerkennung braucht jeder Beruf und etwas Stolz fühlt man sich dann auch.

Die Leute sind glücklich, ich habe die Fahrt geschafft und das Zwergsignal vor mir geht auf Fahrt. Ich kann vom Zug wegfahren. Nun trennen sich die Wege und die Fahrt ins Depot kann beginnen. Gemütlich bewegt sich die Lokomotive vom Zug weg und führt gegen den Auszug, wo bereits die abgehende rote Ae 6/6 wartet. Auch hier noch ein kurzer Gruss und dann geht es ins Depot, das die Heimat meiner Lokomotive und womöglich auch von mir ist.

Mit einem letzten Pfiff verabschiedet sich die Ce 6/8 II Nummer 14‘253 von den Fahrgästen und entschwindet in Richtung Depot. Wo es nun auf direktem Weg in die Remise geht, denn das Gleis ist frei. Ein Kollege wartet und meint, dass er mich einweisen wird. Das ist gut, denn mit der Ce 6/8 II ist der ideale Standplatz nicht leicht zu finden. Die langsame Fahrt durch das Tor entzieht die Lokomotive den Leuten im Sonderzug.

Es ist geschafft, der Standplatz ist erreicht. Ich bremse die Lokomotive an, schalte den Hauptschalter aus und verbringe den Steuerschalter zum Stromabnehmer in die Stellung tief. Die Lokomotive schaltet aus. Ich beginne mit den Nacharbeiten. Dazu gehört die Handbremse, die nun zur Sicherung der Lokomotive angezogen wird. Das Überkleid, das verschmutzt werden kann, wird angezogen. Dann geht es um die Lokomotive.

Kontrolle der Lager, Abschliessen der Luftleitungen und abhängen der Batterie. Nun steht noch die Reinigung der Triebstangen an. Während der Fahrt hat sich darauf Bremsstaub abgesetzt. Wenn dieser nicht entfernt ist, frisst er sich ein und die Stangen wirken rostig. Daher muss der Bremsstaub mit einem Lappen entfernt werden. Die Arbeit ist daher noch nicht getan und der Maschinenmeister der Lokomotive erkundigt sich nach der Fahrt. Ich berichte und mache mich daran, die Stangen zu putzen.

Schnell ist der Lampen schwarz. Genau nehmen muss ich es nicht, denn die Lokomotive gehe in zwei bis drei Tagen erneut auf Fahrt. Mittlerweile haben sich auch die beiden Ae ins Depot geschummelt und so sind alle Lokomotiven wieder dort, wo sie vor der Fahrt waren. Alle ganz, nah gut fast alle, denn die besorgten Gesichert bei der Ae 8/14 lassen nichts Gutes erahnen. So ist es, ein paar Lager sind warm geworden und befinden sich an der Grenze zu heiss.

Die letzte Tätigkeit an der Lokomotive ist das Ablegen der Dokumente im Leistungscouvert und wegräumen der persönlichen Utensilien. Es ist getan und der BDe 4/4 rollte auch ins Depot. Die waren etwas schneller als wir und sind auch schon wieder zurück. Alle Lokomotiven stehen weitgehend ganz in der Remise und warten dort auf neue Einsätze mit den Lokführern, die sie mit Herzblut betreuen und auch etwas Schweiss in Kauf nehmen um die Fahrgäste sicher ans Ziel zu bringen.

Der BDe 4/4 ist schneller fertig, denn dieser wird normal remisiert. Dann wird das Kabel angeschlossen. Der Triebwagen ist im Stilllager immer an der Batterieladung angeschlossen über den Umrichter kann auch im Stillstand die Heizung genutzt werden. Die anderen Lokomotiven sind einfach abgestellt und die Batterien abgehängt. Die Zeiten ändern sich, auch bei den historischen Fahrzeugen, die immer moderner werden. Die modernste in Stall betreue ich, wenn sie auch nicht als historische Lokomotive wahrgenommen wird.

Langsam formiert sich ein Grüppchen mit den heute eingesetzten Kollegen. Noch waren es an diesem 10. September 2011 nur Lokführer. Die Zeit wird vielleicht kommen, wo es Mitglieder gibt, die eine Freude daran haben und dem Lokführer bei den Nacharbeiten helfen. Nur, wenn man gemeinsam anpackt, ist man schneller fertig und so trifft auch der letzte von Team beim Grüppchen ein. Die Arbeit ist getan!

 

Persönliche Nacharbeiten

Auch persönlich müssen Nacharbeiten erfolgen. Der Sonderzug ist schon über alle Berge und strebt Zürich entgegen. Die Leute im Zug sind wohl glücklich. Eine gewisse Erschöpfung macht sich breit. Normalerweise verrichten wir unsere Arbeit sitzend. Bei den historischen Lokomotiven wird stehend gearbeitet. Wenn man sich das nicht mehr gewohnt ist, geht der Tag an die Substanz. Nur, missen möchte ich solche Tage nicht mehr.

