Erstfeld - Zürich HB - Erstfeld

Soeben hat der Wecker geklingelt. Ein Blick auf die Uhr zeigt mir, dass es gerade einmal 4 Uhr 30 ist. Obwohl es schon sehr früh ist, bezeichnen wir diese Zeit als angenehme Zeit, denn morgen geht es noch einmal 3 Stunden eher aus dem Bett. So wird es dann mit kleinen Abweichungen bleiben. Heute ist der erste Arbeitstag dieser Woche. Frühdienst steht diese Woche auf dem Programm, und da heisst es bei Zeiten aus dem Bett.

Für einmal stimmt meine Woche auch mit der Woche eines normalen Arbeiters überein, denn es ist Montag früh. Der letzte Arbeitstag wird dann Freitag sein. Nur, dann habe ich Feierabend, wenn die meisten gerade die erste Pause einlegen. Einen Vorteil habe ich noch, denn danach kommt der Nachtdienst und das nächste Wochenende wird dadurch zusätzlich länger.

Ein schöner Tag rundete das Wochenende dieses Altweibersommers noch ab. Das Wetter lockte viele Leute auf die Strasse, so dass auf den Autobahnen Stau angesagt war. Dummerweise musste ich mit dem Auto noch weg, so dass ich auch in den zweifelhaften Genuss eines Staus kam. Die Wetterfrösche meinen, dass das Wetter noch ein paar Tage so bleiben wird.

Viel hat man in so einer Woche nicht vom Sonntag, aber es gibt ja die anderen Sonntage. Jene, bei denen wir dann am Montag frei haben und so an den Sonntagen weit in die Nacht feiern könnten. Nur, eben, die normalen Leute müssen ja Montag zur Arbeit und da mag es nicht angehen, lange zu feiern. Die Lokführer von Erstfeld leben einen Tag verschoben.

Eine Tasse Kaffee und ein Stück Brot mit Butter, sollen zumindest Heute für das Morgenessen reichen. Den Rest des Kaffees geniesse ich am Computer, wo ich schnell die Emails abrufe. Ah, etwas seltenes, aber es gibt keine neuen Infos. Ja, auch mein Email-Verkehr ist ruhiger geworden, seit die Feste zum Jubiläum vorbei sind. Ich bin froh, dass es vorbei ist, die Vorbereitungen waren nicht immer leicht.

Wobei, vorbei ist es auch Heute nicht, denn meine Leistung beinhaltet die Jubiläums-Führerstandsfahrt. Einige dieser Fahrten habe ich schon hinter mir. Unterschiedliche Charaktere hatten die Besucher schon. Während einer mir von Arth-Goldau bis Erstfeld zu erklären versuchte, wie gerne er doch auch und dass es Schade sei, dass gerade er nicht und so weiter. Zugehört habe ich nicht, denn ich war am arbeiten und musste mich mehr konzentrieren als normal. Zumindest tat ich so als ob.

Es gab aber auch andere, die mir fieberhaft versuchten alkoholhaltige Pralinen als Dankeschön anzubieten. Anscheinend wussten diese Besucher nicht, dass ich absolutes Alkohol- und Drogenverbot habe. Früher war es sogar noch Beamtenbestechung. Bleibe ich in einer Kontrolle hängen und der Blutalkoholgehalt ist nur unwesentlich erhöht, verliere ich wenn es auf hart geht meinen Job. Als Lokführer finde ich dann nie mehr eine Anstellung. Nur für einen glücklichen Besucher gehe ich dieses Risiko nicht ein. So blieb ich mit meinem nein danke beharrlich.

In solchen Situationen kommen mir die Schilder in den Zoos in den Sinn. Wäre schön, wenn auch in der Lok ein Schild mit der Aufschrift, „Tiere bitte nicht füttern“ stehen würde. Schon genug, wenn jeder Handgriff, den man macht, genaustens verfolgt wird und sei er noch so banal. Aber bitte füttern sie diesen Menschen, den sie bestaunen wie ein Affe im Zoo während der Arbeit nicht mit allerlei Köstlichkeiten.

 

Die Tür fällt ins Schloss

Soeben ist die Türe ins Schloss gefallen. Eine unangenehme Art hat der September in diesem Jahr schon, denn so früh am Morgen ist es recht kühl draussen. Man verträgt die Jacke wieder. Dem Briefkasten entnehme ich noch die druckfrische Tageszeitung, die vor kurzer Zeit jemand gebracht hat, der noch eher aus dem Bett musste, als ich.

Die ersten Schlagzeilen lese ich auf dem Weg zur Arbeit. Genauer lesen kann ich die Zeitung aber nicht. Sie muss warten, bis ich Zeit dazu habe. Das dauert aber noch eine gewisse Zeit. So kurz um Fünf Uhr morgens erkennt man, wie viele fleissige Hände dafür sorgen, dass die Lebensmittel zurzeit am richtigen Ort sind.

Die LKW der Grossverteiler fahren kurz hintereinander an mir vorbei. Sie beliefern ihre Filialen. Bei der Bäckerei fällt mir ein, wie trocken mein Brot gegenüber den hier frisch und knusprig zubereiten Broten, gewesen ist. So gelange ich zusehends in die Nähe des Depots. Montagmorgen um diese Zeit wird dort noch nicht viel Betrieb sein.

Der Morgen ist ziemlich frisch, jedoch kann ich den Himmel mit all seinen Sternen sehen, diese werden in wenigen Minuten völlig verschwinden und die Dämmerung wird einsetzen. In einigen Fenstern kann ich Licht erkennen. Die Gemeinde am Fusse der Gotthardbahn erwacht langsam.

Die Zeit an der frischen Luft sorgte dafür, dass auch der letzte Schlaf aus meinen Augen verschwunden ist und ich fit für die Arbeit bin. Meine Mappe steht wie immer in meinem Schrank. Ich entnehme sie und stelle fest, dass am Wochenende keine Änderungen verteilt wurden. Die Warnweste ist wie das Startsignal. Jetzt habe ich sie angezogen und nun bin ich arbeitsbereit.

 

Arbeitsbeginn

Bevor ich etwas anderes mache, schliesse ich meine LEA an der Update-Karte an und starte die entsprechende Funktion. Das Update läuft automatisch ab, so dass ich die Zeit nutze um im Computer schnell meine Einteilung zu konsultieren. Heute steht eine kurze Tour mit Reisezügen auf dem Programm. Morgen und den Rest der Woche gibt es keine Änderungen zu beachten. Nach der Flaute im Sommer, verkehren die Güterzüge wieder im gewohnten Rahmen.

Ein Hinweis bei meiner heutigen Tour weckt meine Neugierde. Ein kurzer Klick auf den entsprechenden Link und ich sehe, was da steht. 125 Jahre Gotthardbahn Führerstandsfahrt mit 2 Gästen. Auch heute bin ich nicht alleine. Seit diese Fahrten eingeführt wurden sind die Züge immer besetzt. Nicht jeder Lokführer freut sich darüber.

