Erstfeld - Härkingen - Basel

Ich habe soeben den ersten Bissen meines Mittagessens in den Mund geschoben, als das Telefon klingelt. Als ich den Hörer abnehme meldet sich das Depot am anderen Ende. Es ist die Leitstelle, die mich angerufen hat. Ja, ich werde beim Essen gestört, ist um 12.10 Uhr nicht sonderlich überraschend. Der Mitarbeiter teilt mir mit, dass es eine Änderung in der Planung gegeben habe. Ein Kollege habe sich krank gemeldet und nun sei eine Tour nach Härkingen offen. Da ich von der Zeit her am besten passe und ich so oder so nur Reserve gehabt hätte, müsse ich die Tour fahren.

Die Informationen hätten auch eine halbe Stunde später noch gereicht. Anscheinend hat wieder mal niemand auf die Uhr gesehen. Gereizt stimme ich zu, wer hat es schon gerne, wenn er beim Essen gestört wird. Na gut, ich muss nicht viel später zur Arbeit erscheinen, nur mit dem Feierabend sieht es schlechter aus. Statt um Mitternacht habe ich erst nach 2 Uhr morgens Feierabend. Der Übergang könnte knapp werden. Ich teile das dem Mitarbeiter mit, er meint nur, das werde schon klappen. Wenn es schief geht, habe nicht ich das Problem, sondern die Leitstelle.

Ich hänge den Hörer wieder auf und begebe mich wieder zum Esstisch. Nachdem ich das beinahe kalte Essen verspeist habe, geht es zum Kaffee. Etwas Kuchen habe ich auch noch vom Besuch am Wochenende übrig. So geniesse ich den Mittag noch zu Ende. Am Nachmittag erledige ich ein paar Arbeiten für den Verein. Kurz nach 15.00 Uhr gehe ich ins Bad eine Dusche soll noch den Schmutz, der beim bearbeiten der elektronischen Platinen an mir haften blieb, abwaschen. Erfrischt ziehe ich mich danach an und verlasse um 16.00 Uhr meine Wohnung.

Eigentlich hätte ich jetzt mit der Arbeit beginnen sollen, aber durch die Änderung habe ich noch genügend Zeit das Depot zu erreichen. Die letzten Sonnenstrahlen des Tages treffen meinen Körper, als ich das Haus verlasse. Im März ist man froh, wenn die kalten Tage endlich ein Ende finden und geniest die Sonne.

 

Erstfeld – Härkingen

Als ich das Depot erreiche, schlägt die Uhr gerade viertel nach vier. In ein paar Minuten muss ich mit meiner Arbeit beginnen. Ich ziehe die Warnweste über die Jacke, und schreibe mir schnell die Tour auf. In meiner Einteilung finde ich sie nicht, denn sie ist einer anderen Gruppe zugeteilt. Es wird schliesslich noch hektisch, denn der Zug ist etwas vorzeitig unterwegs und fährt bereits in Erstfeld ein. Pünktlich zum Arbeitsantritt um 16.22 Uhr öffne ich die Türe zum Führerstand.

Der Kollege hat die Lok schon verlassen und ist nicht mehr zu sehen, als ich beim Zug ankomme. Das ist nichts aussergewöhnliches, denn bei vorzeitiger Ankunft lassen wir den Zug stehen. Natürlich hat auch mein Kollege alles richtig gemacht. Bevor ich mich um die weiteren Arbeiten kümmere, löse ich die Handbremse, die er mit einem Lappen als angezogen gekennzeichnet hat.

Erst danach löse ich die Bremsen der Wagen. Während diese allmählich lösen, stelle ich meine LEA in den dafür vorgesehenen Halter. Ich tippe im entsprechenden Programm die Zugnummer ein und greife zum Hörer des Funkgerätes. Auf dem Stationskanal rufe ich den Fahrdienstleiter von Erstfeld auf. Endlich, er gibt Antwort, das hat ja wieder mal lange gedauert. Ich melde meine Fahrbereitschaft und verabschiede mich.

Es dauert nicht lange, bis das Signal vor mir auf grün wechselt und die hier in Erstfeld notwendige Abfahrerlaubnis aufleuchtet. Meine Lok, die Re 620'058, hat mit dem kurzen und leichten Postzug kein Problem. Schnell erreiche ich die erlaubte Höchstgeschwindigkeit. 120 km/h mit einem Güterzug ist beachtlich, wenn ein Postzug auch nicht so schwer ist und die Lok sehr viel ausrichten kann.

Kurz vor Altdorf muss ich die Geschwindigkeit wegen einer Brücke, die sonst für die Anwohner zu laut ist, auf 80 km/h reduzieren. Diese Bremsung benutze ich gleich als Gelegenheit um zu schauen, wie meine Wagen bremsen. Mit der Lok schalte ich dazu ein wenig die elektrische Bremse auf. So verhindere ich, dass die ungebremsten 120 Tonnen an der Spitze mit den knapp 400 Tonnen Wagen machen was sie wollen.

Die Bremsen der Wagen beginnen zu wirken und der Zug verliert an Geschwindigkeit. Die restliche Ermässigung mache ich noch mit der elektrischen Bremse der Lok. So erreiche ich letztlich einige Meter früher als vorgeschrieben die 80 km/h. Ich lasse den Zug über die Brücke rollen. Danach geht es gleich wieder hoch auf die erlaubte Höchstgeschwindigkeit.

Bei der Durchfahrt durch den Bahnhof von Altdorf habe ich bereits wieder über 100 km/h erreicht. Jetzt schalte ich noch die restliche Zugkraft ab und lasse die Schwerkraft weiterfahren. Meine Arbeit beschränkt sich auf das beobachten der Signale und der Fahrleitung. Das ist nicht so einfach bei solch hohen Geschwindigkeiten. Aber zum Glück ist ja das Wetter gut.

Bei der Durchfahrt in Flüelen kontrolliere ich, ob die Wagen immer noch brav meiner Lok folgen. Das tun sie und ich beginne mit der Lok die Geschwindigkeit zu reduzieren. Die ab hier beginnende Strecke mit ihren vielen Kurven, lässt keine hohen Tempi zu. Auf dem Perron stehen ein paar Ausflügler, die auf den Interregio warten. Eine junge Dame schaut mich missmutig an. Ich denke mir, sie sollte vielleicht etwas freundlicher sein, vielleicht habe ich ja ihr lang ersehntes Paket am Zughaken meiner Lok.

