Die Uhr zeigt gerade 11.00 Uhr, als ich an einem Dienstag im Januar erwache. Bevor ich mich jedoch aus dem Bett erhebe, stelle ich den Wecker ab, den ich aus Sicherheitsgründen gestellt habe. Letzte Nacht kam ich mit meiner Rola aus Singen verspätet an, da ausgerechnet auf der einspurigen Strecke zwischen Neuhausen und Rafz das Chaos ausgebrochen ist. Ich war mit meinem Zug eine Stunde im Bahnhof Jestetten blockiert, weil sich die Signale strikte weigerten auf Grün zu gehen. Der Interregio aus Zürich musste somit die Strecke bis zu mir mit Fahrt auf Sicht absolvieren, da nicht mit Sicherheit festgestellt werden konnte, ob der Zugschluss vom vorherigen Zug im Kreuzungsbahnhof angekommen ist. Danach folgten noch die weiteren aufgelaufenen Reisezüge. Kein Platz für einen Güterzug! Jedoch konnte ich die Zeit nicht zum ruhen nutzen, denn ich musste der Fernsteuerung bei jedem ankommenden Zug das Zugschlusssignal melden. Was soll’s, ich begebe mich ins Bad und wasche den letzten Schlaf aus den Augen. Danach ziehe ich mich an. Den Weg zum Briefkasten hätte ich mir sparen können, denn ausser der Zeitung, die ich später in der Pause lesen werde, hat der Postbote nichts gebracht. Auch schön, denn jeden Tag eine Rechnung hat man ja auch nicht gerne. Kurz vor 12 Uhr Mittags verlasse ich meine Wohnung um mich in Richtung Bahnhof zu begeben. Nein, zur Arbeit muss ich noch nicht, aber ich erspare mir Heute die Kocherei und gehe ins Personalrestaurant essen. Einige Kollegen hatten die gleiche Idee gehabt, so wird über die verschiedensten Dinge gesprochen. Das Essen schmeckt gut, anschliessend werde ich noch einen Kaffee trinken.
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Erstfeld - Bellinzona |
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Kurz vor 1 Uhr Mittags verlasse ich das Lokal und gehe die paar Meter ins Depot. Ich muss meine Mappe holen. Im Kasten finden sich auch keine neuen Unterlagen. Das viel zitierte Januarloch hat hier seine Vorteile. Bevor ich losgehe, werfe ich noch einen letzten Blick in die Einteilung. Ach ja, heute habe ich eine Premiere. Ich mache das erste Mal einen Interregio nach Locarno. Die notwendige Streckenkenntnis hatte ich vor ein paar Monaten erlangt. Ob ich noch alles weiss? Mehr Zeit für solche Überlegungen habe ich nicht, denn mein Interregio, wie die Schnellzüge jetzt heissen, nähert sich langsam aber sicher Erstfeld. Irgendwie bringen wir den Begriff Schnellzug nicht aus dem Kopf. Kurz bevor der Zug einfährt, stelle ich mich an der Stelle auf, wo ich den Halteort der Lok vermute. Das unverkennbare SBB-Signet erklingt und mein Zug wird angekündigt. Aus den Lautsprechern erklingt „Nächste Einfahrt auf Gleis 1, der Schnell.. äh, Interregio nach Locarno mit Halt in Göschenen, Airolo, Faido und Bellinzona.“ Vergnügt stelle ich fest, dass ich nicht der Einzige bin, der mit der neuen Bezeichnung noch Mühe hat. Der Zug fährt ein, die Zuglokomotive, eine Re 4/4 II, kommt genau dort wo ich mich bereitgestellt habe zum stehen. Ich hatte den Halteort an der richtigen Stelle vermutet. Mit ein paar Worten erfolgt die Übergabe. Mehr Zeit haben wir nicht, denn die Abfahrerlaubnis leuchtet bereits und der Zugchef will abfahren. Ein kurzer Blick durch das geöffnete Seitenfenster nach hinten lässt mich erkennen, dass die Türen geschlossen sind. Der Abfahrt steht nichts mehr im Weg. Wegen den schneebedeckten Schienen kann ich nicht mit der vollen Leistung beschleunigen, aber mit den 28 Achsen an Haken beschleunigt es auch mit weniger Zugkraft. Seit dem letzten Zug sind schon wieder ein paar Millimeter gefallen. Der Scheibenwischer sorgt dafür, dass die Sicht durch die Frontscheibe klar ist und bleibt. Die Scheibenheizung lässt die auf die Scheibe treffenden Schneeflocken zum Teil verdampfen. Auf Gleis 2 in Erstfeld fährt gerade ein Güterzug ein, wir begegnen uns auf Höhe der Ausfahrsignale. Aufmerksam werde ich auf eine rauchende Achse im mittleren Zugteil. Oh, der Zug hat einen Festbremser. Kaum habe ich diesen gefährlichen Sachverhalt erkannt, höre ich, wie der Bahnhof Erstfeld dem Lokführer des Güterzuges mitteilt, dass er eine fest sitzende Bremse habe. Für mich hat sich die Sache somit erledigt. Feste Bremsen bei Güterzügen sind leider recht oft ein Anzeichen, dass entweder etwas kaputt ist, oder der Lokführer eine falsche Handlung vorgenommen hat. Die Talfahrt am Gotthard stellt schon starke Ansprüche an das Rollmaterial, da reicht eine kleine Unachtsamkeit schon aus. Weitere Gedanken an diesen Güterzug verliere ich nicht, denn ich muss die Zugkraft reduzieren, da ich mich der erlaubten Geschwindigkeit nähere. Nach dem Blocksignal nähere ich mich dem Kupplungsfriedhof. Eine problematische Stelle für die schweren Güterzüge, die hier noch am beschleunigen sind. Mit dem Reisezug habe ich aber keine Schwierigkeit. Flott geht die Fahrt in Richtung Amsteg-Silenen voran. Kurz vor dem Bahnhof begegnet mir der Interregio der Gegenrichtung. Bei der Einfahrt in den ersten Tunnel schalte ich den Scheibenwischer ab. Ein Güterzug der DB begegnet mir. Der Lokführer darauf ist jedoch von der BLS, die die Züge für die DB führt. Nicht alle Eisenbahner haben an dieser Konkurrenz Freude, aber ich kann nicht viel ändern und obwohl es mancher Kollege nicht so sieht, grüsse ich den Lokführer auf der Deutschen Lok. Die leeren Autowagen stellen keine grosse Last für die zwei Lokomotiven an seinem Zug dar. Auf der Autobahn geht trotz der Tageszeit nichts mehr. Die Fahrspuren wurden anscheinend gesperrt, damit die Räumfahrzeuge ungehindert die Fahrbahn von Schnee und Eis befreien können. Die Autofahrer, die jetzt