Mich traf es mit den Fahrten oft, denn anscheinend waren da zwei oder drei Kollegen, die sich weigerten zum Affen, degradiert zu werden. Nicht meine Worte, aber irgendwie kommt man sich schon etwas wie die armen Affen im Zoo vor. Es gibt Tierschützer, aber keine Lokführerschützer. Wir sind nur ein Objekt zur Belustigung. Eben, wie der Primate im Zoo, der sehr zum Leidwesen des Pflegers mit Popkorn gemästet wird.

Das Update ist noch nicht abgeschlossen. Ich besuche noch schnell die Anschlagwände im Raum daneben. Gibt es wichtige Mitteilungen, die brandheiss sind, und die ich bei meiner heutigen Arbeit berücksichtigen muss. Nein, auch hier ist noch alles so wie am Freitagabend. Auch die Büros der Bahn arbeiten am Wochenende nicht, so dass die News und Änderungen erst ab Heute Morgen wieder bearbeitet werden.

Die Mitarbeiterin der Leitstelle hat meine Anwesenheit bemerkt, obwohl sie am Telefon war. Etwas kurzer Schmaltalk über die Tour, die ja sicherlich normal läuft? Ja, das tut sie und schon ist das Gespräch beendet. Jeder geht wieder seiner Arbeit nach. Scheinbar bespricht sie mit einem Kollegen in einem anderen Depot die Nacht, wo in Erstfeld niemand anwesend war.

Vor Jahren undenkbar, aber mittlerweile ist es so, es gibt eine Nacht, in der das Depot Erstfeld ruht. Nicht für lange, aber immerhin herrscht Ruhe. Jeweils in der Nacht von Sonntag auf Montag ist für 2 Stunden kein Lokführer im Einsatz. Es ist nur logisch, dass in dieser Zeit auch die Leitstelle nicht besetzt ist. Genau genommen kann man die Kollegen, die vor mir begonnen haben an einer Hand abzählen.

Die LEA hat endlich die neuen Daten erhalten und ich kann sie in meine Mappe verstauen. Vorhin habe ich an der Anschlagwand gesehen, dass ein neues Gerät kommen soll das das mittlerweile recht alte Gerät ersetzen soll. Waren gute Geräte, kaum einmal, dass sie ausgefallen sind. Und wenn, dann war es meistens ein Problem der Software. Das neue Gerät muss sich dann auch so gut bewähren. Zurück zu den Fahrplänen aus Papier will niemand mehr.

Ein kurzer Blick auf die Uhr verrät mir, dass ein Besuch des Kaffeeautomaten durchaus noch möglich ist. Klar, der Kaffee aus dem Automaten ist nicht so gut, wie einer aus einer Espresso-Maschine. Aber zur Not reicht es. Kaffee ist die Droge der Lokführer, kaum ein Tag wo nicht mehrere Male diese braune Flüssigkeit den Gaumen erfreut.

Ich begebe mich zum Schaltwärter. Er hat um vier Uhr seinen Kollegen abgelöst, der während der Nacht das Depot bewachte und dem ersten Lokführer die Lokomotiven gab. Sonst war auch hier nicht viel los. Auch hier beginnt die Woche erst in ein paar Stunden richtig. Jetzt sind nur Absprachen mit der Werkstatt angesagt. Die Änderungen der Lokumläufe finden jedoch noch nicht statt. Ist ja logisch ohne Züge müssen keine Lokomotiven umdisponiert werden.

Der Schaltwärter meint jedoch, dass wir Lokführer ja froh sein könnten, denn es werde ja nur der Konsum von Alkohol und illegalen Drogen kontrolliert. Bei einer Dopingkontrolle würden wohl alle Lokführer durchfallen. Zumindest mit dem Gehalt an Koffein wird das vermutlich stimmen. Auch hier bleibt es nur bei ein paar Worten, die sich aber auch mehr um die anstehende Arbeit, als um allgemeine Geschäftspolitik drehen.

Zumindest weiss ich jetzt, dass meine Lok schon vor den Zug gespannt wurde. Ein längerer Fussweg in den Südkopf steht mir nun bevor. Bewaffnet mit Kaffee und Tasche mache ich mich auf den Weg durch das Gleisfeld. Die orange Weste mit den Leuchtstreifen schützt mich im Gleisfeld. Zumindest erkennt mich der Kollege eher. Wenn ich aber vor einen fahrenden Zug trete, nützt die Warnweste wenig.

Zwischen den Güterzügen hindurch suchen wir den Weg zu unserem Arbeitsplatz. Heute nicht, denn der Bahnhof ist leer und ich finde den Weg direkt zu meiner Lok, die ich schon von weither sehe. Ich muss 5 Durchfahrgleise überqueren, die normalerweise von Zügen befahren werden, bis ich bei meiner Lok bin. Vor noch nicht allzu langer Zeit hatten wir eine Unterführung, dank deren Hilfe wir die Geleise unterqueren konnten. Diese wurde aufgeschüttet und die Lokführer müssen nun über die Geleise laufen.

Alternative dazu ist ein Umweg durch das halbe Dorf Erstfeld. Diesen Entscheid kann ich nicht nachvollziehen. Das Thema Sicherheit wird gross geschrieben, wenn es darum geht, die Mitarbeiter in eine Rüstung zu stecken. Jedoch werden sichere Fusswege einfach geschlossen. Egal, ich habe die Re 4/4 II mit den Wagen am Haken gefunden, ohne dass ich einen Kollegen unnötig erschreckt hätte. Was ja nicht schwer ist, wenn kein fahrender Zug in diesem Teil des Bahnhofes zu sehen ist.

 

Der Arbeiter-Pullman

Zuerst nehme ich die Lokomotive in Betrieb. Wie ich höre, ist der Luftvorrat in der Nacht massiv geschrumpft. Ich hoffe aber, dass es noch reicht um die Lokomotive in Betrieb zu nehmen. Eine Aktion mit der Handluftpumpe möchte ich nicht unbedingt starten. Was ich bisher anhand der Geräusche vermutet habe, wird im Führerstand zur Gewissheit. Knapp 4 bar sind noch vorhanden. Diese Menge reicht zwar noch um die Lok einzuschalten, jedoch für die Bremsen ist das zu wenig.

Beim einschalten des Hauptschalters stelle ich beruhigt fest, dass der Kompressor seine Arbeit aufgenommen hat und nun den Vorrat ergänzt. Da nicht nur die Lok an der Luftbremse angeschlossen ist, warte ich mit den obligatorischen Prüfungen der Sicherheitseinrichtungen. Es dauert lange, bis der Kompressor seine Arbeit einstellt und ich mit den Prüfungen und Kontrollen weitermachen kann. Trotzdem, dass ich die Bremsen noch nicht mit Luft versorge, sind die Wagen an der langen Füllzeit schuld, denn die Hochdruckleitung durch die Wagen ist gekuppelt und muss gleichzeitig gefüllt werden.

