Erstfeld - Arth-Goldau - Bellinzona

Herrlich duftet das Essen in meinem Teller. Wach bin ich schon seit zwei Stunden. Nein, so früh wollte ich eigentlich nicht aus dem Bett, aber an der Tür hat der Briefträger geklingelt. Er hat mir ein Paket gebracht, das wertvoll war, daher musste ich den Erhalt quittieren.

Nun, einen Vorteil hatte es auch, ich konnte mir so ein gutes Essen zubereiten und das geplante Fertigfutter verschieben. Genüsslich gönne ich mir die ersten Bissen. Ein gutes Glas Wein würde ganz gut dazu passen, aber ich muss am Nachmittag zur Arbeit, da darf ich keinen Alkohol trinken. Kontrollen gibt es jetzt auch bei der Bahn und ich habe keine Lust meinen Job zu verlieren, deshalb halte ich mich an das Alkoholverbot.

Zum Abschluss des guten Essens entlocke ich meiner Kaffeemaschine eine Tasse dieses heissen Getränks. Jetzt habe ich ein wenig Zeit um noch die Zeitung zu lesen. Neben den ewigen Berichten über Kriege in allen Herren Länder lese ich auch den Bericht über die Verhandlungen meines Arbeitgebers mit den Gewerkschaften.

Beide Parteien wollen das Beste für sich herausholen und erwarten, dass die andere Seite nachgibt. Über mehr Lohn könnte auch ich mich freuen, wer würde sich nicht freuen? Nur, die andere Seite will das Gegenteil, was sicherlich im Sinn des Arbeitgebers ist. Lohnkürzungen freuen niemanden und sind für den Betroffenen nicht akzeptabel. Es wird offen von Streik gesprochen. Streik, in Italien und Frankreich ja, aber in der Schweiz? Schlimm genug, wenn man streiken muss, um zumindest das zu behalten, was man hat.

Ich habe die letzte Seite erreicht, erfreue mich noch kurz am Comic. Nach all den schlechten Meldungen tut eine kleine Freude not. Ich sehe nach den Prognosen für das Wetter. Das Wetter der vergangenen Tage war schön, zu schön wie die Wetterfrösche in der Zeitung meinen. Mir kann es recht sein, der Winter kommt noch früh genug und bei meiner heutigen Arbeit sollte es nicht regnen.

Unaufhörlich rücken die Zeiger voran. Zeit für mich, um die Arbeitsschuhe anzuziehen und mir eine Jacke zu schnappen. Vor der Türe merke ich, dass die Jacke mehr warm gibt, als ich gehofft habe. Nur, verzichten darauf will ich auch wieder nicht, denn wenn ich Feierabend habe, ist es kalt und dann bin ich froh.

An diesem Nachmittag scheinen trotz dem schönen Wetter nicht viele Leute auf der Strasse zu sein. Ein paar Arbeiter der Gemeindewerke montieren wie jedes Jahr die Weihnachtsbeleuchtung. Ja, der erste Advent macht klar, dass es eigentlich November ist. Jedoch vermitteln die wärmenden Strahlen der Sonne eher den Eindruck der schönen Tage im Oktober. Die viel gepriesene düstere Zeit mit Nebel und nasskaltem Wetter scheint mehr ein Märchen aus einer anderen Welt.

Vertieft in diese Gedanken bewege ich mich zu Fuss entlang der Hauptstrasse in Richtung Bahnhof. Ab und zu begegnet mir noch ein Kollege von der einen oder anderen Bahn, die mittlerweile hier am Gotthard verkehren. So werden meine Gedanken immer wieder unterbrochen. Heute ist mein Arbeitsweg so oder so etwas kürzer, denn ich muss nicht ins Depot. Gestern habe ich nach dem Feierabend meine Mappe im entsprechenden Raum beim Bahnhof deponiert.

 

Erstfeld – Arth-Goldau

Meine heutige Arbeit beginnt mit einer kurzen Dienstfahrt nach Arth-Goldau. Bei dieser Tour muss ich mich nicht melden, denn bei Touren mit Dienstfahrt beginnt meine Arbeit direkt in dem Moment, wenn der Zug abfährt. Einsteigen werde ich noch in meiner Freizeit. Eine allfällige Änderung in meinem Arbeitsplan müsste mir das Depot vor Arbeitsbeginn telefonisch mitteilen. Das ist bisher noch nicht geschehen, daher gehe ich davon aus, dass alles normal ist.

Den etwas kürzeren Arbeitsweg habe ich ein wenig zu gut berechnet, so dass ich zu früh beim Bahnhof eintreffe. Zuerst hole ich meine Mappe im Aufenthaltsraum. Der Zug ist schliesslich noch nicht da und ich kann deshalb auch noch nicht abfahren. Ich verlasse den Raum und will am nahe gelegenen Kiosk noch schnell schauen, ob eine Zeitschrift vielleicht in meinen Besitz wechseln könnte. Ich verlasse den Laden und sehe den Zug im Gleis 1 stehen. Es ist ein RABe 523, oder wie ihn alle Leute nennen ein Flirt, er wird mich nach Arth-Goldau bringen.

Ich habe mich gerade hingesetzt, als sich die Aussentüre erneut öffnet, es ist der Lokführer des Personenverkehrs, der den Zug wieder zurück nach Zug führt. Es ist ein junger Kollege, den ich nicht kenne. Das ist auch eine Erscheinung der neuen Zeit.

Die Lokführer vom Personenverkehr kennen die vom Güterverkehr ebenso wenig, wie umgekehrt. Beide arbeiten für die im Grunde gleiche Firma, machen den gleichen Job, haben die gleichen Probleme. Fast unvorstellbar, aber es ist so, sie kennen sich nicht.

