Erstfeld - Lugano - Bellinzona - Erstfeld

Aus dem Schlaf aufgeschreckt, suche ich den Wecker, der neben meinem Kopf so einen unerhörten Lärm veranstaltet. Noch im Halbschlaf versuche ich ihn zur Ruhe zu bringen. Kaum als es mir endlich gelungen ist, beginnt auch schon das Spiel von neuem, die Nummer zwei klingelt und so bleibt mir nichts anderes übrig, als aus dem Bett zu steigen. Irgendwann muss ich doch noch eingeschlafen sein.

Die Nacht hätte durchaus länger sein können, aber wer kann schon mittags um 4 Uhr ins Bett gehen, wenn draussen die Sonne scheint, die Kinder ihrer frohen Natur gemäss für reichlich Unterhaltung sorgen und im Zimmer 35 °C herrschen. Am meisten gekämpft habe ich mit den 35 °C im Zimmer, das ist einfach zu heiss für mich, ich liebe ein kaltes Schlafzimmer. Zum Glück ist Heute für längere Zeit der letzte Frühdienst angesagt.

Trotzdem, obwohl es kurz nach Mitternacht ist, scheint sich die Wärme im Zimmer kaum gesenkt zu haben. Ja, draussen tobt ein sommerlicher Föhnsturm und sorgt dafür, dass die Temperatur in der Nacht kaum unter den Wert des Tages sinkt. Föhn sorgt dafür, dass die klimatischen Bedingungen komplett über den Haufen geworfen werden, da ist nichts normal. Föhn im Winter, heisst dann schon mal kurze Hosen, im Sommer jedoch bleibt es heiss, 24 Stunden lang.

Eine kühle Dusche, soll dafür sorgen, dass der Schweiss der letzten Stunden abgespült wird und ich mich etwas wacher fühle. Kaltes Wasser wirkt so kurz nach Mitternacht wahre Wunder, da wird man wach und fühlt sich erfrischt. Zudem fühlt man sich gleich wieder besser, wenn nicht alles am Körper klebt. Eine Rasur lasse ich sein, es ist nicht dringend nötig, und so wach, dass das gut gehen wird bin ich noch nicht.

Ein Kaffee ist jetzt ebenfalls noch gewünscht und so starte ich dessen Zubereitung mit einem Knopfdruck. Die Zeit, bis der Kaffee in die Tasse gelaufen ist, nutze ich um einen Blick aus dem Fenster zu riskieren. Was ich zu sehen hoffte, weiss ich eigentlich auch nicht, aber gesehen habe ich nur das, was gestern auch schon da war. Blätter, die kräftig durchgeschüttelt werden ist alles, was ich in der Dunkelheit erkennen konnte.

Mit der warmen Tasse in der Hand geht es ins Büro an den PC. Auch er schläft noch und muss zuerst zum Leben erweckt werden. Die Neuigkeiten aus der Welt lese ich im Internet in den Online-Zeitungen, nebenbei rufe ich die Mails ab. Routine schon am frühen Morgen, ein Blick aufs Mobiltelefon gehört auch dazu. Ein paar Mails sind gekommen und werden auf meinen PC übertragen. Wobei ich feststellen muss, dass die meisten davon erfolgreich durch den Spam-Filter meines Providers gehuscht sind.

Alles Mögliche wird angeboten. Die Medikamente, die mancher Ehe neuen Schwung verleihen sollen, werden gleich im Dutzend angeboten. Daneben kommt noch die Wunderwaffe gegen die vielen Mäuse im Garten. Gut, die hätte ich mir vielleicht angeschafft, wenn ich einen Garten hätte. So aber wird die Mail gelöscht und verschwindet im Papierkorb. Ein Geldinstitut versucht zudem meine Passwörter für das E-Banking zu erfragen. Zu dumm, dass es nicht meine Bank ist und ich das Deutsch kaum lesen kann. Die Wunderpillen brauche ich auch nicht, denn ich muss jetzt zur Arbeit und da habe ich andere Sorgen.

Auch ein paar Mails mit sinnvollem Inhalt haben mich erreicht. Jemand möchte ein paar Informationen zu einer Lokomotive. Die angehängte Foto entlockt mir ein lächeln. Eine Re 421 hat anscheinend den Weg nach Frankfurt an der Oder gefunden. Was die dort zu suchen habe, werde ich gefragt. Vermutlich Arbeit, aber wo sich die SBB-Lokomotiven in Deutschland überall herum treiben weiss ich im besten Willen nicht.

Die andere sinnvolle Mail muss warten, da brauche ich länger um eine Antwort zu schreiben. Zeit dazu habe ich nicht mehr, die Uhr bleibt nicht stehen und so muss ich mich noch fertig anziehen. Das habe ich bisher unterlassen, es wird jetzt noch warm genug in den Kleidern. Trotz der Hitze ziehe ich die langen Hosen an. Grundsätzlich sind sie ja vorgeschrieben, auch sonst bin ich kein grosser Fan von kurzen Hosen.

 

Die nächtliche Begegnung

Die Kleidung fällt heute trotzdem leicht aus, denn dem Wetterbericht konnte ich entnehmen, dass es auch auf der anderen Seite des Berges mit der Bahnlinie, die mir mein Leben finanziert, warm sein soll. Eine Jacke wäre da nur störend und draussen brauche ich auch keine, denn schon beginne ich zu merken, dass von der Dusche nicht mehr viel zu spüren ist.

Das mit dem schönen Wetter kann ich nicht ganz glauben, denn im gleichen Bericht stand nichts von Föhn in den Alpen. Dieser raubte mir mit seiner Wärme den Schlaf und nun versucht er mit aller Macht mich am Weg zur Arbeit zu hindern. Das gelingt ihm ein paar Mal fast. Trotzdem, ich kämpfe gegen den Wind an, eine Alternative habe ich ja nicht. Die Fahrradfahrer in der Gegenrichtung haben es dafür sehr leicht.

Ab und zu muss man schon kräftig kämpfen, dass es einen nicht durch eine Böe auf den Rücken wirft. So stampfe ich gegen den Wind in Richtung Süd. Den halbdunklen menschleeren Strassen entlang, führt mein Weg ins Depot. Kaum jemand ist auf der Strasse anzutreffen, aber in vielen Häusern brennt noch Licht, oder schon wieder. Auch das ist verwunderlich, denn heute ist Mittwoch und die meisten müssen auch noch zur Arbeit. Aber eben, ich bin vermutlich nicht der Einzige, der bei dieser Hitze nicht gut geschlafen hat.

Eine leichte Kurve hat bisher verhindert, dass ich die Polizisten auf der Strasse erkannte. Eine nächtliche Kontrolle auf der Hauptstrasse, die in der Nacht oft zur Rennbahn wird. Die Autofahrer, die angehalten werden, kenne ich zum Teil und eine Alkoholkontrolle bringt nicht viel, kommen sie doch gerade von der Arbeit und wollen nur nach Hause. Da ich zu Fuss unterwegs bin, lässt mich die Kontrolle kalt, denn ich bin nüchtern und fahre ja auch kein Auto.

Einige Gedanken über meinen Alkoholkonsum mache ich mir trotzdem. Wann war nun das letzte Mal… Ach ja, vor knapp einer Woche einen guten Rotwein zum Essen, das durfte auch sein. Ja, ich trinke regelmässig, auch stärker alkoholisierte Getränke, schliesslich ist einmal jährlich auch regelmässig. Abrupt werden meine Gedanken abgewürgt.

Ich habe die Rechnung ohne den Wirt gemacht. Ich werde angehalten und nach den Papieren und meinem Weg gefragt. Von zu Hause komme ich und zur Arbeit will ich. Das ist selten und anscheinend geht es bei der Kontrolle nicht um betrunkene Autofahrer. Ist vielleicht irgendwo wieder einer ausgerastet und hat ein paar Damen des horizontalen Gewerbes umgebracht? Ja ich weiss, es ist früh am Morgen, aber ich muss nun mal zur Arbeit, mein Boss will es so.

Viel Zeit benötigt meine Kontrolle nicht, den Personalausweis habe ich immer bei mir und musste ihn nicht lange suchen. Nicht weil ich häufig kontrolliert werde, sondern ich benötige ihn beruflich.

Beim Gefahrguttransport sind Ausweispapiere Pflicht, Kontrollen gibt es überall. Da ich ja nie weiss, wenn ich zur Arbeit gehe, was auf meinem eingeteilten Zug geladen ist, habe ich den Ausweis immer bei mir.

Ich scheine nicht verdächtig zu sein, denn ich kann meinen Weg zur Arbeit fortsetzen, ein paar Minuten hat die Kontrolle gekostet, da ich noch Zeitreserve für den Arbeitsweg eingeplant hatte, muss ich mich jetzt nicht beeilen.