ins Tessin wollen sind nicht zu beneiden, denn der starke Schneefall, der schon seit Stunden anhält macht die Strassen rutschig. Ab und zu rutscht auch meine Lok aus, aber ein wenig Sand auf die Schienen gestreut und sie beruhigt sich wieder. Für mich geht die Fahrt weiter in Richtung Süden. Den Gotthard hoch, scheint sich das Wetter nicht zu bessern. Und so ziehen die tief verschneiten Bahnhöfe Gurtnellen und Wassen an meiner Lok vorbei. Der letzte Kehrtunnel der Nordrampe verbringt mich letztlich wieder in südlicher Richtung. Auf der Autobahn sehe ich jetzt die Schneeräumfahrzeuge, wie sie zu dritt die einzelnen Fahrspuren pflügen und salzen. Ich nähere mich dem letzten Tunnel der Nordrampe, doch bevor ich in den Naxbergtunnel fahre, überquere ich in einer Betonröhre das Tal des Rohrbachs. Diese Betonröhre soll die Züge vor der gefürchteten Rohrbachlawine schützen. Wenn es so weiter schneit, wird die Lawinengefahr bald ein ernst zu nehmendes Thema werden. Göschenen steht vor der Türe und ich muss mich langsam auf den Halt vorbereiten. Zwar kommt letztlich der Zug dort zum stehen, wo ich das wollte, aber nicht mit dem gewünschten Komfort. Die Bremsen haben überraschend schlecht gelöst, sehr zum Leidwesen der Reisenden. Viele Leute steigen hier nicht aus und noch weniger steigen ein. Das Wetter bringt keine Wintersportler dazu in die Berge zu gehen und die Bewohner bleiben bei dem Wetter auch lieber zu Hause. Mit dem aufleuchten der Abfahrerlaubnis, verlasse ich die Deutschschweiz für die nächsten Stunden. Hier im Bahnhof liegt sehr viel Schnee, die Arbeiter sind damit beschäftigt, zumindest die Perrons davon zu befreien. Im Gleis ist nur gerade der durch die Züge benötigte Platz geräumt. Die Dunkelheit des Gotthardtunnels hüllt meine Lok ein. Das spärliche Licht der Scheinwerfer vermag nicht genügend Helligkeit zu erzeugen. Mit einem Tastendruck schalte ich das Fernlicht ein. Vielmehr sehe ich jetzt auch nicht und ausserdem haben die Lokführer der Gegenzüge wenig Freude. Ich beende dieses Experiment wieder. Je weiter ich in den Tunnel fahre, desto besser gewöhnen sich meine Augen an die Dunkelheit und ich kann mehr erkennen. In der Tunnelmitte habe ich den höchsten Punkt des Streckennetzes der SBB erreicht, ab jetzt geht es nur noch bergab. Das Gefälle im Gotthard ist aber zu flach damit der Zug von alleine rollt, so benötige ich noch Zugkraft um die 125 km/h zu halten. Beim Vorsignal zum Einfahrsignal von Airolo leite ich eine Bremsung ein, ich muss die Geschwindigkeit reduzieren, denn die Ausfahrt aus dem Tunnel lässt nur 80 km/h zu. Auf Versuche mit der Radaranlage lasse ich mich nicht ein. Durch die Kurve kann ich noch nicht erkennen, wie das Wetter im Tessin ist. Die Sonne und der liegende Schnee blenden mich, als ich die Dunkelheit des Tunnels verlasse. Die Sonnenstube der Schweiz macht ihrem Namen wieder mal alle Ehre, keine Wolke ist am Himmel zu sehen. Die Sonnenblende verschafft mir zumindest Schutz vor der Sonne, gegen den weissen Schnee kann ich nichts machen. Jetzt passt beim Halt alles, der Zug steht richtig und der Halt war angenehm. Die Blendung durch den Schnee hält an, und obwohl meine Brille abgedunkelt hat, ist es sehr unangenehm. Ein paar Leute steigen aus dem Zug. Pünktlich kann ich meine Fahrt fortsetzen. Gleich nach dem Bahnhof beginnt deutlich sichtbar das Gefälle. Ich habe nun den Abstieg in die Magadinoebene auf dem Programm. Bis Bodio verliere ich die grösste Höhe. Mit einem leichten Interregio ist das aber kein Problem. Die zwei Zugkontrollanlage ZKE für Achslager und Bremsen sollte eigentlich kein Problem darstellen. Ein heissgelaufenes Lager kann aber bei jedem Zug passieren. Ab und zu reduziere ich die elektrische Bremse und leite eine Bremsung mit der Druckluft ein. So kann ich sicher sein, dass die Bremsen, die sich auf der Nordseite mit Schnee belegten und im Tunnel wieder aufgetaut sind in der doch recht kalten Tessiner Luft nicht vereisen. Mit vereisten Bremsen wird der Bremsweg länger. Die Talfahrt wird nur kurz beim Halt in Faido unterbrochen und da bin ich dann froh, wenn die Bremsen einwandfrei funktionieren. Nach Lavorgo kommt noch die letzte Talstufe, die ich mit Hilfe der beiden Kehrtunnel meistere. Die Autobahn quert hier das Tal auf einer gigantischen Brücke. Da wirkt die Strecke der Gotthardbahn recht armselig mit ihren Schlaufen. Kurz vor Bodio kommt noch der Abschnitt mit dem grössten Gefälle. Hier fällt die Strecke mit 27 ‰, obwohl die Strecke offiziell nirgends so steil ist. Nachdem ich den Bahnhof Bodio passiert habe, überquere ich die südlichen Portale des entstehenden 57 km langen Basistunnels. Die Bauarbeiten sind in vollem Gang und aus dem Portal steigt Dampf aus dem warmen Tunnel auf. Die Fahrt mit 125 km/h nach Biasca ist kurz, ich muss wieder bremsen und anhalten. Ich notiere mir noch einige Angaben in meiner Agenda und trage die Leistung im entsprechenden Couvert ein. Schon geht die Fahrt weiter mit 125 km/h Richtung Bellinzona. Die Schneedecke reicht nicht bis hier runter und das Tessin scheint jetzt recht trostlos und grau, obwohl die Sonne scheint. Kurz vor Bellinzona werden die Kurven etwas enger, so dass ich langsamer fahren muss. Zum letzten Mal halte ich mit diesem Zug an. Hier in Bellinzona steigt ein anderer Lokführer auf und ich verlasse den Zug um meine Pause zu machen. Dank den vorhandenen Halteorttafeln ist es kein Problem mit dem Zug an der richtigen Stelle zu halten. Nachdem ich die Griffstangen der Lok gereinigt habe, steigt mein Kollege ein und wir machen noch die obligate Übergabe. Letztlich packe ich meine Sachen und verlasse die Lok.