Die durch den Computer generierte Stimme meldet sich und macht die Ansage. Ja, etwas künstlich klingt sie schon, aber dass sie nervig ist, kann ich nicht nachvollziehen. Für die Frau, die diese  Texte  gesprochen  hat, war

das nicht so einfach. Schliesslich musste sie stundenlang einen Bahnhofsnamen nach dem anderen sprechen und dabei darauf achten, dass die Betonung der Worte neutral blieb. Erst nachher wurden die einzeln gesprochenen Worte zu den Sätzen zusammengefügt, die wir immer wieder hören.

Kurz nachdem die Stimme verstummt ist, setzt sich der Zug in Bewegung. Es verblüfft immer wieder, wie schnell der Zug beschleunigt. Es dauert daher nicht lange, bis er die erlaubte Geschwindigkeit erreicht hat. Die Fahrt in den nächsten Bahnhof dauert so weniger lang. Noch mehr überrascht der Zug, wenn er zu bremsen beginnt. Jetzt muss ich entgegensperren, damit ich nicht aus dem Ledersitz rutsche. Die vielen Anzeigen im Zug sind gut leserlich angeschrieben und auf einem Monitor kann der Lauf des Zuges verfolgt werden. So kann sich jemand mit Hilfe dieses Bildschirms orientieren, ohne dass er Ortskundig sein muss. Er sieht so, dass der Zug bis Brunnen noch zweimal anhält.

Da ich die Strecke gut genug kenne, weiss ich auch ohne diese Hilfe, wo ich aussteigen muss. Es dauert eine gute halbe Stunde, bis die Stimme den nächsten Halt ansagt. Diesmal ist es aber ein Halt, der mich interessiert, denn es ist Arth-Goldau. Auf dem Monitor erscheinen jetzt Anschlüsse. Der Intercity nach Chiasso ist ebenso erwähnt wie der Zug auf der SOB oder jener nach Luzern. Viel Infos bietet er mir auch jetzt nicht, denn wo mein Güterzug ist, den ich ab hier machen muss, schreibt er mit keinem einzigen Wort. Das Ding ist nicht für Cargo Lokführer geeignet, bleiben wir deshalb beim guten alten Telefon.

Es ist ein kleiner Fussmarsch bis zu den neu geschaffenen Aufenthaltsräumen von SBB Cargo. Viele Lokomotiven für mich stehen hier nicht bereit. Im Aufenthaltsraum treffe ich noch auf einen Kollegen, der von Erstfeld hierher gewechselt hat. Er meint, dass das Arbeitsklima in Arth-Goldau viel besser sei als in Erstfeld. Klar, schliesslich ist ja die Verwaltung weiter weg als bei uns in Erstfeld. Dazu müssten sie ja bei Laune gehalten werden, denn sonst würden sie ja die Kündigung einreichen.

Nein, überzeugt hat mich das Konzept immer noch nicht, dazu haben die Züge einfach zu viel Verspätung und die Arbeitstage sind zu lang. Wenn wir schon beim Thema sind, wo ist eigentlich mein Zug. Ah da, geht noch, er hat nur 30 Minuten Verspätung. Dann kann ich mir ja noch einen Kaffee gönnen. Bei der Vertretung der Firma Selecta, werfe ich einen Teil meines Geldes in einen kleinen Schlitz, drücke eine Taste nach meiner Wahl und schon beginnt die Maschine mit der Arbeit. Nach kurzer Zeit höre ich einen Piepston, aha, der Kaffee ist fertig. Es ist die Art des Automaten mir einen guten Appetit zu wünschen.

Wenn ich mir überlege, ein wenig sinnlos ist mein heutiger Tag schon. Da fahre ich als Passagier nach Arth-Goldau, mache einen Zug nach Bellinzona und zurück, um letztlich wieder als Passagier nach Erstfeld zu fahren. Das wäre Arbeit für die hier stationierten Lokführer. Aber eben, Erstfeld muss noch aushelfen, was aber sicherlich bald nicht mehr der Fall sein wird, wenn genug dem Lockruf der grossen weiten Eisenbahn-Welt gefolgt sind.

 

Arth-Goldau – Göschenen

Ich begebe mich zum Standort der Lokomotiven. Einen kleinen Vorteil bietet Arth-Goldau, denn die Lokomotiven stehen hier an einer Rampe, so kann ich eintreten und muss nicht einsteigen. Ein Service, der den Reisenden immer mehr geboten wird. Doch bevor ich mich mit der Lokomotive enger vertraut mache, melde ich mich noch beim Schaltwärter in Erstfeld. Ich melde ihm die Nummern der Lokomotiven und welchen Zug ich damit führen will. Er bestätigt meine Angaben. Erst jetzt ist auch in den Unterlagen vermerkt, welche Lok welchen Zug von wo bis wo führt. Es dauert nicht lange, bis ich die Lokomotive betriebsbereit habe.

Viel telefoniert wird schon, aber in Basel ist es wesentlich mehr. Jetzt betrachte ich aber den Zustand der Lokomotive etwas genauer. Leider ist es mir nicht möglich alles zu betrachten, da ich nicht zwischen der Lok und der Rampe durchlaufen kann. Noch schnell kontrolliert ob auch kein Relais angesprochen hat. Nein, es ist alles so, wie ich es erwartet habe. Ich nehme den Hörer für das Funkgerät der Re 620, die an der Spitze des Zuges sein wird und melde meine technische Fahrbereitschaft dem Bahnhof Arth-Goldau. Der Fahrdienstleiter teilt mir mit, dass es gleich losgeht, denn der Zug sei soeben in Immensee durchgefahren.

Ich gebe die notwendigen Daten in der neuen Anzeige für die Geschwindigkeit ein. Mit Hilfe dieses Systems soll diese Lok in Zukunft auch noch fahren, wenn schon lange keine Signale mehr aufgestellt werden. Grundsätzlich ist die Re 620 ja das richtige Zugpferd für den Gotthardtunnel der NEAT, schliesslich sah diesen Einsatz das Pflichtenheft vor. Vor mir zeigen die Zwergsignale Fahrt. Ich fahre mit meiner Lok in ein Gleis, das hier Berg genannt wird. Eigentlich ist es nur ein Ausziehgleis, das noch von der Zeit her übrig ist, als hier in Arth-Goldau noch im grossen Stil rangiert wurde.