Endlich, der Luftvorrat ist ergänzt, ich kann die Bremsapparate in Betrieb nehmen. Gut erkennt man, wie der Zeiger der Vorratsluft sinkt und schon beginnt der Kompressor von neuem mit seiner Arbeit. Mit Hilfe der entsprechenden Prüftasten kontrolliere ich, ob die Zugsicherung und das ZUB 121 einwandfrei funktionieren. Diese Prüfungen müssen jeden Tag gemacht werden. Wie ich aber im Kontrollheft feststelle, weiss das anscheinend nicht mehr jeder Lokführer. Zumindest gestern war nichts geprüft worden.

Neben der Lok wartet schon der Arbeiter, der die Bremsen der Wagen kontrolliert. Für die Bremsen der Lokomotive bin ich verantwortlich. Bei der Re 4/4 II kann man sich eine Kontrolle ausserhalb ersparen. Das Steuerventil steuert alle Bremsen der Lok an. Ich kann also anhand der ersten Achse, die ich im Führerstand sehe, Rückschlüsse auf die restlichen Achsen der Lokomotive ziehen.

Es dauert lange, bis der Rangierarbeiter die Bremsen der Wagen bis zum Schluss kontrolliert hat. Jeweils bei der ersten Inbetriebnahme am Tag ist bei einem Zug eine Hauptbremsprobe erforderlich. Dabei werden alle Achsen des Zuges kontrolliert.

Den restlichen Tag muss nur noch eine Achse kontrolliert werden. Es sei denn, es gäbe Veränderungen. Die Vorschriften sind kompliziert genug, dass es reicht, dass ich weiss, wann welche Bremsprobe nötig ist. Hier niederschreiben möchte ich es aber nicht.

Dabei fällt mir ein, dass ich diese Prüfung bei 2 Lokomotiven auch hätte machen müssen, da es aber nur eine Maschine ist, erspare ich mir die Arbeit. Innerhalb der Lokomotive ist alles gut.

Genau so macht das der Rangierarbeiter bei den Scheibenbremsen, er kontrolliert nur eine Anzeige. Die Gedanken werden durch das Funkgerät unterbrochen. Das lösen der Bremsen ist nun angesagt.

Der Rangierarbeiter gibt mir den Auftrag die Heizung einzuschalten. Stimmt, normalerweise erfolgt dieser Auftrag gleich zu Beginn. Was ist passiert?

Keine Ahnung, spielt ja auch keine Rolle es ist nicht so kalt, dass die Leute frieren müssten. Als ich den Schalter für die Zugsammelschiene umlege, blicke ich auf die entsprechende Anzeige der Stromaufnahme. Schön erkenne ich, wie jeder Wagen einzelnen einschaltet. Würden alle Wagen gleichzeitig einschalten, würde meine Lok durch die auftretenden Spitzenwerte ausgeschaltet. So bleibt aber alles im grünen Bereich.

An der Türe klopft es. Es ist der Zugchef. Schön, ich habe einen Chef für den Zug. Bei den Güterzügen bin ich der Chef, aber jetzt ist es ein anderer. Er übergibt mir ein kleines Stück Papier, das er seinem elektronischen Gerät entnommen hat. Ja, bei Reisezügen bekommen wir die Belastung auf dem Papier, das Sie von Ihrem Fahrschein her kennen. Das gleiche Papier, das Ihren Fahrausweis eindeutig vor Fälschungen sichern soll, enthält wichtige Angaben für mich.

Ich hoffe, dass die hier gemachten Angaben keine Fälschungen sind. Gut, der Zugchef musste unterschreiben, aber letztlich bin ich derjenige, der den Kopf zuerst anschlägt. Bei der Kontrolle der Lok hatte ich zumindest geprüft, ob die Wagen ordnungsgemäss gekuppelt wurden. Der Zugchef verabschiedet sich und meint, dass er auf dem Zug sei.

Ich kann mir nun denken, dass Sie meinen, dass das nebensächlich sei. Ist es aber nicht, denn diese Info ist wichtig für mich. Nicht jetzt, aber in wenigen Minuten, denn ich kann den Rangierarbeiter schon in der Nähe der Lokomotive sehen. Nachdem er den letzten Wagen kontrolliert hat, kommt er zur Lokomotive. Die kontrolliert er nicht, denn das ist wie schon gesagt, die Aufgabe des Lokführers.

Die Meldung Bremse gut zerrinnt einem auf der Zunge wie Butter in der Sonne. Keine Störung an den Bremsapparaturen. War ja nicht zu erwarten, man weiss aber nie und genau deshalb machen wir diese Kontrolle. Nach einer kurzen Info an den Fahrdienstleiter gehen die Zwergsignale vor mir auf Fahrt. Ich kann zur Stelle vorziehen, wo die Leute zusteigen werden. Da ich weiss, dass der Zugchef im Zug ist, kann ich losfahren ohne lange nach dessen Verbleib zu suchen.

Viel Zeit bis zur Abfahrt bleibt nicht mehr. Aber genau 10 Minuten vor der Abfahrt steht der klimatisierte Arbeiter-Pullman mit Panoramawagen in Erstfeld im Gleis 1 zur Abfahrt bereit. Die 52 Achsen des Zuges haben am Bahnsteig nicht Platz, da aber hier in Erstfeld niemand aussteigen will, spielt das keine Rolle. Der Zug wiegt über 500 Tonnen. Über den Gotthard könnte ich mit dieser Lok schon nicht mehr fahren.

Natürlich sind die Bahnsteige für solche Züge ausgelegt. Aber in meiner Richtung steht ein Signal, das Rot zeigt. Davor muss ich halten. So steht die Lok halt nicht am Ende des Bahnsteigs und schon sind die letzten Wagen nicht zum Einsteigen vorgesehen. Der Halt vor dem Signal hat geklappt, die Bremsen der Wagen arbeiten korrekt.

 

Der Kampf um Sekunden beginnt

Exakt um 6.16 Uhr erhalte ich die Erlaubnis zur Abfahrt. Ich kann pünktlich starten. Jedoch hat die kleine Lok mit dem schweren Zug viel zu arbeiten. So dauert es lange, bis ich die erlaubten 140 km/h erreicht habe. Jedoch nur kurz, denn in Altdorf muss ich schon wieder halten. Man merkt gut, dass die Leute immer den gleichen Zug benutzen und immer bei der gleichen Türe einsteigen. Den Kopf in der Zeitung versteckt, wird gewartet bis der Zug hält. Ohne den Blick aus der Zeitung zu nehmen, wird dann eingestiegen. Ist gut, wenn dann die Türe am rechten Ort ist.

Auch Altdorf ist zu kurz für den ganzen Zug. Das wird nicht das letzte Mal sein, denn der Zug hält an Orten, die sonst nur von den kürzeren S-Bahnen bedient werden. Flüelen hingegen gehört nicht dazu, denn hier sind die Anlagen lange genug. Da aber der Zugang nur auf einer Seite erfolgt, besteigen die Leute den Zug nur im vorderen Bereich.