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Pause |
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Der kühle Wind veranlasst mich, die Jacke zu schliessen. Hier in der Sonne vergisst man schnell, dass ja auf der anderen Seite ganz anderes Wetter herrscht. Ein Problem hauptsächlich im Frühling, wenn es hier schön warm ist und im Norden noch sehr kalt. Da sieht man Tessiner Lokführer mit Kurzarmleibchen bei 12 Grad in Erstfeld und umgekehrt Erstfelder Lokführer mit warmem Pullover bei 22 Grad in Bellinzona oder Chiasso. In der Milchküche befinden sich nur sehr wenige Leute. Ein paar Kollegen von Bellinzona sitzen an ihrem Stammtisch sonst herrscht gähnende Leere. An der Kasse bezahle ich den Kaffee und das Gebäck, das ich mir ausgesucht habe. Ich begebe mich zum Tisch, wo sich die Erstfelder Lokführer hinsetzen. Diese Anordnung ergab sich daher, da sich die Lokführer aus der Deutschschweiz in der Pause nicht unbedingt in italienische Diskussionen einlassen wollten. Ich will jetzt meine Zeitung in Ruhe lesen. Ich setze mich hin öffne die Zeitung und beginne die erste Seite zu lesen. Die Schlagzeilen habe ich gerade geschafft, als ich angesprochen werde. Das Lesen der Zeitung kann ich jetzt vergessen ein guter Freund aus Arth-Goldau setzt sich zu mir. Er meint dass er einen Güterzug nach Arth-Goldau zu führen habe, und jetzt mache er eine Stunde Pause. Ich erwidere ihm, dass ich auch noch nach Arth-Goldau fahren werde, aber zuerst nach Locarno müsse. Schnell wechseln wir aber das Thema auf andere Bereiche, die SBB lassen wir hier FFS sein. Die Zeit verrinnt schnell und mein Kollege muss zur Arbeit. Nein, Zeitung lesen kann ich nicht mehr, denn zwei weitere Deutschsprachige Lokführer haben sich zu mir gesetzt. Der eine ist hier in Bellinzona stationiert und ist froh, wenn er wieder mal Deutsch sprechen kann. Der andere Kollege ist vom Depot Luzern. Die Uhrzeiger bewegen sich langsam gegen 17 Uhr. Für mich ist die Zeit gekommen, um aufzubrechen. Ich verabschiede mich von den Kollegen und gehe zur Garderobe, wo ich meine Jacke aufgehängt habe und meine Mappe steht.
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Bellinzona – Locarno – Arth-Goldau |
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Pünktlich fährt mein Zug ein. Erneut ist eine Re 4/4 II vorgespannt. Der Zug ist aber nicht viel länger als meiner. Die Zeit reicht jetzt problemlos um eine Übergabe zu machen. Ich schreibe meine Daten in das Leistungscouvert. Pünktlich um 17.00 Uhr erhalte ich die Abfahrerlaubnis. Die Fahrt nach Locarno beginnt. Schnell beschleunige ich den Zug auf die erlaubte Geschwindigkeit. Bis Giubiasco kenne ich die Strecke gut, denn mit den Zügen nach Chiasso fahren wir ja auch hier durch. In Giubiasco wechsle ich aber auf die Linie in Richtung Cadenazzo. Da mein Zug gut wirkende Bremsen hat, kann ich auf 125 km/h beschleunigen. Jetzt blicke ich an die Ceneri-Rampe hoch. Normalerweise ist es genau umgekehrt. Die verträumte Haltestelle San Antonino fliegt an meinem Zug vorbei. Schon sehe ich vor mir das Vorsignal und weit entfernt das Einfahrsignal von Cadenazzo. Jetzt heisst es abbremsen, denn zum einen kann die Einfahrt nicht mit der vollen Geschwindigkeit befahren werden und zum anderen muss ich hier anhalten. Ich komme wie gewünscht vor den Gleisabschnittsignal zum stehen. Durch die Feierabendzeit steigen hier sehr viele Leute aus und auch ein. Der Halt von einer Minute dauert wenig länger. Mit einer halben Minuten Verspätung kann ich die Fahrt fortsetzen. Wieder beschleunige ich den Zug, jetzt jedoch nur noch auf 90 km/h, denn die nachfolgenden Weichen muss ich in Ablenkung befahren. Das Gleis gerade aus führt nach Luino, meine Strecke nach Locarno zweigt in einer Kurve nach rechts ab. Auf einer Stahlfachwerkbrücke überquere ich den Ticino ein letztes Mal. In Riazzino-Cugnasco stehen alle Signale auf Fahrt. Hier befinde ich mich am tiefsten Punkt des schweizer Bahnnetzes. Trotzdem befinde ich mich noch knapp über 200 Meter über Meer. Hier werden alle Bahnhöfe ferngesteuert, so dass ich vergeblich grüssen würde, denn Personal gibt es hier keines mehr. Die Haltestelle Gordola liegt kurz vor dem Bahnhof Tenero. Auch hier fahre ich durch, der nächste Halt ist in Locarno. Nach einer Kurve überquere ich das Bachbett der Verzasca. Viel Wasser gibt es in diesem breiten Bachbett nur bei lang andauerndem Regen. Der grösste Teil des Wassers wird hinter einer riesigen Staumauer zurückgehalten und nimmt den Weg durch die Turbinen in den Lago Maggiore. Der Bahnhof Tenero darf nur mit 60 km/h befahren