Ich muss etwas weiter fahren, als ich das normalerweise würde, denn die Lokomotive, die den Zug von Basel her bringt, muss auch noch in diesem Gleis Platz finden. Bevor ich aber den Führerstand wechsle, entnehme ich meiner Mappe noch das Überkleid. Ich benötige es später auf der anderen Seite. Gemütlich wechsle ich den Führerstand, Grund zur Eile gibt es nicht. Gerade in dem Moment, als ich die andere Seite meiner beiden Lokomotiven erreiche, sehe ich, wie eine Re 482 langsam in den Bahnhof rollt. Es ist der Zug, den ich in wenigen Minuten weiter in Richtung Süden führen werde.

Nachdem der Zug angehalten hat erkenne ich, wie der Kollege den Zug abhängt und wieder zu seiner Lok geht. Kurze Zeit später beginnt die Re 482 zu rollen und kommt wenige Meter vor meiner Lok zum stehen. Kurz kann ich den Kollegen auf der Lok erkennen, er grüsst mich und begibt sich auf die andere Seite der Lok.

Wenige Sekunden, nachdem die Re 482 aus meinem Blickfeld verschwunden ist, geht das Zwergsignal wieder auf Fahrt. Jetzt kann ich mit meinen Lokomotiven an den Zug fahren. Dabei kann ich direkt an den Zug fahren. Hier in Arth-Goldau hängen wir die Lokomotiven selber an und machen die notwendige Bremsprobe.

Nachdem sich die Puffer berührt haben verlasse ich die Lok und schlüpfe in voller Montur der Rangierarbeiter unter den Puffern durch. Die beiden Luftschläuche sind noch einfach zum verbinden, jedoch die Kupplung hat ein recht stattliches Gewicht.en

Als ich mit allem fertig bin, schaue ich nochmals zurück und überprüfe, ob ich auch richtig gekuppelt habe. Die Kontrolle ist Pflicht, aber was nützt sie, wenn ich mich selber kontrolliere? Bevor ich wieder zu meinem Arbeitsplatz an der Spitze des Zuges gehe, suche ich noch die Frachtpapiere, die mein Kollege hier deponiert hat.

Ich habe die Papiere schnell entdeckt, schliesslich hat mein Kollege kein Versteckspiel gemacht. Ein kurzer Blick durch die transparente Mappe, lässt mich erkennen, dass die Belastungsanzeige da ist. Wieder auf der Lok ziehe ich den Kittel des Überkleides aus, und beginne die Bremsen zu lösen. Einige Sekunden dauert dies schon, Zeit die ich nutze um die Zugdaten einzutippen und den Führerstand fertig aufzurüsten.

Jetzt heisst es nach der Lok, am ersten Wagen zu kontrollieren, ob die Bremsen lose sind. Erneut auf der Lok ziehe ich die Bremsen an und begebe mich erneut nach hinten. Jetzt müssen die Bremsklötze fest anliegen. Das tun sie, ich gehe wieder auf die Lok und verbringe das Bremsventil in Lösestellung. Noch einmal nehme ich den Weg zum ersten Wagen unter die Füsse.

Mittlerweile ist die Bremse gut. Ich nehme den Hörer für den Funk in die Hand und stelle eine Verbindung mit dem Bahnhof her. Als sich der Fahrdienstleiter meldet, teile ich meine Fahrbereitschaft mit. Er bestätigt meine Meldung und macht sogleich seine Arbeit, denn das Signal vor mir geht auf Fahrt.

Langsam setze ich den Zug in Bewegung. Die Re 620 und die ferngesteuerte Re 430 haben trotz der grossen Leistung mühe, den Zug, der nahezu 1'600 Tonnen schwer ist, zu beschleunigen. Knapp konnten die vorgegebenen 15 Minuten eingehalten werden. Hier in Arth-Goldau darf der Lokwechsel normalerweise nicht länger als 15 Minuten dauern. Zeit, die sehr knapp bemessen ist.

Schon kurz nach dem Bahnhof beginnt das Gefälle, jetzt können sich die beiden Lokomotiven erholen. Nun beginnt Sir Isaac Newton zu arbeiten. Die Schwerkraft beschleunigt meinen Zug automatisch und ich muss Massnahmen ergreifen, damit er nicht zu schnell wird.

Schon mit der ersten Bremsstufe beginnen die Fahrmotoren mit dem bekannten Geräusch. Nachdem ich die Haltestelle Steinen passiert habe, fällt mir ein, dass ich vergessen hatte zu prüfen ob die Bremsen der Wagen korrekt funktionieren. Grund zur Panik ist das aber nicht, denn das Gefälle hält weiterhin an. Jedoch hätte ich dies viel eher machen sollen, ein Versäumnis, dass nicht sein sollte.

Kurz vor der Schutzstrecke schalte ich die Lokomotiven aus, damit es keinen Lichtbogen gibt, der die Fahrleitung beschädigen könnte. Da mein Zug recht schnell unterwegs ist, muss ich gleichzeitig verhindern, dass er zu schnell wird. Die Loks fallen aus, eine gute Gelegenheit, die Bremsen der Wagen zu benützen. Nachdem ich ein wenig Luft aus der Bremsleitung entweichen lasse, verzögert der Zug allmählich. Die beiden Lokomotiven haben die Schutzstrecke passiert, ich kann sie wieder einschalten. Die Ventilation nimmt wieder die Arbeit auf und auch die Warnleuchte für die Ventilation erlischt.

Doch etwas stimmt nicht, denn ich habe das Gefühl, dass mein Zug nicht so leicht auf der Geschwindigkeit zu halten ist. Im Rückspiegel kann ich nichts erkennen. Ich könnte mich auch irren, denn bei einzelnen Zügen hat man das Gefühl, dass sie schwer anliegen. Die Fahrt mit den erlaubten 90 km/h nach Brunnen ist ohne besondere Vorkommnisse. Ein erneuter Blick in den Rückspiegel lässt mich nichts Böses erkennen, denn ich kann nichts Aussergewöhnliches feststellen.

