Erstfeld - Cadenazzo - Erstfeld

Ein verschlafener Blick auf das laute Teil neben meinem Kopf lässt mich erkennen, es ist drei Uhr Morgens. Zeit aus dem warmen Bett zu steigen. Die Nachtabsenkung der Heizung, sorgt für ein kühles erwachen. Ja, auch die Heizung richtet sich nach den normal arbeitenden Leuten aus. Die stehen halt erst in drei Stunden auf und träumen jetzt noch.

Ich begebe mich zur Kaffeemaschine und schalte sie wie immer am Morgen früh wieder ein. Bis sie die Betriebstemperatur erreicht hat, blicke ich aus dem Fenster der Küche. Es scheint trocken zu sein, zumindest ist der schwach beleuchtete Platz trocken. Auch gut, ich kann ohne Schirm zu Arbeit gehen. Ein bisschen Glück braucht man, denn mein Schirm wäre wieder einmal im Depot gewesen.

Mittlerweile ist die Maschine bereit. Nein so schnell ist sie nicht, aber ich habe mich in der Zwischenzeit in die Kleider gestürzt. Ein starker Kaffee am Morgen bewirkt Wunder. Zwar habe ich die vergangene Nacht gut geschlafen, eine Situation, die leider selten genug eintrifft. Aber in den kühlen Nächten des Herbstes, schläft man wieder besser, als im Hochsommer bei 30 °C.

Dank dem Kaffee und den Bewegungen erreicht auch mein Körper langsam die Betriebstemperatur. Ein Blick auf die Uhr lässt mich erkennen, dass ich noch einige Minuten warten kann. Diese Zeit nutze ich um mich im Internet über das verpasste zu informieren. Eine Schlagzeile lässt mich neugierig auf den Link klicken. Die Schweizer und die Deutschen, ein Thema, das seit Jahren immer wieder  von neuem aufschwellt.

Aha, ein Radiosender hat es wieder einmal versucht, die Morgensendung wurde auf Hochdeutsch gesprochen. Natürlich nicht, ohne dass es gewaltige Proteste gab. Mein Internet-Radio war es nicht, denn hier läuft jetzt noch das Nachtprogramm mit guter schweizer Musik, die so gesungen wird, wie das Land spricht. Der Sänger des Liedes musste das auch erfahren, als er es mit Englisch versuchte.

Das Thema passt eigentlich ganz gut zu meinen Problemen. Denn heute nach Feierabend muss ich noch beim Chef vorbei. Nein ich habe kein Verbrechen begangenen und habe in den letzten Wochen auch keine Kunden verärgert. Es geht um das Thema, das er zu gern anspricht. Meine Versetzung nach Arth-Goldau. Sie erfolgt natürlich immer freiwillig, aber er arbeitet nach dem Motto „steter Tropfen höhlt den Stein“. Irgendwann ist dann jeder so genervt, dass er zusagt um wieder etwas Ruhe zu haben.

Ups, der Artikel war doch etwas länger als ich dachte, ich muss zur Arbeit. Ich ziehe die nun etwas wärmere Jacke an. Denn draussen ist es kühl geworden und das ist definitiv nichts mehr für eine leichte Sommerjacke. Der Oktober hat zwar noch schöne Tage, aber eben, die Nächte sind kühl und ab und zu gibt es bereits Frost am frühen morgen. Eine letzte Kontrolle ob ich auch nichts vergessen habe, lässt mich erkennen, dass ich das Mobiltelefon noch nicht eingepackt habe. Wäre nicht das erste Mal, dass ich ohne unterwegs wäre.

 

Ab zur Arbeit

Vor Jahren war ein Mobiltelefon auf der Lok undenkbar. Zu unhandlich waren die Geräte. Ja, nicht einmal alle Lokomotiven hatten einen Funk eingebaut. Nur für die Gotthardstrecke gab es einen Funk, viele Strecken und Lokomotiven hatten keinen Funk eingebaut. Auch ich erlebte diese Zeiten noch als aktiver Lokführer. Man begnügte sich mit den Telefongeräten an den Signalen und auch an anderen Stellen in den Bahnhöfen.

Es kam die Zeit mit einem Funk auf allen Loks. Jeder Zug konnte nun mittels Radiowellen erreicht werden. Vieles wurde vom Telefon unabhängig. Dann kamen sie, die handlichen Telefone für die Lokführer. Für viele war es zuerst befremdend, aber mit der Zeit gewöhnte man sich daran. Und nun sind wir so weit, dass ohne das kleine Gerät in der Tasche bald nichts mehr geht. Ich habe die wichtigen Nummern darauf gespeichert und kann so jede benötigte Stelle anrufen.

So ändert sich die Zeit. Was sich aber seit Jahren nicht geändert hat, ist der Weg zur Arbeit. Zwar erfolgte er oft in der Sonne, es regnete und der Föhn stürmte auch an vielen Tagen. Im Winter waren Schnee und Eis kein Problem. Für mich war immer von Bedeutung, ich konnte ihn zu Fuss zurücklegen. Das ginge nicht mehr, wenn der Chef es mit seiner Überzeugungskraft erreicht hat. Nur mein Kopf ist hart, dafür sorgten schon die Lehrer in der Schule.

Kurz vor dem Depot begegnet mir ein Kollege, auch das ist nichts besonders und kommt jeden Tag vor. Er spricht mich an. Er habe gehört, dass ich mich für Arth-Goldau interessiere. Ging aber schnell und vor allem weiss ich davon noch nichts. Ja, ich habe heute ein Gespräch, nur entschieden habe ich mich noch nicht. Nur eines würde mich Wunder nehmen. „Wer hat Dir das gesagt?“

Es ist immer wieder verwunderlich, denn  vor knapp 13 Stunden haben es ausser mir erst zwei Personen gewusst, und schon geht es schnell. Das kenne ich. Ich mag mich noch daran erinnern, als ein Lokführer von Erstfeld mich scherzhaft als Chef bezeichnete. Drei Tage später fragte mich mein Kollege aus einem anderen Depot, ob ich denn befördert worden sei. Nun, wir lassen es bei dem Gespräch.

 

Ein kurzer Arbeitstag

Im Depot hole ich meine Tasche aus dem Kasten. Mit der schweren Tasche in der Hand begebe ich mich in das Reservezimmer. Meine LEA benötigt noch neue Daten. Die bekommt sie, nachdem ich sie an der Schnittstelle angeschlossen habe. Einen Bericht über die neuen Geräte habe ich gestern gelesen. Ist schon wichtig, dass man sich auch an anderen Standorten um die Anschläge kümmert, denn hier in Erstfeld fehlt das Schreiben schlichtweg. Auf jeden Fall, das neue Gerät lässt noch lange auf sich warten.