Zwar trinke ich warmes Mineralwasser aus einer PET-Flasche mit schwarzen und ölverschmierten Händen, aber das gehört auch dazu. Wenn ich dann zu Hause bin, wird wohl eine Dusche anstehen. Doch nun wird die Mappe in den Kasten gestellt, der orange Kittel an den Nagel gehängt und schliesslich noch die Hände gewaschen. Die erste Reinigung des Lokführers hat begonnen. Viel aufräumen werde ich auch in der Mappe nicht. Wobei ich die ja nie wirklich benötigt hatte.

Morgen habe ich frei und muss deshalb nicht nach der neuen Leistung sehen. Ein paar Spritzer Wasser im Gesicht entfernen dort den Schmutz und erfrischen. Die Arbeit ist getan. Ein anstrengender Tag mit vielen Eindrücken, auch für mich, ist geschafft. Ich hatte heute meine Premiere auf einer Lokomotive, die so legendär ist, dass es auch Phasen gibt, wo der Lokführer die Attraktion ist. Auch wenn er das wirklich nicht schätzt, denn der wollte den Tag nur heil überstehen.

Gleich nach Hause geht es nicht, denn es ist ein schöner Abend und wir verabreden uns im Gartenrestaurant zu einem Abschluss. Den Weg dorthin machen wir als Gruppe. Wir sind ein Team und leben auch nach diesen Grundsätzen. Man hilft sich, wo man kann und zeigt so den Leuten eine Show, die sie erwarten. Das gehört dazu, wenn der Zug mit Historisch bezeichnet wird. Historisch sind auch die Gebäude, die wir nun verlassen.

Endlich in einem Stuhl sitzen und die Beine entlasten. Schnell kommt die Bedienung und man kann sich das Bier bestellten, auf das man sich eigentlich wirklich freute um nicht zu sagen, dass man es sich erkämpfen musste. Mit einem Bier in der Hand, wird der Tag besprochen. Essen, das nicht kam, Leute, die schier in die Lager krochen um zu sehen, wo das Öl nun hingeht und ein Lokführer, der seine Premiere hatte.

Die Idee mit neuen Konzepten wird besprochen und letztlich auch die Tatsache, dass alles ja nur kurze Einblicke in die Welt der historischen Eisenbahn sind. Letztlich sind aber alle froh, gesund am Tisch zu sitzen und Lachen zu können. Dann kommt die Idee mit der Zukunft auf den Tisch. Wird es je eine historische Re 460 geben? Schwer zu sagen, die GTO dieser Lokomotive sind ja bald nicht mehr erhältlich, aber die Funkfernsteuerung und die Drehstrommotoren wären spannend. Die Geräte für die Re 6/6 liegen noch irgendwo im Depot Erstfeld.

Es wird gescherzt und letztlich bricht man auf um den Tag zu Hause zu beenden. Mir wird sogar eine Mitfahrgelegenheit nach Hause angeboten. Heute nehme ich diese gerne an. Zu Hause kann ich aus den Kleidern, und mir bequemere Kleider anziehen. Dann wird noch etwas im Fernseher angeschaut und im Büro liegt ja noch eine DVD mit einer Videoschulung, die ich schon lange machten wollte um auch etwas mehr über ETCS Level 2 zu wissen. So endet der historische Tag mit der Zukunft.

Ach ja, ich habe jetzt die Befugnis, die Ce 6/8 II auch alleine bedienen zu dürfen. Scheinbar gelang mir meine Prüfungsfahrt mit der Lokomotive. Und wenn ich ehrlich sein will, bin ich Ihnen ja noch etwas schuldig. Genau die Bilder von der Fahrt, denn die fehlen hier. Ganz einfach, wer fährt hat schlicht keine Zeit um Bilder zu machen, daher musste ich mir mit anderen Bildern behelfen. Wer vor der Kamera steht, kann nicht abdrücken.

Ins Bett ging ich an diesem Abend mit einigen Gedanken. Die Fahrt machte Spass, die neue alte Lokomotive gehört jetzt auch in meine Liste der kundigen Fahrzeuge. So gesehen hatte ich einen grossartigen Tag. Doch mit einer Sorge gehe ich ins Bett: Hat es den Leuten auf der Fahrt und entlang der Strecke auch gefallen? Haben wir unsere Arbeit richtig gemacht? Die Kritiken werden kommen, doch niemand davon hatte die Ehre mit der legendären Lokomotive zu fahren.

 

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