Der erste Tunnel verschlucken meine beiden Loks und der Zug folgt ihnen willig. Die hohen Zugkräfte fallen mir wieder auf, klar, der Zug ist schwer, aber so viel Zugkraft, ich weiss nicht? Es muss nicht am Zug liegen, denn die Anzeigen können auch fehlerhaft sein. Nur kurz erreiche ich das Tageslicht, bevor mich der zweite Tunnel verschluckt. In Sisikon folgt ein erneuter Blick nach hinten, der Zug mit den bunten Containern rollt friedlich hinter den Loks her.

Die kurvenreiche Strecke verhindert aber, dass ich den ganzen Zug überblicken kann. Nach Sisikon kommt gleich der nächste Tunnel und der Bahnhof Flüelen ist nicht mehr weit entfernt. Jetzt, wo ich in die Ebene komme merke ich, wie hier der Föhn sein Unwesen treibt. Ich kann meinen Zug wieder beschleunigen.

Jetzt benötige ich mehr Zugkraft, denn der Wind stellt sich meinen beiden Loks ebenfalls entgegen. Bei rund 2'800 Ampère Fahrmotorstrom schaltet der Stufenschalter nicht mehr zu. Mein Gefühl hat mich getäuscht, die Werte stimmen an der Anzeige nicht, denn ich dürfte mit der gewählten Stellung nur 2'600 Ampère haben.

Durch die Ebene komme ich schnell dem Bahnhof Erstfeld näher. Obwohl ich gleich selber mit dem Zug weiter fahre, muss ich hier halten, denn ich benötige für die Bergfahrt eine Schiebelokomotive. Die steht bei der Einfahrt auch bereit. Eigentlich stehen zwei Schiebeloks bereit, aber ich vermute, dass meine die vordere ist, denn die hintere Lok ist eine BR 185 und wird nichts mit meinem Zug zu schaffen haben. Ich vermute, dass hinter mir ein schwerer Zug der BLS kommt.

Kurze Zeit nach dem Halt, meldet sich die Schiebelokomotive am Funk, die obligatorische Bremsprobe ist schnell erledigt. Ich teile noch das Gewicht der Schiebelok mit. Es sind genau 1’567 Tonnen, bei einer Länge von knapp über 500 Meter ist es ein ganz normaler Zug. Ungewohnt ist nur, dass ich mit dem Zug hier weiter fahre und nicht Feierabend mache.

Aha, der Kollege auf der Schiebelokomotive muss die Fahrbereitschaft gemeldet haben, denn das Signal vor mir geht auf Fahrt. Wie immer haben wir abgemacht, dass ich mit dem Zug einfach los fahre, erneut beginnen die beiden Lokomotiven an der Spitze mit der Arbeit. Jetzt scheint es noch schwerer, den Zug zu beschleunigen.

Wegen der Weichen, die nur mit 40 km/h befahren werden dürfen, kann ich den Zug im flachen Bahnhof nicht so stark beschleunigen, wie ich das gerne getan hätte. Mit 35 km/h befahre ich die Weichen, die Lok am Schluss darf jetzt noch nicht arbeiten, ich muss den ganzen Zug und die zusätzliche Lok alleine ziehen.

Das mit dem ziehen, geht lange Zeit gut, doch jetzt ist das Gewicht, das in der Steigung ist, zu gross, ich vermag die Geschwindigkeit nicht zu halten, der Zug wird zunehmend langsamer. Endlich, ich bemerke, wie die Anzeige der Geschwindigkeit stehen bleibt und sich in die andere Richtung bewegt, der Zug beschleunigt langsam, sehr langsam. Ein Zeichen dafür, dass die Schiebelokomotive mit der Arbeit begonnen hat.

Jetzt nach dem Bahnhof Erstfeld ist die Nordrampe des Gotthards besonders steil, die Züge kann man hier nur sehr schwer beschleunigen, es sei denn, man hat einen leichten Zug, aber dieses Glück habe ich jetzt nicht. Es dauert lange, bis ich die Ebene erreiche. Jetzt kann ich den Zug beschleunigen. Ich muss beim zuschalten jedoch aufpassen, denn wenn ich der Euphorie ihren Lauf lasse, komme ich zum stehen, weil eine Kupplung versagt hat. Mit Geduld kommt man den Gotthard hoch schneller voran, als mit roher Gewalt. Grundlos wird diese Stelle ja nicht Kupplungsfriedhof genannt.

Endlich, die 75 km/h, die erlaubt sind, habe ich dank der Ebene erreicht und die Fahrt geht zügig den Gotthard hoch, die Stationen Amsteg-Silenen und Gurtnellen sind passiert. Plötzlich bemerke ich, wie ein Ruck durch den Zug geht. Was ist passiert, die Luftleitung scheint in Ordnung zu sein, denn ich habe weiterhin 5 bar Druck auf der Bremsleitung. Trotzdem werde ich mit dem eingestellten Strom langsamer. Etwas muss vorgefallen sein, ich vermute einen Fehler auf der Schiebelokomotive.

In meinen Augen dauert es ewig, bis sich die Schiebelokomotive meldet. Der Kollege teilt mir mit, dass er eine Störung hatte, aber er wieder mit der Lok arbeiten könne. Er hoffe einfach, dass es bis Göschenen reicht. Glück hatten wir, denn bei solchen Störungen an der Schiebelok, kann eine Kupplung den auftretenden Kräften unterliegen und reissen, was dann kommt, möchte ich mir ersparen.

Unterhalb Wassen ist es mir wieder möglich, meinen Zug zu kontrollieren. Mit entsetzen stelle ich fest, dass sich beim vierten Wagen eine Plane gelöst hat und diese nun herumflattert. Auch der Kollege auf der Schiebelokomotive hat diese Plane gesehen und teilt mir das mit.