werden. Eine leichte Erholung für meinen Rücken, denn die Strecke bis hierher ist nicht besonders ruhig. Die kurze Re 4/4 II wird kräftig durchgeschüttelt. Nach dem Bahnhof folgt ein Tunnel, danach noch eine Kurve und letztlich erscheint das letzte Vorsignal vor meinem Fenster. Die Einfahrt erfolgt auf das Gleis 1. Das kann ich daran erkennen, weil das Einfahrsignal den Fahrbegriff 1 zeigt. Nun, so frei ist die Fahrt auch wieder nicht, denn Locarno ist mein Endbahnhof. Zusätzlich handelt es sich hier um einen Kopfbahnhof, dass heisst, ich muss vor dem Prellbock zum stehen kommen. Im Gegensatz zu den Bahnhöfen Zürich und Luzern, wo wir mit 40 km/h im Vorfeld des Bahnhofes unterwegs sind und später auf 30 km/h reduzieren, darf ich hier mit 60 km/h einfahren. Ab dem Anfang des Daches zum Perron muss ich aber nur noch 25 km/h fahren. Kurz vor dem Prellbock steht der Rangierarbeiter und erteilt mir Haltsignale. Letztlich ist es kein Problem mit einem solchen Zug bei so kleinem Tempo präzise bei ihm anzuhalten. Ich schalte den Griff für die Fahrrichtung in die Rückwärtsstellung. Durch aufschalten der Zugkraft drücke ich die Puffer zu den gebremsten Wagen zusammen. Dank dieser Massnahme, kann der Arbeiter die Kupplung lösen und aushängen. Nachdem ich diese Arbeit erledigt habe, schalte ich die Lok aus und senke den Stromabnehmer. Erst jetzt beginnt der Rangierarbeiter mit dem abkuppeln meiner Lok. Sobald er abgehängt hat, werde ich die Lok erneut einschalten und noch ganz an den Prellbock fahren. Danach habe ich keine andere Wahl, ich muss die Fahrrichtung wechseln. Der genaue Ablauf des folgenden Manövers ist mir noch nicht bekannt. Zwar haben mir einige Kollegen Tipps gegeben, aber ob es immer so ist, weiss ich nicht. Im Gegensatz zu den Bahnhöfen Luzern und Zürich wechsle ich den Führerstand nicht, obwohl ich an einem Prellbock stehe, verbleibe ich auf meinem Führerstand. Die Zeit, bis der Zug vor mir abfährt, bin ich gefangen und kann daher noch die Reisenden beobachten. Ein älteres Ehepaar kommt zu mir und fragt fast ängstlich, ob ich eventuell Deutsch spreche. In dem Moment, als ich antworte, erhellen sich die Gesichter. Die Auskunft, die sie wünschen, kann ich geben, denn sie wollen nur wissen, ob das der D-Zug sei, der auf Geleise 1 verkehre. D-Zug, aha, es handelt sich um Deutsche Touristen, die sich anscheinend noch nicht mit den englischen Bezeichnungen der Züge anfreunden können. Ja, es ist der Interregio nach der Deutschschweiz. Sie verabschieden sich von mir und begeben sich zu den Abteilen. Lange dauert es auch nicht mehr, bis der Zug seine Fahrt beginnt. Der Zug fährt los, sehr zum Ärger der jungen Reisenden, die noch mit einem Sprint versuchte den Zug zu erreichen. Pech gehabt, die Türen lassen sich nicht mehr öffnen, wenn der Zug am rollen ist. Der ausfahrende Zug hat schon ein paar Meter zurückgelegt, als ich von Rangierarbeiter den Befehl zum Rückwärts fahren erhalte. Ich bestätige den Auftrag und warte, bis ich das Signal des Kontrolltones höre. Da ist es, ich kann mit der Fahrt beginnen. Sie endet erst wieder auf dem Streckengleis. Dort muss ich die Fahrrichtung wechseln. Nur kurz ist der Weg in das Abstellgeleise. Im Abstellgeleise wechsle ich zuerst den Führerstand, denn in die jetzige Richtung geht ganz sicher nichts mehr. Meine Arbeitsmappe nehme ich auch gleich mit. Im Maschinenraum betätige ich den Schalter für die Stromabnehmer. Jetzt wird sich dann der andere Stromabnehmer heben. Im Führerraum angekommen öffne ich zuerst das Fenster, denn der Kollege hat es tatsächlich geschafft, dass alle Heizungen mit der vollen Leistung arbeiten. Es herrschen hier schon fast sommerliche Temperaturen. Hier bleiben die Lok und ich nun stehen, bis der nächste Interregio aus Bellinzona eingetroffen ist. Das dauert fast eine halbe Stunde. Die Zeit nutze ich um die Lok zu kontrollieren, ob eventuell Schäden am Laufwerk aufgetreten sind. Meine Kontrolle ergibt jedoch keine Probleme. So, jetzt stört mich niemand, denn hier im Gleisfeld habe ich meine Ruhe. Endlich kann ich mich meiner Zeitung widmen. Die Zeit verrinnt schnell, wenn man in eine Zeitung vertieft ist. Schon fährt der Zug aus Bellinzona ein, ich muss wieder arbeiten. Als das Zwergsignal auf Fahrt geht, beginne ich meine Fahrt, die letztlich wieder in Streckengleis endet. Ich wechsle erneut den Führerstand und setzte die Fahrt zum Zug fort. Es ist noch kein Rangierarbeiter zu sehen, daher wechsle ich wieder auf den anderen Führerstand. Es dauert ein paar Momente, bis der Rangierarbeiter mir das Zeichen gibt um an den Zug