Auch diese Herren machen nur ihre Arbeit und wenn sie kontrollieren müssen, dann machen sie das auch. Schliesslich fahre ich ja auch mit dem Zug in der Nacht, weil ich das muss. Freiwillig steht wohl niemand zur Geisterstunde auf.

Der weitere Weg führt entlang der Hauptstrasse, ein paar Kollegen kommen mir entgegen. Die haben die Arbeit geschafft und gehen mit der Hoffnung auf ein  kühles Zimmer nach Hause. Sie wollen nur eines, eine gute Nacht verbringen, wahrlich kein leichtes Unterfangen. Auf jeden Fall wünsche ich ihnen das jedes Mal. Meine Wünsche werden immer mit dem Wunsch nach einem erfolgreichen Tag verdankt.

Ein wenig Ruhe vor dem Wind habe ich jetzt, denn die Mauer, die entlang meines Weges zum Depot steht, hält den Wind davon ab, mich weiter zu belästigen. Eine Erholung, die ich geniesse, von der Dusche merke ich mittlerweile gar nichts mehr. Das trockene Hemd von vorhin, fühlt sich nicht mehr so an. Wechseln kann ich es aber nicht mehr, ich muss damit noch ein paar Stunden arbeiten.

Bald ist der Weg ins Depot geschafft. Die kurze Auffahrt bringt mich wieder in den Kampf, den Kampf gegen den Sturm. Die hohen Bäume, die das Depot am Tag so freundlich erscheinen lassen, bereiten nun eine düstere Stimmung. Ein letztes Mal begegnet mir im halbdunkeln ein Kollege, der auf dem Heimweg ist. Die Türe ins Depot steht heute offen. Die Hoffnung, dass es dadurch kühler im Gebäude wird, scheint nicht belohnt zu werden.

 

Lugano Vedeggio steht an

Bevor ich mich genauer mit meinem Tag befasse, stöpsle ich die LEA an und lasse die neusten Daten übertragen. Daneben betrachte ich meinen aktuellen Dienstplan im Computer. Nächste Woche fällt er weg, der Frühdienst, es steht wieder Büro auf dem Programm. Der nächste Fahrplanwechsel muss vorbereitet werden. Das heisst, es gibt neue Dienstpläne für das Personal und wie immer habe ich jetzt noch die Hoffnung, dass es ohne Änderung der Freitage gehen wird. Die Hoffnung wird dann verschwinden, wie meine Hoffnungen auf einen schweissfreien Arbeitstag schon lange begraben wurden.

Die aktuellen Daten wurden gespeichert und auf dem Gerät neben mir erscheint „Update beendet“ ich kann die LEA wieder vom Netz trennen und in meiner Mappe verstauen. Die Mappe hat auch schon bessere Zeiten erlebt, aber kaum eine vernünftige Tasche ist für den harten Lokführeralltag geeignet. Die Warnweste gibt zum Glück nicht warm, ich werfe sie über und begebe mich zum Schalter der Leitstelle.

Noch arbeitet hier jemand, aber die Verschiebung nach Arth-Goldau ist bereits beschlossen und obwohl es nicht alle verstehen, anscheinend sinnvoll. Gut, ganz verstehen kann auch ich es nicht. In Zukunft heisst das, ich komme, stöpsle die LEA an und schaue in den PC. Danach gehe ich aus dem Gebäude, klettere in die Lok und melde meine Fahrbereitschaft mit dem Funk. Es kann dann durchaus sein, dass ich keinen Menschen zu Gesicht bekomme.

Mein Dienst hat nicht geändert und die freundliche Stimme wünscht mir eine gute Fahrt. Ob das am Telefon auch noch so freundlich klingen wird? Schliesslich steht mein Zug schon im Bahnhof, er ist etwas vor der planmässigen Zeit angekommen. Ein Zwischenstopp beim Getränkeautomat ergänzt meinen Flüssigkeitsvorrat in der Mappe. Dieser ist im Sommer wichtig, und sollte bis zur Pause reichen.

Mein Weg führt wie immer, wenn es Richtung Süden geht, an den alten Lokomotiven vorbei zum Arbeitsplatz der aktuellen Zeit. Ja, immer erwecken die alten Lokomotiven neue Gedanken. Wie war das, als diese Lok noch neu war und die Lokführer zum Dienst erschienen? Im Sommer war es auch nicht kalt und die Maschinen hatten ihre Macken. Computer und mobile Telefone hatten die Lokführer damals auf jeden Fall noch nicht.

Waren damals auch Dienste bis weit in den Süden zu fahren, und wie haben die Kollegen von damals geschlafen, wenn solches Wetter wie heute herrschte. Vermutlich auch nicht besser. Aber, was auch in Erinnerung kommt, sie waren zu zweit, sahen eine Person bei der Arbeit. Ich kann mich ja mal darin üben, die Leute zu zählen, die ich bei meiner Arbeit sehe und mit denen ich spreche.

Die Leitstelle zähle ich mit, denn die soll ja weg, ist aber noch vorhanden. Sonst hatte ich bei der Arbeit noch niemanden gesehen. Auch der Schaltwärter war nicht in seinem Büro, er hatte wohl an anderer Stelle zu tun. Die Kollegen auf dem Weg, sind nicht wichtig, denn schliesslich begegnet einem immer jemand auf der Strasse. So ist der Wert bei 1, als ich die Lok besteige. Die steht auch verwaist da, der Lokführer hat sie bereits verlassen und ist auf dem Weg nach Hause.

Die Stimme des Fahrdienstleiters klingt am Funk blechern. Noch sitzt er hier in Erstfeld, er könnte aber weit weg sein, die Verbindung mit Funk geht über grosse Distanzen, denn schon im nächsten Bahnhof kann Bellinzona einen Zug anfunken. Kaum habe ich den Hörer des Funks aufgelegt, kann ich die Fahrt beginnen. Das Signal vor mir leuchtet grün und die Abfahrerlaubnis hat sich auch dazu gesellt.

Ein leichter Zug hat meine, jetzt ist es meine, Re 620 am Haken. Knapp 300 Tonnen für eine Lok, die 800 Tonnen zieht, ist nicht viel. Aber dieser Zug führt Lebensmittel für das Tessin und ist deshalb kein schwerer Brocken. Gefahrgut ist auch dabei, denn auch in solchen Zügen hat es Brennsprit, Gase und andere Produkte, die Sie in Ihrer Küche benötigen.

Die Kühlaggregate der Wechselbehälter mit den Gefrierprodukten, hörte ich auf dem Weg zur Lok. Auch auf der Lok summte eine Lüftung, die Lüftung der Klimaanlage. Sie funktioniert, und so ist es angenehm kühl auf der Lok.

Die Lüftung der Fahrmotoren war im Stillstand abgeschaltet, hatte aber ihren Dienst bei der Abfahrt aufgenommen. Die optimierte Steuerung, die dafür sorgen soll, dass nicht zu viel Energie für die Ventilation benötigt wird, reagiert auf Temperaturen. So beginnen die Ventilatoren schon kurz nach der Abfahrt mit voller Leistung zu arbeiten.

Nachdem auch der letzte Wagen den Bahnhof verlassen hat, kann ich auf mehr als die bisherigen 40 km/h beschleunigen. Das geht relativ leicht, denn die Lok hat grosse Reserven, die nun in Beschleunigung umgewandelt werden. Die schweren Züge gewinnen hier kaum an Geschwindigkeit, zu steil ist es auf diesem Abschnitt. Ich komme flott voran und so steht schon bald Amsteg an. Genau, der Bahnhof, indem Bellinzona bei Bedarf Züge aufrufen kann.

Bei mir ist es Göschenen, das mich am Funk zu sprechen wünscht. Wegen einem Einspurabschnitt müsse ich in Amsteg eine Kreuzung warten. Ich danke und denke mir, wenn ich das eher gewusst hätte, hätte ich nicht so stark zu beschleunigen brauchen. Sofort verzögere ich die Fahrt. Auf der Steigung vor dem Bahnhof besorgt nun die Schwerkraft das, was normalerweise die Bremsen tun. Der Zug wird langsamer.

Ich fahre gerade vor dem Aufnahmegebäude durch, das noch an bessere Zeiten erinnert, als der Gegenzug kommt. Es ist ein Zug, der mit zwei BR 185 bespannt ist. Bedient wird die Lok vermutlich auch von einem Lokführer aus Erstfeld, nur arbeitet er in einer anderen Firma. Es gibt sie, die Momente, wo man sich ernsthaft fragen muss, ob es nicht sinnvoller wäre, dort zu arbeiten. Nun, ich habe keine Zeit, für Gedanken, denn noch immer ist das Signal vor mir rot.