Ich stelle an meinem Gerät den Funkkanal für Göschenen ein, und erkläre meine Probleme nachdem sich die Station gemeldet hat. Endlich, Göschenen ist erreicht, die Schiebelokomotive hat anscheinend wieder normal funktioniert, denn ich habe nichts mehr bemerkt.

Nach dem Halt ziehe ich bei der Re 620 die Handbremse an, da ich die Lok verlassen werde. Der Kollege von der Schiebelokomotive meldet sich und teilt mir mit, dass er nun die Lok abhängen werde. In der Zwischenzeit verständige ich den Bahnhof Göschenen, dass ich die Fahrbereitschaft melden werde.

Erneut meldet sich mein Kollege und teilt mir mit, dass die Schiebelokomotive von Zug getrennt sei. Er wünscht mir eine gute Fahrt. Danke, das kann ich brauchen. Ich verlasse den Führerstand. Ich schaue mir die Sache am Wagen genauer an.

Die Plane, die herumgeflattert ist, wurde zerrissen, eine schnelle und einfache Reparatur ist indes nicht möglich. Anstehen kann ich es aber nicht, sonst könnte es gefährlich werden. Wieder auf der Lok entnehme ich dem Werkzeug eine Zange und ein wenig Bindedraht.

Es dürfte mehr sein, aber ich muss mit dem vorhandenen Material auskommen. Mit dem Material kann ich den Schaden notdürftig beheben. Auf der Fahrt werde ich den Wagen öfters genauer beobachten. Die ganze Arbeit hat gut und gerne 15 Minuten in Anspruch genommen. Die Verspätung ist auf fast eine Stunde angestiegen. Meine Pause in Bellinzona könnte gefährlich kurz werden. Ich melde meine Fahrbereitschaft.

 

Göschenen - Bellinzona

Als das Signal wieder grün zeigt, beginne ich mit der Fahrt. Jetzt im 15 km langen Gotthardtunnel kann ich nichts erkennen. Obwohl hier das Geleise gerade ist, kann ich wegen der Dunkelheit nicht erkennen, wie es weiter hinten aussieht. In der Tunnelmitte habe ich den höchsten Punkt erreicht und die Strecke weist ein leichtes Gefälle bis Airolo auf.

Noch im Tunnel teste ich, ob alle Bremsen korrekt funktionieren, die Wagen scheinen ordentlich zu bremsen und auch wieder zu lösen. Die Lokomotiven arbeiten mit der elektrischen Bremse ebenfalls zuverlässig. Die notwendigen Tests habe ich somit abgeschlossen. Technisch steht einer Fahrt nach Bodio nichts im Weg.

Nachdem ich wieder ans Tageslicht gekommen bin, schalte ich die elektrische Bremse bis an den erlaubten Stromwert auf. Die Geschwindigkeit fällt und ich verlasse den Bahnhof mit knapp 50 km/h. Eigentlich nicht das Gewünschte, denn ein Zug sollte so schnell wie möglich verkehren, zumal ich ja noch Verspätung aufholen sollte, aber die Sägezahnmethode verlangt es halt so. Es dauert nicht lange, bis ich Bremsen der Wagen zu Hilfe nehmen muss, um die Geschwindigkeit zu halten und zu verzögern.

Die Fahrt ist jedoch nicht von langer Dauer, denn in Ambri-Piotta muss ich den internationalen Reisezug überholen lassen. Der Cisalpino kommt nur kurze Zeit, nachdem ich angehalten hatte. Viel Vorsprung hatte ich nicht. Der Zug ist schon lange um die Kurve verschwunden, als mein Signal wieder grün wird, die Fahrt den Berg runter geht weiter.

Die Geschwindigkeit pendelt dank der Sägezahnmethode zwischen 45 und 75 km/h. Ohne weitere Vorkommnisse komme ich am Ende in Bodio an, die Fahrt hat gut geklappt, nur ist mir jetzt der Interregio ziemlich nahe aufgerückt. Beim Blick in den Spiegel fiel mir nichts Aussergewöhnliches auf, wobei ich die letzten Wagen nie so richtig zu sehen bekam.

Es kommt, wie ich es befürchtet habe, in Biasca muss ich erneut ausweichen, der Interregio kommt nun von hinten. Kaum habe ich angehalten, meldet sich Bellinzona am Funk. Das ist aber neu, dass er mich über eine Überholung informiert, denke ich, als ich antworte. Was dann aber kommt, gefällt mir gar nicht, denn er teilt mit, dass in meinem Zug zu heisse Bremsen sind. Eine Bremsstörung, das ist genau das, was ich nicht hören wollte. Nur bei der optischen Kontrolle habe ich nichts bemerkt. Eigentlich sollten die Bremsen bereits stark rauchen.

Bevor ich mich nun mit der Supportstelle in Erstfeld in Verbindung setze, rufe ich die Leitstelle Bellinzona an. Meine Pause hat sich mit dieser Meldung vollends in Luft aufgelöst. Der Mitarbeiter bedankt sich für die Meldung und meint, er schaue, was er machen könne. Jetzt rufe ich den Support in Erstfeld an. Aha, ausgerechnet die Achsen am zweitletzten Wagen haben angesprochen.

Ich mache mich auf den Weg zum gestörten Wagen. Tatsächlich, obwohl die Bremsen des Zuges gelöst sein sollten, sind diese zwei Achsen fest angezogen. Ich melde mich erneut beim Support und erkläre dem Arbeiter dort, was ich erkennen kann. Als erste Massnahme versuche ich die Bremse des Wagens auszulösen, es könnte sein, dass sie, wie wir sagen, überladen war. Ich habe schon erlebt, dass eine Bremse mit dem Hochdruckfüllstoss, den die Lokomotiven der SBB erzeugen, mühe hatte. Doch diese Massnahme bringt kein Erfolg, die Klötze wollen sich einfach nicht vom Rad trennen.