zu fahren. Als sich die Puffer berühren schalte ich noch etwas Zugkraft auf, bremse die Lok und schalte sie aus. Die Tieflage des Stromabnehmers kontrolliert der Arbeiter selber. Erst danach kuppelt er das Kabel der Zugsammelschiene. Als er seine Arbeit beendet hat, ruft er mir auf italienisch zu, dass ich alles einschalten kann. Erst als der Stromabnehmer den Fahrdraht sicher berührt hat, schalte ich die Lok ein. Das klappt. Es folgt noch der Schalter für die Zugsammelschiene, die Lok bleibt eingeschaltet. Das ist gut, denn sonst hätte ich auf der Zugsammelschiene einen Kurzschluss. Zu guter letzt löse ich noch die Bremsen der Wagen. Ich bin bereit für die Bremsprobe. Doch bevor diese beginnt, stelle ich einen Druckabfall auf der Hauptleitung fest. Nach kurzer Zeit beruhigt sich aber der Druck wieder und er pendelt sich auf 5 bar ein. Kurze Zeit später kommt das Signal Bremen. Die Durchgangsprüfung scheint geklappt zu haben. Ich ziehe die Bremsen an. Es dauert nicht lange, bis das Signal Bremsen lösen aufleuchtet. Ich leite einen Hochdruckfüllstoss ein um die Bremsen sicher zu lösen. Jetzt ist es an der Zeit um noch einige Kontrollarbeiten ausserhalb der Lok zu erledigen. Die Beleuchtung an der Spitze ist in Ordnung und auch die Wagen sind korrekt mit der Lok verbunden. Auch der Zugchef hat sich bis zur Lok begeben. Er überreicht mir noch die Daten des Zuges. Auf dem Stück Papier hat er noch seine Natelnummer notiert. Ich gebe ihm meine und teile ihm mit, dass ich bis Arth-Goldau auf der Lok sei. Das Signal Bremse Gut leuchtet auf, als ich wieder in die Lok steige. Am Funkgerät gebe ich die Daten für das ZUB 121 ein. Noch bleibt Zeit um die notwendigen Notizen und Kontrollen zu machen. Langsam rückt die Abfahrzeit heran und das Signal geht auf Fahrt. Ich verbringe den Wendeschalter in die Vorwärtsstellung und warte, bis die Abfahrerlaubnis aufleuchtet. Pünktlich 18.39 Uhr leuchtet diese auch auf. Ein Blick in den Rückspiegel lässt mich erkennen, dass alle Türen geschlossen sind. Durch das Verbringen des Fahrschalters in die Stellung M beginnt meine Lok zu arbeiten. Langsam wird der Zug gestreckt und wird schneller. Eine lange Fahrt bis nach Arth-Goldau beginnt. Ich kann jetzt direkt auf 60 km/h beschleunigen. Erst, wenn der letzte Wagen den Bahnhof verlassen hat, darf ich auf die Geschwindigkeit der Strecke beschleunigen. In Tenero muss ich wieder daran denken, dass ich nur mit 60 km/h fahre. Dank den grünen Signalen ist die Fahrt bis Cadenazzo kein Problem. Auch die Signale dort zeigen freie Fahrt. Zur Kontrolle werfe ich noch einen Blick auf den Bildschirm meiner LEA. Ich habe mich nicht geirrt, ich kann tatsächlich in Cadenazzo durchfahren. Jetzt muss ich mich um die abgestufte Geschwindigkeit kümmern. Am Perron entlang ist nur 100 erlaubt, danach darf ich wieder beschleunigen. Die Fahrt nach Giubiasco und weiter nach Bellinzona ist auch nicht besonders schwer. Beim Halt in Bellinzona kann ich noch kurz zurückblicken. Die Fahrt auf der ungewohnten neuen Strecke war recht gut und ich bin überrascht, wie gut ich die wichtigen Punkte noch kannte. Der Halt in Bellinzona ist nicht lange und ich muss meine Gedanken wieder zurückstellen. Ich darf die Fahrt fortsetzen. Die Dunkelheit hat bereits das ganze Tessin eingehüllt und auch die letzten Berggipfel haben aufgehört rot zu leuchten. Die Nacht hat die Südschweiz im Griff. Mit 125 km/h fahre ich Richtung Biasca. Kurz nach Osogna-Cresciano werde ich doch tatsächlich von einem Auto überholt. Mein Geschwindigkeitsmesser zeigt 125 km/h und ich habe das Gefühl, dass das stimmt, aber das Auto lässt mich einfach stehen. Nach den Tunnel sehe ich das Auto wieder, jetzt steht es und eine Person mit oranger Jacke nähert sich der Fahrertür. Mehr Zeit mich an der Szene zu erfreuen habe ich nicht, denn in Biasca muss ich anhalten. Mittlerweile habe ich die Reisezüge wieder vollständig im Griff, so dass die Halte immer besser werden. Die Abfahrerlaubnis leuchtet auf und ich setze den Zug erneut in Bewegung. Die Fahrt nach Bodio ist noch einmal schnell, danach geht es mit 80 km/h die Südrampe hoch. Nach der Durchfahrt in Lavorgo schalte ich die Scheibenheizung wieder ein. So verhindere ich, dass in der zunehmenden Kälte die Festigkeit der Scheibe abnimmt und diese später im Gotthard anläuft. In Faido erfolgt erneut ein Halt. Da ich nach Lavorgo etwas langsamer gefahren bin, steht der Zug nicht zu lange in Faido. Die Kehrtunnel des Dazio Grande bringen mich in die Hochebene von Ambri-Piotta. Bei der Durchfahrt durch den gleichnamigen Bahnhof sehe ich, wie