Hier leuchtet wieder die Abfahrerlaubnis, nachdem in Altdorf noch mit Pfeife und Lampe klassisch abgefertigt wurde. Im Rückspiegel sehe ich, wie der Zugführer einsteigt und sich auch die letzte Türe langsam schliesst. Ich kann der Re 4/4 II wieder Zugkraft abverlangen. Mit maximaler Zugkraft beschleunige ich den schweren Zug. Schliesslich habe ich schon knapp 1 Minute Verspätung.

Nächster Halt wird Sisikon sein. Hier haben die letzten Wagen nicht mal den Tunnel verlassen, wenn ich anhalte. Aber bisher sind ja nur Leute eingestiegen. Das Mobiltelefon klingelt. Ich nehme den Anruf entgegen. Es ist der Zugchef, der mir die Erlaubnis zur Abfahrt erteilt. So geht es auch, denn durch die Kurve hätte ich ihn nicht gesehen.

Bei der Einfahrt in Brunnen sehe ich, wie zwei Personen über die Geleise rennen. Obwohl sie noch weit genug entfernt sind, gebe ich mit der Lok ein Achtungssignal. Sie sollen wissen, dass ich das bemerkt habe. Letztlich sind aber solche Idioten nur hinderlich und nervig. Gesünder wäre, wenn sie in Zukunft den Wecker ein oder zwei Minuten eher richten würden.

Es sind immer die gleichen. Wenn man den Zug öfters macht, kann man die Helden der Arbeit erkennen, die in der letzten Sekunde auf den Zug kommen. Wohl verstanden immer mit dem zugehörigen Schlussspurt. Ich kann mir den Start in den Morgen gemütlicher vorstellen. Im Spiegel erkenne ich, wie wieder mal ein Kunde die goldene Türe sucht. Ich verstehe nicht, warum diese Leute immer ausserhalb des Zuges einen freien Platz suchen müssen. Das verzögert die Abfahrt und nachher ist es dann wieder der Lokführer, der zu spät ankommt.

Nachdem in Schwyz auch der letzte den Weg über die Geleise in den Zug gefunden hat, kann ich die Fahrt beginnen. Nein, keine Angst, Schwyz hat auch Unterführungen, aber so früh am morgen scheint das niemanden sonderlich zu interessieren, vor allem nicht, wenn er zu spät auf den Bahnhof kommt. Wie gesagt, der Wecker könnte ja auch ein wenig eher klingeln und schon muss man sein Leben auf dem Weg zur Arbeit nicht so leichtsinnig aufs Spiel setzen. Ich habe es auch schon erlebt, dass der Güterzug wegen so einem potentiellen Selbstmörder bremsen musste.

Bei der Einfahrt in Steinen sehe ich, wie die Leute im Schotter stehen. Ihr ganz persönlicher Wagen kommt halt aufgrund der Länge des Zuges nicht am Perron zu stehen. Jedes mal denke ich, was das für eine Kletterpartie geben muss. Die Mehrheit kann jedoch bequem am Bahnsteig einsteigen. Bei der Abfahrt habe ich mit dem Zug 2 Minuten Verspätung. Es ist einfach schwer mit dieser Lok den schweren Regionalzug im Fahrplan zu halten.

Arth-Goldau, der Halt, der immer wieder genutzt werden kann um die aufgelaufene Verspätung einzuholen. Kaum nach dem Halt ertönt meine Zugnummer am Funk. Ich gebe Antwort. Es scheint ein Humorist im Stellwerk zu arbeiten, denn er fragt mich, ob ich wisse wo Zug Friedbach und Zug Postplatz seien. Klar weiss ich das, obwohl es die ersten Haltestellen sind, bei denen ich nicht mehr anhalte.

So aber nicht heute, denn ein Flirt sei ausgefallen und ich müsse die S-Bahn bis Zug ersetzten, das heisst Halt an den beiden sehr kurzen Bahnsteigen. Einfacher gesagt, als getan, die Haltestellen sind nahe beisammen und besitzen nur kurze Bahnsteige. Da hat mein Zug nie und nimmer Platz. Eine Info an den Zugführer gibt ihm den Auftrag, die Leute für die beiden Stationen in den ersten beiden Wagen zu platzieren. Diese kann ich kontrolliert an den Bahnsteig stellen. Der Rest steht dann irgendwo in der Botanik.

Alternativ könnte man ja auch die Durchsage machen, dass vorne Zug Postplatz sei und hinten Zug Friedbach. Meiner Fahrzeit wird das nicht nützlich sein, denn ich vermag den Zug so oder so nicht auf die erlaubte Geschwindigkeit zu beschleunigen. Na ja, starten wir erst einmal in Arth-Goldau und fahren nach Walchwil, dann sehen wir weiter.

In Walchwil ist immer einer, der so spät kommt, dass er auf der falschen Seite einsteigt. Das wird auch bald fertig sein, denn in dem Moment wo die letzte Lärmschutzwand steht, kommt er auch nur noch durch die Unterführung zum Zug. Ich empfehle ihm, doch die Gebrauchsanweisung seines Weckers zu studieren, denn dort steht sicher etwas von Uhr richten drin.

Walchwil und Zug Oberwil sind bereits Geschichte, als ich mich mit knapp 40 km/h Zug Friedbach nähere. Mehr lag einfach nicht drin. Der Halt ist kurz und so wie es scheint auch vergebens, denn niemand steigt aus, geschweige denn ein.

Ähnliches Bild auch in der zweiten Haltestelle. Keine Nase  nutzte den Halt, die einzige Person, die aus- und wieder eingestiegen ist, war der Zugchef.

Bei der Ankunft in Zug hätte ich schon wieder abfahren sollen, doch die Leute steigen nun aus und wieder ein. Ab jetzt fahre ich an gewissen Stellen durch. Aber in Baar wird erneut angehalten. Es dauert knapp zwei Minuten, bis die Leute eingestiegen sind. Die Fahrt nach Baar kann beginnen. Durch meine Verspätung kommt auch der Fahrplan der Stadtbahn ins schwanken, denn deren Zug wartet auch schon auf die Weiterfahrt.

Bei der Einfahrt in Baar weiss der Letzte, warum es sich hier um einen Arbeiter-Pullman handelt, denn das Perron ist vor lauter Leuten kaum zu erkennen. Alle wollen in den Zug, den meine Re 4/4 II so mühsam beschleunigt. Der Halt dauert entsprechend, denn bei so vielen Leuten gibt es nun mal Stau bei den Türen. Zumal nicht alle Türen benützt werden.

Ich habe kaum meinen Zug in Bewegung gesetzt, gibt mein Funk ein Signal ab. Die Station Zug hat mir eine codierte Meldung gesendet. Langsam bis Litti steht da. Ich kann für einmal die Lokomotive schonen und nur die kleineren Zugkräfte benutzen. Die Fahrzeit spielt keine Rolle mehr, denn langsam heisst, dass auf der Einspur ein Gegenzug kommt. Die zusätzliche Verspätung entsteht so oder so.