Die Kontrolle der Räder läst mich erkennen, dass die Schäden am Rad nicht gegen eine Weiterfahrt sprechen würden. Nur eben, die angezogenen Bremsen schon. Die Bremse muss ausgeschaltet werden. Nur, einen Erfolg bringt auch das nicht, die Bremsklötze lassen sich einfach nicht dazu bewegen, sich vom Rad zu lösen. Das Telefon klingelt, es ist das Depot Bellinzona. Der Mitarbeiter erkundigt sich, wie ich mit der Arbeit vorankomme, die Rückleistung habe er schon geändert. Ich teile ihm mit, dass ich ihn anrufen werde, wenn ich bereit bin, es könne aber lange dauern, da die Bremse nicht gelöst werden kann.

Innerlich fluche ich vor mich hin, denn jetzt kann ich den Schaden nicht mehr alleine beheben. Frustriert rufe ich erneut in Erstfeld an und begebe ich mich zur Lokomotive zurück. Der Mitarbeiter bei der Supportstelle erklärt mir, dass er die notwendige Hilfe aufbieten werde, der Wagen müsse ausgereiht werden.

Die Wartezeit nutze ich um mit dem Depot Bellinzona zu telefonieren. Ich erkläre ihm, dass ich noch länger in Biasca blockiert sein werde, da ich Hilfe benötige. Darauf meint er, dass ich den Zug verlassen solle und in Biasca in die Pause gehen soll, ein Kollege von Bellinzona werde mir meine Rückleistung, die er geändert habe, nach Biasca bringen und dort zusammen mit dem Arbeiter meinen Zug übernehmen.

 

Pause

Früher hatten wir Leistungen, bei denen die Pause in Biasca war. Es waren damals angenehme Touren, denn die mit Schrott beladenen Wagen liessen wir in Bodio zurück, so dass sie dort entladen werden konnten. Anschliessend ging es mit der Lok nach Biasca. Nach der Pause übernahmen wir die gleiche Lok wieder. Dabei hatten wir zwei Loks, denn während der Pause wurde eine weitere Lok angekuppelt. Wieder mit der Lok in Bodio übernahmen wir dann einen Zug mit noch warmen Armierungseisen nach Erstfeld.

Diese Gedanken begleiten mich auf dem längeren Weg zurück zum Bahnhofgebäude. Auf dem Weg fällt mir ein, dass hier früher auch Lokomotivführer stationiert waren. Mittlerweile ist das Depot aber aufgehoben worden. Ein Schicksal, dass nach den Vorstellungen von SBB Cargo auch dem Standort Erstfeld widerfahren sollte.

In einem nahe gelegenen Restaurant setze ich mich hin und bestelle eine Tasse Kaffee. Hie und da fährt in Biasca ein Zug durch, dabei können die verschiedensten Lokomotiven beobachtet werden. Die Tasse Kaffee schmeckt gut und die Zeit vergeht. Mein Zug über den Gotthard sollte in den nächsten Minuten hier eintreffen, sofern die Angaben stimmen. Viel Pause gibt es nicht, aber etwa 40 Minuten sind es schon.

 

Biasca – Arth-Goldau

Es dauert nicht lange, und ein Zug fährt ein. Da das Signal halt zeigt verlangsamt der Lokführer und kommt zum stehen. An den Handlungen, die jetzt im vordersten und hintersten Führerstand beginnen, nehme ich an, dass es der Zug ist, den ich übernehmen muss. Eine kurze Nachfrage reicht und ich weiss es. Die Angaben, die ich bekommen habe stimmten fast auf die Minute genau.

Der Kollege, ein Lokführer von Bellinzona, der in der deutschsprachigen Schweiz aufgewachsen ist, hat den Zug gebracht, er erkundigt sich seinerseits nach dem Zustand des anderen Zuges. Ich erkläre ihm, dass ein Wagen gebremst sei und mit herkömmlichen Mitteln nicht zum lösen gebracht werden kann. Der Arbeiter hat sich mittlerweile auch zu uns begeben, er hat ein Blatt Papier bei sich auf dem die gemeldete Wagennummer vermerkt ist und einige Angaben zur gemessenen Temperatur vorhanden sind.

Wir haben uns bereits verabschiedet, als sich der Kollege nochmals umdreht und mir zuruft, dass er mir vergass zu sagen, dass ich mit dem Zug bis Goldau fahren müsse. Ich danke ihm, wobei ich das schon vermutet hatte, denn meine geplante Leistung hätte mich auch nach Arth-Goldau gebracht.

Ich besteige die Lok und richte mich im Führerstand ein, als sich die Fernsteuerzentrale am Funk meldet. Er fragt mich, ob ich fahrbereit sei. Ja, das bin ich, er könne mir das Signal auf Fahrt stellen. Wenige Sekunden später kann ich den Zug in Bewegung setzen. Langsam rollt er an, die Re 10 hat mit den fast 1’300 Tonnen Mühe, da es nach dem Bahnhof leicht ansteigt. Sorgen muss ich mir aber nicht machen, denn die erlaubten 40 km/h erreiche ich lange bevor der letzte Wagen die letzte auf Ablenkung stehende Weiche erreicht hat.

Richtung Bodio kann ich noch schnell auf die erlaubten 100 km/h beschleunigen. Ein kurzer Blick in die LEA verrät mir, dass der Zug fast 4 Stunden Verspätung hat. Bei mir sieht es etwas besser aus, denn nach meiner Einschätzung hätte ich jetzt auch etwa hier sein sollen.

Es geht jetzt die Rampe hoch und meine beiden Loks müssen mit voller Leistung arbeiten. Hier nach Bodio ist der Gotthard besonders steil. Heute ist das nicht unbedingt ein Problem. Doch zur Zeit der Dampflokomotiven war so gesichert, dass die Lok, die diesen steilen Abschnitt mit dem Zug geschafft hatten in den jetzt gleich auftauchenden Kehrtunnel der Biaschina keine Probleme bekunden würden. Mit einer Dampflok ist es gefährlich, wenn man in einem Tunnel zum stehen kommt. Heute ist es einfach dunkel.