Ich komme nicht zum stehen, es leuchten zwei grüne Lampen auf. Ich muss also die Seite wechseln. Auch jetzt geht es zügig voran. Schon kurz nach dem Bahnhof kann ich die Baumaschinen erkennen, es werden Arbeiten an den Gleisen durchgeführt. Ein Arbeiter grüsst, er hat die Zeit dazu, hat er doch die eine Aufsichtsfunktion und darf von Gesetzes wegen nicht weitere Arbeiten ausführen.

In den blinkenden Lichtern der Warnanlage konnte ich ihn kaum erkennen. Die Scheinwerfer, die dafür sorgen, dass die Arbeiter ihre Aufgaben ausführen können, blenden meine an die Dunkelheit gewohnten Augen, da ist es einfach schwarz. Für mich ist es beruhigend, dass er mich bemerkte. So ist gesichert, dass die Arbeiter aufpassen.

Kurz nach der ehemaligen Haltestelle Intschi, folgt die Spurwechselstelle Zgraggen. Dort wechsle ich wieder auf das normale linke Gleis und kann so meine Fahrt den Berg hoch fortsetzen. Intschi, hat mich in der Ausbildung oft ins schwitzen gebracht, vor allem mit der Re 4/4 I, wenn ich dort anhalten musste. Die Lok ist im Museum, die Wagen auf dem Schrott und den Perron gibt es auch nicht mehr.

Vor dem Spurwechsel wartet schon ein Zug auf die Freigabe. Er muss warten, bis ich den Abschnitt freigegeben habe. Um diese Tageszeit ist es vermutlich ein Lokführer aus Erstfeld, der nun hier auf seinen Feierabend wartet, während andere erst begonnen haben.

In der Nacht nähert sie sich, die letzte Pfeiftafel auf der Achse Basel – Chiasso. Es ist wirklich noch die einzige ihrer Art. Zumindest für die Lokführer im Depot Erstfeld. Viele sind in den letzten Jahren verschwunden, und es ist eine Frage der Zeit, bis auch diese weg kommt. Aber so lange sie noch hier steht, leite ich das nächtliche Pfeifkonzert ein. Weiter steigt die Strecke bis Gurtnellen an. Hier in Gurtnellen scheint die Zeit stillgestanden zu sein, hier ist alles noch genauso wie vor Jahren.

Beinahe könnte man meinen, dass der nächste Regionalzug erwartet wird. Dem ist nicht so und vor einiger Zeit wurde hier auch der Verkauf von Fahrscheinen eingestellt. Es war ein Unikum, der einzige Fahrkartenschalter der Schweiz, der rund um die Uhr geöffnet hatte. Jetzt, hat der Arbeiter hier nur noch die Signale und Weichen zu bedienen. Ein kleiner Landbahnhof auf einer der wichtigsten Verkehrswege in Europa.

Doch die Tradition wird in Gurtnellen hoch gehalten, der Bahnhofvorstand steht immer noch in der Türe, grüsst den Lokführer und trägt einen Hut, wenn auch nicht einen offiziellen der SBB. Es ist der Bahnhof, der zum Museum wurde, indem er der älteste seiner Art auf der Nord-Süd-Achse ist. Aber eben, kein echtes Museum, denn hier wird gearbeitet. Es ist schön, wenn man begrüsst wird und schon ist mein Zug Vergangenheit. Ein Zug mehr in der Geschichte des Bahnhofes Gurtnellen. Im Protokoll wird vermerkt werden, Zug 90303 Durchfahrt Gurtnellen mit + 3.

In der Nacht ist die Fahrt durch die Schleifen von Wassen nicht sonderlich aufregend, eine kleine Kurve, dann eine grosse und immer wieder ein Tunnel. Die Kurve bei Wattingen ist eine gute Gelegenheit nach dem Zug zu sehen. Keine Lichterscheinung, es regiert die Dunkelheit, also alles in Ordnung. Es beruhigt, wenn man nichts sehen kann und die Wagen willig folgen. Ein Schatten verrät mir in etwa, wo mein Zug enden könnte, genau erkennen kann ich es nicht.

Ein paar Weichen sorgen für Abwechslung. Es ist Wassen, das ich ohne sonderliche Probleme passiere. Die Station ist flach, die Leistung muss reduziert werden und danach richtig dosiert aufgeschaltet werden. Die Gemeinde, die um die berühmte Kirche liegt schläft noch. Es ist abgesehen von den Blättern im Föhn keine Bewegung im Dorf zu erkennen. Auf der Autobahn sind einige wenige Autos unterwegs. Noch steigt es ein letztes Mal an, denn erst in Göschenen wird es flacher und der Höhepunkt der Fahrt ist erreicht.

Auch Göschenen war schnell erreicht. Nach einem letzten Blick auf die Kirche, folgte der Spurwechsel Eggwald und die Betonröhre, die hoch in der Luft hängt. Ein Tunnel in der Luft, das gibt es auch nicht oft, aber die Rohrbachlaui ist einfach zu unberechenbar. Nur im Sommer ist auch die nicht zu befürchten und so bemerkte ich die Brücke kaum.

15 Kilometer Dunkelheit, die von Dunkelheit eingerahmt werden. So zeigt sich der Gotthardtunnel in der Nacht. Einzig die schnurgerade Strecke sorgt für Abwechslung, denn kaum sind die weissen Punkte zu einer Lokomotive geworden, erscheinen in der Ferne die nächsten Punkte, der nächsten Lokomotive.  Aber auch diese 15 Kilometer haben einmal ein Ende. Doch bevor ich den Tunnel verlasse, prüfe ich, ob auch alle Bremsen korrekt funktionieren.

In Airolo beginnt das Gefälle, der Zug drückt nun gegen die Puffer und die elektrische Bremse der Lokomotive beginnt zu arbeiten. Das macht sie nicht von alleine, ich muss die Stufen schon schalten. Doch, und das ist selten der Fall, irgendwann wird der Zug nicht mehr schneller, ich kann die Last mit der elektrischen Bremse in Beharrung halten.

So ist sie einfach, die Talfahrt auf einer der längsten abfallenden Strecken in Europa. Die Stationen huschen an der Lokomotive vorbei und die wenigsten davon werden noch für Reisende angefahren. Ja, auch der Güterverkehr ist vielerorts eingestellt worden. An anderen Orten ist er kaum mehr vorhanden. In Faido halten die Interregio, damit sind die Halte aber schon aufgezählt. Der Regionalverkehr befindet sich auf der Strasse.

Unterhalb Faido wird es etwas gerade und ich kann im Rückspiegel wieder mehr erkennen. Keine glühenden Funken die wegspringen, keine Probleme mit der Bremse stelle ich fest. Ich nähere mich Chiggiogna, einem kleinen Dorf, dessen Kirche irgendwie vor vielen Jahren erbaut wurde und die sich mittlerweile hinter einem Bahndamm verliert. Für uns Lokführer ist es einfach ein Spurwechsel mit diesem Namen. Eine Haltestelle oder einen Bahnhof gab es hier jedoch nie.

Der nächste Bahnhof heisst Lavorgo. In Lavorgo arbeitet jemand im Stellwerk, das wissen wir, nur der Mitarbeiter im Bahnhof würdigt den vorbeifahrenden Zug keines Blickes. Kein Vergleich zu Gurtnellen, wo noch ein Kontakt besteht. Er hebt nicht einmal den Blick vom PC, als ich vor dem Kommando durchfahre. Die restlichen Bahnhöfe werden ab Bellinzona gesteuert, da ist niemand mehr, der den Lokführer ignorieren kann.

Auch die Station Bodio, die ich in kürze erreiche, hat schon bessere Zeiten erlebt. Es ist lange her, als wir von Erstfeld kommend den Zug mit Schrott hierher brachten. Dann ging es damit noch ins Anschlussgleis der Monteforno. Eine Herausforderung war das schon für die Nerven. Auf dem Rückweg waren es dann warme Armierungseisen für den Bau. Im Winter dampfte der Zug, man hätte beinahe gemeint, dass er mit Dampf beheizt worden wäre.

Heute ist davon nichts mehr zu spüren. Schrott gibt es hier zwar auch heute noch, denn die Ae 4/7, die hier steht, war eigentlich einmal für den Schrott vorgesehen. Dann sollte sie ins Museum gestellt werden. Wenn ich die Lok aber so betrachte, ist sie immer noch näher beim Schrottplatz, als im Museum. Viel passiert ist in den vergangenen Jahren mit der Lok nicht.