Der Urnersee zeigt sich von seiner ruhigen und stillen Seite. Das ist nicht immer so, hier können die Wellen schon gefährlich werden, wenn der Föhn bläst. Mehr Zeit, mich mit dem See zu befassen bleibt nicht, denn die Signale müssen beobachtet werden. Doch, die sind mir gut gesinnt und zeigen alle nur die eine Farbe, grün.

Die Tellsplatte ist um diese Jahreszeit auch noch still und träumt vermutlich von einem schönen heissen Sommer mit vielen Gästen. Meine Gedanken in dieser Richtung sind etwas anders, es sei denn, ich kann eine der wenigen Loks mit Klimaanlage benutzen. Nur, nach meiner Erfahrung weiss ich, dass diese Maschinen, wenn es heiss wird wie aus Geisterhand einen weiten Bogen um mich machen.

Erneut entzieht mir ein Tunnel die Sonne. Ich nähere mich der Haltestelle Sisikon. An den Signalen hat sich die Farbe immer noch nicht geändert. Nach der Haltestelle folgt gleich der gleichnamige Spurwechsel. Ich wechsle auf das Berggeleise. Etwas überrascht bin ich schon, aber das ist der Alltag hier, denn an den Signalen kann ich nicht erkennen wie die Weiche steht. Sie kann in allen Richtungen gleich schnell befahren werden.

In der LEA schaue ich kurz nach, wie schnell ich jetzt fahren darf, denn diese Strecke ist etwas Einmaliges. Obwohl es sich um eine ganz normale zweigleisige Strecke mit Gleiswechselbetrieb handelt, haben die beiden Geleise unterschiedliche Geschwindigkeiten. Der Grund dafür ist die unterschiedliche Streckenführung. Für mich, der schon seit Jahren diese Stecke befährt, ist das Alltag und ich kenne mich aus. Zu gut erinnere ich mich an einen Kollegen, der die notwendige Streckenkenntnis nach Erstfeld erlangen musste und sich über die komische und ungewohnte Darstellung im Fahrplan wunderte.

Durch die jetzt längeren dafür geraden Tunnel komme ich zügig nach Brunnen. Dort muss ich jedoch abbremsen, denn die Weichen auf der Einfahrseite sind nicht so gebaut, wie die in Sisikon. Da ich wieder auf mein angestammtes Gleis wechsle, muss ich die reduzierten Geschwindigkeiten der Ablenkung einhalten. 

Zum Glück ist mein Zug nicht so lang. Ein Blick nach hinten verrät mir, dass die Tragwagen mit ihren gelben Postcontainer friedlich und willig der Lok folgen. Am Zugschluss sind noch drei grüne Postwagen angehängt, die werden später in Rotkreuz abgehängt. Warum ich auf dem bergseitigen Gleis verkehren musste, weiss ich nicht, aber vermutlich wird auf dem anderen Gleis gebaut. Die Arbeiten müssten schon zufälligerweise an der Stelle stattfinden, bei der beide Geleise parallel verlaufen, damit wir sie erkennen, aber das war nicht der Fall.

Der Bahnhof von Schwyz nähert sich schnell und ich muss schon wieder bedenken, dass ich die Geschwindigkeit im Bahnhof verlangsamen muss. Die Kurven hier sind etwas enger und so muss ich das Tempo etwas wegnehmen. Im Gleis links wird gerade ein Zug mit Schotter fertig zusammengestellt. Die Zuglokomotive ist auch schon an den Zug gefahren. Irgendwo wird anscheinend wieder mal der gesamte Oberbau erneuert, denn es befinden sich auch Wagen mit Sand im Zug.

Die auf der Ausfahrseite erlaubten 95 km/h konnte ich problemlos erreichen, denn die leichte Steigung hat mir geholfen. Jetzt nähere ich mich der Fahrleitungsschutzstrecke. Den Hauptschalter schalte ich mit Hilfe des Steuerschalters aus. Der Zug rollt jetzt nur mit der Schwerkraft weiter in Richtung Steinen. Nachdem die Lok den spannungslosen Abschnitt passiert hat, schalte ich sie wieder ein.

Die Lampe für die Ventilation beginnt zu leuchten, das ist zwar eine ernst zu nehmende Störung, denn die so genannte Ventilampe zeigt mir an, dass die Ventilatoren oder die Ölpumpe nicht arbeiten. Panik kriege ich deswegen nicht, denn das ist normal. Die Lampe für die Ventilation erlischt immer noch nicht, auch das ist nicht verwunderlich, denn die schweren Ventilatoren müssen ja zuerst in Schwung kommen. Ich höre, wie die Ventilatoren wieder korrekt arbeiten, gleichzeitig erlischt die Lampe und alles ist wieder normal.

Ich lasse die Schwerkraft weiter arbeiten. Diese bremst mir den Zug so schön ab, dass ich ohne zu bremsen die niederere Geschwindigkeit ab Steinen erreiche. Wirtschaftlicher kann man kaum mehr fahren. Doch jetzt hat das dahinrollen ein Ende, denn die Steigung ist zu gross, dass das Spiel endlos weitergehen könnte. Ich befinde mich schliesslich in der Rampe zum Schuttkegel des verheerenden Felssturzes von Goldau.

Das Einfahrsignal von Arth-Goldau erlaubt mir die Weiterfahrt mit der normalen Geschwindigkeit. Obwohl die Signale alle grün zeigen, spricht am Einfahrsignal auf meiner Lok die Zugsicherung mit Warnung an. Das ist nicht normal und muss eine Störung sein. Da ich jetzt den schlimmsten Fall annehmen muss, heisst das für mich, ich muss mit einer Schnellbremse anhalten, denn das Signal könnte ja im letzten Augenblick auf rot gewechselt haben.

Noch bevor ich zum stehen komme, rufe ich am Funk das Stellwerk auf. Ich erkläre ihm, was passiert ist. Seine Antwort macht mir jedoch gar keine Freude, denn er meint, dass das schon länger bekannt sei und ich mittlerweile der fünfte Zug sei, der anhalte. Warum nur vergisst man immer wieder die Lokführer über solche Sachen zu verständigen.

Zuerst muss ich die Bremsen wieder lösen erst danach kann ich weiterfahren. Da kann ich nichts beschleunigen, denn die Füllzeiten für die Hauptleitung sind international geregelt. Nach einer schier endlosen Wartezeit von ein paar Sekunden kann ich den Zug endlich wieder bewegen.

Aha, jetzt kommt am Funk die Meldung für den Interregio, dass am Einfahrsignal die Zugsicherung fälschlicherweise anspreche. Nur, meinen Kollegen auf der Lok lässt das kalt, denn bei ihm wird sie so oder so ansprechen, schliesslich zeigt sein Ausfahrsignal Halt. Der nächste Güterzug wird dann wieder Probleme haben. Mittlerweile habe ich wieder die erlaubte Geschwindigkeit erreicht und befinde mich bereits wieder im Gefälle nach Immensee.