Die Kehren habe ich hinter mir, die Fahrt geht Faido entgegen. Ein paar Minuten müssen die beiden Loks schon noch arbeiten. Erst in Airolo haben sie dann die verdiente Erholung, durch den flachen Gotthardtunnel braucht man nicht viel Kraft. Bis es aber so weit ist kommt noch eine Ortungsanlage in Rodi. Bei der letzten Fahrt über so eine Anlage hatte ich dann die Probleme.

Jetzt ist aber alles gut. Die Gedanken schweifen zum letzten Zug ab. Eigentlich kann es nur ein Bremsgestängesteller sein, der das Gestänge automatisch nachstellte und so die Klötze zu nahe ans Rad drückte. Es kann aber auch sein, dass das Gestänge sonst irgendwie verklemmt war, der Wagen machte auf mich keinen besonders gut gewarteten Eindruck. Bisher konnte ich noch jede Bremse lösen.

Die letzte steile Rampe habe ich hinter mir und die Dunkelheit des Gotthardtunnels hüllt mich ein. Die Scheiben der Seitenfenster sind bereits beschlagen, so dass ich nur noch nach vorne etwas sehe, denn diese Scheiben sind dank der Heizung klar geblieben. Ich musste auch schon mit eingeschalteten Scheibenwischern durch den Gotthard fahren, weil ich vergessen hatte die Heizung einzuschalten. Man merkt aber das Versäumnis sehr schnell.

Von weit her erkenne ich das Vorsignal von Göschenen, doch was ich dort erkenne, gefällt mir gar nicht, denn ich muss über Ablenkung einfahren und das heisst für gewöhnlich nichts gutes in Bezug auf die Pünktlichkeit. So ist es dann auch, ich komme in Göschenen zum stehen. Neben mir steht ein anderer Zug, den ich zuvor in Biasca habe durchfahren sehen, es ist ein Zug der BLS oder der DB man weis das nie so genau, denn beide fahren mit den gleichen Loks.

Ich habe gerade angehalten, als sich Göschenen meldet. Die Info, die ich jetzt erhalte, gefällt mir gar nicht, denn zwischen Erstfeld und Arth-Goldau sei die Strecke unterbrochen, weil eine Lok ausgerechnet in dem Bereich defekt gegangen sei, wo nur ein Gleis befahren werden kann. Dieser Zug müsse zuerst von der Strecke gezogen werden, was aber etwas dauern werde. Lok oder Cisalpino? Schiesst mir durch den Kopf.

Langsam kommt das mit meiner Leistung nicht mehr gut, denn wenn ich mit meinem Zug zu spät nach Arth-Goldau komme, dann ist die letzte S-Bahn, die mich nach Erstfeld zu meinem Feierabend bringen soll schon abgefahren. Ich muss mich dann um eine andere Fahrmöglichkeit bemühen, was kein Problem sein sollte, denn irgendein Güterzug fährt schon noch nach Erstfeld. Mehr Sorgen bereitet mir die Arbeitszeit, die gefährlich nahe an die erlaubten Werte kommt.

Es gibt auch noch eine weitere Möglichkeit, die ich nutzen könnte, denn mein Zug muss ja noch in Erstfeld durchfahren. Es besteht daher die Möglichkeit nach einem Personalwechsel dort. Zuerst einmal abwarten, vielleicht dauert die Störung nicht so lange und ich komme trotzdem noch gut durch. Auf der Lok nebenan öffnet sich die Türe, der Lokführer, der mir zuwinkt kenne ich, es ist ein ehemaliger Kollege, der jetzt bei der BLS arbeitet.

Na ja, ein Kollege ist er ja eigentlich immer noch, wir haben auch ab und zu noch privaten Kontakt. Aber hier sollte er plötzlich ein Feind sein. Nein, ein Feind ist er nicht, denn er hat jetzt die gleichen Probleme wie ich, beide stehen vor einem roten Signal und kommen nicht weiter. Alle Rivalität, die man vermuten könnte, wenn man von Worten wie es herrscht im Güterverkehr Krieg hört, ist nicht vorhanden, es sind einfach zwei Lokführer, die mit ihren Zügen warten müssen.

Wir beginnen mit einem Gespräch und sprechen über Gott und die Welt. Probleme gibt es bei der BLS ebenso, wie bei den SBB. Ihre Züge verkehren nicht pünktlicher und letztlich meint er, sei die Arbeit eintönig und monoton. Immer die gleiche Lok und immer nur Güter, in diesem Punkt hätten wir es besser. Ich lächle verlegen, denn niemand weiss genau, wie lange das noch so ist. Verliert Erstfeld die letzten Reisezüge, dann wird auch unsere Arbeit monotoner. Dann spielt es keine Rolle mehr, ob man mit Re 10 oder BR 185 über den Gotthard fährt, ob das Gehalt von den SBB oder von der BLS bezahlt wird.

Ab und zu blickt einer nach vorne auf das Signal um zu erkennen, dass es seine Farbe immer noch nicht gewechselt hat. Der Kollege meint nur, er hätte jetzt Feierabend. Ich erwidere nur, aber nicht hier in Göschenen. Lakonisch, ja schon fast spöttisch meint er, mir erginge es ja nicht besser.

Oh doch, ich habe eine Chance, denn ich muss ja nach Arth-Goldau. Nur dort wird die S-Bahn, weg sein, wenn ich ankomme, denn in 15 Minuten fahre ich nicht von Göschenen nach Arth-Goldau. Vorsichtshalber nehme ich mein Mobiltelefon und rufe die Leitstelle in Erstfeld an.