Die Überwerfung zeigt es, hier entsteht etwas, das weltweit bekannt ist. In aller Köpfe herum geistert, und meine bisherige Fahrt ersetzen wird. Es kehrt dann auch auf den Stationen, die noch Personal haben, die grosse Ruhe ein. 57 Kilometer soll sie messen, die Röhre aus Beton. Alles freut sich darauf. Meine Gefühle sind gespalten, denn es ist nicht spannend, mit ETCS durch ein Betonrohr zu fahren und dabei zu erkennen, dass 32 Kilometer vorne weg nichts ist.

Keine Kirche, kein Gegenzug, ja nicht einmal eine verlassene Station, einfach 57 Kilometer Beton, Beton und noch einmal Beton. Eine Arbeit, die eintöniger nicht sein kann. Dann wird der Beruf nicht mehr spannend, und die Lokführer kämpfen dann erst recht gegen den Schlaf. Aber bis es soweit ist, fahren wir an der Kirche vorbei, erinnern uns an Bahnsteige, die nicht mehr existieren und fühlen uns ein wenig nostalgisch.

Mein Weg führt ab jetzt durch die flachen Ebenen des Tessins. Die elektrische Bremse kann sich erholen und die Geschwindigkeiten steigen wieder an. Neue Bahnhöfe gibt es hier, denn waren früher die Bahnhöfe Bodio und Biasca benachbart, ist jetzt der Bahnhof Pasquerio hinzugekommen. Er dient der NEAT, gilt als Bahnhof, ist aber im Grunde nur ein Anschlussgleis.

Kurz vor Bellinzona, genauer in der Station Castione-Arbedo halte ich erstmals an. Das ist im Fahrplan so vorgeschrieben. Am Schluss werden die Wagen für den Grossverteiler, der hier sein Lager hat, abgehängt. Die Meldung, dass der Zug bereit sei kommt schnell und ich bin bereit zur Weiterfahrt. Nur das rote Signal hindert mich noch daran.

Links von meiner Lok stehen die alten Triebwagen, die noch daran erinnern, dass ambitionierte Leute versuchten eine Eisenbahn durch das Misox zu bauen. Die Bahn, die von Bellinzona nach Chur führen sollte, endete irgendwo auf halbem Weg, weil das Geld fehlte. Es fehlte immer, auch später, so dass die Strecke heute kaum mehr benutzt wird. Es sei denn, die Museumszüge fahren auf der Strecke.

Das Signal vor mir hat die Farbe mittlerweile gewechselt, ich kann losfahren. Bellinzona mit seinem Rangierbahnhof San Paolo passiere ich ohne Halt, meine Fahrt führt weiter in Richtung Süden unter den drei Burgen hindurch. Was man mit den Burgen erreichte, wollen einige Leute mit der Bahn, die ich soeben befahren habe auch erreichen. Sie soll von der Unesco zum Welterbe ernannt werden.

Bis es soweit ist, steht ein langer Weg bevor. Ein Weg, der viele Steine im Weg hat und Gegner gibt es überall. Auch ich bin der Meinung, die Strecke soll erhalten bleiben und sei es nur um den Kindern in 50 Jahren zu erklären, dass hier täglich mehrere hundert Züge durchfuhren und die Strecke kaum ruhte, auch in der Nacht nicht.

Auch ich würde dann lieber über den Berg fahren, als mich in ein Rohr zu zwängen, mit weit über 100 km/h zu rasen und einfach auf den Bildschirm schauen. Nur, in 50 Jahren bin ich nicht mehr hier im Einsatz. Neue junge Lokführer werden kommen und die sehen es dann vermutlich etwas anders. Erinnert sich dann noch jemand an mich, meine Kollegen oder sind wir nur ein Kapitel der Vergangenheit, ich weiss es nicht.

Zudem, die Rampe des Monte Ceneri steht an, die Lokomotive muss etwas mehr arbeiten. Ein Aufstieg durch die Wälder, begleitet von einer Autobahn und einer Passstrasse, ist immer speziell. Auch hier sind keine Banditen mehr zu befürchten und die Fahrt verläuft sicher, ohne Überfall und ohne Angst. Eine Modernisierung, auf die niemand verzichten will.

Schliesslich erreiche ich den Bahnhof Rivera-Bironico. Jetzt, wo ich hier zum stehen komme, fällt es mir wieder ein, vor knapp 2 Stunden war ich auf der gleichen Höhe. Seither habe ich nur mit dem Funk kommuniziert. Das mache ich auch jetzt wieder, denn meine Zugnummer wird gerufen. Ich gebe Antwort und erfahre, dass ich bis auf weiters hier warten müsse. Lugano könne mich nicht annehmen. Überrascht bin ich darüber aber nicht. Mehr überrascht die rege Kommunikation am Funk, sonst fehlt hier die Info gänzlich.

Lugano Vedeggio, der Bahnhof hinter den Toren von Lugano, also auf der weniger ruhmreichen Seite der Stadt, ist jetzt ein richtiges Bienenhaus. Viele Züge folgen sich in kurzer Zeit und wenn der längste von allen im Bahnhof ist, geht es noch lange, bis es Platz hat für meine paar Wagen mit Waren für einen schweizer Spediteur und einen anderen Grossverteiler.

Lange muss ich nicht warten, das Signal geht wieder auf Fahrt und ich kann meine Fahrt auf dem Gefälle nach Taverne-Torricella fortsetzen. Eine Fahrt, die nicht sonderlich spannend ist. Man befährt diesen Abschnitt, der mittlerweile durch eine Baustelle aufgewertet wurde. Es ist, wie könnte es anders sein, die Baustelle zu Alptransit und zum Basistunnel am Monte Ceneri.

In Taverne-Torricella kann ich durchfahren. Die Reise führt jetzt nun auf der einspurigen Strecke nach Lugano Vedeggio. Ich verlasse somit die Gotthardbahn und suche meinen Weg auf der anderen Talseite. Scherzhaft kann man die Strecke auch als überdimensioniertes Anschlussgleis bezeichnen. Dass es keins ist, verraten die Signale, die hier stehen. Es ist das letzte dieser Fahrt, das Einfahrsignal zum Endbahnhof des Zuges.

 

Lugano Vedeggio und sein Bahnhof

Hier in Lugano Vedeggio fahren alle Züge mit Fahrt auf Sicht ein. Nein, nicht weil es gefährlich wäre, sondern nur, weil eventuell das Gleis durch andere Fahrzeuge belegt sein kann. Wer hier in diesem Hupac-Terminal einen modernen Bahnhof erwartet, liegt völlig daneben. Kein Stellwerk gibt es hier, auch kein Bahnhofgebäude und längst nicht alle Gleise haben eine Fahrleitung.

Durch die engen Kurven und die Strassenbrücke, die genau dort steht, wo sie eigentlich nicht sein sollte, wird es halt langsam. Die Sicht reicht hier nicht sehr weit. Eine Lok steht hier, genauer sind es zwei Lokomotiven, die Lokomotiven der Rola. Ein schneller Blick verrät mir, der Fahrweg steht in das Gleis daneben.

Ich fahre in das Gleis ein, so sind sie belegt, die beiden Gleise, in die mit Zügen eingefahren werden kann. Mehr gibt es nicht. Zwar gibt es andere Gleise mit Fahrleitung, aber dort kann nicht eingefahren werden.

Am Funk höre ich, wie ein anderer Zug informiert wird, dass er warten muss, denn Lugano Vedeggio hat keinen Platz mehr. Ich kann anhalten, bevor ich am Ende des Gleises ankomme. Weit vor mir endet das Gleis in der Dunkelheit, es gibt nur noch einen Weg, der zurück.

Ich schalte die Lok aus, begebe mich in den Maschinenraum, der recht warm ist und mache mich auf den Weg auf die andere Seite der Lokomotive. Noch stehen die Wagen vor mir, fest mit meiner Lok gekuppelt.

Das ändert sich aber soeben, die Wagen werden entkuppelt und der Rangierarbeiter erklärt mir, dass ich, sobald die Wagen weggezogen wurden, mit der Lok zum Profil vorfahren kann.

Bis es soweit ist, kann ich meine Lok noch kontrollieren, ich sehe nach, ob keine Federn gebrochen sind und die Bandagen der Räder richtig sitzen. Ob hinten auch wirklich das rote Licht für den Zugschluss leuchtet und ob vorne alle drei Lampen erhellt sind, kontrolliere ich auch noch. Es ist so, die Daten für die Rückfahrt sind auch schnell eingegeben.