Bei der Leitstelle erkundige ich mich nach meinem Programm. Nur die Person, die hier sitzt konnte die Quelle für das Gerücht sein, denn sie hörte das Telefongespräch mit meinem Chef. So schnell geht es. Aber die Begeisterung, die alle haben, kann ich nicht nachvollziehen, denn von einem Entscheid kann nicht die Rede sein. Meine Freude hält sich in Grenzen. Es kommt einem schon fast vor, als würde die Hoffnung über das Unternehmen auf meinen Schultern liegen. Dabei bin ich doch wirklich nur ein einfacher Lokführer, ohne den das Unternehmen auch funktionieren wird.

Ich erkundige mich nach dem zugeteilten Zug. Er sei bereits vor dem Einfahrsignal Erstfeld. Ich bedanke mich, wünsche der Person, die jetzt Feierabend hat eine angenehme Nacht und mache mich auf den Weg zurück ins Reservezimmer. Auf der Leitstelle hat gerade der Schichtwechsel stattgefunden. Ja, auch die Leitstelle hier, ist bald vergangen, denn ihre Verlegung nach Arth-Goldau ist beschlossene Sache. Die Lokführer zwischen Basel und dem Tessin kommunizieren dann nur noch mit dem Mobiltelefon.

Die LEA verschwindet in meiner Mappe. Ja, die hat auch schon bessere Zeiten erlebt, aber ich habe noch kein passendes Modell für den Ersatz gefunden. Sie muss halt noch ein wenig durchhalten. Von Zeit zu Zeit wird sie behelfsmässig repariert. Mein Weg führt in die Remise, die von den Triebfahrzeugen auch schon besser besucht war. Es stehen kaum Lokomotiven hier, und die die hier stehen, lassen es erahnen, so sähe vermutlich das Museum aus.

Mein Ziel ist aber die Vertretung der Firma, die uns so grosszügig mit Automatenfutter versorgt. Eine kleine Torte, falls auf dem Weg der Hunger Einzug hält und noch eine Flasche mit Getränk entlocke ich den Geräten. Das Geld dazu habe ich auf einem Plastikteil gespeichert. Ich kann mir so die Suche nach den Münzen ersparen. Wir müssen schon dafür sorgen, dass das Geschäft mit den Getränken läuft, denn sonst werden auch hier die Automaten mangels Umsatz gestrichen.

Mein Weg führt an den Maschinen vorbei, die an jene Tage erinnern, als hier am Gotthard ein gigantischer Wechsel stattfand, denn es waren jene Maschinen, die dafür sorgten, dass es hier keine Dampfloks mehr gab. Die Heizer der Dampfloks fürchteten wohl auch um ihre Zukunft. Damals war die Arbeit vermutlich auch nicht immer leicht, aber wir erinnern uns ja nur an die guten Sachen, das schlechte blenden wir immer wieder aus.

 

Erstfeld - Göschenen

Ich habe die Lokomotive meines Zuges erreicht, öffne die Türe und werfe meine Mappe hinein. Gerade diese Art mit einer Arbeitsmappe umzugehen, setzt ihr schwer zu, so kommt es halt, dass es immer wieder mal eine neue Mappe braucht. Der Alltag bei der Eisenbahn ist halt etwas rauer, da leidet auch ein Koffer, der Piloten lange Zeit gute Dienste leistet. Ich folge der Mappe auf weniger rabiate weise. Dabei muss ich mich an der Mappe vorbei in den Führerstand begeben.

Zuerst kommt die Mappe an ihren Platz. Dazu dient der Stuhl des Heizers, obwohl ich ihn auf der Re 6/6 gerne nicht sehen würde, man kann aber nicht alles haben. So, die Mappe ist platziert, ein kurzer Blick auf die Manometer lässt mich erkennen, dass die Luftbremse der Lokomotive angezogen ist. Ich kann die Handbremse lösen, ohne dass ich befürchten muss, dass der Zug davon zu rollen beginnt. Aufpassen muss ich nur auf meine Handgelenke, denn wenn mir die Kurbel entgleitet, wird es schmerzhaft. Ich kenne das Gefühl zu gut.

Als nächstes wird die Rangierbremse angezogen und die Bremsen der Wagen gelöst. Der Kollege hat den Zug korrekt stehen gelassen, deshalb muss ich die Bremsen der Wagen lösen, die normalerweise im Stillstand lose sind. Die LEA kommt an die vorgesehene Stelle, wird eingerichtet und das Programm gleich dem Zug angepasst. Das heisst, ich gebe dem elektronischen Fahrplan die Zug- und Bremsreihe bekannt. Mit D 85 nicht gerade schnell, es könnte aber schlimmer sein.

Besser erwischt habe ich es mit dem Gewicht, denn der Zug ist gerade einmal 450 Tonnen schwer. Auf der Gotthardstrecke ein Leichtgewicht, denn der Zug, der soeben ausfährt hat eine Schiebelokomotive benötigt. Ebenso erkenne ich, dass am Schluss des Zuges noch ein paar Wagen eingereiht wurden, die nach Bellinzona müssen. Ein Halt steht vermutlich auch dort an. Im Fahrplan steht davon nichts und die notwendige Haltkarte fehlt auf der Lok auch. Man wird es wohl auf die einfachste Weise machen, das Signal bleibt einfach auf Halt.

Ich bin soweit vorbereitet, von mir aus könnte die Fahrt jetzt losgehen. Nur, der Fahrdienstleiter kann ja auch nicht hellsehen, so muss ich ihm die Fahrbereitschaft noch melden. Dazu dient der Funk der Lokomotive. Nach nur wenigen Signaltönen wird mein Ruf entgegen genommen. Ich melde die Bereitschaft des Zuges. Jetzt ist es nicht mehr an mir, ich habe den Zug zur rechten Zeit gemeldet, wenn jetzt das Signal nicht auf Fahrt geht, ist es nicht mein Fehler.

Kaum waren meine Gedanken zu ende gedacht, erblicke ich vor mir das Fahrt zeigende Signal. Die Abfahrerlaubnis leuchtet wenig später auch auf. Ich darf mit dem Zug abfahren. Trotz des leichten Zuges müssen alle Grundsätze für die Führung eines Güterzuges berücksichtigt werden. Das heisst, der Zug wird mit wenig Zugkraft zuerst gestreckt. Erst wenn alle Wagen rollen, kann die Zugkraft erhöht werden. Alle anderen Versuche enden meist in einem erneuten Versuch.