in der Eishalle Licht brennt. An den Autos die auf dem nahen Flugplatz stehen, muss ich annehmen, dass ein Eishockey-Spiel statt findet. Für mich steht aber der letzte steile Aufstieg an. Jetzt fällt mir wieder ein, dass es ja auf der anderen Seite des Gotthards geschneit hat. Bevor ich feststellen kann, ob dem immer noch so ist, muss ich in Airolo anhalten. Der letzte Halt im Tessin. Im Gotthardtunnel wechselt die Sprache. Bemerken würde das niemand, wenn die Ansage nicht wäre. Bis hier werden die Stationen zuerst italienisch und dann deutsch bekannt gegeben. Ab Göschenen ist das dann umgekehrt. Viele Reisende haben aber die Ansage nicht beachtet, denn ausser dem Zugchef steigt niemand aus dem Zug aus. Ein paar Personen steigen zu. Kurz nach der Abfahrt folgt das Portal des Gotthardtunnels. Viel dunkler ist es jetzt auch nicht mehr und meine Augen haben sich so oder so schon an die Dunkelheit gewöhnt. Mit 125 km/h fahre ich der Deutschschweiz entgegen. Ab der Tunnelmitte neigt sich die Strecke auch jetzt wieder. Nur ist es hier etwas steiler, so dass die Schwerkraft die Reibung und den Luftwiderstand ausgleicht. Mein Zug hält das Tempo ohne dass ich mit der Lok etwas arbeiten müsste. Auch vor Göschenen ist eine Radarfalle montiert, die ich aber auch diesmal ohne Probleme überfahren kann. Die erste Bewegung beim verlassen des Tunnels ist das Einschalten der Scheibenwischer. Zeitgleich muss ich aber verhindern, dass die Lok ins rutschen gerät und ich am richtigen Ort zum stehen komme. Es schneit immer noch mit unveränderter Intensität. Etwa 30 cm Neuschnee hat es hier seit meinem letzten Halt gegeben. Die Schneeschleuder versucht die Geleise, die nicht befahren wurden vom Schnee zu befreien. In der Dunkelheit sieht die Schneefontäne im rötlichen Licht der Beleuchtung recht eindrücklich aus. Mehr Zeit um mich der Schneeschleuder zu widmen habe ich nicht, denn ich darf wieder abfahren. Ohne Halt geht es die Rampe runter. Zumindest meinte ich das, denn Göschenen ruft mich am Funk auf und teilt mir mit, dass er mir vergass den ausserordentlichen Halt in Wassen und Gurtnellen zu überbringen. Ich antworte ihm und sage, dass ich in Wassen und Gurtnellen auch ohne Sammelformular anhalten werde. Er meint, dass das richtig sei, denn die Kantonsstrasse sei wegen der Lawinengefahr gesperrt worden. In Wassen halte ich an, ein paar Reisende, die wohl im Bus waren, der auf dem Platz vor dem Bahnhof steht, steigen zu. Danach fertigt mich der Zugchef wieder ab. Ich kann weiter nach Gurtnellen fahren. Irgendwo höre ich das grollen einer Lawine. Sehen kann ich sie bei diesem Wetter und in der Dunkelheit nicht. Jedoch stellt die Fahrt nach Gurtnellen kein Problem dar, der Zug bewegt sich wie in einer Bobbahn hinunter, denn der Schnee liegt auch hier hoch. Beim Halt in Gurtnellen sehe ich, wie die Leute wieder aussteigen, die in Wassen zugestiegen sind. Meine Vermutung war wohl richtig. Bei der Abfahrt habe ich eine Verspätung von 4 Minuten. Das ist nicht sonderlich verwunderlich, denn die zwei Halte haben Zeit gekostet. Die Fahrt nach Erstfeld ist zu kurz, damit ich das bis dort einholen kann. Beim überqueren der Intschireussbrücke sehe ich die leere Autobahn, die schneebedeckt ist. Aha, die Autobahn scheint auch gesperrt zu sein. Somit ist die Bahn die einzige Verbindung in Richtung Süden. Auch in Erstfeld liegt schon einiges mehr an Schnee, als das der Fall war, als ich mit der Arbeit begonnen habe. Etwas ungewohnt ist jedoch nicht der Schnee, sondern dass ich obwohl ich in meinem Heimatbahnhof gehalten habe nicht Feierabend habe, ich muss bis Arth-Goldau weiter fahren. Jetzt kann ich den Zug auf 140 km/h beschleunigen, aber zuerst muss der letzte Wagen den Bahnhof von Erstfeld noch verlassen. Die Halte in Flüelen, Brunnen und Schwyz waren nicht besonders spektakulär. Meine Fahrweise und die rasche Abfertigung haben es ermöglicht, dass ich mit meinem Zug nur noch zwei Minuten Verspätung habe. Ab Arth-Goldau sollte der Zug wieder pünktlich sein. Nach Steinen beginnt die Strecke bis Arth-Goldau zu steigen. Auch hier schneit es immer noch. Die Einfahrt in Arth-Goldau erfolgt mit 60 km/h. Der letzte Halt mit diesem Zug steht bevor. Langsam kommt der Zug zum Stillstand. Ich stehe auf, begebe mich zur Türe und reinige die Griffstangen. Mein Kollege steigt ein und wir machen die übliche Übergabe. Ich kann jetzt die Lok verlassen, auf der ich seit 16.55 Uhr gesessen bin. Jetzt um 21.05 Uhr ist es vorbei. Ich begebe mich in die geheizten Aufenthaltsräume um meine Blase zu erleichtern und eine kurze Pause zu machen.