Die Fahrt durch Immensee und weiter nach Rotkreuz verlief ohne Probleme. Das Ausfahrsignal von Rotkreuz zeigt Halt, das habe ich auch erwartet, denn schliesslich werden hier Wagen abgehängt. Nach dem Halt ändere ich die Daten für ZUB 121, in der Zwischenzeit werden am Zugschluss die Wagen abgehängt. Davon bemerke ich nichts. Erst, als das Signal auf Fahrt geht, weiss ich, dass die Arbeiten an meinem Zug beendet sind.

Nachdem ich den Bahnhof von Rotkreuz mit meinem Zug verlassen habe, leite ich eine Bremsung mit der Druckluftbremse ein. Ich muss jetzt die Bremswirkung testen, denn am Zug wurde etwas verändert und ich weiss nicht, wie sich die Bremsen jetzt verhalten. Sie reagieren so, wie ich es erwartet habe, relativ schlecht, aber das ist bei den Bremsen so, die wirken erst richtig, wenn der Luftdruck im Bremszylinder höher ist, als das durch die erste Bremsstufe, die ich zum Test benutzt habe, der Fall ist.

Ein Blick auf die Uhr verrät mir, dass ich etwa 5 Minuten zu spät bin. Eigentlich kein Grund zur Panik bei einem Güterzug, jedoch habe ich einen Postzug am Haken und die sollten pünktlich verkehren, denn schliesslich wollen auch Sie ihr Paket so früh zugestellt bekommen wie möglich und nicht noch einen Tag länger warten, nur weil der Zug ein wenig zu spät war. Sofern die Strecke frei ist, sollte ich diese Zeit bis nach Hendschiken eingeholt haben und dann bin ich wieder pünktlich.

Nur eben, das mit der freien Strecke ist ein Problem, denn vor mir ist der Regionalzug abgefahren, den kann ich nicht überholen. Aber im Fahrplan sehe ich, dass er das mit mir in der Umspannanlage bei Dottikon machen sollte. Na dann, fahre ich halt noch halb so schnell, wie ich könnte. Bei der Durchfahrt in Wohlen bin ich immer noch zu spät.

Das wird sich jetzt vermutlich gleich ändern, denn ich habe im Fahrplan in Dottikon Umspannanlage zwei Zeiten. Eine Einfahrzeit und eine Ausfahrzeit. Natürlich muss ich nicht halten, denn die Zeiten stehen in Klammern und das heisst, dass ich Durchfahrt habe. Im schönen Fachchinesisch heisst das Durchfahrt mit unterschiedlicher Minutenzahl. Bürokraten haben bekanntlich eine etwas andere Sprache als Otto Normalverbraucher.

Es ist so wie erwartet, ich komme vor dem Signal zur Dienststation Gexi zum stehen, denn da habe ich auch zwei Zeiten im Fahrplan. Ein komischer Name hat die Gexi schon, aber ich bin schliesslich nicht dazu da, um die Namen zu hinterfragen. Würde ich damit anfangen, hätte ich wohl kein Ende zu erwarten, denn die Diskussionen würden endlos werden, wenn man sich fragen würde, warum der Bahnhof Dottikon-Dintikon, den ich vor wenigen Minuten passiert habe nicht Villmergen heisst, denn schliesslich steht er auf dem Boden der Gemeinde Villmergen. Die Wartezeit kann ich nutzen um die noch nicht gemachten Eintragungen zu erledigen. Zwei Minuten muss ich hier warten, bis auch der letzte Reisezug durchgefahren ist. Als der vorbei ist, geht mein Signal pünktlich auf die Sekunde auf Fahrt.

Meine Fahrt geht weiter in Richtung Lenzburg. Schnell machen muss ich nicht, denn das Einfahrsignal von Lenzburg zeigt noch Halt, nein es hat Halt gezeigt, denn es ging soeben auf Fahrt. Ein Blick auf die Anzeige des ZUB 121 verrät mir, dass auch die Zugsicherungen dieser Meinung sind, ich kann beschleunigen. Gegen Rupperswil fällt die Strecke leicht ab und ich muss mit der elektrischen Bremse verhindern, dass ich zu schnell werde. Hier beginnt nun die vierspurige Strecke nach Aarau.

Auf welchem der vier Geleise ich fahren werde, weiss ich noch nicht, denn einzelne Weichen sind hier für hohe Geschwindigkeiten ausgelegt. Da ich die Spur nicht wechsle, fahre ich auf dem linken der beiden mittleren Geleise weiter in Richtung Aarau. Ja, Aarau kenn ich gut, denn schliesslich bin ich in der Nähe davon aufgewachsen. Bei den vielen Reisen meiner Jugend begann fast alles hier in Aarau. Ja, damals war es für mich immer wieder eine Freude, wenn ich mit dem Zug fahren konnte, und sei es nur ein paar Kilometer.

Diese Zeiten sind längst vorbei und mittlerweile ist es für mich meistens eine Pflicht mit dem Zug zu fahren. Schliesslich verdiene ich mein Geld damit. Auch der Bahnhof meiner Jugend ist nicht mehr zu erkennen, die alten Anlagen wurden vollständig umgebaut. Geblieben ist nur das Aufnahmegebäude. Aber bei meinem letzten Besuch in Aarau habe ich die Baupläne gesehen, die auch diesem verbliebenen alten Bau ein Ende setzen sollen.

Wobei auch dieses Tageslicht mittlerweile durch ein paar Wolken abgedunkelt wird. Die Dämmerung setzt sehr rasch ein und man merkt recht gut, wie es draussen immer finsterer wird. Um die Dämmerung kann ich mich aber nicht kümmern, denn die Gleisanlagen verlangen meine Aufmerksamkeit. Die Weichen vereinigen die vier Geleise wieder zu zweien. Zumindest die nächsten Kilometer handelt es sich wieder um eine normale Doppelspurstrecke.

Die Haltestelle Schönenwerd habe ich bereits passiert und ich nähere mich Däniken. Der Kühlturm des Atomkraftwerkes ist in der doch schon recht fortgeschrittenen Dunkelheit nur noch an den Positionslampen zu erkennen. Lange wird die Dampfwolke des Kühlturmes nicht mehr zu sehen sein, denn das Kraftwerk wird jeweils im Frühjahr wegen der jährlichen Revision abgeschaltet.