Da mein Zug im Gleis 1 stand, darf ich gleich auf die Streckengeschwindigkeit beschleunigen. Hier in Erstfeld erfolgt das meist mit der höchst möglichen Zugkraft. Was im flachen Bahnhof beschleunigt wird, muss nicht mühsam in der Steigung nachgeholt werden. Ein Nebeneffekt ist, dass eine schwache Kupplung noch hier zerrissen wird und nicht erst in der Steigung.

Dank den beiden Lokomotiven an der Spitze wird der Zug sehr schnell schneller und ich habe bereits die erlaubte Geschwindigkeit erreicht, als ich mich den südlichen Einfahrsignalen nähere. Die Linkskurve lässt mich ein erstes Mal nach hinten blicken. Friedlich rollen die Wagen hinter der Lok her. Dank der Strassenbeleuchtung kann ich erkennen, dass es sehr viele Wagen mit Containern sind. Es sind nicht übliche Container, sondern solche, die für den Transport von Kehricht genutzt werden.

Aus Erfahrung weiss ich, diese Züge stinken oft gewaltig zum Himmel, vor allem dann, wenn der Müll aus Italien kommt und schon einige Zeit im Container vor sich hin faulen konnte. Kein guter Geruch, zum Glück ist man mit der Lok davor. Jetzt sind die Container leer, was aber nicht heissen soll, dass sie besser riechen würden. Weiter hinten sind noch Wagen eines grossen Möbelhauses eingereiht.

Wenn die Kunden wüssten, dass ihre neue Polstergarnitur, die sie gekauft haben hinter einem Wagen her rollen, der als nächstes ihren Müll in die Deutschschweiz transportiert. Aber zum Glück ist ja alles gut verpackt. Mittlerweile ist auch der Zug so weit gefahren, dass ich im Dunkeln bin und deshalb nicht mehr viel erkennen kann. Das erste Blocksignal leuchtet grün in die Nacht heraus.

Ein Zug mit einer Re 484 an der Spitze begegnet mir, es ist der Zug von TXL, der mit einer Lok der Baureihe 189 bespannt ist. Da der Zug oft für die Lok zu schwer ist, macht SBB Cargo über den Gotthard Vorspann. Eine Leistung, die ich auch schon hatte, nur war es damals die Re 6/6 11603, die zu meiner Überraschung mit einer Klimaanlage ausgerüstet war. Diesmal war wieder eine Re 484 an der Reihe.

Auch die Einfahrsignale von Amsteg zeigen das was ich gerne sehe. Freie Fahrt, bis nach dem Bahnhof. Es geht zügig voran, den ersten Bahnhof in der Nordrampe passiere ich mit der erlaubten Geschwindigkeit und nähere mich dem ersten Tunnel.

Danach folgt die Chärschtelenbachbrücke, der Tunnel durch den Bristen und dann die höchste aller SBB-Brücken, die Intschireussbrücke.

Gotthardfanatiker würden sich jetzt die Augen reiben, so viele Highlights auf nur wenigen Metern, der Traum jedes Modellbahners. Aber besonders schlimm ist es, wenn sie erfahren, dass dies dem Lokführer so ziemlich egal ist, viel mehr erregen die Vorsignale zum Spurwechsel Zgraggen meine Aufmerksamkeit.

Zwei orange Lichter auf gleicher Höhe und das auf beiden Geleisen. Das Hauptsignal ist zu und bleibt es auch. Die Zugsicherung macht mich auch noch darauf aufmerksam. 

Den Gotthard hoch braucht man nicht zu bremsen. Es reicht, wenn man die Zugkraft abschaltet, den Rest erledigt die Schwerkraft. Letztlich kommt es dann, zumindest in diesem Fall, zum Halt vor dem Signal.

Ich lege die Rangierbremse der Lok an und beginne die Bremsen der Wagen zu lösen. Dabei bemerke ich fast jeden Wagen, der löst, denn es ist immer ein leichter Ruck, der durch die Lok geht. Das wird immer so gemacht, es sei denn, man habe eine moderne Lokomotive mit Umrichter.

Gurtnellen ruft mich am Funk auf und erklärt, dass wegen einem Einspur noch zwei Gegenzüge kommen. Ich quittiere die Info und bedanke mich. Mit meinem leichten Zug lasse ich es noch ohne murren über mich ergehen, bei einem schweren Zug hätte ich wohl viel Lob über die angebliche Unfähigkeit einiger Leute ausgesprochen. Ich nutze die Zeit um die notwendige Buchhaltung nachzuholen. Die Angaben, die ich persönlich benötige trage ich in meiner Agenda ein.

Ich weiss nicht, woran es gelegen ist, aber mir kamen vier Züge entgegen. Die Info stimmte wieder einmal nicht, oder aber ich habe verlernt zu zählen. Auf jeden Fall das Signal vor mir geht auf Fahrt, ich kann losfahren. In der Steigung des Gotthards kein leichtes unterfangen, denn macht man es falsch rollt man rückwärts oder man zerreisst den Zug. Ein wichtiger Punkt ist aber, wenn man weiss, welchen Strom man für die Beharrung benötigt.

Mit dem Handgriff des Fahrschalters schalte ich den Strom bis zu diesem Wert auf und löse gleichzeitig die Rangierbremse der Lokomotive. Eine zusätzliche Stufe lässt letztlich den Zug sanft anfahren. Die Bremsen des Zuges werden noch mit einem Füllstoss beehrt. Nur hier ist dies erlaubt, so soll verhindert werden, dass ich gebremste Wagen habe.

Trotz der maximalen Zugkraft beschleunigt mein Zug nur langsam. Die Steigung und der Widerstand der Räder in der Kurve sorgen dafür, dass es nicht leicht geht. Mit einem schweren Zug, setzt man sich oft nur mit sehr viel Mühe in Bewegung. Bei ganz schweren Zügen geht es dann schon mal einfach nicht mehr. Man braucht Hilfe und sorgt für ein kleines Verkehrschaos. Aber mit meinem Zug geht es und ich erreiche die Geschwindigkeit noch vor Gurtnellen. Ein schwerer Zug braucht dann schon mal bis zu 10 Minuten, bis er wieder die erlaubte Geschwindigkeit erreicht hat. Das sagt zumindest die Theorie.