Als der Hörer abgenommen wird, erkläre ich die Situation, auch dass ich mit dem Arbeitszeitgesetz in Konflikt kommen könnte. Die Antwort, die ich bekomme ist hingegen erfreulich, und zerrinnt auf der Zunge wie Schnee in der Sonne. Er habe das bereits bemerkt und entsprechend reagiert. Der Zug werde ausserordentlich in Erstfeld anhalten, denn er habe so oder so einen Kollegen, der nach Basel müsse und dort Feierabend hätte, der könne dann meinen Zug mitnehmen. Die Lokomotiven würden zudem in Erstfeld statt Arth-Goldau gewechselt.

Ich halte das Telefon nur kurz, jetzt hat er Stress, denn viele Lokführer wollen wissen, was sie wo und wie machen müssen. Dauernd klingelt dort das Telefon und ein weiterer Lokführer befürchtet wieder einmal zu Hause anzukommen, wenn die Nacht schon um ist. Wieder zur BR 185 schauend stelle ich fest, dass die Türe geschlossen wurde. Ich wundere mich anfänglich warum, stelle jedoch gleich fest, dass sich die Lok in Bewegung setzt. Aha, er kann die Fahrt fortsetzen, die Strecke ist wohl frei?

Der Zugschluss ist schon länger verschwunden und ich hätte mich beinahe gefragt, wann ich dann starten könne. Das Signal geht aber auf Fahrt und mein Gedanken ist auch schon wieder überholt worden. Langsam beginnt auch mein Zug wieder zu rollen. Je mehr Wagen ins Gefälle kommen, desto schneller beschleunigt der Zug. Über die ablenkenden Weichen darf ich die elektrische Bremse nur mit reduzierten Werten benutzen, da es sonst zu Entgleisungen kommen könnte.

Da auch der Zug vor mir schwer ist, halte ich mich mit der Geschwindigkeit etwas zurück, um dem Zug vor mir ein wenig Vorsprung zu gönnen. Bremsungen auf Halt zeigende Signale in den starken Gefällen sind nicht sonderlich beliebt, denn bergab muss sehr stark gebremst werden.

Bergauf ist die Anfahrt nicht immer leicht. Ich kann anscheinend schneller bergab fahren als mein Kollege vor mir, denn nach der Station Wassen tritt das ein, was ich verhindern wollte. Das Blocksignal zeigt Halt, wie ich am Vorsignal erkennen kann. Ich beginne sofort mit einer Bremsung und verzögere den Zug so schnell wie möglich.

Aha, die Zugsicherung hat nicht angesprochen, da ich aber das Signal nicht grün erkennen konnte, gilt für mich nach wie vor Halt erwarten. Hier im Tunnel mit der engen Kurve kann man das Signal erst sehr spät erkennen. Damit die Züge trotzdem noch vor dem roten Signal zum stehen kommen, sind kurz vor den Hauptsignal Wiederholungssignale aufgestellt. Je nach dem, wie man zum stehen kommt, sieht man das Vorsignal oder das Hauptsignal. Als ich mich nähere, erkenne ich, dass die Zugsicherung nicht fehlerhaft war und das Signal grün zeigt. Die weitere Fahrt bis Erstfeld klappt ohne zusätzliche Bremsung, dachte ich, denn wie so oft, zeigt das Einfahrsignal von Erstfeld Halt. Jetzt komme ich zum stehen.

Ein Blick auf die Uhr zeigt mir, dass ich soeben mit der S-Bahn angekommen wäre. Ich bin fast am rechten Ort, nur müsste ich zuerst noch nach Arth-Goldau fahren. Es dauert fast 30 Minuten, bis das Signal auf Fahrt geht. Nein, absichtlich musste ich sicherlich nicht so lange hier warten, aber nach einem Unterbruch wird es in Erstfeld oft eng, sehr eng. Bei der Einfahrt erkenne ich dann auch, dass ich das letzte freie Gleis belege.

Nachdem ich angehalten habe, kommt der Rangierarbeiter, den wir Bodenwärter nennen und verlangt nach den Papieren. Wo hat sie mein Kollege hingelegt, eine kurze Suche und ich habe sie gefunden. Die erhoffte Ablösung steht nicht hier, anscheinend fehlt der Mann dazu, ich muss deshalb die Lok selber wegräumen und ins Depot stellen.

Endlich, das Zwergsignal vor mir geht auf Fahrt und ich kann mit der Lok vom Zug wegfahren. Nachdem ich den Führerstand gewechselt habe, fahre ich wieder in Richtung Süden, nur nicht ins Depot, wie ich erwartet habe, sondern in ein Gleis daneben. Der Lokführer, der dort steht, gibt mir zu erkennen, dass er grosses Interesse an der Lok habe. Ich übergebe ihm die Lok und gehe in Richtung Depot. Endlich, der lange ersehnte Feierabend ist erreicht und ich muss nur noch die Leistungen angeben.

 

Feierabend

Exakt um 1.30 Uhr verlasse ich das Dienstgebäude und auf dem Heimweg übe ich mich noch ein wenig in Kopfrechnen. 10 Stunden und 30 Minuten hat die Tour gedauert, mit knapp 40 Minuten Pause. Fast habe ich die gesetzlich erlaubte Höchstarbeitszeit erreicht. Ich hätte ja gar nicht mehr nach Arth-Goldau fahren dürfen. Wäre ich in Arth-Goldau stationiert, dann hätte der Betriebsunterbruch dafür gesorgt, dass das Gesetz nicht mehr gegolten hätte. Ist ja logisch, wenn ich nicht weiterfahren kann, weil vor mir die Strecke unterbrochen ist, wie kann ich dann in der vorgegebenen Zeit nach Hause fahren?

Mit einem wohl klingenden Klick fällt die Türe ins Schloss, ich bin zu Hause und ein Tag, den man am liebsten vergessen würde hat sein Ende erreicht. Lange werde ich nicht mehr wach sein, denn ich muss ins Bett um 13.00 Uhr beginnt mein Dienst, hoffentlich reibungsloser wie der vergangene Tag.

 

 

                     
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