Nein, es ist kein normaler Gegenzug, sondern der tägliche Grund für das Chaos in Zürich, das ich in wenigen Minuten anstellen werde. Es klappt, ich kann ohne Halt beschleunigen. Die mit Lok gezogenen Wagen ersetzten den Cisalpino, der vermutlich wieder mal nicht korrekt funktionierte. Die Lok kann aber die Fahrzeit des Neigezuges nicht halten und so ergibt das für mich schon 3 Minuten Verspätung.

Ab jetzt gelte ich in den Unterlagen als verspätet. Die Leute in Thalwil, meinem nächsten Halt, können wieder demonstrativ auf die Uhr sehen, wenn ich einfahre. Hexen kann ich nun mal nicht und so sind mir die Hände gebunden. Bei der Abfahrt in Thalwil sind es dann nur noch 2,5 Minuten. Jetzt geht es schneller vorwärts, denn die nächsten Stationen kann ich ohne Halt durchfahren.

Überall wo ich durchfahre das gleiche Bild, die Taschen werden gehoben, meine Lok wird betrachtet und dann steht die Tasche wieder resigniert am Boden. Der erwartete Zug kommt in wenigen Minuten hinter mir, jetzt vermutlich auch zu spät. In Thalwil hat der Zug mich noch bemerkt, jedoch weil er hier überall halten muss, gewinne ich etwas Vorsprung. Letztlich wird er in Zürich nahezu pünktlich eintreffen.

In Zürich Enge hat der Spurt ein Ende, ich muss wieder halten. Es gelang mir doch tatsächlich die Verspätung auf eine Minute zu reduzieren. Scheinbar läuft die Lok gut und es gibt zur angezeigten Geschwindigkeit eine kleine unmerkliche Abweichung, die nun hilfreich war. Wenn sich wieder jemand mit dem GPS-Empfänger als Kontrolleur betätigt hat, hat er vielleicht statt 100 102 km/h abgelesen. Meine Geschwindigkeitsanzeige zeigte 100 km/h und nach der fahre ich. Jedoch stehe ich so lange, dass ich in Zürich Wiedikon schon fahren müsste, als ich mich in Zürich Enge in Bewegung setze.

Letztlich kann ich im Hauptbahnhof Zürich einfahren, die Verspätung liegt bei knapp 4 Minuten, was dem normalen Wert entspricht. Es ist einfach fast unmöglich mit diesem Zug rechtzeitig in Zürich zu sein. Ein letztes Mal muss ich mich auf den Halteort konzentrieren, der hier klar vor dem Prellbock liegen muss.

 

Frühsport für Lokführer

Ich stehe kaum, als die Türe zum Führerstand geöffnet wird. Es ist der Kollege, der die Lok übernimmt. Er meint, ich solle ihm einen Lappen geben, er reinige die Stangen, denn mittlerweile sei es bekannt, dass ich kaum Zeit habe. So ist es und die Übergabe der Lok erfolgt nur in kurzen Sätzen. Den Schnellgang konnte ich noch nicht testen sind meine letzten Worte zum Kollegen.

Schon habe ich meine Sachen gepackt und die Lok verlassen. Mein Weg führt nun geradewegs ans andere Ende des Zuges. Nichts ist mit Frühstück in Zürich, nein im Gegenteil, ich muss in 12 Minuten 350 Meter schaffen. Kein Problem, wären da nicht gut 1000 Personen, die in die andere Richtung wollen. Bei dem Gegenverkehr wird der Weg zum Hindernislauf.

Es hat gereicht, ich habe die andere Seite des Zuges erreicht und kann die Lok übernehmen. Es ist eine Re 460. Der Lokführer, der die Lok an den Zug gestellt hat, hat gute Arbeit geleistet, denn die Computer der Lok sind gefüttert und die Lok ist bereit.

Ich muss nur noch meine Personalnummer eintippen und meine LEA im dafür vorgesehenen Halter aufstellen. Am Entsprechenden Signal erkenne ich, dass die Bremsprobe auch abgeschlossen ist.

Nur kurz ist die Zeit, die ich zum ausruhen nutzen kann. Keine längere Entspannung vor der Fahrt in den Süden. Ein Blick auf die Uhr lässt mich erkennen, dass die Fahrt in zwei Minuten losgeht.

Noch schnell einige Daten in meiner Agenda notieren. Draussen erklingt die Durchsage, welche die Abfahrt ankündigt. Exakt in dem Moment wo im Lautsprecher „Vorsicht der Zug fährt ab“ ertönt, wechselt das Signal vor mir auf grün.

Exakt zur geplanten Zeit bekomme ich die Abfahrerlaubnis. Pünktlich setzt sich der Interregio in Bewegung, niemand stört sich nun an der verspäteten Ankunft des Zuges. Auch hat niemand bemerkt, dass der Lokführer der gleiche geblieben ist. Die Re 460 beschleunigt rucklos. Im Gegenteil, jene Person, die mit einem Sprint versuchte den Interregio noch zu erreichen, flucht nun über die pünktliche Eisenbahn.

 

Zürich – Arth-Goldau

Scheinbar gemütlich schlängeln sich die Wagen hinter der Lok durch das Gleisfeld von Zürich. Viel bringt es nicht, hier ans Limit zu gehen. Ausser dass der Komfort leidet, springt kaum viel Zeit heraus. Die Belastungsanzeige zeigt mir, dass ich in wenigen Augenblicken um einiges schneller sein werde. So ist es, nachdem der letzte Wagen die ablenkenden Weichen passiert hat, kann ich auf 80 km/h beschleunigen.

Das Gefälle hilft mir, so dass der Zug schnell beschleunigt. Hier folgen sich die Signale sehr nahe, so dass bereits das nächste erscheint, wenn das vorherige an der Lok vorbei huscht. So lange sie grün sind ist das kein Problem. Ich teste nun die Bremsen des Zuges. Die arbeiten korrekt, die Fahrt kann weiter gehen.

Diesmal benutze ich den Zimmerbergtunnel, der vor der Station Zürich-Wiedikon beginnt. Die Dunkelheit verschlingt den Zug und für die nächsten Minuten ist der schöne Herbstmorgen nur eine schöne Erinnerung. Es dauert, bis auch der letzte Wagen die einschränkenden Weichen befahren hat. Ich kann beschleunigen. An der Geschwindigkeitsvorgabe gebe ich die erlaubte Geschwindigkeit ein. Die Lok arbeitet nun ohne grosse Arbeit von mir und beschleunigt den Zug.

Langsam nähert sich der Zeiger der normalerweise gültigen Marke von 140 km/h. Ich reagiere jedoch nicht und lasse den Zeiger weiter steigen. 150, 155, endlich die erlaubten 160 km/h sind erreicht. So schnell wird es Heute nie mehr werden. Auch jetzt ist das Vergnügen nur von kurzer Dauer. In der Ferne erscheint ein Signal, das orange statt grün ist.