Ich nähere mich Gurtnellen so mit 75 km/h Stunde. Das was auch schon anders, denn als ich einmal mit 1'300 Tonnen am Haken losfahren musste, erreichte ich bis Gurtnellen gerade einmal 50 km/h. Mit einer Schiebelokomotive kann es schon mal vorkommen, dass es dann nicht mehr geht. Anfahrten am Berg sind immer sehr schwer und so hätten die bergwärts fahrenden Züge Vortritt.

Nun, bei Regen hätte ich es wohl kaum auf diese Geschwindigkeit geschafft. Aber das ist alles nicht so wichtig, denn ich fahre was ich darf, die Abfahrt ist gelungen und einen grossen Groll hege ich auch nicht. Eines weiss ich aber, vor mir verkehrt lange kein Zug, denn auch bei minimalem Abstand hat der Zug vor mir vermutlich über 20 Minuten Vorsprung. Mit einem solchen Rückstand kann ich getrost zufahren.

 

Göschenen - Bellinzona

Die Dunkelheit des Gotthards hat mich erreicht. Eigentlich stimmt es ja nicht, denn draussen ist es nicht viel heller. Die Durchfahrt von Göschenen verlief ebenfalls gut und ein kurzer Blick in die LEA verriet mir, dass ich etwa 15 Minuten zu spät unterwegs bin. Jetzt im Tunnel könnte ich einen grossen Teil aufholen, aber dank der Zugreihe D darf ich nur 80 km/h fahren.

Nun, jetzt im geraden Tunnel mit weit sichtbaren Signalen, kann man sich mit Gedanken über die bevorstehende Talfahrt befassen. Ein leichter Zug erlaubt hier viel, denn die Fahrzeiten den Gotthard hinunter sind für schwere Züge ausgelegt, die halt nicht so schnell talwärts fahren können. Mit einem leichten Zug liegt viel drin. Aber, noch bin ich im Tunnel und das noch für 13 Kilometer.

Mit 80 km/h werden auch die 15 Kilometer des Gotthardtunnels lange. Wenn ich da an die 57 Kilometer lange Betonröhre denke wird mit schlecht. Dort hat es keine Signale und Kollegen, die auch auf eine genervte Lichthupe hin nicht kapieren, dass sie einen blenden. Eine eintönigere Fahrt als durch dieses Wunder der modernen Tunnelbaukunst, gibt es nun mal nicht. Fliessbandarbeit für Lokführer, man darf dann gegen den Schlaf kämpfen.

Aber wie es immer ist, alles hat ein Ende und so erreiche ich den Kilometer 12, der mit einer leuchtenden Tafel markiert ist. Es ist nicht nur der Kilometer 12, der markiert ist, jeder Kilometer ist gleich markiert, aber hier habe ich wieder etwas zu tun. Es ist der Punkt, wo die Bremsen geprüft werden müssen. Wenn jetzt die Bremsen ungenügend wirken, kann ich im Bahnhof Airolo vielleicht noch abspringen und so mein Leben retten. Es besteht aber kein Grund zur Sorge, die Bremswirkung setzt wie erwartet ein. Das ist immer so, aber wenn nicht, dann…

In Airolo ist das Wetter anders, das erkenne ich auch mitten in der Nacht, denn es regnet hier. Ein Griff zum Schalter und die Wischerblätter des Scheibenwischers sorgen für bessere Sicht. Normalerweise würde ich hier den Zug mit Hilfe der elektrischen Bremse hinunter bremsen, so dass ich bei der Ausfahrt noch etwa 50 km/h fahren würde. Nur mit diesem Zug ist das nicht nötig.

Mit zunehmendem Gewicht im Gefälle nimmt die Kraft, die ich mit der elektrischen Bremse erzeugen muss zu. Die Lokomotiven arbeiten gut zusammen, denn bei etwas 1'800 Ampère Bremsstrom beginnt sich der Zeiger des Geschwindigkeitsmessers nicht mehr zu bewegen. Auch an der digitalen Anzeige, die auf den ETCS-Maschinen zusätzlich erfolgt ändert sich nichts, ich habe den Zug bei 74 km/h in Beharrung.

Wegen dem Wetter betätige ich ab und zu den Sander, so kann ich erkennen, ob auch wirklich die richtige Geschwindigkeit angezeigt wird. Ein rutschen alle Räder ist bei den Lokführern sehr gefürchtet. So eine Situation hatte ich auch schon mal, da sagte mir die Anzeige, dass ich stehe, weil alle 10 Triebachsen gleichzeitig blockierten. In einer solchen Situation reagiert man blitzschnell.

Hier ist aber alles sehr ruhig, die Anzeige stimmt und der Zug rollte mit 74 km/h in Richtung Ambri-Piotta. Linker Hand ist die grosse Raststätte zu sehen, die vielen Fernfahrern als Nachtlager dient. Ein Nachtlager, das für sie in der Schweiz vorgeschrieben ist. Ich, der sich gewohnt ist Schicht zu arbeiten, kann nicht verstehen, warum die Fernfahrer dieses Nachtfahrverbot bekämpfen wollen, denn erst wer einmal eine Nacht mit Arbeit, statt mit Schlaf verbracht hat, weiss, dass es nicht einfach ist in der Nacht zu arbeiten.

Im Bahnhof von Rodi-Fiesso kontrolliere ich die Zeit. Wie liege ich zum Fahrplan. Ja, die schnelle Talfahrt bemerke ich schon jetzt, es sind noch knapp 8 Minuten, die ich aufholen muss. In Lavorgo könnte es dann soweit sein. Doch zuerst steht die Schlucht des Dazio Grande an. Die Tunnel häufen sich hier. Durch das enge Tal gibt es nicht viel Platz, es sei denn, man weicht in den Berg aus.

Ohne Probleme erreiche ich Faido. Wenn es so ruhig läuft und man nichts zu tun hat, merkt man sehr schnell, dass man früh aus dem Bett stieg. Die Müdigkeit schlägt dann erbarmungslos zu. Ein Schluck aus der Limonade, die ich bei mir habe soll etwas helfen. Leider zeigen jetzt die Signale immer noch grün und die Räder der Lok finden genug Haftung, so dass ich nicht mit der Luftbremse arbeiten musste. Meine einzige Tätigkeit bestand darin, die Sicherheitssteuerung und die Scheibenwischer zu bedienen.