Im Bahnhof Däniken wird aus der Doppelspurstrecke eine dreigleisige. Später beim Spurwechsel Dulliken erweitert sie sich nochmals auf eine vierspurige Strecke. So kündigt sich der Knotenpunkt Olten dem Lokführer an. Die Haltestelle Dulliken ist der letzte Halt für die Regionalzüge nach Olten. Normalerweise, wenn wir Lokführer aus Erstfeld an diesem Punkt angelangt sind, zweigen wir in Richtung Aare und Hauensteintunnel ab um nach Basel zu gelangen. Den Bahnhof Olten streifen wir nur am Rand. Nach Basel werde auch ich noch müssen, aber das dauert noch länger.

Das Einfahrsignal von Olten ist schon sehr weit vom Bahnhof, den die Reisenden als solchen betrachten, entfernt. Jedoch sind auch schon die ausgedehnten Gleisanlagen vor dem Bahnhof, wo sie vorbeifahren, während im Lautsprecher die Ansage „Nächster Halt Olten ertönt“, ein Teil des Bahnhofes. Hier folgen sich die Signale so dicht, dass man kaum Zeit hat um sich an anderem zu ergötzen. Schliesslich erreiche ich mit meinem Zug die Bahnhofshalle von Olten. Anhalten werde ich nicht, denn die Container in meinem Rücken, die übrigens immer noch friedlich hinterher rollen, müssen ein paar Stationen weiter.

Nach Olten zweigt die Strecke, die ich benutzen werde, nach rechts ab. Schon nach dem Bahnhof kommen die Brücke über die Aare und anschliessend der zweite Bahnhof von Olten, Olten Hammer. Mit äusserster Konzentration fahre ich hier durch, denn ich kenne die Strecke nur schlecht, da ich sehr selten hier durchfahre. Heute ist das erste Mal in diesem Jahr und vermutlich auch das letzte Mal. Kommt noch hinzu, dass der Bahnhof Olten Hammer unübersichtlich ist. Schnell ist hier ein Fehler passiert, den man nicht mehr korrigieren kann.

Hilfreich sind mir aber die Signale, denn diese zeigen ausschliesslich freie Fahrt an. Endlich, der Bahnhof liegt hinter mir und die Strecke nach Wangen bei Olten und zum Postbahnhof Härkingen ist nur noch kurz. Die Strecke wird sehr einfach, denn ausser Einfahr- und Ausfahrsignalen gibt es hier nicht viel zum bestaunen. Mein Glück ist aber, dass es keinen Nebel hat. Bei Nebel sieht man hier in der Nähe der Aare kaum die Hand vor Augen.

Aha, die Signale kündigen mir eine Verlangsamung der Fahrt an. Mein Ziel ist beinahe erreicht. Mitten im Feld befindet sich ein Bahnhof. Weit und breit ist kein Dorf zu sehen. Na gut, in der Schweiz ist das fast nicht möglich und wenn man es genau nimmt, ist in der Nähe ein Bauernhof zu finden.  Aber ich bin nicht hier um die Häuser zu zählen, denn meine Wagen wollen endlich abgehängt werden. Ich halte an der vorgesehenen Stelle an. Scheinbar war der Rangierarbeiter nicht sicher, ob ich weiss, wo ich anhalten muss, denn er erteilt mir Haltsignale.

 

Härkingen - Olten

Nach dem Halt mache ich noch die obligate Rückwärtsbewegung gegen den Zug. Ich höre, wie der Kupplungsbügel in den Zughaken geworfen wird. Ein Anzeichen, dass bald abgehängt ist. So ist es auch, ich höre, wie mir der Rangierarbeiter zuruft, dass er abgehängt hat. Ich fahre mit meiner Lok ein wenig vom Zug weg. Weit genug, dass der Rangierarbeiter aufrecht neben das Gleis treten kann.

Das Zwergsignal vor mir geht auf Fahrt und ich fahre los. Schon nach ein paar Metern ist die Fahrt aber zu Ende, denn ich muss die Fahrrichtung wechseln. Bevor ich den Führerstand verlasse und durch den Maschinenraum in den anderen Führerstand der Re 620 wechsle, schalte ich die Beleuchtung der Stirnlampen von drei weiss auf rot um. Jawohl, ich beleuchte das Zugschlusssignal. Jetzt packe ich noch meine Unterlagen und Gerätschaften zusammen.

Das Zwergsignal vor mir zeigt schon lange Fahrt, aber ich bin noch nicht bereit um die Fahrt anzutreten, ich muss zuerst die Lok einschalten und die Bremsen kontrollieren. Erst, wenn das alles funktioniert, darf ich die Fahrt in das Gleis neben meinen Wagen beginnen. Nur wenige Meter sind es noch bis zu einem Container im Gleisfeld. Auf seiner Höhe halte ich an.

Bevor ich abfahre, muss ich noch die Beleuchtung kontrollieren. Nachdem ich die Lok verlassen habe, merke ich, wie ein doch noch recht frischer Westwind um meine Ohren pfeift. Westwind bedeutet, dass das Wetter nicht gut ist und bald mit Regen gerechnet werden muss. Zum Glück habe ich den anderen Führerstand erreicht, denn die ersten Regentropfen beginnen exakt in dem Moment zu fallen, als ich den Gedanken hatte. Das Schlusslicht leuchtet und ich beeile mich, wieder ins Trockene zu kommen.

Neben den Gleisanlagen befindet sich das grosse Lager für Schienen. Auf mehreren Kilometern werden hier die Schienen der SBB für die Einbauten auf der Strecke vorbereitet. Im Aufenthaltsraum neben dem Verpflegungsautomaten sitzen noch zwei Lokführer und warten auf ihre Züge, die in den nächsten Minuten eintreffen werden. Auch meine Minuten sind langsam gezählt, denn die Abfahrzeit rückt unaufhaltsam näher. Ich muss nicht lange warten, bis ich bemerke, dass das Ausfahrsignal vor mir auf Fahrt geht. Ich kann meine Fahrt mit dem Lokzug nach Olten beginnen.

Die Stationen von vorhin folgen sich nun in umgekehrter Reihenfolge. So erreiche ich schnell den Bahnhof Olten. Vor dem Halt zeigenden Signal im Gleis 2 halte ich an. Nach kurzer Wartezeit wechselt das Zwergsignal am Fuss des Hauptsignals auf Fahrt. Die Rangierfahrstrasse ins Depot für meine Lokomotive ist anscheinend eingestellt worden.