In der Verladeanlage beginnen die LKW die Fahrt, doch zuerst müssen sie ab dem Zug runter und dann kann es losgehen. Wann geht es eigentlich bei mir los? Vor mir bewegen sich die Wagen, sie rollen von meiner Lok weg. Ich kann nun meine Fahrt ans andere Ende des Gleises beginnen. Die Lok von vorhin ist nicht mehr da, der Kollege hat die Fahrt zu seinem Ziel aufgenommen.

Schnell fahre ich nicht, ich halte genug Abstand zu den Wagen vor mir, so dass ich noch anhalten könnte, wenn diese plötzlich zum stehen kommen. Das ist nicht der Fall und ich fahre vor bis zum Profil der ersten Weiche. Dort halte ich an und warte. Ich glaube kaum an eine baldige Abfahrt, denn der Zug, der vorhin warten musste, wird vermutlich schon vor dem Einfahrsignal stehen. Die Weichenstellung deutet es sogar auch schon an.

So ist es auch, der Zug rollt in den Bahnhof und dieser Zug ist recht lange. Ja, er ist so lange, dass er die Weiche vor mir noch nicht freigegeben hat, als er zum stehen kommt. Die Dämmerung, die nun einsetzt, lässt mehr erkennen, die dunklen Hintergründe werden grau und die Wagen bewegen sich noch ein Stück. Jetzt reicht es, die Weiche vor mir ist frei.

Die Weichenzungen wechseln, so dass der Fahrweg für mich steht. Das geschieht hier mangels Stellwerk noch von Hand und für jede Weiche einzeln. Ist alles fertig eingestellt, muss mit dem Schlüssel die Fahrstrasse verschlossen werden. Erst wenn das alles erfolgt ist, wird das Signal grün. So auch jetzt, ich kann Lugano Vedeggio wieder verlassen, wegen der Verspätung bei der Ankunft dauerte der Aufenthalt ein paar Minuten weniger lang als geplant. Ich fahre rechtzeitig los.

 

10'600 PS am Monte Ceneri

Obwohl hier keine grosse Verbindung zu den Weichen besteht, dürfen wir mit den Zügen abfahren, ohne dass uns jemand eine Abfahrerlaubnis erteilt. Gut, ganz so geht es schon nicht, in der Ferne winkt ein Arbeiter zum Abschied und die Lokomotive rollt gesteuert durch mich aus dem Bahnhof, der Brücke entgegen und aus dem Blickfeld der Arbeiter.

Wenige Meter noch und Lugano Vedeggio gehört zur Geschichte. Zumindest für heute, denn mit meiner Lok fahre ich nach Bellinzona. Die 10'600 PS beschleunigen schnell, und nur dank guten Kenntnissen der Lok und einer ebenso guten Schulung kann man diese Kräfte im Zaum behalten. So kommt man schnell nach Taverne-Torricella, wo ich wegen einem roten Signal zum stehen komme.

Es dauert nicht lange, bis es grün wird und ich die Fahrt in Richtung Monte Ceneri mit der Bergstation Rivera-Bironico aufnehmen kann. Das dauert einige Zeit, denn vor mir verkehrt ein Zug, der nicht so schnell fahren kann, wie ich. Die Lok macht brav das was ich will. So kommt sie doch noch, die Station auf dem Ceneri.

Obwohl ich bei dieser Lokomotive drei unabhängige Bremsmittel habe, muss ich zwei davon prüfen, denn sonst kann ich nicht ins Gefälle fahren. Es funktionieren alle, so dass einer weiteren Fahrt die steile Strecke hinunter nichts im Weg steht. Die Dunkelheit des Ceneritunnels nimmt mich auf und das Gefälle beginnt.

Beim verlassen des Tunnels öffnet sich der Blick auf die tief unten liegende Magadino-Ebene mit den Feldern, den Dörfern und den vielen Lichtern, die am frühen Morgen überall leuchten. Ein unvergesslicher Anblick, der, wie könnte es auch anders sein, mit dem neuen Tunnel wegfallen wird. Kein Landeanflug mehr in der Ebene, keine Blicke hinunter auf die Züge, die von Luino kommen oder nach Locarno fahren.

Ja, Locarno ist auch schon lange her, ich bin jetzt auf einer Gruppe, die planmässig Locarno nicht mehr anfährt. Das war der Preis für die Schulung auf dem FLIRT.

Die kurzen Tunnel der Rampe versperren immer wieder die Blicke in die Ebene und ich muss mich ja auch noch um die Signale kümmern, die bis hinunter grün sind und dies auch bis vor die Tore Bellinzonas bleiben.

In Bellinzona kommen dann die orangen Lampen an den Signalen, aber das ist auch gut so, denn mein Zug endet hier und die Lok wird abgestellt.

Wo das ist, ich kann es nur vermuten, genau weiss man das nie, dass kann hier überall sein. Die Station Bellinzona ruft mich am Funk. Jetzt muss ich nicht mehr raten, denn am Funk erfahre ich, wo die Lok hinkommt. Ins Carbone, eine Gleisgruppe am südlichen Ende des Bahnhofes. Genauer ins Gleis 26. Nur kurze Wege für mich, manchmal hat man einfach ein bisschen Glück.

 

Pause mit Verzögerung

Eine Pause steht nun an, die Uhr steht kurz vor 6 Uhr, und bevor ich in die Pause gehen kann, muss ich mich um die Rückleistung bemühen. Mein Zug ist einer, der nur verkehrt, wenn die Verkäufer meiner Firma erfolgreich waren. Erkundigen kann ich mich mit Hilfe meines mobilen Telefons, das mittlerweile zur Ausstattung eines jeden Lokführers gehört und die Arbeit oft wesentlich vereinfacht.

Nach einigen Klingeltönen, ich wollte schon bald auflegen, nimmt der Angestellte der Leitstelle das Telefon an. Ich melde mich, wie das hier üblich ist in italienischer Sprache. Ich frage nach meinem eingeteilten Zug. Sopresso, erfahre ich. Das habe ich noch fast vermutet, der Zug ist Ausfall. Er habe aber einen anderen Zug für mich, der von Chiasso komme und zur gleichen Zeit verkehre.

Die Nummer notiere ich mir und begebe mich auf den Weg zum Personalrestaurant, wo ich mein Morgenessen einnehme. Bevor ich das aber tue, wasche ich mir im Bad die schmutzigen Hände. Ein bisschen Brot, Butter, Honig, einen Kaffee und das ist es schon, das Frühstück in der Mitte der Tour. Bezahlen kann ich alles an der Kasse, was natürlich in italienischer Sprache erfolgt.

Ich sitze ab, beginne mir mein Brot mit Butter zu bestreichen und erinnere mich an die Idee vom frühen Morgen. Ich habe bisher gerade einmal zwei Leute der Eisenbahn zu Gesicht bekommen, der Rangierarbeiter und die Mitarbeiterin der Leitstelle. Mehrheitlich habe ich in einer Fremdsprache gesprochen. Ein, zwei Bisse später fällt mir ein, dass nur vor wenigen Jahren hier noch vier bis fünf Lokführer aus Erstfeld sassen und gemeinsam frühstückten.

Die Zeitung vom Vortag, die ich in meiner Mappe habe, kann ich jetzt lesen, die aktuellen Exemplare haben den Weg ins Tessin zwar gefunden, aber hier im Personalrestaurant eingetroffen sind sie noch nicht. Ich lese über das Geschehen in der Welt. Zum Schluss noch das Wetter. Im Tessin soll es schön und warm, ja sogar heiss sein. Bisher merkte ich davon nicht viel, es ist ein angenehmer Morgen.

Ein Blick auf den Bildschirm mit der Zuglage lässt mich erkennen, meine Rückleistung hat soeben den Bahnhof von Lugano passiert, in etwa 25 Minuten wird der Zug Bellinzona erreicht haben. Ein kurzer Blick aus dem Fenster verrät, von Sonne fehlt bisher noch jede Spur, im Gegenteil, es ziehen Wolken auf. Bei Föhnlage ist das Tessin nicht immer mit schönem Wetter gesegnet.

Ich habe auch zwei Beine, so darf es durchaus ein zweiter Kaffee sein. Ein paar Lokführer aus Bellinzona haben anscheinend Pause, sie sind einen Tisch weiter abgesessen. Jede Sprachgruppe lebt in ihren Kreisen, für mich, als Minderheit heisst das halt, alleine an einem Tisch zu sitzen. Auch der zweite Kaffee läuft meinen Gaumen runter.

Ein erneuter Blick auf den Monitor lässt mich erkennen, der Zug hat in wenigen Minuten Bellinzona erreicht, es wird Zeit um aufzubrechen. Der Weg an den Bahnsteig ist kurz, aber ein Abstecher auf das WC muss auch noch sein. Einige Meter gegen Norden mache ich zu Fuss. Kaum bin ich bei der üblichen Wechselstelle angekommen, erscheinen auch schon die Lichter einer Lokomotive am nördlichen Ende des Tunnels.