Endlich es schien ewig zu dauern, ich erreiche Lavorgo. Ein Blick in die LEA und ich sehe, dass meine Prognose stimmt. Ich bin fast wieder fahrplanmässig unterwegs, aber 3 Minuten Abweichung lassen mich kalt. Durch die etwas flachere Strecke musste ich die Bremskraft anders einstellen. Nach dem Bahnhof ist dann wieder die volle Bremskraft erforderlich. Ein paar Handlungen, die willkommen sind.

Ich nähere mich dem eindrücklichsten Abschnitt, der Biaschina. Hier können wir von der obersten Ebene hinunter blicken. Ein Zug nähert sich gerade von Süden her dem ersten Kehrtunnel. Die Signale in meiner Fahrrichtung zeigen alle orange. Das sieht wirklich schön aus, denn wäre eines der sichtbaren Signale grün gewesen, wäre ein Zug vor mir unterwegs gewesen.

Ich habe mich hinreissen lassen und näherte mich dem Vorsignal des Spurwechsels Pianotondo mit der erlaubten Geschwindigkeit. Es fuhr meinem müden Körper in die Glieder, als meine Augen die orangen Lichter der Vorsignale erkannten. Blitzschnell leitete ich die Vollbremsung ein und bin wieder hellwach. Die Wagen, die bisher nichts zu tun hatten, werden ebenso abrupt geweckt.

Ausgerechnet dieser Spurwechsel, der ist kurz und das Signal ist sehr schlecht zu sehen. Ich verlasse den Kehrtunnel mit 40 km/h. Immer noch schnell genug, aber mittlerweile fällt die Geschwindigkeit schnell. Letztlich nähere ich mich dem Hauptsignal mit 10 km/h. Klingt langsam, aber hier ist das durchaus immer noch schnell genug. Es leuchtet immer noch rot und ich leite die Bremsung ein um zu halten. Den Gruss des entgegenkommenden Lokführers kann ich nicht erwidern, denn dazu fehlt die Zeit.

Der Teufel hat es auf mich abgesehen, denn gerade in dem Moment, wo mein Zug zum stehen kommt leuchten vorne zwei grüne Lichter auf. Es war eine Kreuzung. Die war abzusehen, warum nur müssen wir das immer mit den orangen Signalen erfahren. Ein kurzer Funkspruch und ich hätte den Zug mit der elektrischen Bremse verzögern können, denn ein wenig mehr Bremsstrom wäre noch zulässig gewesen.

Die Bremsen der Wagen lösen langsam und der Zug beginnt gemächlich zu rollen. Das alles dauert recht lange, aber hier kann ich nichts beeinflussen, die Bremsen müssen zuerst gelöst sein, erst dann kann die Schwerkraft den Zug beschleunigen. Bei 10 km/h schalte ich die elektrische Bremse der Lok bereits wieder ein. Bis zu den Weichen darf ich sie noch benutzen und so komme ich vermutlich ohne Luftbremsen über die Weichen.

Vor der Weiche reduziere ich den Bremsstrom auf einen Wert, der nur für die Lokomotiven ausreicht. Der Zug wird nun schneller und beschleunigt über die Weichen. Nach dem Spurwechsel warte ich einen Moment, denn noch darf ich nicht mit der elektrischen Bremse mehr Bremskraft erzeugen. Die Geschwindigkeit liegt mittlerweile bei 55 km/h. Da ich die gefahrene Länge kontrolliert habe, weiss ich, auch der letzte Wagen hat die Weichen passiert, ich kann wieder auf 75 km/h beschleunigen.

Für die Beschleunigung nutze ich das Gefälle. Es dauert nicht lange, bis ich wieder alles eingestellt habe. Aber kaum habe ich es erledigt kommt schon die ehemalige Station Giornico. Es wird flach und ich muss die Bremskraft reduzieren. Der gleichnamige Spurwechsel zeigt zu meiner Überraschung freie Fahrt. Ich hatte die Vermutung, dass es hier wieder auf das linke Gleis geht.

Jetzt neigt sich die Strecke etwas stärker. Das heisst, ich muss jetzt erstmals den maximal erlaubten Bremsstrom aufschalten. Statt den bisherigen 1'800 A sind nun 1'900 A nötig. Gerade diese Differenz war es, denn die Lok beginnt zu rutschen. Es reicht nicht mehr für die maximale Bremskraft. Mit Hilfe von Sand versuche ich die Lokomotiven wieder zu beruhigen und mit dem Ventil lasse ich die Wagen bremsen.

Das gelingt gut, und ab und zu kann ich meinen Finger entlasten. Einen Vorteil habe ich noch, denn der steilste Abschnitt endet in wenigen Metern und ich kann die Kraft wieder reduzieren. Mein linker Daumen dankt es. Ich erkenne, dass sich nun auch die Signale des linken Gleises daran gemacht haben grün zu werden. Ein Zug folgt mir auf dem linken Gleis. Viel kann es nicht sein, das mir folgen könnte.

Kaum als ich es bemerkt habe ruft Bellinzona meine Zugnummer am Funk. Ich antworte und erfahre daraufhin, dass in Bodio eine Überholung stattfinden soll. Ich quittiere und schalte die elektrische Bremse wieder auf, es eilt jetzt ja nicht mehr. Ebenso habe ich erfahren, meine Vermutung war richtig, es ist der treno di notte. Gerade in dem Moment, wo ich in Bodio zum stehen komme rauschen die Lok und die Wagen des Nachtschnellzuges an mir vorbei.

Wenig später rolle auch ich wieder und der Wechsel findet auch gleich statt. Ich verkehre jetzt wieder dort wo ich hingehöre auf dem linken Gleis. In Biasca hatte ich dann 5 Minuten Rückstand. Die Fahrt mit 80 km/h nach Bellinzona ist ohne grössere Probleme gelaufen und so nähere ich mich dem Bahnhof Bellinzona. Hier signalisieren mir die Signale eine Einfahrt in den Bahnhof San Paolo, den Rangierbahnhof von Bellinzona.

 

Bellinzona - Cadenazzo - Bellinzona

Ich werde am Funk aufgerufen. Auf meine Antwort erfahre ich, dass die Wagen am Schluss abgehängt wurden. Ich bestätige die Meldung und denke mir, dass für einmal gut gearbeitet wird. Eigentlich hätte ich hier Durchfahrt mit unterschiedlicher Minutenzahl und keinen Halt. Ich weiss, das mit der Durchfahrt, bla, bla, bla klingt etwas blöd, aber es ist nicht auf meinem Mist gewachsen.