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Pause |
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Lang ist die Pause nicht, die ich jetzt habe, doch letztlich bin ich froh, dass ich wieder in einem geheizten Raum bin. Ein Kaffee entlocke ich dem Automaten und eine Zeitung liegt ebenfalls noch auf dem Tisch. Am PC sitzt ein Zugführer und schaut gerade nach, wie er in den nächsten Tagen arbeiten muss. Ein Kollege von ihm betritt den Raum. Sie beginnen sofort zu fachsimpeln und reden über Sachen, die ich nicht verstehe. Tarife und Spezialabonnemente sind für mich ein Buch mit sieben Sigel. Sie scheinen aber zu wissen, von was sie sprechen. Ihnen würde es wohl ähnlich ergehen, wenn zwei Lokführer über Störungen an der Schleuderschutzeinrichtung oder Bremswegdistanzen diskutieren würden. Klar, ich hätte ja auch den Aufenthaltsraum aufsuchen können, der von SBB Cargo für die Kollegen des Depots Arth-Goldau bereitgestellt wurde. Nur ist meine Pause für diesen Weg zu kurz und zudem muss ich hier auch wieder beginnen. Der eine, der beiden Zugführer ergreift seine Mappe und geht aus dem Raum, er scheint auf seinen Zug zu gehen. Kurze Zeit später erscheint ein Kollege, der in Arth-Goldau beim Personenverkehr arbeitet. Er war früher in Erstfeld stationiert. Lange kann ich mit ihm nicht diskutieren, denn mein Zug wird schon bald eintreffen. Da er aber Feierabend hat und mit meinem Zug nach Hause fährt, können wir den Weg ins Freie gemeinsam unternehmen. Er schaut sich noch schnell die Liste mit den Reihungen der Wagen in den Zügen an und geht in Richtung Zugschluss. Mein Ort ist vorgegeben und ich muss in die andere Richtung, die Lok ist bekanntlich an der Spitze. Wir verabschieden uns und jeder geht seinen Weg. Ich bin kaum am erwarteten Halteort angekommen, erklingt die Lautsprecheransage, dass der Zug einfahre. Jetzt klappt es sogar, denn es schlich sich kein Schnellzug hinein, sondern es ist ein Interregio. Der Zug nähert sich und ich kann schon von weitem erkennen, dass es eine Re 460 ist.
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Arth-Goldau – Erstfeld |
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Nachdem der Zug angehalten hat, gehe ich zur Lok. Ein paar Meter muss ich noch zu Fuss zurücklegen, denn diesmal hat es nicht genau gepasst, aber was soll’s. Auf der Lok räumen die zwei Lokführer hastig ihre Utensilien zusammen und machen mir Platz. Die Zeit eilt aber nicht, denn schliesslich fährt der Zug ja nicht ohne mich ab. Im Führerstand richte ich mich für die letzte Fahrt ein. Den Stuhl muss ich auch noch anpassen, damit ich bequem sitze. Das Signal hat bereits auf Fahrt gewechselt und der Zugchef hat die Abfahrerlaubnis erteilt. Ein Blick in die ausgeklappten Rückspiegel lässt mich erkennen, dass die Türen noch offen sind. Jetzt sind sie geschlossen und ich verbringe den Handschieber in die Stellung für den Aufbau der Zugkraft. Obwohl ich nicht die volle Zugkraft aufbaue, beginnen die Räder der Lok durchzudrehen. Das wird noch eine mühsame Heimreise. Die Scheibenwischer sorgen dafür, dass ich etwas sehe. Doch ausser den Schneeflocken, die sich im Licht der Scheinwerfer spiegeln kann ich nicht viel erkennen. Die zwei Schienen sehen aus wie eine Schlittenspur im Schnee. Ein Blick nach hinten verrät mir, dass ich mir das ersparen kann, denn schon nach der Lok sehe ich nur noch verschwommene Lichter. Der Flugschnee nimmt mir die Sicht. Der Güterzug, der mir in diesem Moment entgegen kommt, nimmt mir vollends die Sicht nach vorne. Aber zum Glück leuchten die Signale ja. In der Haltestelle Steinen kann ich beschleunigen, doch zuerst muss der Zugschluss noch hier sein. Dank der Wegmessung, die es auf der Re 460 gibt, kann ich sehr gut abmessen, wann der letzte Wagen die so genannte Geschwindigkeitsschwelle passiert hat. Vor Schwyz ist noch eine Fahrleitungsschutzstrecke eingebaut. Da ich an der Stelle gleichzeitig aber auf die tiefere Geschwindigkeit der anschliessenden Kurve abbremsen muss, benutze ich für die Ermässigung der Geschwindigkeit die Luftbremsen der Wagen, die Lok indes schalte ich aus, um die stromlose Stelle zu passieren. Nachdem das Messinstrument der Fahrleitung auf der Lok wieder die korrekte Spannung anzeigt schalte ich die Lok wieder ein. In Schwyz halten wir an und ich beginne zu bremsen. Ein Pfeifen der Räder lässt mich erkennen, dass gleich die Räder ins rutschen kommen, ich reduziere die Bremskraft der elektrischen Bremse und nehme die Wagen wieder zur Hilfe. Missmutig steigt eine ältere Dame in den tiefen Schnee, scheinbar hat hier schon lange niemand mehr den Schnee beseitigt. Auch der Zugchef scheint nicht viel Freude an dem Wetter zu haben, denn er zieht seinen Kopf ein und läuft unter das Dach. Die Abfahrzeit ist schon vorbei als die Abfahrerlaubnis aufleuchtet. Der Zug beschleunigt nur langsam, da ich die notwendige Zugkraft nicht auf die Geleise bringe. Letztlich erreiche ich aber dennoch eine hohe Geschwindigkeit. Für die maximale Geschwindigkeit reicht es nicht, da ich in Brunnen schon wieder anhalten muss. Der lange Bahnhof erlaubt es sehr schnell einzufahren, aber für solche Übungen müssen die Schienen trocken sein, Heute nehme ich es gemütlich. Mit entsetzen stelle ich fest, dass der Arbeiter, der den Schnee vom Perron räumt, nichts besseres zu tun hat, als diesen ins Gleis zu schieben. Es rumpelt kräftig, als die Lok den Schnee berührt. Im Rückspiegel sehe ich die Schneefontäne die hochsteigt. Der Halt gelingt nicht wie gewünscht, ich komme etwas später zum stehen. Es steigen viele Jugendliche aus und das dauert, da ja der Zug wieder mal nur eine Türe hat. Auch der Zugchef schaut missmutig zu, wie sich