 

Der Extrazug

Der junge Lokführer aus Bellinzona hat den Zug im Griff, er kommt wunderbar an der richtigen Stelle zum stehen, ich kann den Wegübergang benutzen um zur Türe zu kommen. Dem Zug ist eine Re 10 vorgespannt, die Lok an der Spitze ist eine Re 6/6, die noch im grünen Kleid herum rollt. Gefolgt wird sie, was mittlerweile selten geworden ist, von einer grünen Re 4/4 II.

Dahinter sind einheitliche Wagen, genauer Kesselwagen angehängt. Die aktuellen Benzinpreise schiessen mir durch den Kopf, und ich könnte mit dem Inhalt eines Wagens einige Kilometer Auto fahren. Die Griffstangen wurden gereinigt und der Kollege hat es aus der Lok geschafft. Es sei alles in Ordnung meint er noch und macht sich auf den Weg ins Depot. Ich besteige die Lok, die dank der Klimaanlage einen angenehm warmen Führerstand hat.

Die Fahrbereitschaft muss ich nicht mehr melden, denn das Signal vor der Lok ist schon lange grün. Ich beschleunige den Zug langsam. Güterzüge mit Mineralöl sind immer speziell, die Ladung kann einem da schon einen Streich spielen. Kurz anbremsen, nichts geht, weil die Flüssigkeit nach vorne schwappt. Die Reaktion des Lokführers ist klar, es wird mehr gebremst. Wenn die Flüssigkeit dann am anderen Wagenende ankommt, meint man, dass man gleich zum stehen kommt.

Mit knapp 1000 Tonnen ist der Zug mittelschwer und für einen Ölzug eher leicht. Ein Blick auf die Belastung überrascht mich, dort ist nichts von Gefahrgut vermerkt. Kein Gefahrgut, was ist dann in den Wagen? Zum Glück haben wir ja die Frachtpapiere auf der Lok, ein kurzer Blick und ich habe die Antwort. Die hätte ich jedoch nicht so erwartet. In den Wagen hat es doch tatsächlich italienischen Wein.

Der brennt nicht, obwohl es für alkoholische Getränke eine Gefahrgutnummer gibt. Das Unfallmerkblatt würde wohl davon sprechen, dass ein einmal geöffneter Behälter so schnell wie möglich ausgetrunken werden muss. Na dann, Prost. Aber auch so, der Inhalt gibt in Deutschland einige rote Nasen, denn dorthin rollt der Zug.

Nach der Station Castione-Arbedo, wo die Wagen von Heute Morgen bereits in der Lagerhalle verschwunden sind, beschleunige ich den Zug auf die erlaubten 100 km/h. Der Weinexpress rollt in Richtung Norden, gezogen von zwei grünen Lokomotiven. Ein Zug, der dank den neutralen Wagen durchaus, ein paar Jahre früher hätte verkehren können.

So rolle ich ungehindert gegen Biasca, die Schutzstrecke passiere ich, wie das neuerdings verlangt wird mit gesenkten Stromabnehmern. Viele Jahre ging es, jetzt plötzlich muss der Stromabnehmer gesenkt werden. Ein Zug begegnet mir, gezogen wird er von zwei Lokomotiven der Baureihe 186. Diesmal heisst die Bahn Crossrail und gezogen werden Wagen mit Autos.

Nach Biasca kommt die Überwerfung, der neue Kupplungsfriedhof, denn auf einer Seite steigt die Strecke mit 27 ‰ um danach gleich wieder mit dem gleichen Wert zu sinken. Da lässt man am besten den Zug einfach rollen, denn nur schon die geringste Zugkraft kann zu einer Zugtrennung führen. Die will ich nicht riskieren.

Geschafft! Es folgt nun die Station mit dem Schrott, einzig die Armierungseisen fehlen, aber das ist nur eine kurze Episode, die Südrampe steht an. Jetzt müssen die Lokomotiven arbeiten, denn die Wagen machen sich schwer. Der erste Abschnitt geht noch gut, ein weiterer Zug kommt mir entgegen, es ist einer von der eigenen Firma. Irgendwie habe ich das Gefühl, dass der Zug schwerer sein könnte.

Nach einem flacheren Abschnitt folgt die steilste Stelle der Gotthardbahn, die Rampe geht hier mit 27 ‰ hoch. In keiner Unterlage steht etwas davon, aber es ist so. Hier, wo früher die Haltestelle Giornico war, mussten die Re 4/4 I am schwersten arbeiten. Mit meinen 10 Triebachsen geht das mühelos, aber eben nicht so mühelos wie erwartet. So erreiche ich die alte Station, von der nicht mehr viel zu erkennen ist, ausser dass es flach wird.

Die Kehrtunnel beginnen und so schraube ich mich 97 Meter hoch, während ich zweimal unter der gleichen Autobahnbrücke durch fahre. Eine Autobahn, die schon am frühen Morgen voller LKW ist, welche die Schweiz durchrollen. Noch ist der LKW billiger, meint man zumindest, aber das könnte sich ändern, die Ölpreise sprechen für die Bahn.

Lavorgo erreichte ich und ein Blick auf den Ausdruck mit den Fahrzeiten verrät mir, ich verkehre 5 Minuten vor der Zeit. Der Zug scheint eine gute Fahrzeit zu haben und hier gibt es noch einmal 10 Minuten, denn eigentlich hätte ich hier eine Überholung. Mir begegnet ein weiterer Zug, bespannt ist er mit Lokomotiven zweiter Bahnen. Der Zug wird von TXL geführt, eine SBB-Lokomotive verstärkt über den Gotthard.

Was lange Jahre verpönt war, geht plötzlich, die TXL bedient sich eines SBB-Vorspanns und auf den Lokomotiven der DB sitzen plötzlich Lokführer der SBB. Auch wir in Erstfeld haben eine solche Tour bekommen. Die Begeisterung beim Personal hält sich darüber in Grenzen. Zusammenarbeit, die klar zu ungunsten des SBB Personals von Erstfeld ausgefallen ist.

Wir fahren für die BLS einen Zug, der erst um halb 6 Uhr morgens ankommt. Die BLS in Erstfeld übernimmt dafür einen Zug nach Basel, der Erstfeld um 12 Uhr Mittags verlässt. Eine Zeit, in der die Lokführer der SBB auch gerne arbeiten würden. So steigt die Nachtbelastung noch einmal an und es grenzt schon fast an ein Wunder, dass die Arbeit immer im Rahmen des Arbeitszeitgesetzes ablaufen soll.

In Faido kommt dann noch die BLS mit einem Zug, das erkenne ich, da der Zug von zwei Re 485 gezogen wird. Kaum habe ich Faido verlassen, wird meine Nummer am Funk gerufen. Ich gebe wie gewünscht Antwort. Die Info ist klar, ich solle bis nach Rodi-Fiesso langsam fahren. Es gebe dort eine Kreuzung mit einem Gegenzug. Zu letzt folgt eine Zeitangabe, bei der ich den Bahnhof mit Vorteil erreichen soll. „Perdere 4 minuti“, ich soll vier Minuten verlieren, das ist viel.

Solche Zeitangaben, wie etwa die 4 Minuten bis Rodi, oder welcher Bahnhof es dann ist, sind nicht sehr einfach umzusetzen. Ich habe eine Fahrzeit von 6 Minuten. Das heisst, wenn ich nun 4 Minuten zu verlieren habe, sind es zehn Minuten. Die Geschwindigkeit passe ich in etwa so an, wie ich denke, dass es passen wird. Klar, die Angaben der Station sind auch nur eine grobe Schätzung. Wie genau der Gegenzug fährt, ist nie ganz klar.

Mittlerweile ist die Geschwindigkeit auf 40 km/h gesunken und ich nähere mich dem Einfahrvorsignal von Rodi-Fiesso, das Warnung zeigt. Das Einfahrsignal lässt sich noch nicht erweichen, endlich grün zu werden. Ich verlangsame mehr. Da, ein Zug taucht auf! Ich reduziere noch mehr, denn anhalten will ich nicht unbedingt. Der Kollege scheint es nicht sonderlich eilig zu haben, denn er kommt gemütlich entgegen.

Es hat gerade noch geklappt, mein Zug rollt mit 15 Km/h bergwärts, als es endlich passiert, das Signal vor mir geht auf Fahrt und ich kann beschleunigen. Wegen der Steigung und der Wagen am Haken geht das gemächlich voran. Beim Signal habe ich doch schon 5 Km/h gewonnen. Es werden in den nächsten Minuten noch mehr werden.