Aber, und nun beginnt der entscheidende Punkt, wäre das Signal vor mir schon auf Fahrt gegangen, hätte ich ohne weitere Gedanken losfahren können. Bei einem Halt, hätte ich warten müssen, bis die vorher erfolgte Meldung eingegangen wäre. Nun, keine Zeit mehr um sich an die letzte periodische Prüfung zu erinnern, denn das Signal vor mir zeigt Fahrt.

Die Fahrt nach Cadenazzo ist nicht sehr lange, aber seit ich mit dem Flirt fahren darf, ist das eine der ersten Touren, die ich auf dieser Strecke habe. Die Fahrten nach Locarno sind vorbei, mein Brot im Personenverkehr verdiene ich nördlich von Erstfeld. Schade, aber dafür habe ich ja selber gesorgt. Ich könnte mich ja nun über mich ärgern, aber letztlich soll man den Kollegen auch etwas gönnen.

Die Einfahrt in den Endbahnhof erfolgt mit 40 km/h. Im beleuchteten Bahnhof kann ich den Rangierarbeiter nur schwer erkennen. Ich gehe davon aus, dass ich bei ihm anhalten muss. Nun, er wird mir dann schon die entsprechenden Signale erteilen. Genau in dem Moment erteilt er den Befehl zum anhalten. Ich bringe den Zug zum stehen. Letzte Handlung meinerseits für die Wagen.

Die Wagen sind am Ziel. Wenn ich es genau nehme, bin ich schon darüber hinaus geschossen, denn Pause habe ich in Bellinzona. Hier werden die Wagen abgehängt und ich kann einige Meter vor fahren. Das Zwergsignal vor mir geht kurze Zeit später auf Fahrt und ich kann meine letzten Meter gegen Süden fahren. Jetzt natürlich nur mit der Lok. Nun, so kurz sind die Wege hier in Cadenazzo auch wieder nicht, aber ich verlasse den Bahnhof nicht.

Auf der südlichen Lok stelle ich die Schalter der Lampen so ein, dass nach dem Wechsel hier das Zugschlusssignal leuchtet. Die Fahrt nach Bellinzona absolviere ich als Lokzug. Durch die schlecht beleuchteten Pfade im Schotterbett erreiche ich die andere Seite meiner beiden Lokomotiven. Das einschalten der beiden Maschinen ist nach so vielen Jahren zur Routine geworden und geht schnell.

Auch das Stellwerk weiss, dass es schnell geht, denn ich bin noch nicht so weit, aber die Rangierfahrstrasse steht schon bereit. Nachdem ich alles eingerichtet habe, kann ich die Fahrt beginnen. Der Weg führt in ein Gleis, das normalerweise nur von Güterzügen benützt wird. Ich rechne nun damit, dass der morgendliche Nahverkehr dafür sorgen wird, dass ich warten muss.

Ein Blick in die nun eingestellte LEA verrät mir, dass ich ja erst in 4 Minuten losfahren sollte. Mehr Zeit für solche Gedanken habe ich nicht mehr, denn ich werde am Funk verlangt. Die Fernsteuerung fragt mich, ob ich denn fahrbereit sei. Ich erwidere mit ja und blicke nach vorne. Länger hätte ich nicht mehr warten dürfen, denn ich sehe, wie das Signal vor mir grün wird.

Mit den leeren Lokomotiven bin ich so schnell wie die schnellsten Reisezüge dieser Strecke. So kommt man schnell voran und auch in Giubiasco kann ich durchfahren, so erreiche ich Bellinzona in wenigen Minuten. Nun, wenn man mit einer Lok in Bellinzona einfährt muss man immer aufpassen, dass kein Fehler passiert. Das grösste Problem dabei ist zu wissen, wo der Zug endet und wo die Rangierbewegung beginnt.

Deshalb gehe ich immer davon aus, dass bis zum letzten möglichen Signal vor dem Abstellort mit den grossen Signalen gefahren wird. Ist es dann einmal nicht so, werde ich es dann auf mehr oder weniger freundliche Art erfahren. Heute führt der Weg über das Gleis 1 in ein Gleis, das für solche Züge ideal ist. Ich halte vor dem roten Signal an. Meine Kenntnisse der Station sind so gut, dass ich weiss, dass es nun nur noch mit den kleinen Signalen weiter gehen kann.

 

Ein Parkplatz für die Re 10

Da ich eine Re 10 habe, ist im Grunde klar, wo ich meine Lok hinstellen werde. Das Gleis 506 ist dazu vorgesehen. Das Zwergsignal vor mir zeigt es auch an, der Weg wird dorthin führen. Ich drücke die Taste der Zugsicherung um diese zu überbrücken. Auf andere Weise komme ich kaum am roten Signal vorbei. Das muss ich aber, da ich jetzt am rangieren bin.

Eines ist jedoch im Gleis 506 nie sicher, denn hier sind nicht an jedem Tag gleich viele Lokomotiven abgestellt. Heute sind es besonders wenige. Da die Dämmerung einsetzt erkenne ich mit Hilfe der Lampen im Bahnhof, wo die Lokomotive steht. Man muss schon aufpassen, wenn man gegen eine unbeleuchtete Lokomotive fährt. Diese Hindernisse sind, wenn es dunkel ist, nicht so leicht zu erkennen.

Ich verzögere so, dass ich nur noch mit kleiner Geschwindigkeit fahre. Die ist so klein, dass der Zeiger des Geschwindigkeitsmessers meiner Re 4/4 III kaum reagiert. Es sind auch nur noch wenige Zentimeter, bis ich auf die andere Lok treffe. Ein Ruck geht durch meine Lok, es ist passiert, die Puffer haben sich berührt. Meine Fahrt hat ein Ende. Es gibt hier immer wieder Kollegen, die zwischen den beiden Lokomotiven etwas Luft lassen.

Eigentlich ist das ja nicht falsch, aber sie werden sich keine Freunde bei den Kollegen schaffen, die hier zwei Re 10 zu einer Re 20 zusammen binden müssen. Stehen die Loks schon zusammen, geht es wesentlich einfacher. Zwar ist das Kuppeln des schweren Kabels nicht zu umgehen, aber man muss nicht zuerst mit einer Lok etwas fahren, sondern kann gleich kuppeln und dann die Kontrolle durchführen.