Unter der orangen Lampe steht eine Ziffer. Die 12 bedeutet, dass ich ab dem nächsten Signal nur noch 120 km/h fahren darf. Thalwil kündigt sich an. Ich lasse die Geschwindigkeit weiter fallen, denn ich darf nicht so schnell in Thalwil einfahren. Zudem ist es meistens so, dass die Ausfahrt in Thalwil noch Halt zeigt. Zu nahe folgen sich hier die Züge.

So ist es, ich bin zwar pünktlich, kann aber nicht ausfahren, weil ein Zug vor mir ist und sich dieser gerade aus Thalwil verabschiedet hat. So stehen die Leute auf dem Bahnsteig, sehen mich an und glauben, dass ich der Zug nach Chur bin. Soeben wechselt die Anzeige und nun erscheint bitte nicht einsteigen. Die Durchsage kann ich in der Lok nicht hören. Mich erfreut mehr das Signal vor mir, das nicht mehr rot leuchtet. Ich kann die Fahrt ohne Halt fortsetzen.

Ohne weitere Probleme komme ich nach Zug, dem ersten Halt. Man merkt, dass es ein schöner Tag werden wird, denn viele Ausflügler steigen zu. Ja, eine Wanderung durch die bunten Laubwälder ist sicher etwas schönes. Nur, bitte könnten die Leute vielleicht alle Türen benutzen. Nein, ich glaube es nicht, schön brav steigt jeder Schweizer nach dem anderen zu dieser einzigen Türe ein. Weit hinten erkenne ich den Zugchef, der scheinbar fast am verzweifeln ist.

Mit 2 Minuten Verspätung fährt der Zug los, nachdem ich der Re 460 Zugkraft vorgegeben habe. 2 Minuten Verspätung, obwohl der Zug pünktlich ankam. 2 Minuten sind nicht schlimm, denn die hole ich schon ein, dazu sind Reserven im Fahrplan vorhanden. Nur ist das hier eine einspurige Strecke und die S-Bahn muss in Walchwil warten bis ich komme. Dann hat sie auch 2 Minuten Verspätung, es sei denn ich schaffe es schon bis Walchwil etwas Verspätung aufzuholen.

Da ich nicht schneller als erlaubt fahren darf, muss ich mein Glück in der schnellen Beschleunigung versuchen. Viel habe ich nicht geschafft, denn bei der Durchfahrt in Walchwil sind immer noch ein paar Sekunden übrig. Bis Arth-Goldau werde ich jedoch pünktlich sein. Die Re 460 hält dank der Geschwindigkeitssteuerung die Geschwindigkeit viel exakter als dies ein Lokführer manuell machen kann.

Schön ruhig fährt die Re 460 nach Arth-Goldau, ich muss mich nicht um die Gestaltung der Geschwindigkeit kümmern. Die Lok hält sich brav an die vorgegebenen 75 km/h. Ich kann die Fahrleitung beobachten und mich von der wunderbaren Herbstlandschaft verzaubern lassen. Ein paar mal blicke ich mit Hilfe der Rückspiegel nach hinten, wo die Wagen ruhig und friedlich der Lokomotive folgen. So erreicht man schnell Arth-Goldau. Ich muss das nächste Mal anhalten.

 

Besucher auf der Lok

War ich bisher alleine auf der Lok, ändert sich das nun in Arth-Goldau. Ein ehemaliger Lokführer aus Luzern steigt mit 2 Personen zu. Zwei jüngere Herren begleiten ihn. Damit sie nicht den ganzen Weg stehen müssen, befördern wir den Heizerstuhl aus dem hinteren Führerstand nach vorne. Durch den Maschinenraum geht das nicht, so muss der Weg um die Lok herum genommen werden.

Langsam kehrt wieder etwas Ruhe ein, die Gäste sitzen auf den Stühlen, so dass der eine davon die Strecke gut sieht, der zweite kann mich bei der Arbeit beobachten. Daneben auf einem mitgebrachten Nothocker sitzt der Leiter dieser Delegation. Der einzige wirklich gute Sitz ist meiner.

Dank Luftfederung und Kopfstütze ist es recht bequem auf der Re 460. Die Arbeit kann dann leichter erledigt werden. Gerade auf langen Fahrten ist ein bequemer Sitz nützlich. Leider ist das noch nicht auf allen Loks Standard. Die Kopfstütze hat schon bei Zugstrennungen gute Arbeit geleistet und den betroffenen Lokführern das Leben gerettet.

Nachdem wir uns alle vorgestellt haben, beginnt für mich die Arbeit wieder. Der Intercity nach Mailand hat soeben den Bahnhof verlassen, in wenigen Minuten geht es mit meinen Zug auch los. Daneben werden die ersten Signalschulungen gegeben. Ich erkenne, dass die bisher angedrohte Veränderung am Signal eingetreten ist. Die grünen Lampen leuchten auf und ich benötige nur noch die Erlaubnis des Zugchefs.

Jetzt muss ich die Diskussion kurz unterbrechen, denn mein Blick in den Rückspiegel ist versperrt. Der Besucher muss zurücklehnen, denn sonst sehe ich nichts. Die Türen sind geschlossen und nun beginne ich mit meiner Arbeit. Genaustens werde ich dabei beobachtet. Die Diskussionen

haben ein Ende gefunden und bei der Ausfahrt aus dem Bahnhof Arth-Goldau erklärt mein Kollege, was ich mache. Ich bemühe mich, es auch so zu machen, wie er es erklärt. Das ist nicht schwer, denn er weiss aus eigener Erfahrung genau, wie die Arbeit aussieht.

Der Bahnhof Arth-Goldau liegt hinter mir, die Fahrt geht dem Lauerzersee entlang nach Steinen. Weit vorne in einer Gegend, die Chämiloch heisst, kann ich den Intercity nochmals erkennen. Scheinbar bin ich dabei der Einzige. Während ein Augenpaar fasziniert aus dem Fenster starrt, ist das andere Augenpaar auf meine Hände fixiert.

Vor Steinen ist die Schutzstrecke für die Fahrleitung. Zugleich aber befindet sich die Bremszone für die Kurve an der gleichen Stelle. Wenn die Lok ausfällt, müssen halt die Wagen bremsen. Für mich alltägliche Arbeit, für den Besucher ein Wunder der Technik. Zum Glück blickt niemand auf den Geschwindigkeitsanzeiger, denn ich befahre die Kurve etwas zu langsam. Keine gute Bremsung. Na ja, es kann ja nicht immer perfekt sein.

Perfekt ist jedoch der Halt in Schwyz. Ich bin selber fast überrascht, wie genau der Zug an der richtigen Stelle steht und es nicht mal einen Ruck gegeben hat. Schön sanft hat der Zug nahezu auf den Millimeter genau gehalten. Zum Glück wissen die Leute neben mir nicht, dass es nicht immer so ist. Erneut muss ich die Besucher zu Recht weisen. Erneut brauche ich freies Sichtfeld zum Spiegel.

In der Mitte des Zuges wird gerade ein Rollstuhl verladen. Das dauert einige Zeit. Jedoch nicht so viel Zeit, wie die Gruppe, die den ersten Wagen besteigt. Wäre ja schön, wenn man am Wagen eine zweite Türe montiert hätte. So dauert es länger, meine Besucher konsultieren den Fahrplan und die Uhr.