einer nach dem anderen auf den Perron bewegt. Endlich, auch der Letzte ist ausgestiegen und sogleich erhalte ich die Abfahrerlaubnis. Hier werden mir letztlich die Tunnel bei der Beschleunigung mit trockenen Schienen helfen. Die Fahrt bis Flüelen dauert knapp 10 Minuten. Bei der Einfahrt in Flüelen habe ich eine Verspätung von 2 Minuten. Bis Erstfeld kann ich die nicht mehr aufholen. Auf der Kantonsstrasse ist gerade ein Schneepflug damit beschäftigt den gefallenen Schnee an den Rand zu schieben. Es dauert nicht lange, bis ich die Fahrt fortsetzen kann. Aufpassen muss ich nur, dass ich aus lauter Gewohnheit mit dem Interregio in Altdorf nicht durchfahre. Aber die Gefahr besteht nicht, denn das Gleisabschnittsignal bleibt auf Halt. Es geht auch nicht auf Fahrt, als ich schon stehe. Die Fernsteuerung ruft mich am Funk auf. Das klingt nicht gut. Ich gebe antwort und meine Befürchtungen bestätigen sich. Die Strecke bis Erstfeld sei hoffnungslos überfüllt, da sich ausgerechnet in Erstfeld eine Weiche nicht mehr bewegen lässt. Nein, sehr lange muss ich nicht warten, denn mir wird mitgeteilt, wenn der Zug aus Erstfeld in Altdorf sei, werde ich auf dem rechten Gleis nach Erstfeld fahren. Die zusätzliche Verspätung soll etwa 4 Minuten betragen. Scheinbar wurde der Zugführer ebenfalls darüber informiert, denn er hat den Weg zur Lok auf sich genommen und teilt mir das Gleiche mit, wie ich schon weiss. Wenn man mit einem Reisezug warten muss, dauern vier Minuten ewig. Der Zug ist vorbei und die Signale gehen auf Fahrt, kurz darauf werde ich durch den Zugchef abgefertigt und kann den Weg zum Endbahnhof unter die Räder nehmen. Nachdem ich die ablenkenden Weichen passiert habe, kann ich auf 140 km/h beschleunigen. Auf dem linken Gleis stehen die Güterzüge in Reih und Glied, während ich mit dem Reisezug mit 140 km/h an ihnen vorbeifahre. Ein Vorteil, der durch den Gleiswechselbetrieb ermöglicht wurde. Bei der Einfahrt in Erstfeld sehe ich, wie krampfhaft versucht wird die Weiche wieder flott zu kriegen. Vermutlich hat sich ein Eisbrocken an einer Lok gelöst und ist exakt in die Weichenzunge gefallen. Solche Brocken vermag auch die beste Weichenheizung nicht innert nützlicher Frist zu lösen. Ich fahre mit dem Zug statt im Gleis 1 auf dem Gleis 4 ein. Nach dem Halt meldet sich der Rangierarbeiter am Funk. Er fordert mich auf, den Funkkanal zu wechseln. Auch der letzte Reisende hat mittlerweile die Wagen verlassen. Jetzt muss ich den Zug noch wegstellen, dann gibt es auch bei mir Feierabend. Ich werde über das anstehende Manöver informiert. Mit der Lok um den Zug an die andere Seite, danach umfahren und die Wagen ins Gleis 68 stellen. Dort werden sie mit den anderen Wagen verbunden. Zum Schluss muss der Zug noch hinter das Zwergsignal gestellt werden. Das Manöver ist schon Routine und geht recht flott voran. Meine Lok wird zum Schluss noch vom Zug getrennt und wird ins Depot gestellt. Ich kann das Gleis 1 runterfahren. Doch das Zwergsignal am Ende des Gleises zeigt Halt. Ein Güterzug fährt ein, so wie es den Anschein macht, konnte die Weiche wieder dazu bewegt werden zu arbeiten. Noch ein Wechsel des Führerstandes und ich kann ins Depot fahren. Kurz vor dem Tor der Remise halte ich an. Die Halle ist sehr gut mit Lokomotiven gefüllt. In dem Gleis, in dem ich stehe, ist kein Platz mehr im trockenen vorhanden. Na gut, dann bleibt die Lok draussen in Schneefall stehen. Ich betätige den Taster, der die Feststellbremse der Re 460 anzieht. Danach schalte ich die Parkstellung ein. Die Lok ist jetzt so weit hergerichtet, dass sie 6 Stunden unbewacht stehen bleiben kann. Bevor ich aber die Mappe ergreife und die Lok verlasse, mache ich noch die Kontrolle an der Aussenseite. Bei diesem Schneefall, der anscheinend wieder stärker geworden ist, mache ich das nur mit Hut und Jacke. Viel gibt es an einer Re 460 nicht zu sehen, da sie bis weit runter Verschalungen aufweist. Trotzdem kann ich die korrekte Funktionsweise der Feststellbremse erkennen. Zum letzten Mal steige ich in die Lok ein. Ich ergreife meine Mappe und lösche das Licht. Der Schnee ist jetzt auch in Erstfeld schon recht tief. In der Remise kann ich etwas besser laufen. Ein flüchtiger Gruss an den Schaltwärter muss reichen, denn jetzt will auch ich Feierabend machen. Ein Blick auf die Uhr verrät mir, dass ich schon vor 10 Minuten Feierabend gehabt hätte. Die Verspätung gebe ich noch der Leitstelle an, die diese auch gleich vermerkt. Ich verabschiede mich vom dortigen Mitarbeiter und gehe wieder zurück ins Reservezimmer. Den Blick in den Einteilungscomputer kann ich mir ersparen, denn jetzt habe ich mein Wochenende. Der Heimweg durch die mit Schnee bedeckten Fusswege ist recht mühsam und ich bin froh, dass ich endlich zu Hause angekommen bin. Nachdem ich mich von den nassen Sachen befreit habe und in etwas angenehmere Hauskleidung geschlüpft bin, schaue ich noch schnell die Wiederholung der Spätnachrichten. Der Schnee hat an vielen Orten zu Problemen geführt und die Ortschaften Davos, Klosters und der gesamte obere Teil des Wallis sind von der Umwelt abgeschnitten, da die Strassen wegen der Lawinengefahr geschlossen wurden. Auch die Autobahn A2 sei zwischen Amsteg und Göschenen für den Verkehr gesperrt worden, nachdem eine Lawine die Einfahrt von Wassen bedeckt hatte. Für das Chaos, das diese starken Schneefälle angerichtet haben, hatte ich doch noch mit wenigen Problemen zu schaffen. Ich werde mal sehen, wie sich das noch entwickelt, aber zuerst geht es ins Bett und der Rest der Nacht wird zum schlafen genutzt. Morgen sehe ich dann, wie viel Schnee in der Nacht noch gefallen ist.
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