Wenn wir schon bei Kontrolle sind, die beginne ich auch gleich. Etwas schwerer wird es schon, denn auf einer Seite steht ja eine Lok, ich kann nicht einfach herum gehen. Mit der Re 4/4 III beginne ich. Gerade in dem Moment, wo ich die Kontrollen im Maschinenraum durchführe, bemerke ich, dass ein Ruck durch die Lok geht. Aha, der Weg um die Lok auf der anderen Seite ist jetzt auch versperrt worden.

Zwar etwas mühsamer, als an anderen Orten, aber dennoch, die Kontrolle ist korrekt zu erledigen. Sind wirklich keine Federn gebrochen, tritt irgendwo Öl aus oder ist etwas abgebrochen. Es kann an einer Lok auf einer Fahrt viel defekt gehen. Aber bei meinen beiden Modellen ist alles in Ordnung. Kein unnötiges Öl, keine gebrochene Feder und auch sonst ist alles dort wo es sein sollte.  Das gilt besonders für das Verbrauchmaterial, denn nicht alle Kollegen nehmen es mit dem Ergänzen desselben genau.

Ich habe meine Kontrollen abgeschlossen und erkenne den Kollegen der anderen Lok, es ist ein Lokführer aus meinem Heimatdepot. Zwar könnte ich jetzt einfach losgehen und ihn so stehen lassen, was ich dann aber beim Morgenessen hören müsste ist ja wohl allen klar. Deshalb warte ich, denn man ist ja kein Kameradenschwein. Da er etwas später gekommen ist, benötigt er noch ein paar Minuten bis er fertig ist.

 

Morgenspaziergang zur Pause

Als er fertig ist mit seiner Arbeit, meint er, dass er zuerst anrufe, denn er habe keine grosse Lust nach Bellinzona zu gehen und dann wieder zurück. Da hat er Recht, ich meine nur, wenn er die Leitstelle schon am Telefon habe, solle er auch nach mir fragen. Das macht er und meint dann, dass wir nach Bellinzona spazieren dürfen. Nach der Pause solle ich dann noch anrufen.

Auf dem Weg reden wir über allerlei Sachen, wie könnte es auch anders sein, er meint, was denn an dem Gerücht war sein. Ich stelle mich dumm und frage, was für ein Gerücht. Er meint nur, dass er etwas wegen Goldau habe klingeln hören. Das stimmt so, aber warum er dann frage, denn ist das wirklich so weltbewegend? Er meint nur, dass er sich mit dem gleichen Gedanken befasse.

Aha, aber auch ihm fällt der Entscheid nicht leicht. Da muss jeder mit sich selber ins reine kommen. Ein paar Ängste sind immer da, denn es ist eine Prüfung die abgelegt werden muss. Prüfungen sind nie leicht, man kann schnell einen Fehler zu viel machen, dann ist die Prüfung misslungen. Was passiert dann mit der Fahrerlaubnis in der Schweiz? Es geht schliesslich um die Existenzgrundlage.

Der Weg führt an den Hallen des IW Bellinzona vorbei. Auch dort wird gearbeitet. Eine Arbeit, die den Leuten dort wohl auch nicht mehr so viel Freude bereitet, denn auch hier sind die Ängste gross. Viele sind zur Eisenbahn gegangen, weil man damals hier noch sichere Arbeitsplätze fand. Heute ist das anders, bei der Bahn werden ebenfalls Stellen gestrichen. Sicher ist eigentlich kein Job mehr.

Nur, was macht ein Spezialhandwerker für Lokomotiven in einer anderen Firma. Der Beruf ist zu stark spezialisiert, da ist ein Wechsel schwer. Als Lokführer hat man es da schon etwas einfacher, denn dieser Beruf ist so speziell, dass sich die Unternehmen nur ungern von solchen Arbeitern trennen. Der Ersatz ist nicht so leicht zu finden und die Ausbildung ist teuer. Aber was passiert, wenn es eines Tages zu viele Lokführer hat? Ein Lokführer auf dem Arbeitsamt, würde wohl schwer zu vermitteln sein.

Nun, die Frage lassen wir so mal stehen. Dann ist es vermutlich wichtig, sich vorher möglichst viele Zusatzausbildungen zu sichern. So hat man auf dem Arbeitsmarkt einen leichten Vorteil gegenüber den anderen. Auch ist man besser vor der Entlassung geschützt, denn das Unternehmen trennt sich lieber von einem weniger qualifizierten Mitarbeiter. Mit einem so angeregten Gespräch ist der Weg kurz und nun steht das Morgenessen an, das ist wichtiger und füllt das akute Loch im Magen.

In der Milchküche sitzt ein Lokführer aus dem Depot Arth-Goldau und einer der Kollegen, die ich nicht so gerne getroffen hätte. Nur, man kann sich nicht aussuchen mit wem man Pause hat. Zuerst werden die schmutzigen Hände gewaschen, dann wird das notwendige an der Theke abgeholt und zum Schluss noch bezahlt. Ich setze mich zu den beiden Kollegen. Dabei hoffe ich, dass zumindest derjenige vom Gerücht noch nichts gehört hat.

Aber die haben sich schon auf einander eingeschossen. Ja, jeder versucht seinen Standort so gut wie möglich zu verteidigen. In einer solchen Situation ist es ratsam so ruhig wie möglich zu sein. Zuhören, aber nichts sagen, denn entweder gerät man zwischen die Fronten oder aber man sieht sich beiden Seiten gegenüber gestellt. Wenn ich aber so zuhöre, dann geht es bei der Diskussion um die Punkte, die mich gerade beschäftigen. Nur ist man wirklich ein Verräter, wenn man den Standort wechselt und Erstfeld verlässt? Ein Depotwechsel ist doch kein Staatsgeheimnis und im Krieg sind wir auch nicht.

Bei so angeregten Gesprächen ist eine halbe Stunde Pause schnell durch. Ich greife zu meinem Telefon. Nach ein paar Klingeltönen nimmt die Leitstelle den Anruf an. Ich melde mich mit Namen und dem Standort. Erstfeld, man hat sich an diesen Wortlaut gewöhnt, er klingt vertraut. Mein Gesprächspartner meint, dass meine Tour normal sei, ich solle auf Dienstfahrt gehen. Mitnehmen könne ich noch den Kollegen, der mit mir gekommen sei.

Ich beende das Telefonat und spreche meinen Kollegen gegenüber an. Wir sollen auf Dienstfahrt gehen. Die Diskussion ist schnell beendet worden. Beide Kollegen fragen mich, was er dann zu ihnen gemeint habe. Nichts erwidere ich. Sie müssten wohl auf ihre Züge warten, ich hätte das schon so eingeteilt. Da der IR nicht wartet, gehe ich aus dem Personalrestaurant.