Ich weiss auch, dass ich schon fahren sollte. Kaum habe ich den Gedanken zu Ende gedacht, leuchtet die Erlaubnis auf. Die Re 460 beginnt damit den Zug zu beschleunigen. Die grosse Zugkraft der Lok hat mit den 11 Wagen keine grosse Mühe. Schnell erreiche ich so die erlaubten Geschwindigkeiten. In Brunnen muss ich wohl etwas schneller einfahren, damit ich die verlorene Zeit einholen kann.

Beim Einfahrsignal beginne ich bei 125 km/h mit der elektrischen Bremse zu bremsen. An der Luftbremse mache ich jedoch nichts, denn zuerst soll die Lok arbeiten. Je näher der Bahnsteig kommt, desto überraschter ist der Blick des Besuchers. Mein Blick schweift nur kurz vom Geschwindigkeitsmesser ab. Bei so schnellen Einfahrten ist es wichtig, dass man die definierten Punkte und die entsprechenden Geschwindigkeiten exakt abstimmt. Dabei muss reagiert werden, wenn es nicht mehr passt.

Das Perrondach kommt näher und die Geschwindigkeit liegt immer noch bei 70 km/h. Jetzt komme ich in den Bereich, wo die Wagen helfen müssen, sonst kommt es nicht mehr gut. Durch die Bremswirkung der Wagen vergrössert sich die Verzögerung. Dadurch fällt die Geschwindigkeit zunehmend gegen null. Kurz vor dem Halt löse ich die Bremsen der Wagen, damit der Halt nicht so ruckartig erfolgt. Etwas zu früh kommt der Zug zum stehen. Daneben höre ich den Kommentar, er hätte nicht gedacht, dass das noch reichen würde.

Ich denke mir, ich schon, denn es ist ja nicht das erste Mal, dass ich so ein Manöver durchziehe. Klar, etwas höher ist der Puls in solchen Fällen schon, aber mit den Jahren kennt man die Bremsen der Züge und dann fährt man schon mal etwas frecher in den Bahnhof. Auf die Sekunde genau kann ich die Fahrt fortsetzen. Zumindest würden mir das die Signale erlauben. Die Türen jedoch noch nicht.

Im Rückspiegel erkenne ich, es ist ein Raucher, der genüsslich seiner Sucht nachkommt und so die Abfahrt des Zuges behindert. Lassen wir den Raucher seine Zigarette zu Ende rauchen? Nein, die Türe schliesst endlich. Seit bei den Zügen das Rauchverbot eingeführt wurde, können solche Manöver immer öfters beobachtet werden.

Bei solchem Suchtverhalten, liegt es nahe das Rauchen als Suchtmittel und nicht als Genussmittel zu bezeichnen. Ich auf jeden Fall lasse meine Tabak-Pfeife wo sie ist. Nicht weil ich nicht mehr rauche, sondern ganz einfach, weil mir aktuell die Lust dazu fehlt. Zudem nehme ich auf die Besucher Rücksicht. Ich kann es ihnen nicht gut verbieten und selber rauchen. So wird die Lok halt ebenfalls zum Nichtraucherbereich. Ich kann warten.

Kurz nach dem Bahnhof kommen die ersten Tunnel der Fahrt. Nicht meiner Fahrt, sondern der Fahrt für die Besucher daneben. Für mich ist es keine Überraschung, dass es in den Tunnel schlicht und einfach dunkel ist. Die Lampen der Lok vermögen nur einen kleinen Bereich erhellen. Die Geschwindigkeit steigt an und erreicht letztendlich 100 km/h.

Nur kurz ist es hell, denn der nächste Tunnel kommt sofort und nochmals steigt die Geschwindigkeit an. Kurz vor Sisikon bestrafe ich nun den Raucher von vorher, denn jetzt muss ich stärker bremsen um wieder pünktlich zu sein. So müssen die Wagen helfen. Durch die hohen Bremskräfte werden die neuen Kunststoffbremssohlen sehr heiss und beginnen bestialisch zu stinken. Das bekommen die Kunden in den Wagen mit. Hier vorne auf der Lok bleibt die Luft jedoch frisch.

Vor Flüelen werden dann noch mal die Klötze der Wagen nötig sein. Erneut wird den Leuten wieder der Hauch der ruhigen Eisenbahn in die Nasen steigen. Beim Halt in Flüelen sind wir dafür wieder pünktlich. Jetzt hat es nicht so gut geklappt, der Zug kommt ein paar Meter zu spät zum stehen. Grund für meinen Kollegen, den Leuten die Toleranz zu erklären. Es war der zweitletzte Halt für mich. Noch bis Erstfeld und dann gibt es endlich eine Pause.

Die Fahrt nach Erstfeld erfolgt mit bis zu 140 km/h. Vor uns türmt sich der Bristen auf und linkerhand sind die ausgedehnten Anlagen der NEAT-Baustelle zu sehen. Alles Sachen, die neben mir erklärt werden. Mich interessieren Signale und Geschwindigkeitsschwellen mehr, denn die Einfahrt in Erstfeld ist mit ZUB 121 überwacht, eine zu hohe Geschwindigkeit wird unsanft bestraft.

Durch die schnelle Fahrt, erreiche ich Erstfeld sogar etwas zu früh. Normalerweise hätte ich das schon besser im Griff gehabt, aber der Lokführerwechsel mit den Besuchern dauert nun etwas länger. So kann der Zug trotzdem noch pünktlich seine Fahrt über den Gotthard antreten. Ich verlasse die Lok und mein Kollege, ebenfalls aus Erstfeld, übernimmt nun bis Bellinzona. Nur kurz kann ich mich verabschieden, denn viel Zeit ist nicht vorhanden.

 

Endlich Pause

Eine lange Pause habe ich nicht, es reicht gerade einmal um eine gemütliche Kaffeepause zu machen. Den anstrengenden Teil meiner Arbeit habe ich hinter mir. Die Pause tut gut. Diesmal waren die Besucher ruhig und interessiert. Es gab schon Tage, da war ich überglücklich, dass ich absteigen konnte.

Am Zeitungsständer greife ich mir noch eine Gratiszeitung. Obwohl ich meine eigene noch nicht gelesen habe, bediene ich mich, denn nach der Pause habe ich Reserve und später noch etwas Rangierdienst. Wobei letzterer auch ab und zu ausfällt, dann kann ich in Ruhe die Zeitungen lesen.

Die Pause ist schnell vorbei und ich muss den Weg in Richtung Depot unter die Füsse nehmen. Diesmal kann ich die Unterführung benutzen um sicher ins Depot zu gelangen. Wie immer laufe ich am Denkmal vorbei und denke mir nichts böses, denn das Denkmal kenne ich und warum sollte ich es ansehen?