Bis in die Station habe ich doch 35 km/h auf dem Tachograph, jetzt wird es eben und ich kann schneller beschleunigen. Bei der Einfahrt in die Ebene muss ich mich noch ein wenig zurückhalten, denn sonst könnte es der Kupplung zu viel werden, und das will ja keiner. Oft ist langsamer schneller. Schliesslich zeigt die Bandanzeige vor mir früh genug wieder 75 km/h an.

Jetzt im Sommer ist es hier bei der Eishalle in Ambri-Piotta ruhiger. Wer will schon im Hochsommer in einer Eishalle einem Spiel zusehen. Auch sonst ist hier die Ruhe nicht zu übersehen. Doch halt, auf der Strasse bewegt sich doch ein Auto, es gibt Leben hier! Lange Zeit, mich über solche Situationen zu amüsieren habe ich nicht, denn der letzte Anstieg wartet auf mich. Zudem bekomme ich beklemmende Gefühle, wenn ich daran denke, dass der Alpenraum immer mehr entvölkert wird.

Es ist schnell erklärt, Airolo kam und die 15 Kilometer Nacht, sind jetzt mit Licht eingerahmt. Ändern wird sich nicht viel, nur dass ich wieder in Dunkelheit fahre. Die Lichter, die entgegen kommen, sehen nie gleich aus. Man kann sich im erkennen von Lampenbildern üben. Noch muss ich mit der Beschleunigung warten, bis die letzten Wagen den Bahnhof verlassen haben. Da der Zug nicht sonderlich lang, aber trotzdem schwer ist, muss ich nicht lange warten.

Langsam steigt die Geschwindigkeit gegen 100 km/h an. Die Spurwechselstelle Süd passiere ich bereits wieder mit der erlaubten Geschwindigkeit. Der Zug rollt friedlich Richtung Norden. Ab und zu kommt ein Zug entgegen, die Aktion mit den erraten der Lampenbilder klappt nicht immer zufriedenstellend. Erkennen wer fährt kann ich auch nicht immer, denn oft geht es schnell und wir beleuchten den Führerstand nur sehr kurz. Einfach nur um dem Kollegen zu zeigen, he ich bin hier und mir geht es gut.

In der Mitte des Tunnels ist die Fahrleitungsschutzstrecke für einmal eingeschaltet. Das ist selten, sehr selten sogar, trotzdem darf ich die Signale nicht verpassen. Das Vorsignal kündigt mir an, dass ich die Lok ausschalten muss. Ich mache, was mir durch das Signal geheissen wurde und schalte die Lok aus, senke die Stromabnehmer und fluche innerlich.

Im Führerstand erklingt das Horn der Zugsicherung, das nervt gewaltig. Nein, ich kann sie nicht zurückstellen, der Frust steigt hoch. Ein Signal gab es auch nicht, aber der Lärm im Führerstand ist unerträglich. Aus Erfahrung weiss ich, es ist eine Störung auf der hinteren Lok. Sie nervt zwar, ist aber schnell behoben, nur muss dazu angehalten werden. Beheben kann ich diese nur auf der ferngesteuerten Lok.

Warum ab und zu die Zugsicherung der ferngesteuerten Re 4/4 II anspricht, wenn der Hauptschalter ausgeschaltet wird, weiss ich nicht. Die Re 6/6 ist davon kaum betroffen. Ich schreibe eine Reparaturanweisung, das Depot kontrolliert alles, findet nichts und der Kollege kommt mit der Lok nicht mehr weit. Störungen, die wie aus Geisterhand auftreten und ebenso verschwinden.

Nun, ein Lichtblick kommt entgegen, das Signal vor mir zeigt Warnung. Wunderbar, die Zugsicherung spricht an. Erkennen kann ich das nur daran, dass die gelbe Lampe aufleuchtet, das dazu gehörige Horn ist ja schon lange unüberhörbar. Mit einer kräftigen Bremsung bringe ich den Zug zum stehen. Der Halt ist weit vom Signal entfernt, das immer noch Halt zeigt. Jetzt schnell nach hinten spurten, die Störung beheben und dann wieder weiter.

Zurück auf der Lok erkenne ich, dass vorne die Farben gewechselt haben. Es ist wieder ruhig im Führerstand, ach ist das eine himmlische Ruhe. Ich beschleunige wieder. So lange das Signal vor mir noch Warnung zeigt, sind 40 km/h ausreichend. Kurz bevor ich das Signal erreiche, wechselt es auf grün, ich kann beschleunigen und mich der Spurwechselstelle Nord nähern. Es ist so weit, die 100 km/h sind wieder erreicht, der Zug rollt, die Lok ist ruhig und alles ist friedlich.

Wären da nicht plötzlich die Lampen der Notbeleuchtung, die aufblitzen. Keine Zeit verliere ich mit Gedanken auf das warum, ich leite erneut eine kräftige Bremsung ein. Jetzt darf ich nur noch mit Fahrt auf Sicht verkehren. Es dauert ewig, bis der Zug langsam vor sich her rollt. In einer solchen Situation kommt einem jede Bremsung endlos lang vor.

Mit den Kerzen, die man grosszügig Stirnbeleuchtung nennt, sehe ich nicht einmal die Schienen vor mir, da bin ich für die Lampen der Beleuchtung dankbar. Es ist etwas heller im sonst dunklen Gotthard. Erste Gedanken geistern durch den Kopf, was denn passiert sein könnte. Die Lok arbeitet, ich habe Spannung, das ist gut, denn im schlimmsten Fall habe ich noch Strom.

Ein Zug kommt entgegen, es ist ein Reisezug. Auch er ist gemütlich unterwegs. Besonders genau betrachte ich seine Wagen, war die Störung dort? Nein, der Zug ist in Ordnung, und mein Zug hatte auch keine Probleme gemacht, zumindest nicht soweit ich das bemerkt hätte. Es dauert eine Ewigkeit, bis die Station Göschenen am Funk kommt und eine allgemeine Information abgibt.

Die Mitteilung am Funk beruhig, macht aber auch nachdenklich. Der Streckenwärter, der den Tunnel begeht,  sei gestolpert und habe beim fallen den Knopf der Anlage gedrückt. Beruhigend ist, dass es nicht etwas ernstes, wie ein Brand oder eine Entgleisung ist. Aber die geübten Streckenwärter stolpern kaum ohne Grund. Ist aber gut, dass wir in einer solchen Situation sofort mit Fahrt auf Sicht verkehren.

Noch bin ich langsam unterwegs, und dank der Beleuchtung sehe ich auch etwas. So auch den Streckenwärter, der einen Gegenstand, der wohl im Gleis lag und der ihn zum stolpern brachte, in eine Nische wirft. Ich gebe einen kurzen Pfiff ab. Die Handbewegung des Mitarbeiters lässt mich erkennen, es geht ihm gut, zwar etwas über sein Missgeschick genervt, aber immerhin gesund.

Meine Fahrt endet dann in Göschenen und ich werde darüber informiert, dass Erstfeld die Annahme des Zuges verweigert habe. Die Gründe will ich nicht wissen, aber Annahmeprobleme sind nicht immer gut, besonders wenn man Feierabend hat. Zwar bin ich immer noch pünktlich, aber was bringt mir das? Ob es einfach dem Bahnhof nicht passt, ob der abgehende Lokführer fehlt, oder ob es Bauarbeiten sind, es ist nicht immer klar. Eines hingegen ist sicher genug, ich warte hier in Göschenen und komm nicht weiter.

 

Es dauert nicht lange

Ich richte mich gemütlich ein, jetzt kann es dauern und dauern. Neben mir geht das Signal auf Fahrt. Ein Zug der BLS rollt durch. Na ja, SBB Cargo ist darüber hoch erfreut, der DB und der BLS ihr Trasse zur Verfügung zu stellen. So kann man es natürlich steuern, der Zug der BLS ist nun eventuell vorzeitig, der Kunde der BLS hat Freude, während ich zu spät bin und mein Kunde verärgert ist.

Aber alles ist Spekulation, der Lokführer nach Basel könnte einfach fehlen. Vielleicht kommt er aus Basel und ist verspätet, dann braucht er noch seine Pause. Schliesslich müssen sich auch Lokführer regelmässig verpflegen können. Oft genug liest man, dass ein Personalrestaurant geschlossen wird, weil es sich einfach nicht lohnt für ein paar Lokführer offen zu halten.