 

Dienstfahrt immer ein Vergnügen?

Der Kollege und ich haben das Lokal kaum verlassen, als er meint, ein Glück sei, dass die beiden Kontrahenten nicht auch mitkommen. Da stimme ich ihm zu, denn die hitzig geführte Diskussion ginge im Zug vor den Kunden weiter, was kein gutes Licht auf das Unternehmen wirft. Klar auch wir werden Gespräche führen, aber das sind Gespräche, die so anfallen, sachlich geführt werden und nicht in Hasstiraden enden.

So früh am Morgen sind die Züge aus dem Tessin in Richtung Norden nicht sonderlich gut besetzt. Ein Abteil für zwei Lokführer findet sich leicht. Wir wählen das Abteil, das jenem gegenüber ist, in dem ein Lokführer der BLS sitzt. Scherzhaft meine ich nur, ob das vielleicht der vorhin genannte Verräter sei? Auch bei der BLS fallen Dienstfahrten an und auch dort klappt lange nicht alles so, wie es sollte. Obwohl jeder in einem anderen Unternehmen arbeitet, kennt man sich. Auch dort haben sie Probleme mit verspäteten Zügen. Die Arbeit ist eintönig, dafür stimme das Arbeitsklima.

Da im Wagen auch Leute sitzen, die sich nicht gerne mit den Problemen der Eisenbahner befassen, sprechen wir über andere Dinge. Ab und zu erfolgt jedoch immer wieder ein Abstecher zum Beruf. Die Kollegen der BLS haben auch ihre Probleme, ein Teil davon kennen auch wir. Das BAV und die Kontrollen können schon lästig sein, wenn einfach gesucht wird, bis man etwas findet.

Die mit Schnee bedecken Bergspitzen lenken das Thema auf das Wetter. Stimmt eigentlich, denn normalerweise schaue ich in Göschenen wie es um die Pässe steht. Um diese Jahreszeit ist immer wieder mit einer Sperrung zu rechnen. Gut, es war trocken, dann könnten sie noch geöffnet sein. Es kommt jetzt wieder die Zeit, wo es weiter oben immer wieder schneit. Auch Göschenen ist dazu im Oktober schon hoch genug. Auch die anderen haben sich nicht geachtet.

An den Fenstern bemerken wir, dass es wieder zu regnen begonnen hat. Die feinen ruckartigen Bewegungen im Zug lassen vermuten, dass an der Spitze mit dem Schienenzustand gekämpft wird. Die Zuglokomotive ist eine Re 460, die hat bei so ungünstigem Wetter schnell Probleme mit der Adhäsion. Ich sage zum Kollegen der BLS, dass ich bei diesem Wetter lieber eine Re 10 als eine BR 185 habe.

Die Reaktion bleibt aus, aber ich weiss aus den Erfahrungen mit der Re 482, dass es sicherlich nicht einfach sein wird. Die Tage, als wir uns mit den Güterzügen und zwei Re 460 über den Gotthard mühten sind vorbei.

Aber damals war es immer wieder ein Wunder, dass man die rettenden Tunnel erreichte. Draussen ist es dunkel geworden und die Zuckungen sind auch verschwunden.

Wenn man so in Gesprächen vertieft ist, merkt man nicht, wie man vorwärts kommt, denn es war doch tatsächlich schon der letzte Rampentunnel.

Auch hier kann man seine Passinfos holen. Tatsäch-lich, Gotthard offen und Nufenen geschlossen. Es scheint, dass es am Nufenen schneit.

Ja, mit seiner Höhe von 2’478 Meter über Meer ist der Pass sehr schnell betroffen.

Die restliche Fahrt durch den Gotthardtunnel und auf den trockenen Schienen bis Erstfeld verlief wie immer, wir führten unsere Gespräche ruhten ein wenig und kümmerten uns nicht um die Landschaft. Dass das nicht bei allen so war, erfuhren wir nach Göschenen, denn die Schienen, die weiter unten zu sehen waren führten nach Disentis und Chur. Zumindest wurde das ein paar Abteile weiter hinten festgestellt.

 

Statt Feierabend zum Chef

Normalerweise wäre mein Arbeitstag nun beendet. Ich hätte noch ein paar Minuten Nebenarbeit eingeteilt, die ich für Änderungen an den Fahrplänen hätte nutzen können, aber da es keine Änderungen gibt, hätte ich Feierabend gemacht. Und die Ruheschicht genossen, den morgen geht es ja sehr früh los. Nun muss ich aber zum Chef.

Angekündigt hat er es mir ja, es geht um die Versetzung nach Arth-Goldau, die freiwillig erfolgen soll. Sie suchen Leute, die bereit wären, die Deutschland Ausbildung zu machen. Geködert werden die gewünschten Lokführer mit neuen Strecken und den Zügen auf der SOB. Es ist schöner, wenn man versucht den Mitarbeiter mit Argumenten zu überzeugen, als wenn Druck aufgesetzt wird. Die Gefahr, dass auf stur geschaltet wird ist so kleiner.

Klar, Gedanken hatte ich mir auch schon oft gemacht, aber die letzten Jahre waren nicht leicht, ich hatte die Kurse für Italienisch, das Jubiläum der Bahnlinie und jetzt noch die periodische Prüfung. Dass da die Sehnsucht nach ein paar ruhigen Jahren vorhanden ist, ist klar. Schliesslich mussten hier alle Vorbereitungen und das lernen neben der normalen Arbeit erledigt werden. Die Ausbildung soll im Januar beginnen und 4 Monate dauern.

Ich will so einen wichtigen Entscheid nicht einfach so auf die schnelle fällen. Das versteht auch mein Gesprächspartner. Wir einigen uns, dass ich eine Schnupperfahrt nach Offenburg mache, die Infoveranstaltung besuche und mir das ernsthaft überlege. Mehr kann ich jetzt noch nicht zusichern, denn ich bin mir selber noch nicht im Klaren, was ich machen soll.

Wir verabschieden uns und jeder geht seinen Weg. Meiner führt nach Hause in meine Wohnung. Die Gedanken sind vorgegeben, vieles spricht für einen Wechsel, einiges auch dagegen. Dass mein Chef klar die Interessen der Firma vertritt ist klar, nur mein Problem ist, ich bin mir selber nicht sicher. Ein paar Fragen werden die Kollegen aus Arth-Goldau noch beantworten müssen.

 

                       
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