Klar, aufgefallen ist mir das Ehepaar schon, aber warum sollte ich mich zu einem längeren Gespräch einlassen. Schliesslich muss ich zur Arbeit. Das sieht das Ehepaar jedoch etwas anders. An der Sprache erkenne ich, dass es sich um Leute aus Deutschland handeln muss. Nein, es ist nicht die einzige dieser Lok, wir haben noch eine fahrtüchtige Maschine hier.

Nein, die Lokomotive ist öffentlich nicht zugänglich, jedoch könnten sie sich im Depot melden, dort könne man ihnen weiterhelfen. Zudem tue es mir leid, aber ich müsse zur Arbeit und sei so schon spät dran. Genau, die zweite Türe ist es, die erste führt zu unseren Garderoben.

 

Nichts ist mit Zeitung lesen

Eigentlich hätte ich es mir denken können. Besucher im Depot und ich habe Reserve. Das kann nur eines bedeuten. Ich höre im Reservezimmer, wie die Mitarbeiterin in der Leitstelle sagt, dass gleich ein Lokführer für sie bereit sein werde. Er sei noch in der Pause. So gut kenne ich die Arbeitspläne, der einzige Mitarbeiter, der um diese Zeit aus der Pause kommt, bin ich.

Es bringt nichts, denn verstecken kann ich mich nicht. Ich melde mich am Schalter. Die Mitarbeiterin der Leitstelle teilt mir mit, dass ich eine Depotführung habe. Was ist mit meinem Manöver? Das findet nicht statt. Gut, dann erkläre ich das Depot und die Lokomotiven, die hier auf Arbeit warten oder geflickt werden.

Erbaut wurde es 1882 zur Eröffnung der Gotthardbahn. Nein, die Gebäude sind nur teilweise so alt, die Remise wurde erneuert und vergrössert. Der Mann meint, er könne verstehen, dass die beginnende Steigung das Depot nötig machte. Teilweise ja, aber nicht nur, aber das erkläre ich später, gehen wir doch zuerst zur Infowand, dort habe ich das entsprechende Infomaterial.

Die Strecke der Gotthardbahn ändere sich hier und so waren zusätzliche Dampflokomotiven notwendig. Auch Heute noch werden an den Güterzügen zusätzliche Lokomotiven beigestellt. Dazu gäbe es mehrere Möglichkeiten, wobei die Zwischenlokomotive nicht mehr angewendet werde. Zudem seien die Lokomotiven immer stärker geworden. Die stärkste der SBB sei die Re 6/6, welche die leistungsfähigste 6achsige Lokomotive in Europa sei.

Jetzt kommt es, beinahe hätte ich eine Wette abgeschlossen, denn der Deutsche Nationalstolz wurde soeben arg strapaziert. Nein, er bestehe darauf, dass die BR 103 die höhere Leistung habe, die E 103 sei die leistungsfähigste Lok in Europa. Schön, jetzt sind meine Fachkenntnisse gefragt. Die E 103 hat eine Stundenleistung von 7’780 kW. Die Stundenleistung der Re 6/6 hingegen läge bei 7’850 kW. Das sei ganz klar ein Plus von 70 kW für die Re 6/6. Der Schweizer Nationalstolz hat gesiegt.

Aber lassen wir das, gehen wir doch zu den älteren Maschinen. Die Ae 6/6 im Hintergrund wird zum Glück nicht als Museumsstück betrachtet, so dass nur das Weltwunder umrundet werden muss, um bei der schweizer Lok schlechthin zu sein. Da steht sie, die einzige braune Krokodillok, Typenbezeichnung Ce 6/8 II. Zum Glück kenne ich die Lok ein wenig. Gut, ich kenne sie gut, die Technik ist einfach aufgebaut. Die Lok verfüge zudem über eine elektrische Nutzstrombremse. Die zwar nicht mit jener moderner Lokomotiven verglichen werden könne, aber immerhin die Lokomotive zu bremsen vermochte.

Nein, ich fahre nicht damit. Jetzt schon gar nicht, denn die Inbetriebnahme der Lok benötige viel mehr Zeit, als das bei neuen Lokomotiven der Fall sei. Zudem dürfe ich mit der Lok nicht fahren. Nein, nicht weil es mir verboten wurde, weil ich nicht will. Warum nicht? Einfach, ich habe die entsprechende Frage bisher immer mit Nein beantwortet. Was nicht sei, könne ja noch werden, ich wolle mich da nicht festlegen.

Weiter geht es zu den neuen Lokomotiven, das jüngste Museumsstück sei die Ae 6/6 11402, die jetzt vor uns stehe. Mit dem Urner Wappen sei sie die erste historische Wappenlokomotive der SBB.

Auch die SBB wolle ihre Lokomotiven auf dem neusten Stand der Technik halten, so dass ältere Fahrzeuge zusehends in Vergessenheit geraten. Nein, so schön der Uristier auch sei, die Lok sei nur befristet im historischen Bestand der SBB. Bei einem grösseren Schaden würden die Karten neu gemischt werden.

Noch ein paar Bilder fürs Fotoalbum werden geschossen, dann ist die Führung beendet. Ein Blick auf die Uhr lässt mich erkennen, dass es wirklich Zeit wird, denn ich habe in 10 Minuten Feierabend.

Der Weg zurück zum Depot ist nicht lange. Vor dem Schalter können die Besucher die Warnwesten abziehen. Ob es Infos im Internet gäbe. Ich gebe mich mit den Warnwesten ab, so dass die Frage an die Mitarbeiterin der Leitstelle geht.

Damit es auch jeder weiss, der im Raum steht, fragt sie mich, wie denn meine Webseite heisse. Sehr witzig, die Adresse kennt sie, genau sie sollen sich mal unter lokifahrer.ch umsehen. Noch ein paar kurze Abschiedsworte und diese Führung ist wie meine Tour beendet. Der Zeiger auf der Uhr zeigt 11.45 Uhr an, Feierabend!

 

Mit der Zeitung zurück

Am Morgen hätte ich die Zeitung ruhig im Briefkasten lassen können, denn so ungelesen, wie ich sie entnommen habe, nehme ich sie nach Hause mit. Mit der Zeitung unter dem Arm mache ich mich auf den Heimweg. Bevor ich jedoch gehe, verabschiede ich mich von der Mitarbeiterin, die auch gleich Feierabend macht mit den Worten En Guete.

Beim Denkmal stehen erneut Leute. Egal, ich habe Feierabend und somit trage ich die Warnweste nicht mehr, man wird so nicht mehr so schnell als Angestellten erkannt. Der Weg ist mir ja bekannt, so dass ich ihn gelassen unter die Füsse nehme. Zu Hause werde ich zu Mittag kochen, mich endlich der Zeitung widmen und den Nachmittag geniessen. Heute werde ich etwas eher ins Bett gehen, muss ich doch morgen früh ins Tessin fahren.

Morgen gehöre ich dann zum Kreis jener, die dafür besorgt sind, dass die Lebensmittel rechtzeitig im Regal stehen. Der viel zitierte Nachtsprung holt mich bereits um 0 Uhr 50 aus dem Bett.

 

                       
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