Obwohl hinten an meiner Lok noch das Zugschlusssignal leuchtet, beginne ich die Rangierfahrt ins Depot, nachdem ich angehalten und die Manövertaste gedrückt habe. Wir müssen immer anhalten, wenn wir von einer Zugfahrt auf eine Rangierfahrt wechseln. Umgekehrt geht es ohne Halt, da wir dann von der relativ schlecht gesicherten Rangierfahrt auf die gut gesicherte Zugfahrt wechseln.

Ich kann mich immer wieder erinnern, als ich das erste Mal mit einer Lok hier in Olten war, diese ins Depot stellen musste und ich den Beamten, ja damals war er noch ein Beamter, nach dem Weg fragen musste. Etwas entgeistert gab er mir die Auskunft. Jetzt kenne auch ich den Weg in das Depot von Olten. Er ist recht lange, doch letztlich erreicht man das Depot. Der Schaltwärter teilt mir auch gleich mit, wo ich die Lok abstellen muss.

Eine Re 6/6 im Depot Olten, war vor wenigen Jahren noch eine Sensation, aber mittlerweile gehört die Maschine auch zum Bild in diesem Depot. Bei meinem ersten Besuch in diesem Depot war davon noch nichts zu sehen und die vielen alten Maschinen vermochten mehr den Eindruck eines Museums als eines Depots zu erwecken.

Lokführer war ich zu dem Zeitpunkt noch nicht, aber ich interessierte mich dafür und kam so in den Genuss einer Berufsvorstellung im Depot Olten. Die Fahrt von meinem Wohnort nach Olten und zurück bezahlte mir die damalige Staatsbahn. So wie die Staatsbahn weg ist, sind auch die Oldtimer verschwunden.

Viele Jahre sind seit dem Tag vergangen und die Maschinen, die damals das Bild des Depots Olten prägten sind meistens auf dem Schrottplatz gelandet. Verblieben sind nur noch die Ae 6/6 und die Re 4/4 II. Gedanken, die mich begleiten, während ich mir die Lokomotive bei scheusslichem Regenwetter anschaue. Letztlich habe ich alle Kontrollen gemacht.

Jetzt steht ein Fussmarsch in den Bahnhof an. Bevor ich aber losgehe, erkundige ich mich beim Schaltwärter, ob vielleicht eine Lok nächstens nach dem Bahnhof fahre. Er bedauert, dass er das nicht gewusst hätte, aber die letzte Lok sei vor kurzen losgefahren und jetzt müsste ich fast eine Stunde warten, bis die nächste losfahre. Dann mache ich halt einen Fussmarsch im Regen. Es sind ein paar Minuten vergangen und ich habe die Milchküche von Olten erreicht, die hier Pendolino heisst. Ein Name, der bei mir nicht nur gute Gedanken hervorruft, schliesslich hat der Namensgeber schon oft für ein Chaos am Gotthard gesorgt.

 

Olten – Basel RB

In der nur kurzen Pause reicht es nicht für ein Nachtessen, das nehme ich dann später zu mir. Ein Kaffee reicht vorerst. Mit einigen Lokführern aus anderen und selten gesehenen Depots wie Biel, Bern oder den einheimischen aus Olten kommt man hier immer wieder ins Gespräch und plötzlich gehört man zu den Exoten, wenn man mitteilt, dass man aus Erstfeld ist. Ein Erstfelder am Nachmittag in Olten, hat der sich verfahren? Das Thema ändert dann auch sofort und man bekommt immer die gleiche Frage gestellt. Ist die Stimmung in Erstfeld so schlecht wie man immer hört. Die beste Antwort ist frei nach den Superstars. „No comment“

Doch hören wir auf mit dem Umfeld, es ist schon schlimm genug, dass einen auswärtige Kollegen darauf ansprechen. Und die Sprüche, ob mich denn der Vollmond nicht zu sehr geblendet hat, wirken auch nicht motivierend. Meine Pause ist so wie so schon bald vorbei und ich muss mich auf den Weg machen. Da ich Dienstfahrt nach Basel habe, muss ich aufpassen, denn der Zug wartet nicht auf mich. Zudem kann auch ich nicht in jedem Bahnhof wissen, welcher Zug um welche Zeit auf welchem Gleis abfährt. Ich weiss aber, wo ich mir die Infos holen kann, an der gleichen Stelle wie jeder Reisende auch. An den Anschlägen im Bahnhof.

Ein wenig Verspätung hat die S-Bahn von Olten nach Basel, als sie sich in Bewegung setzt. Zu der Abendstunde hat es viele, die noch unterwegs sind. Die wenigsten davon sind vermutlich am arbeiten. In der 1. Wagenklasse sitzen nur sehr wenige Reisende. Ich befasse mich mit einem Buch, das ich immer in der Mappe habe um Wartezeiten zu verkürzen. Die Dienstfahrt nach Muttenz dauert nur wenige Minuten und so muss ich schon bald aussteigen.

Ich bin in Muttenz noch nicht am richtigen Ort. Es sind noch ein paar Meter zu laufen, bis ich die Milchküche im Rangierbahnhof Basel erreicht habe. Schliesslich ist sie mein Ziel und ich habe seit Mittag etwas Hunger bekommen. Um nicht unbedingt in Gefahr zu geraten benutze ich die Brücke, die über das Gleisfeld führt. Ab der können wir eine Treppe benutzen und kommen so ohne ein Gleis zu überqueren zum Essen.

Es sitzen schon einige Kollegen des Depots Erstfeld und aus anderen Depots in der Milchküche. Meine Mappe stelle ich bei der Garderobe hin und hänge meine feuchte Jacke an einen Kleiderbügel. Der starke Wind und der Regen hat auch Basel erreicht. Vor dem Essen besuche ich noch das stille Örtchen. Nein, ich muss nicht, aber auch ich esse lieber mit sauberen Händen, auch wenn sie eigentlich nicht schmutzig sind, aber man weiss ja nie, wer vor einem die Türen der Wagen und der Gebäude geöffnet hat.

 

Pause

Die Diskussionen hier sind leider immer wieder die gleichen. Themen, die aber durchaus Probleme machen. Da jammert einer, dass bei ihm die Abrechnung mit der Arbeitszeit nicht stimmt. Ein anderer wirft ein neues Thema in die Runde und fragt sich, ob das mit den vielen Verspätungen endlich ein Ende hat, oder ob diese vielleicht absichtlich gemacht werden. Warum sollte das alles absichtlich gemacht werden, schliesslich ärgert man so ja den, der einem das Geld gibt, den Kunden. Ist so, als Lokführer kann man es vergessen nach Feierabend einen Termin zu machen. Meistens ist man dann irgendwo in der Schweiz aber nicht zu Hause.