Aber wenn dann die Ersatzlösung, die Automaten auch wegen mangelndem Umsatz gestrichen werden, frag ich mich, wie ein Lokführer dann noch etwas essen will. Nichts mehr gibt es, der knurrende Magen muss auf den Heimweg genommen werden. Die Konzentration schwindet, denn es ist die Natur des Menschen, wenn er Hunger hat, sich nur auf das zu konzentrieren.

Mein Signal geht auf Fahrt, und ich kann den Gotthard herunter rollen. Scheinbar war es mit der Annahme schnell erledigt. Mit unterschiedlichen Geschwindigkeiten geht es hinunter. Da mein Zug schlecht bremst, mag ich die Geschwindigkeit des BLS-Zuges nicht halten. Ich gebe es ja zu, das macht Sinn, den schnelleren Zug vor dem langsameren verkehren zu lassen. Nur, warum dann nicht umgekehrt auch so?

Die Kirche steht nun im Licht und Wassen erscheint jetzt auch als Dorf und nicht mehr nur als Station im dunklen Schienenweg. Eine Station, die immer wieder Personen sieht, die auf Züge warten, nicht weil sie auf eine Reise wollen, sondern weil sie diese Züge in eine kleine Kamera zwängen wollen.

Die flache Station nutze ich, um dank der elektrischen Bremse, Geschwindigkeit zu verlieren. Ein paar Gedanken an die Fotografen kommen hoch. Schon oft konnte ich beobachten, wie geknipst wurde. Dann wurde losgespiedet, als sei der Leibhaftige höchstpersönlich auf den Fersen. Später stand dann die gleiche Kamera unterhalb der Wattingerbrücke. Ab und zu fällt sie hin und zerlegt sich in alle Einzelteile.

So komme ich, so wirtschaftlich wie möglich den Berg hinunter. Auch Lokführer müssen wieder Energie sparen. Alles, was nicht durch die Bremsklötze vernichtet wird, kann genutzt werden. So verlasse ich den Bahnhof mit 40 km/h. Nein, ich bin nicht zu langsam, meine Bremsen lassen einfach nicht mehr wie 65 km/h zu. Dann ist der Zug halt immer etwas langsamer.

Ach ja, ich habe mittlerweile 15 Minuten Verspätung. Kein Grund zur Panik, aber verspätet ist verspätet und eigentlich müsste ich nun alles daran setzen, dass ich die Verspätung einholen kann. Energie gespart wird dann nicht mehr. Mit 1000 Tonnen am Haken, den Gotthard runter ist das nur im Büro möglich, denn auch mit so einem Zug muss ich vor einem roten Signal zum stehen kommen.

Mit dem Pfaffensprung habe ich auch den letzten Kehrtunnel geschafft, die Station Gurtnellen taucht auf, die Signale sind grün. Ich kann meine Fahrt ungehindert fortsetzen. Ein weiterer Blick in den Rückspiegel verrät mir, dass es am Zug keine verdächtigen Rauchzeichen gibt. Die Bremsen scheinen zu funktionieren. Die Geschwindigkeit sinkt begünstigt durch die Ebene wieder.

Eine Kontrolle der Zeit, zeigt, dass ich die Fahrzeit zwar halten konnte, aber aufgeholt habe ich auch nichts. Noch sind es knapp 15 Minuten bis nach Erstfeld. Ein paar Mal werde ich den Zug dabei noch verzögern und wieder beschleunigen lassen. Die Baustelle von heute Morgen, die mir in Amsteg eine Kreuzung verschaffte, ist nicht mehr vorhanden. Denn in diesem Abschnitt kommt mir ein Zug entgegen.

Die Fahrt führt über die höchste SBB Brücke, die Intschireussbrücke. Unter mir die Autobahn, die wieder zum Fahren von Rennen genutzt wird. Zwei LKW versuchen sich im Duell den Gotthard hoch. Die Zeit ist zu kurz um zu erkennen, wer denn von den beiden Boliden schneller gewesen ist. Offiziell nennen sie das Elefantenrennen. Ich hätte hier eher von Schneckenrennen gesprochen.

Einem Zug hinter mir wird gefunkt, er solle etwa reduzieren, vor ihm sei ein Zug, der langsam fahren müsse. Damit meint er wohl mich. Der Lokführer, der sich in der Dialektfassung der deutschen Sprache nicht besonders wohl fühlt, erkundigt sich, was denn gemeint war. Die logische Reaktion durch den Bahnhof, man spricht Italienisch, dass es aber ein Mann aus dem grossen Kanton im Norden ist, berücksichtigt wieder einmal niemand.

Es wird wieder Dunkel, der zweitletzte Tunnel verschluckt mich, meine Bremsen quietschen erneut, denn die Anzeige ist wieder auf 65 km/h gestiegen. Erneut geht die Anzeige wieder rückwärts. Ich löse wieder, in gut 90 Sekunden sollte ich die Bremsen erneut betätigen müssen. Das klappt immer noch, denn kurz vor Amsteg müsste ich wieder mit dem Gedanken kämpfen, aber dank der Station geht es auch ohne Bremsen.

Eine kurze Ebene vor Erstfeld erlaubt mir, die Bremsen der Lokomotiven und der Wagen zu schonen, richtig mit Luft zu ergänzen und auch zu kühlen. So bin ich bestens gerüstet um in den Bahnhof Erstfeld zu fahren. Das natürlich nur, wenn das Signal vor mir noch die Farbe wechselt. Im letzten Augenblick zeigt es mir die offene Einfahrt an.

Viel länger hätte ich nicht mehr warten können, dann hätte ich gebremst und wäre viel langsamer unterwegs gewesen. Mit dem Kommentar, es ist ja typisch, die von den SBB schleichen herum. Das dem so ist, ist gerade diesen Personen zu verdanken, weil sie oft selber schuld sind. Bei der Einfahrt sehe ich, der Zug der BLS steht immer noch hier. Meine Ankunft ist für das Gleis fünf geplant. Die Erfahrung bringt es, ich komme an der richtigen Stelle zum stehen.

Ein Blick zur Uhr, 15 Minuten zu spät, alles nur wegen der Überholung in Göschenen. Der Kommentar, des abgehenden Lokführers, warum denn 15 Minuten, ignoriere ich, zeige auf die rote Lokomotive im Gleis daneben. Er versteht meine Geste und schüttelt nur den Kopf. Kaum ist der Kollege in der Lok, öffnet sich auch schon das Signal. Aha, der Zug der SBB fährt nun wieder vor dem der BLS. In Frick oder sonst irgendwo wird es dann eventuell wieder zu einer Überholung kommen.

SBB Cargo darf schön brav warten. Leider keine Seltenheit, sondern fast tägliche Realität. Ich begebe mich zur Leitstelle, spreche dabei mit der Person, die um vier Uhr das Zepter übernommen hat und gebe meine Verspätung an. Dann noch schnell eine Reparaturmeldung erstellen, danach mache ich Feierabend. Es ist kurz vor 10 Uhr.

 

Ein Tag, der gelaufen ist

Noch muss ich nach Hause. Meine Gedanken lassen den bisherigen Tag Revue passieren. Eine Störung, die zwar selten, aber dennoch zu oft auftritt, einen Streckenwärter, der auch schon einen besseren Tag erwischt hat und die Leute, die ich heute getroffen habe. Wie viele waren es schon wieder. Leitstelle, Rangierer in Lugano, zwei Lokführer, und die Leitstelle.

Das sind fünf Personen, die ich bei meiner Arbeit getroffen habe. Gesprochen habe ich mit ihnen keine zehn Minuten. Die Zukunft wird noch weniger Begegnungen bringen. Niemand, den man trifft, alle weiteren Personen waren nur mit Funk verbunden. Einsam, ja, wenn man es so betrachtet, einsam ist der Beruf. Nur, einsam sein kann man in einer Menschenmenge, wir sind allein nicht einsam.

Die Strassen sind besser bevölkert, das Leben hier ist erwacht. Einige Personen kenne ich, ein paar Leute sind mir fremd, die Polizisten von Heute Morgen haben auch eine andere Aufgabe übernommen und letztlich komme ich nach Hause. Die Probleme des Tages sind verarbeitet, ich habe jetzt vier Tage frei. Ein Wochenende, das ich geniessen werde, denn durch den Wechsel in den Mitteldienst, sind es sogar fast fünf Tage.

Noch ein paar Zeilen in der Zeitung lesen, dann kommt mit der Ruhe auch die Müdigkeit. Ach ja, draussen sind trotz des frühen Morgens schon wieder über 30 °C, die Hitze lässt mich zuerst einmal duschen, dann lege ich mich hin, lasse mich gehen und versuche etwas von dem Schlaf nachzuholen, der in der Nacht zuvor gefehlt hat.

 

           
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