Fehler passieren, aber wenn sich die Fehler häufen, dann ist etwas falsch im System und man muss über die Bücher. Fehler machen alle, auch die Lokführer. Nur, wenn wir einen schweren Fehler machen, kommt kein Chef und bügelt ihn aus. Dann kommt die Presse und einen Tag später weiss es jeder zwischen Romanshorn, Basel, Genf und Chiasso. Das ist unser Problem, wir sind es gewohnt stets Arbeit in hoher Güte und mit sehr viel Sicherheit zu leisten. Es ist klar, dass wir das auch von anderem Personal erwarten.

Ein Kollege meint, dass er sich wohl im nächsten Jahr für Ostern etwas einfallen lassen muss, er wisse jetzt am Dienstag noch immer nicht, was er an Ostern arbeite. Seine Frau möchte endlich wissen, ob sie die Einladung seiner Schwiegereltern annehmen können oder nicht, langsam müsste das Essen bestellt werden. Aus der Ecke kommt plötzlich der Kommentar, dass es auch ein Vorteil sein kann, so komme er um den Ärger mit seiner Schwiegermutter herum. Bedrücktes Gelächter bricht aus und der Kollege meint, es sei wohl nicht der Sinn von einem Feiertag, wenn die Familie die Verwandten besucht und er alleine zu Hause sitzt, dann arbeite er lieber. Es ist ja auch eine Frechheit der Verwandten ein paar Tage vor einem Festtag zu erwarten, dass man weiss, ob man kommen kann oder nicht.

Ich stehe kurz auf und gehe mir noch einen Kaffee holen, denn noch habe ich ein ganzes Stück Arbeit vor mir. Auf ein Gebäck verzichte ich und trinke nur noch einen Kaffee. Als ich zurückkomme, hat die Diskussion noch kein Ende gefunden. Ich meine nur, ich wisse es, dass ich Ostern nicht arbeiten muss, denn ich habe meine normalen Freitage.

Die Zeit verrinnt bei einer so angeregten Diskussion und ich muss bald wieder los.  Ein Lokführer vom Depot im RBL meint auch, dass er sich um seine Lok kümmern muss. Ich schaue auch gleich auf den Bildschirm, ob meine Lok zufällig irgendwo abgestellt ist. Nein ist sie nicht, jetzt gibt es nur noch eine Lösung, das Telefon muss helfen.

Da ich auf dem Handy die Nummern, die ich bei der Arbeit brauche gespeichert habe, nehme ich das Handy. Nach einigen Klingeltönen meldet sich der Gesprächspartner. Ich erkundige mich nach meiner Lok. Nach einer langen Wartezeit hat der Mitarbeiter die Unterlagen durchsucht und teilt mir mit, dass ich eine Re 10 nehmen muss. Ich danke ihm für die Auskunft und verabschiede mich.

 

Basel RB – Basel Badischer Rangierbahnhof

Die Re 10 stehen hier in Basel im ganzen Bahnhof verstreut herum. Die Lokführer, die hier ihre Loks übernehmen, kümmern sich nicht um die Nummer oder die Farbe der Lokomotiven. Sie übernehmen einfach die erste im Gleis stehende Maschine. Sobald der einzelne Lokführer bereit ist, meldet er seine Fahrbereitschaft dem Mitarbeiter vom Stellwerk. Zuvor aber die Nummer der Lok an den Mitarbeiter von SBB Cargo, sofern dieser diese nicht schon kannte. Danach geht es wie überall weiter. Warten, bis das Rangiersignal auf Fahrt geht.

Nach ein paar Minuten Wartezeit ist es dann soweit, ich kann endlich den Rangierbahnhof Basel verlassen. Mein Ziel liegt in Deutschland, genauer wenige hundert Meter nördlich der Schweizer Grenze. Mein Zug steht im Deutschen Rangierbahnhof. Irgendwo auf der Fahrt wechseln wie gewohnt die Signale von schweizerisch zu deutsch und die Vorschriften der deutschen Bahn kommen zu Anwendung. Die Fahrt bis vor den Ablaufberg verlief ohne jede Schwierigkeit. Die Uhr zeigt genau 23.00 Uhr, als mich der Rangierbahnhof am Funk aufruft.

Seine Information gefällt mir jedoch nicht, denn er teilt mir mit, dass der Zug etwa 60 Minuten Verspätung habe. Weiter meint er, dass er die Stellen der SBB darüber verständigt hätte, dass die Lok erst in einer Stunde kommen sollte. Sein an mich gerichteter Vorwurf ist aber fehl am Platz. Ich meine nur, dass irgendwo zwischen der Stelle, die er verständigt und mir eine gigantische Lücke bestehen müsste, denn die Information sei nicht bis zu mir gedrungen.

Das Buch wird schon wieder benötigt, denn eine Stunde auf der Lok, ist nicht sehr unterhaltsam. Meine Mappe habe ich jedoch im Hinblick auf den Heimweg auf der anderen Lok deponiert und dort ist auch das Buch. Dazwischen liegen aber 35 Meter Regenwetter. Zwar nicht mehr so trocken aber immerhin mit dem Lesestoff in der Hand kehre ich zu meinem Führerstand zurück. Jetzt wird halt gelesen. Nein, zuerst muss ich noch das Handy abnehmen, denn es klingelt. Das Depot Basel teilt mir mit, was ich eigentlich schon länger hätte wissen sollen, dass mein Zug Verspätung habe.

 

Basel Badischer Rangierbahnhof - Erstfeld

Eine nette Geste des Weichenwärters ist die Info, die er mir geben will, wenn der Zug eingetroffen sei. Dadurch muss ich nicht immer die Signale anschauen. Ich habe einen grossen Teil meines Buches gelesen, als ich aufgerufen werde. Mein Zug sei jetzt am einfahren. Ein Blick auf die Uhr verrät mir, dass er schon ein paar Minuten eingeholt hat. Ich fahre mit meiner Lok, nachdem die Deutsche Lok weggefahren ist, an den Zug und wechsle den Führerstand. Die Zugpapiere, die ich unterdessen erhalten habe verraten mir, dass ich mit dem Zug auch 120 km/h fahren kann und dass er fast 1500 Tonnen schwer ist. Mit einer Achszahl von 100, ist auch das Limit für die Höchstgeschwindigkeit von 120 km/h, die bei mehr als 100 Achsen liegt nicht erreicht.

Die Bremsprobe haben wir erledigt, als das Signal auf Fahrt geht. Ich erkenne, dass ich statt durch den Rangierbahnhof zu kurven die Stammlinie benutzen kann. Viel Zeit gewinne ich dadurch aber nicht. Die nassen Schienen verhindern zudem noch, dass ich die volle Zugkraft aufbauen kann. Die Fahrt durch den Bahnhof Basel Badisch ist ohne ablenkende Weiche möglich. Ich nähere mich so schnell der Schweiz. Ein Blick auf die Uhr, verrät mir, dass ich jetzt 30 Minuten Verspätung habe.

Die Fahrt durch den Rangierbahnhof endet in Muttenz, denn dort kann ich zu meiner Überraschung auf die Stammlinie wechseln und so meine bereits recht hohe Geschwindigkeit behalten. In Pratteln habe ich nur noch 20 Minuten Verspätung. Wenn es so weiter geht, könnte es sein, dass ich die Zeit bis Erstfeld aufholen kann. Letztlich dankbar sein werden mir der Kollege, der den Zug übernimmt und der Kunde, der seine Ware vielleicht pünktlich erhalten wird.

Die Bahnhöfe Kaiseraugst, Rheinfelden und Möhlin habe ich schon lange hinter mir, als mich die Fernsteuerung Brugg aufruft. Sie meint, dass ich schnell fahren solle bis Brugg. Was meint der wohl, was ich seit Basel mache. Na gut, ich mache was ich kann. Nach Schinznach weiss ich auch warum der Funkspruch kam, denn auf der Strecke kann nur ein einziges Geleise befahren werden, am anderen wird gebaut.

Die Maschinen sind in an der Arbeit, als ich an ihnen vorbei fahre. Die Scheinwerfer, die dafür sorgen sollen, dass die Arbeiter etwas sehen können, bewirken bei mir genau das Gegenteil. Die Wagen mit dem neuen Baumaterial rufen mir in Erinnerung, dass ja am späten Nachmittag ein mit Schotter beladener Zug in Schwyz gestanden hat. Ob vielleicht hier das Material eingebaut wird?

Es dauert nach der Baustelle ein paar Sekunden, bis sich meine Augen wieder voll an die Dunkelheit angepasst haben. Das Gewicht der Wagen ist so gross, dass ich auch mit voll arbeitender elektrischer Bremse die Geschwindigkeit nicht zu halten vermag. Ich muss deshalb die Druckluftbremsen der Wagen zur Hilfe nehmen. Dies spielt keine Rolle, da ich wegen der etwas engeren Kurve vor Brugg so oder so hätte abbremsen müssen. Die Verbindungslinie von Brugg verläuft auf einer Brücke über den Bahnhof von Brugg. In den Geleisen unter meinem Zug stehen die Pendelzüge der S-Bahn und des Regionalverkehrs für den morgendlichen Ansturm der Arbeiter bereit.

Ja, langsam gehören die Strecken wieder dem Güterverkehr. Ein Umstand, der mir nur helfen kann. Ich werde meine hohe Geschwindigkeit auch dank dem guten Bremsverhältnis recht oft ausfahren können. Die Station Lupfig passiere ich gerade, als ich die erlaubte Geschwindigkeit erreicht habe, zum Glück hat der Regen aufgehört und die Schienen trocknen ab. So kann ich die volle Zugkraft ausnützen.

Bei der Durchfahrt in Othmarsingen blicke ich im Fahrplan etwas genauer auf die Uhr. Aha, die Verspätung ist wieder um ein paar Minuten geschrumpft. Das nächste Mal werde ich die Zeit in Rotkreuz vergleichen.

Da auch die Signale in Hendschiken freie Fahrt zeigen, kann ich ungehindert in die Südbahn einfahren. An den Bahnübergängen stehen ein paar Autos, die warten, bis sich die Schranken wieder öffnen.

Das wird aber kaum der Fall sein, wenn mein letzter Wagen die Barriere passiert hat, denn ein Gegenzug begegnet mir und wird auch gleich über die Bahnübergänge fahren. Erst danach werden die Autos wieder weiterfahren können. Ich zumindest kann es auch nach Wohlen noch.

Bei der Haltestelle Boswil-Bünzen muss ich die Geschwindigkeit etwas drosseln, denn hier kann ich nicht mehr die höhere Geschwindigkeit ausnutzen, dafür stehen die Vorsignale zu nahe bei den zugehörigen Hauptsignalen. Nach Muri ist dann erneut eine Reduktion fällig, da sich hier ein paar engere Kurven folgen werden.

Im Bahnhof Benzenschwil passiere ich die letzte Schranke auf dieser Fahrt. Bis Erstfeld wird keine mehr kommen. Da das Ziel meines Zuges Luino ist, wird er erst wieder in Cadenazzo den Autos im Weg sein. Durch das Gefälle beschleunigt der Zug von selbst, als ich die elektrische Bremse reduziere. Die erlaubte Geschwindigkeit ist wieder etwas höher. Ich fahre gerade mit meinen gesamthaft 1'700 Tonnen mit etwas mehr als 100 km/h durch den Bahnhof von Oberrüti als meine Zugnummer am Funk aufgerufen wird.

Es ist der Bahnhof Rotkreuz, der mir mitteilt, dass ich in Rotkreuz ausserordentlich anhalten müsse, ein weiterer Lokführer werde zusteigen, damit er nach Erstfeld komme. Ich bestätige den Auftrag und erkundige mich, wo denn der Kollege stehen werde. Schliesslich macht es wenig Sinn, wenn ich bis zum Signal fahre, wenn der Kollege im Bereich der Perron steht.

Die Antwort ist klar und deutlich, der Kollege werde beim Signal warten. Ich danke für die Info, ich kann somit in Rotkreuz normal einfahren. Mittlerweile habe ich die Brücke über die Reuss passiert und den Kanton Aargau wieder verlassen. Durch die Steigung ermässigt mein Zug schon recht stark und mit der elektrischen Bremse sorge ich dafür, dass er das noch etwas stärker tut. So kann ich langes Bremsen mit der Druckluftbremse verhindern. Die Räder meiner Wagen werden mir ebenso dankbar sein, wie die schlafenden Anwohner.

Kaum habe ich vor dem Signal angehalten, wechselt dieses auch wieder auf Fahrt und gleichzeitig steigt im hintern Führerstand der Kollege ein. Sein Heizer jedoch steigt bei mir vorne auf. Ja, der Kollege muss sich die Strecke ja nicht mehr anschauen, schliesslich sollte er sie ja wie ich kennen. Die Lokführer-Anwärter nennen wir auch Heute noch Heizer, obwohl schon lange keine Kohle mehr verfeuert wird.

Der Heizer stellt sich vor, mich kennt er bereits, denn er habe schon oft meine Homepage besucht meint er. Ich erkundige mich, ob er denn schon mit schweren Zügen fahren dürfe. Seine Antwort ist klar, denn er meint, dass er nur die Erlaubnis habe im Rangierdienst zu fahren, die Einschulung im Streckendienst werde in den nächsten Tagen erfolgen. Ist gut, dann fahre ich weiter, sonst hätte ich die Bedienelemente dem Heizer überlassen, damit er das Gefühl um mit Zügen zu fahren erlernen kann.

Bei der Abfahrt blicke ich auf die Uhr und die Zeit im Fahrplan. Die Verspätung beträgt nur noch 10 Minuten, was im Güterverkehr schon bald als pünktlich bezeichnet werden kann. Als ich das vor langer Zeit einmal einem Vorgesetzten erklärt habe, wurde ich belehrt, dass der Zug erst pünktlich sei, wenn der Sekundenzeiger exakt in dem Moment auf die Durchfahrzeit springt, wenn wir an der Stelle seien, wo sich der Stelltisch befindet.

Egal, die Beschleunigung mit dem schweren Zug in die Steigung benötigt nicht nur viel Energie sondern auch viel Zeit. So dauert es recht lange, bis ich die Geschwindigkeit von 90 km/h erreicht habe. Letztlich half mir dabei das Stück mit dem Gefälle. Die Steigung bis nach Immensee ist zu steil, dass ich den Zug einfach hätte rollen lassen können. Durch den Aufbau der Zugkraft und das immer grössere Gewicht, das in die Steigung fährt, hoffe ich die Geschwindigkeit so gut wie möglich zu halten. Das gelingt mir nur bedingt, doch in Immensee muss ich so oder so etwas langsamer werden.

Vor Arth-Goldau steigt die Strecke nochmals kräftig an und ich muss wieder etwas höhere Stromwerte einstellen um das Tempo zu halten. In Arth-Goldau wechselt alles wieder, die Strecke fällt ab und ich benötige die elektrische Bremse der Lok. Kurz vor der Fahrleitungsschutzstrecke schalte ich die elektrische Bremse ab und leite eine Bremsung mit der Druckluftbremse ein. Der Zug hält so die Geschwindigkeit, wenn ich die Lok ausschalten werde.

Bei der Durchfahrt in Schwyz blicke ich nochmals in den Fahrplan und erkenne, dass ich immer noch die 10 Minuten Verspätung habe. Nach Brunnen kommen wieder die Tunnel. Jetzt in südlicher Richtung kann ich die schnellere Variante benutzen. So erreiche ich mit dem Zug den Kanton Uri und die Haltestelle Sisikon recht schnell. Auch Flüelen währe kein Problem, wenn das Gleisabschnittsignal freie Fahrt signalisieren würde. Das macht es aber nicht, die angekündigte Geschwindigkeit lässt mich wissen, dass es in das Geleise vier geht. Ein Gleis, das oft benutzt wird um Züge anzuhalten, wenn in Erstfeld kein Platz mehr vorhanden ist.

Das Ausfahrsignal bleibt geschlossen und ich komme erneut mit dem Zug zum stehen, jetzt ist klar, dass ich Erstfeld nicht mehr pünktlich erreichen kann, denn ich komme exakt zur rechten Zeit zum stehen, nur eben im falschen Bahnhof. Ich stehe noch nicht lange, als mich die Fernsteuerung Arth-Goldau aufruft. Seine Infos sind nicht erfreulich, denn er erklärt mir, dass es im Gotthardtunnel Probleme mit einer Weiche gebe und dadurch in Erstfeld alle Geleise besetzt seien und ich bis auf weiteres hier stehen bleiben muss.

Dank dem Heizer kann ich die Zeit mit einem Gespräch verbringen. Da auch hier Arth-Goldau freundlicherweise mitgeteilt hat, dass ich vor Abfahrt verständigt werde, kann ich auf das anstarren des roten Signals verzichten. Im Gespräch merkt man nicht, wie schnell die Zeit verrinnt. Per Zufall sehe ich, wie das Signal auf Fahrt wechselt. Gleichzeitig kommt die Verständigung am Funk. Bei Abfahrt habe ich wieder eine Verspätung von 45 Minuten.

In Erstfeld sind es dann sogar 60 Minuten, da ich vor dem Einfahrsignal warten musste. Ich schalte am Funkgerät noch den Funkkanal für die Gespräche mit der Schiebelokomotive ein. Der Heizer macht seine Arbeit gut, denn er beginnt gleich nach dem Halt mit dem reinigen der Griffstangen. Der Kollege aus dem Tessin, der jetzt aufsteigt, ist über die Verspätung nicht sonderlich glücklich. Ich kann ihn verstehen, denn er hat so schon recht spät oder eben früh am Morgen Feierabend. Auch ich habe jetzt ein Problem vor mir.

 

Letzte Änderung

Zu Dritt haben wir den Weg ins Depot geschafft. Im Dienstgebäude angekommen, melde ich die Verspätung dem Mitarbeiter auf der Leitstelle. Meine Info, dass ich am Nachmittag meine eingeteilte Tour nicht fahren könne, scheint dem Arbeiter gar nicht zu gefallen. Er meint nur, dass der Übergang zwar weniger, als die normalen 12 Stunden betrage. Eine Kürzung auf 10 Stunden sei zulässig. Ist sie, erwidere ich, aber nicht zweimal in einer Woche.

Nein, eine Ausnahme mache ich nicht, schliesslich haben die Verhandlungen zwischen den Gewerkschaften und den SBB diese Regelung ergeben. Grundlos scheint eine solche Regelung nicht zu sein, ich werde mich an die Vorgaben halten, da hilft auch kein betteln und flehen.

Vorschriften sind da um beachtet zu werden. Missmutig ändert er meinen Dienst für den Nachmittag. Jetzt muss halt ein anderer meine Tour fahren, sofern überhaupt ein anderer Lokführer zur Verfügung steht.

Endlich, um 3.15 Uhr verlasse ich das Depot um nach Hause zu gehen. Mittlerweile muss es auch hier geregnet haben, denn die Strassen sind nass. Einen Schirm brauche ich aber keinen, denn der Regen hat aufgehört. Zu Hause angekommen, erledige ich noch einige Sachen, wie das Abrufen der E-Mail.

Nach einigen Minuten gehe ich aber ins Bett und werde schlafen. Schliesslich war es ein langer Tag und die Nacht wird ebenfalls relativ kurz werden, denn für mehr als essen und schlafen habe ich die Zeit nicht, denn ich muss um 15.15 Uhr zur Arbeit erscheinen.

 

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